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Johanna Krause – K. H. Krause:
ADHS IM ERWACHSENDENALTER
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2009. 376 S., 31 Abb., 19 Tab. € 36,95.
ISBN: 978-3-7945-2533-1

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ADHS – wer kannte vor einigen Jahren noch diese vier Buchstaben bzw. ihre Bedeutung. Heute ist die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung in aller Munde; ADHS und Burnout haben auch die Medien entdeckt. Manche beklagen schon ein informatives Überangebot. Doch das ist eher eine Qualitäts- denn Quantitäts-Frage. Im Grunde ist ein Zuviel an Wissen im medizinischen Bereich besser als ein Zuwenig. Und das frühere Wissens-Defizit war sicherlich für eine große Zahl von Betroffenen folgenreicher als die jetzige Situation. Ja, man kann eigentlich immer noch von einem Defizit sprechen, vor allem was ADHS im Erwachsenenalter anbelangt.

Während sich Kinder- und Jugendpsychiater langsam mit der Materie vertraut gemacht haben (nicht ohne vereinzelte Widerstände und sorgenvollen Kommentare, was durchaus nicht falsch ist) und auch Pädiater verstärkt diagnostisch und therapeutisch eingreifen, sehr zum Segen der betroffenen Kinder und Jugendlichen, wenn sich die Diagnose als zutreffend und die Therapie als angepasst und effektiv erweist, ist das beim Erwachsenen noch immer völlig anders, um nicht zu sagen unverantwortlich trostlos. Das hat zwar viele Gründe, z. B. die oftmals schwer konkretisierbare Darstellung des mehrschichtigen Beschwerdebildes durch die Betroffenen selber, von ihrer bisweilen etwas anstrengenden Wesensart ganz zu schweigen (siehe spezifische Symptomatik); vor allem aber die für Erwachsene inakzeptable Beschränkung der nachweisbar effektivsten Therapieform. Und dies – früher als ethisch unzumutbar empfunden, heute das schwerwiegendste Argument – mit nicht geringen volkswirtschaftlichen Konsequenzen, vom individuellen Leidensbild des Patienten und seinem näheren und weiteren Umfeld ganz zu schweigen.

Nun ist aber ADHS zu einem ergiebigen medialen Diskussions-Feld geworden, wenn man die Entwicklung vom Kinderbuch des selbst betroffenen psychiatrischen Chefarztes Dr. Heinrich Hoffmann (Zappelphilipp, Hans guck in die Luft, böser Friederich u. a.) über die früher einem sehr kleinen Expertenkreis vorbehaltene „minimale cerebrale Dysfunktion“ (MCD) bis zum hyperkinetischen Syndrom und schließlich ADHS verfolgt. Die Zahl der Publikationen ist fast nicht mehr überblickbar, die Zahl der Bücher geradezu erstaunlich (wobei einem nicht immer klar ist, woher der Autor das doch notwendige praktische Wissen schöpft). Wenn aber etwas plötzlich wie eine Rakete in den Himmel steigt, nachdem es zuvor weitgehend unbeachtet geblieben ist, obgleich schon früher die Betroffenen zum gezielten Nachdenken hätten anregen sollen, dann muss man vorsichtig, ja skeptisch bleiben. Auch Burnout (erschöpft, verbittert, ausgebrannt) ist sicher ein Faktum, möglicherweise in der Tat ein „Schwelbrand der Gesellschaft“. Es ist aber auch eine Spielwiese der Medien und inzwischen ein „wohlfeiles Argument“ für – sagen wir es neutral – Zustände jeglicher Art geworden, von den „Trittbrett-Fahrern“ ganz zu schweigen, die sich immer häufiger positionieren.

Beim ADHS liegen die Dinge etwas anders, durchaus komplizierter, vor allem biologisch fundierter, wie allein schon die spezifische medikamentöse Behandlung zeigt. Und es ist ein regelrechtes Unglück, wenn bereits in jungen Jahren die Weichen in eine nachteilige Richtung gestellt werden, was Wesensart, Erziehungs-Erfolge oder -Misserfolge, Schul- und Ausbildungs-Leistung, familiäre Atmosphäre, Partnerschaft, Freundeskreis, wirtschaftliche Absicherung, Karriere und „Lebensglück“ im weitesten Sinne anbelangt. Das lässt sich zwar – begrenzt, aber immerhin sichtbar – im Erwachsenenalter korrigieren, aber es muss eben auch etwas Konkretes geschehen. Hier wäre also die Flut an Informationen nicht fehl am Platze. Den Ärzten und Psychologen, denen die medikamentöse und psychotherapeutische Aufgabe zukommt, ist aber gerade die Informations-Dichte und -Art suspekt, oft nicht zu Unrecht. Sie hätten gerne eine saubere, eine alltags-taugliche und wissenschaftlich auf dem neuesten Stand basierende Information.

Dem dient nun schon seit über zehn Jahren eine Reihe von nervenärztlichen Beiträgen und seit 2003 das Standard-Fachbuch ADHS im Erwachsenenalter von Dr. Johanna Krause und Prof. Dr. Klaus-Henning Krause im Schattauer-Verlag. Dort konnte man schon früher die Möglichkeiten, Grenzen und auch Risiken nachlesen, die diagnostisch und therapeutisch zu berücksichtigen sind. Jetzt, in 3. Auflage, wurden noch mehr Informationen zusammen getragen (eindrucksvolles Literaturverzeichnis, inzwischen um über 300 neue Arbeiten erweitert). Und es wurden Themen einbezogen, die aufhorchen lassen wie unkontrollierte Gewalt in der Familie, Autismus, Ko-Morbidität und Differentialdiagnose (wenn eine Krankheit zur anderen kommt bzw. was könnte es sonst noch sein?). Im Anhang ein semi-strukturiertes Interview zur Erfassung der ADHS-Symptome, was dringend notwendig ist, weil sich die Exploration nicht nur wegen der vielschichtigen Symptomatik, sondern auch oftmals problematischen Wesensart als sehr mühsam erweisen kann. Ergänzt wird das Ganze durch die diagnostischen Leitlinien der hyperkinetischen Störungen (s. o.) nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

ADHS ist keine Mode-Diagnose, auch wenn man erst jetzt zu konkreten Erkenntnissen gekommen ist. Betroffen sind – je nach Nation und vor allem Studie – zwischen rund fünf Prozent in Deutschland und mehr als drei Mal soviel beispielsweise in den USA. Es ist schon ein erschreckend hoher Prozentsatz, auch wenn gelegentlich der Vorwurf der „overdiagnosis“ erhoben wurde. Selbst wenn man die untere Grenze nimmt, ist ADHS bei Kindern damit ohnehin das häufigste Krankheitsbild. Und im Alter? Man schätzt, dass ein bis zwei Drittel der ADHS-Kinder auch im Erwachsenen-Alter damit zu ringen haben, unter anderen, aber nicht minder beeinträchtigenden bis deprimierenden Bedingungen bzw. Konsequenzen.

So bleibt zu hoffen, dass die dritte Auflage den beschrittenen Weg fortsetzt, nämlich eine rechtzeitige Sensibilisierung im Kindes- und Jugendalter, was von den konsultierten Kinder- und Jugendpsychiatern bestätigt werden sollte und das gleiche für das Erwachsenen-Alter, in diesem Fall spät (hoffentlich nicht zu spät) diagnostiziert, aber dafür erfreulich zu mildern bzw. zu korrigieren, wenn nur die entsprechende Therapie konsequent genutzt wird. Das ist zwar noch immer ein „Trauerspiel“, fachlich als „off label use im Erwachsenenalter“ bezeichnet, de facto eine erhebliche Erschwernis, wenn man erwachsenen ADHS-Patienten dieselbe erfolgreiche Behandlung zuteil werden lassen will, wie Kindern und Jugendlichen.

Wie demnach Diagnose und Therapie zu handhaben sind, ist auf jeden Fall wieder einmal bzw. noch besser, detailreicher und auf neue Fragestellungen zielend gelungen, was die 3. Auflage des deutschsprachigen Standard-Werkes zum Thema ADHS anbelangt (VF)

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).