Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
SEH-TRUGWAHRNEHMUNGEN OHNE GEISTESSTÖRUNGVisuelle Halluzinationen - ophthalmologische Halluzinationen - Charles Bonnet-Syndrom (CBS) - Sinnestäuschungen des Sehens ohne psychotische Ursache - Pseudo-Halluzinationen - positive spontane visuelle Phänomene (PSVP)
Halluzinationen, also Sinnestäuschungen oder Trugwahrnehmungen (vom Lateinischen: haluzinatio = gedankenloses, verwirrtes Reden, Faselei, Träumerei) gehören zu den spektakulärsten seelischen Symptomen. Dabei gilt es aber zahlreiche Formen zu unterscheiden, je nach krankhaftem Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Fühlen. Halluzinationen sind aber nicht nur bei schizophrenen Psychosen möglich (mit denen man sie als erste in Verbindung bringt), sondern bei einer Reihe weiterer psychischer und sogar körperlicher Erkrankungen, was weniger bekannt ist. Nachfolgend deshalb erst einmal eine komprimierte Übersicht zu den Halluzinationen im Allgemeinen und anschließend zu den optischen Sinnestäuschungen, wie sie in dem Kapitel über die Halluzinationen ausführlicher dargestellt sind. Wer gleich zu den visuellen Halluzinationen (Charles Bonnet-Syndrom) kommen will, überspringt die folgenden Seiten. Im Einzelnen: HALLUZINATIONEN - EIN ÜBERBLICK Halluzinationen gehören zu den Wahrnehmungsstörungen. Allerdings handelt es sich hier weniger um eine gestörte Wahrnehmung, mehr um eigenständige krankhafte Phänomene von wahrnehmungsähnlichem Charakter. Sie betreffen auch nicht nur den Wahrnehmungsbereich (Sehen, Hören, Schmecken, Fühlen, Riechen), sondern die gesamte Persönlichkeit und bilden deshalb im Grunde eine eigene Gruppe psychopathologischer (seelisch krankhafter) Erscheinungen. Welche Halluzinationen unterscheidet man (in der Fachsprache)? - Akustische Halluzinationen: Gehörs-Halluzinationen, Gehörstäuschungen, Akoasmen, Phoneme, Stimmenhören - Optische Halluzinationen: Gesichts-Halluzinationen, Photome, Visionen - Olfaktorische Halluzinationen: Geruchs-Halluzinationen - Gustatorische Halluzinationen: Geschmacks-Halluzinationen - Taktile Halluzinationen: haptische, Tast- oder Berührungs-Halluzinationen, körperliche Wahrnehmungsstörungen, thermische Halluzinationen, hygrische Halluzinationen, taktile Trugwahrnehmungen des Tastsinns, haptische Trugwahrnehmungen an der Körperoberfläche, chronische taktile Halluzinose, Dermatozoenwahn, Enterozoenwahn - Vestibuläre Halluzinationen: kinästhetische Halluzinationen, Trugwahrnehmungen des Gleichgewichtssinnes - Leibhalluzinationen: leibliche Wahrnehmungstäuschungen, zoenästhetische Halluzinationen - Halluzinations-ähnliche Phänomene: physiologische Halluzinationen, hypnopompe Halluzinationen, hypnagoge Halluzinationen, Pseudo-Halluzinationen, illusionäre Verkennungen, Pareidolien, eidetische Bilder, Wahnwahrnehmungen u.a.m. Halluzinationen sind möglich auf allen Sinnesgebieten, auch auf mehreren gleichzeitig (kombinierte Halluzinationen). Dabei sind erst einmal unterschiedliche Ausprägungsgrade zu beachten: - Wahrnehmungscharakter: breites Spektrum zwischen eindeutigem Sinneserlebnis und vorstellungsnaher Erfahrung. So können z. B. akustische Halluzinationen oder Gehörs-Halluzinationen (siehe später) ein eindeutiges Hören sein, aber auch ein "Vernehmen", ein "Spüren von Stimmen im Leib", selbst ein "Wissen um die Stimmen". - Intensität: sinnenhafte Deutlichkeit zwischen massiv-leibhaftigem Sich-Aufdrängen und blassem In-Erscheinung-Treten. - Klarheit und Prägnanz: zwischen klar umrissenen und strukturierten Gestalten und schemenhaft zerfließend (wie Wolken, Nebel, Rauch). - Gegenstandsbewusstsein: zwischen "leibhaftig" und "verschwindend". - Realitätsurteil: zwischen "wirklich vorhanden" über "zweifelhaft" bis "unwirklich" (Übergang zu so genannten Pseudo-Halluzinationen - siehe später). - Räumliche Bestimmung: Optische (Seh-) und Berührungs-Halluzinationen werden meist als "von außerhalb des eigenen Körpers" erfahren. Doch müssen sich Halluzinationen keinesfalls an das Sinnesfeld halten. So kann auch etwas außerhalb des Gesichtsfeldes gesehen werden. Bei den akustischen Halluzinationen oder Gehörs-Halluzinationen ist die räumliche Bestimmung ohnehin viel schwerer, oft wechselnd. - Übergang von Wahrnehmung zu Halluzination: Echte Geräuschwahrnehmungen (z. B. Vogelstimmen) werden auf dem Weg nach "innen" z. B. zu Stimmen, die Anweisungen geben. Optische Halluzinationen Nachfolgend nur einige Hinweise zu den in diesem Zusammenhang interessierenden optischen Halluzinationen. Optische Halluzinationen, auch Gesichts-Halluzinationen genannt, äußern sich z. B. in konturlosen optischen Erlebnissen in Form von Lichtern, Farben, Blitzen u. ä. Oder auch als mehr oder weniger deutliche Gestalten, Figuren, Szenen, statisch oder bewegt, farbig oder schwarz-weiß. Im Einzelnen in entsprechenden Fachbegriffen: - Photome: Blitze, Funken, Flecken, geometrische Figuren oder ein undifferenzierter Licht- oder Farbenschein. Manchmal auch mehr oder weniger deutliche Gestalten sowie farbige oder schwarz-weiße Szenen, bewegt oder unbewegt, bis hin zu schnellen wechselhaften Abläufen. - Visionen: szenisch ausgestaltete optische Halluzinationen, z. B. als farbenprächtige, leuchtende und detaillierte Bilder, Szenen und Gestalten, häufig religiös-mythologischen Charakters oder allegorische (sinnbildliche, gleichnishafte) Darstellungen. Entweder szenisch verändert oder unbewegt. In krankhafter Hinsicht eher selten, im Bereich des "Normalen" auch im Rahmen religiöser Ekstase, während der Meditation usw. möglich. - Schnell wechselnde szenenhafte Abläufe, meist mit kleinen beweglichen Objekten wie Käfer, Würmer, Spinnen, Mäuse, sonstiges "Ungeziefer". Wo kommen optische Halluzinationen vor? Optische oder Gesichts-Halluzinationen gibt es vor allem bei der schizophrenen Psychose, allerdings seltener als vermutet. Am ehesten die szenisch ausgestalteten Visionen in religiöser Ekstase. Photome, also Blitze, Flecken, Licht- oder Farbenschein usw. finden sich besonders bei Erkrankungen des Auges, der Sehbahnen und der Hinterhauptslappen des Gehirns. So haben Epileptiker gelegentlich optische Halluzinationen, mitunter visionär-szenisch ausgestaltet. Endogen Depressiven mit Versündigungs- und Verdammungsgefühlen können bisweilen flüchtige Teufelsfratzen oder Schattenfiguren von Skeletten (Tod) u. a. erscheinen. Kleinere bewegte Gegenstände oder Tiere bedrohen vor allem den deliranten Alkoholkranken (oftmals auch den Kokainisten: "Kokain-Tierchen" unter der Haut). Bisweilen auch bei halluzinatorischen Verwirrtheitszuständen durch andere organische Psychosen (Geisteskrankheiten mit körperlich fassbaren Ursachen) möglich. Insgesamt gesehen sind optische Halluzinationen weitaus weniger spektakulär, wie man sich dies in der Allgemeinheit vorstellt. Das, was vor allem bei schizophrener Erkrankung als schockierend empfunden wird, sind Leibhalluzinationen oder leibliche Wahrnehmungstäuschungen. Einzelheiten dazu siehe die Begriffe zoenästhetische Halluzinationen, Leib-Halluzinationen oder leibliche Wahrnehmungsstörungen in dem speziellen Kapitel über die Halluzinationen. Halluzinations-ähnliche Phänomene Als den Halluzinationen nahestehende Phänomene, die in diesem Zusammenhang von Interesse sein können, gelten
VISUELLE HALLUZINATIONEN (Charles Bonnet-Syndrom - CBS) Als visuelle Halluzinationen (visuell = das Sehen betreffend, mit den Augen wahrgenommen), manchmal auch etwas unglücklich als ophthalmologische Halluzinationen (also in etwa übersetzt mit: nicht psychiatrische, sondern augenärztliche Ursachen betreffend) werden Phänomene bezeichnet, die in der Tat nicht zum Kerngebiet seelischer Störungen gehören. Das dürfte der wichtigste Satz für die Betroffenen und ihre Angehörigen sein. Oder auf deutsch: Hier spielen nicht psychiatrische, insbesondere Geisteskrankheiten die entscheidende Rolle, sondern augenheilkundliche Ursachen, auch wenn psychosoziale Zusatz-Belastungen bahnend wirken können (s. u.). Das war damals für den Erstbeschreiber, nämlich den bekannten schweizerischen Philosophen und Naturforscher Charles Bonnet aus Genf nicht so eindeutig erkennbar. Dabei traf es nicht nur seinen Großvater, sondern später auch ihn selber, wie er 1760 beschrieb. Soviel weiter kam man allerdings auch in den folgenden zwei Jahrhunderten nicht. Noch vor etwa 15 Jahren fand man in der Weltliteratur nur einige Dutzend Fälle beschrieben und folgerte daraus: Das Charles Bonnet-Syndrom ist selten. Dies ist nach neueren Erkenntnissen ein Irrtum, den es zu korrigieren gilt, und zwar im Interesse von zahlreichen Betroffenen, die sich nur nicht getrauen mit diesen für sie vielleicht erschreckenden (wenn auch nicht extrem belastenden) Erscheinungen klar zu kommen. Außerdem wird hier wieder eines deutlich, was die Medizin im Allgemeinen nicht gerade vorteilhaft dastehen lässt, nämlich eine mangelnde wissenschaftliche Kooperation (Stichwort: interdisziplinäre Verbunds-Studien) und die Neigung der Ärzteschaft im Allgemeinen und der Experten im Speziellen, nicht allzu gern und oft über "den Gartenzaun ihres eng umschriebenen Spezialgebietes" zu schauen. Oder kurz:
Hier wäre also eine wissenschaftliche und später praxis-relevante Zusammenarbeit sinnvoll, doch derlei beginnt sich erst nach und nach einzubürgern. Aus diesem Grunde gab es bisher nur wenig gezielte Untersuchungen und - folgerichtig - keine allgemein akzeptierten diagnostischen Kriterien (kennzeichnende Merkmale, nach denen alle gleich diagnostizieren). Wie definiert man ein Charles Bonnet-Syndrom? Bisher gibt es noch immer keine allgemeinverbindliche Definition. Dafür ist man sich inzwischen darin einig, dieses Phänomen auf "visuelle Halluzinosen ohne eine gleichzeitige delirante, dementielle, psychotische, affektive oder neurologische Erkrankung mit Läsion der Sehbahnen zu begrenzen". Oder allgemein verständlich: Es handelt sich um ein Phänomen, bei dem Halluzinationen (Sinnestäuschungen, Trugwahrnehmungen) so sehr im Vordergrund stehen, dass andere Symptome fast randständig erscheinen. Außerdem dürfen als Ursachen nicht in Frage kommen: - ein Delirium oder Delir: desorientiert, wahnhafte Verkennungen, seelisch- körperliche Unruhe, Bewusstseinseinengung, Beispiel: Alkohol-Delir, - eine Demenz: Geistesschwäche, z. B. durch höheres Lebensalter, - eine Psychose: Geisteskrankheit wie beispielsweise Schizophrenie, aber auch durch körperliche Beeinträchtigungen auslösbar, - eine affektive Störung: z. B. Depression - oder eine neurologische Erkrankung, bei der die Sehbahnen im Gehirn geschädigt werden: z. B Epilepsien, Parkinson-Syndrom u. a. Wenn dies alles also nicht vorliegt und trotzdem Halluzinationen auftreten, dann kann man sich über die mögliche Diagnose eines Charles Bonnet-Syndroms unterhalten. Es liegen demnach optische Fehlwahrnehmungen vor oder - definitorisch exakter - so genannte Pseudo-Halluzinationen (siehe oben).
Wie häufig ist ein Charles Bonnet-Syndrom? Über die Häufigkeit dieses Phänomens gibt es keine genauen Daten. Der Grund ist nachvollziehbar und schon mehrfach angedeutet: Es handelt sich in der Regel um ältere (oft auch alleinstehende oder kontaktarme) Menschen, denen dieses Phänomen zwar nicht unbedingt Angst macht, aber darüber reden wollen sie auch nicht. Die Gründe sind bekannt. Wer will schon als geisteskrank eingestuft werden (denn Halluzinationen sind zusammen mit dem Wahn auch im Meinungsbild der Allgemeinheit die charakteristischsten Symptome einer Psychose oder Geisteskrankheit). In Altenheimen wird man auf so etwas nur selten achten und in gerontopsychiatrischen Fach-Abteilungen muss man die schwersten Fälle betreuen, bei denen dann Wahn oder Halluzination wirklich zu einer (Alters-)Psychose gehören. Deshalb ist ein solches Phänomen in diesen Einrichtungen nur selten ein Problem. Dagegen fand und findet man in Augenkliniken bei bis zu 10 bis 15% der älteren Patienten entsprechende Hinweise. Das legt zumindest die Vermutung nahe: Das Charles Bonnet-Syndrom ist häufiger als angenommen, nur eben aus verschiedenen Gründen verheimlicht bzw. nicht psychiatrisch diagnostiziert. Der Umstand, dass die Augenkliniken der Ort der Diagnose sind, legt also einen oder wahrscheinlich den entscheidenden Grund einer solchen Pseudo-Halluzination nahe, nämlich eine im fortgeschrittenen Alter verminderte Sehkraft. Nachfolgend deshalb eine der interessantesten und wohl auch wegweisendsten Untersuchungen zu diesem Phänomen, wie sie 1996 in einer niederländischen Untersuchung in der international renommierten medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" von R. J. Teunisse und Mitarbeitern publiziert wurde (Einzelheiten siehe Literaturverzeichnis), in vorliegender Nutzung übersetzt von P. Allen (Franz Bardon-Forschung, 2001: www.geocities.com/franzbardon /CharlesBonnetSyndrome_d.html). Im Einzelnen: Bei der groß angelegten niederländischen Untersuchung zum Charles Bonnet-Syndrom (CBS), bei der von 505 sehbehinderten Patienten der Universitäts-Augenklinik von Nijmegen 60 über komplexe visuelle Halluzinationen berichteten, ergaben sich folgende epidemiologische Erkenntnisse: - Geschlechtsspezifisch waren mehr als doppelt so viel Frauen wie Männer betroffen (was auch mit dem jeweiligen Alter zu tun hat - s. u.). - Das Alter variierte zwischen 46 und 98 Jahren, bei einem allerdings durchschnittlichen Alter von mehr als 75 Jahren. - Das durchschnittliche Alter der Erstmanifestation (erstmaliger Ausbruch dieser visuellen Halluzinationen) lag bei 72 Jahren. - Die Dauer des Phänomens zur Zeit der Untersuchung reichte von einem Monat bis zu 30 Jahren. Etwa die Hälfte hatte solche Phänomene erst seit weniger als einem Jahr, ein Drittel zwischen einem und 5 Jahren und der Rest seit mehr als 5 Jahren. - Die häufigsten augenärztlich nachgewiesenen Beeinträchtigungen dieser visuellen Halluzinationen finden sich im Kasten.
- Die Häufigkeit der Halluzinationen lag zwischen mehrmals täglich und bis zu zweimal jährlich. Bei den meisten blieb diese individuelle Frequenz konstant, bei einigen verminderte sie sich, nur wenige berichteten von immer häufigeren Erscheinungen.- Die Dauer der halluzinatorischen Episoden reichte von wenigen Sekunden bis zu vielen Stunden. - Der Inhalt der Halluzinationen war vielfältig und enthielt folgende Häufigkeitsverteilungen: In der überwiegenden Zahl der Fälle (Mehrfachnennungen, deshalb in der Summe auch mehr als 100%) waren es Menschen, die auftauchten, meist Erwachsene, seltener Kinder, in der Regel Einzelpersonen, aber auch Gruppen. Nicht selten nur Köpfe oder Gesichter, bisweilen auch Miniatur-Männchen oder Liliputaner-Figuren. Etwas seltener waren Tiere, Pflanzen bzw. Bäume, ferner Gebäude oder andere Objekte, gelegentlich auch (wie in anderen Untersuchungen festgestellte wurde) Stoffreste, Steinhaufen, Raketen, u. a. Mitunter, wenn auch vergleichsweise selten, wird von ganzen Szenen berichtet.
- Thematisch war der Inhalt der Halluzinationen in der Regel nicht weiter aufregend, konnte sogar durchaus lustig sein (z. B. bei den "Mini-Personen" beispielsweise Mini-Polizeimännchen, Zwerge, Liliputaner u. a.). In Einzelfällen waren auch gespensterartige, z. B. durchscheinende oder leuchtende, durch den Gang schwebende Figuren möglich. Auch bizarre Bilder oder Szenen galt es zu ertragen (Drachen, eigenartig angezogene oder geschmückte Menschen), wenngleich ebenfalls nicht sonderlich beunruhigend. Auch sehr schöne oder anrührende Phänomene werden geschildert: Engel, wundervolle Blumensträuße, Gebinde oder Beete usw. - Die meisten Ereignisse waren durchaus variabel. So kam eine relativ große Menge unterschiedlicher Sinnestäuschungen zustande, die bei jeder neuen halluzinatorischen Episode anders ausfielen. Manchmal wurden auch bestimmte Objekte mehrmals gesehen. So genannte stereotype Halluzinationen (also identische Objekte) sind eher selten. - In farblicher Hinsicht waren diese Halluzinationen sowohl farbig (in der Mehrzahl der Fälle) als auch (gelegentlich) schwarz-weiß möglich. - Im Vergleich zu Objekten der normalen Wahrnehmung konnten sie genauso klar und deutlich wie im Alltag oder weniger klar umrissen sein, mitunter erstaunlicherweise "noch klarer als in Wirklichkeit". - Was die Dynamik, also die Bewegung innerhalb des Bildes bzw. der Szene oder des Objektes anbelangt, so war in etwa gleich häufig zu erfahren: nie bewegt bzw. immer oder zumindest manchmal in Bewegung. Bisweilen bewegte sich die Halluzination auch gemeinsam mit den Bewegungen der Augen. - Die meisten Patienten halluzinierten nur mit offenen Augen. Einige nahmen halluzinierte Objekte als durch die Luft schwebend wahr oder als an die Wand oder an die Decke projiziert. Auch wurde davon berichtet, dass sich die halluzinierten Objekte gut in die reale Umgebung eingefügt hätten (z. B. eine nicht wirkliche Person in einem vorhandenen Sessel sitzend. Die eher geringe Zahl jener Patienten, die mit geschlossenen Augen halluzinierten, nahmen die Trugwahrnehmungen in dem dunklen subjektiven Raum "hinter den Augenlidern" wahr. - Vier Fünftel aller Patienten gaben an, dass sie sich der unwirklichen Natur ihrer Halluzinationen sofort bewusst waren. Nur wenige gestanden ein, getäuscht worden zu sein, allerdings nur gelegentlich und dann für kurze Zeit. Und dies auch nur, wenn die halluzinierten Objekte wie Alltags-Objekte aussahen und genau in diese Umgebung passten. So scheint es dann für andere Menschen auch leicht zu sein, die Patienten zu korrigieren, selbst während sie halluzinieren. Da sie sich ihrer Sinnestäuschungen meist selber gleich bewusst sind und nur ganz selten und für begrenzte Zeit täuschen lassen, ist die Korrektur des Umfelds also ein hilfreich korrigierender Faktor - sofern er zustande kommt (d. h. sofern der Patient davon berichtet und ein Angehöriger beispielsweise erstaunt aber umgehend richtig stellt: "Aber hier gibt es doch gar keine Blumen"). - Drei Viertel aller Patienten konnten keine persönliche Beziehung zu ihren Trugwahrnehmungen erkennen. Selbst wenn ihnen die halluzinierten Objekte bekannt waren, waren sie jedoch von keinerlei erkennbarer gemütsmäßiger Bedeutung. Es scheint ähnlich zu sein wie bei Träumen. Natürlich erlebt man seine Träume selber und allein und irgendwie haben sie schon etwas mit dem eigenen Leben zu tun. Aber in der Regel so abstrakt, abgehoben oder realitäts-fern, dass man sie gleich wieder vergisst. So auch bei den visuellen Halluzinationen der Seh-Behinderten. Andererseits haben ja nicht wenige Träume auch einen "psychodynamisch relevanten Hintergrund", können also etwas über die unbewusste Seelenlage des Betreffenden aussagen (und werden deshalb auch in der psychoanalytischen Traumdeutung genutzt). So kann natürlich im Einzelfall auch hier eine immer wiederkehrende Sinnestäuschung auf unbewusste Wünsche, Sorgen, Kümmernisse oder erlebte Belastungen hinweisen. Doch das dürfte die Ausnahme sein. Manchmal taucht in solchen Trugwahrnehmungen deshalb auch ein früher nahestehender Verstorbener auf oder es wird an Objekte erinnert, die einem einmal etwas bedeutet haben. Was kann visuelle Halluzinationen beeinflussen? Offensichtlich ist es den Betroffenen nicht gegeben, ihre Halluzinationen bewusst zu produzieren oder den Inhalt in irgendeiner Form willentlich zu beeinflussen. Allerdings fällt den meisten Patienten auf, dass bestimmte Umstände solche Trugwahrnehmungen erleichtern oder erschweren und einige scheinen sogar verschiedene Methoden zu entwickeln, um das Halluzinieren zu unterbrechen. Um was handelt es sich hier? - Umstände, die visuelle Halluzinationen fördern können, sind beispielsweise - die Tageszeit, nämlich am ehesten am Abend oder in der Nacht, seltener mittags oder gar morgens. - Auch die jeweils herrschende Beleuchtungsstärke hat einen Einfluss, nämlich zumeist schwache Beleuchtung und eher selten helles Tageslicht. - Weitere halluzinations-fördernde Umstände sind Sich-Zuhause-befinden, Inaktivität, Alleine-Sein und (eher selten) Anstrengung, Nervosität, Stress, Fernsehen schauen, in einem Auto sitzen, ein Beruhigungsmittel einnehmen oder die Folgen einer Lasertherapie der Augen. - Methoden, die die Halluzinationen unterbrechen können sind beispielsweise - Einfluss der Augenlider, und hier eher geschlossene als offene Augen. - Auf das halluzinierte Phänomen zugehen, also auf Menschen, Tiere, Pflanzen, unbelebte Objekte u. a. - Oder - sofern man sich überhaupt damit beschäftigt hat - andere Methoden wie Wegschauen, Weggehen, Lichtmachen, die Augen schnell bewegen, blinzeln, die Halluzination fixieren, sich auf etwas anderes konzentrieren, die Halluzination zu schlagen versuchen, anzuschreien u. a. Die emotionalen Auswirkungen der visuellen Halluzinationen Sinnestäuschungen im Allgemeinen und optische Trugwahrnehmungen im Speziellen können nicht ohne gemütsmäßige Folgen bleiben. Dies gilt auch für jene visuellen Halluzinationen, die keine pathologischen Ursachen haben, also nicht auf eine seelische oder Geisteskrankheit zurückgehen. Trotzdem scheinen Patienten mit einem Charles Bonnet-Syndrom erstaunlich wenig beeindruckt oder gar belastet: Nur jeder Dritte gab zumeist Angst oder gar Ärger an, was diese optischen Fehlwahrnehmungen anbelangt. Ein Fünftel empfand zumindest gemischte Gefühle und bei mehr als jedem Dritten war die emotionale Reaktion neutral ("eher gleichgültig"). Etwa jeder Zehnte war hingegen erfreut und sogar amüsiert und interpretierte solche Erlebnisse damit durchaus positiv. Die allgemeine Gefühlswelt bzw. das Wohlbefinden von drei Vierteln aller Patienten war auf jeden Fall nicht gestört. Nur etwa jeder Vierte fand die Halluzinationen unangenehm und hoffte, sie mögen bald wieder aufhören. Etwa 10% fühlten sich allerdings so sehr gestört, dass sie bereit gewesen wären, diese Halluzinationen mit Hilfe von Medikamenten zu unterdrücken (sofern möglich, was aber nicht der Fall ist - siehe später).
Tatsächlich ist die Erfahrung, die Patienten mit visuellen Halluzinationen bei ihren Ärzten machen, nicht sehr ermunternd. Das reicht von "Reden Sie doch nicht solch dummes Zeug daher" bis zur (falschen) Diagnose einer wahnhaften Störung oder gar Schizophrenie mit entsprechenden Medikamenten (Neuroleptika), die aber in diesem Fall nichts bringen und nur eine Reihe von behindernden Nebenwirkungen provozieren. Und selbst bei Augenärzten, denen solche Phänomene noch am ehesten berichtet werden, scheint nicht allzu viel Beruhigendes für den Patienten herauszuspringen.
Was kann man tun? Die beste Therapie ist die erwähnte Prävention, also Vorbeugung. Und hier einfach Aktivität: seelisch, geistig, körperlich (auch wenn es auf allen drei Ebenen gute Argumente gibt, warum es "in Gottes Namen" nicht mehr so gut geht, vor allem was die körperliche Beweglichkeit anbelangt). "Stimulation" ist und bleibt also das wichtigste Stichwort bzw. gezielt: sensorische (Sinnesorgane) und psychosoziale Stimulation durch vermehrte Kontakte und anregende Umgebung. Medikamentös - da sind sich die Wissenschaftler einig - kann man wenig machen. Es ist auch nicht zwingend. Schon gar nicht durch so genannte hoch- und mittelpotenten Neuroleptika (Antipsychotika, also gegen eine Geisteskrankheiten wirksam), die für krankhafte(!) Halluzinationen die sinnvollste medikamentöse Alternative sind. Das Gleiche gilt für den hausärztlich gerne bevorzugten Kompromiss, nämlich die so genannten niederpotenten Neuroleptika, die also nur wenig antipsychotisch und damit nebenwirkungs-trächtig, dafür mehr dämpfend wirken. Sie alle bringen nur Müdigkeit und die gefürchteten extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen (siehe das entsprechende Kapitel über Neuroleptika), die den Rückzug und die Isolationsgefahr noch verstärken.
Wenn es denn je Medikamente sein müssen, dann diskutiert man pharmakotherapeutisch die so genannten Phasenprophylaktika Carbamazepin(?) oder Valproat, zwei Antiepileptika (gegen Krampfanfälle), die sich als Rückfallschutz bei manisch-depressiven Störungen bewährt haben und ggf. auch bei hartnäckigen und belastenden visuellen Halluzinationen versucht werden können - wenn tatsächlich unerlässlich. LITERATUR Die Erstbeschreibung durch Charles Bonnet geht zwar schon auf das Jahr 1760 zurück. Auch die Zahl der Betroffenen dürfte - wie erwähnt - deutlich höher sein, als statistisch in der Fachliteratur erfasst. Doch die Zahl der Fach-Publikationen hält sich in Grenzen (populärmedizinisch ist uns darüber hinaus nichts Umfassenderes bekannt). Nachfolgend deshalb nur eine Übersicht zu deutschsprachigen Lehrbüchern oder Fachartikeln, in denen das Charles Bonnet-Syndrom - wenn auch kurz - beschrieben wird. APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-IV-TR). Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2003 Berger, M.: Psychische Erkrankungen. Verlag Urban & Fischer, München-Jena 2004 Bonnet, C.: Essai analytique sur les facultés de l'âme. Verlag Philibert, Kopenhagen-Genf 1760 (Erstbeschreibung) Diederich, N.J. u. Mitarb.: Die optischen Halluzinationen des Parkinson-Patienten und das Charles Bonnet-Syndrom. Fortschr. Neurol. Psychiatr. 68 (2000) 129 Faust, V., C. Scharfetter: Psychopathologie 1 bis 13. Enke-Verlag, Stuttgart 1997 bis 2000 (Broschüren-Reihe) Fuchs, T.: Wahnkrankheiten. In: H. Helmchen u. Mitarb. (Hrsg): Psychiatrie der Gegenwart. Band 5: Schizophrene und affektive Störungen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2000 (von diesem Autor auch englischsprachige Publikationen zum Thema) Förstl, H. (Hrsg.): Lehrbuch der Gerontopsychiatrie und -psychotherapie. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2003 (dort auch weitere englischsprachige Literatur-Hinweise) Fuchs, T.: Isolierte Wahnformen und Halluzinosen. In: H. Förstl (Hrsg.): Lehrbuch der Gerontopsychiatrie. Enke-Verlag, Stuttgart 1997 Görgens, K, M. Liedtke: Charles Bonnet-Syndrom. Psychiatr. Prax. 25 (1998) 85 Kömpf, D.: Visuelle Halluzinationen - neurologische Aspekte. Nervenarzt 64 (1993) 360 Kurz, A.: Andere organische psychische Störungen. In: H.-J. Möller u. Mitarb. (Hrsg): Psychiatrie & Psychotherapie. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2003 Möller, H.-J. u. Mitarb. (Hrsg.): Psychiatrie & Psychotherapie. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2003 Olbrich, H.M.: Optische Halluzinationen bei älteren Menschen mit Erkrankungen des Auges (Charles Bonnet-Syndrom). In: H.M. Olbrich (Hrsg.): Halluzination und Wahn. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1987 Podoll, K., M. Osterheider, J. Noth: Das Charles Bonnet-Syndrom. Fortschr. Neurol. Psychiatr. 57 (1989) 43 Scharfetter, C.: Allgemeine Psychopathologie. Thieme-Verlag, Stuttgart, New York 2002 Teunisse, R.J. u. Mitarb.: Visual hallucinations in psychologically normal people: Charles Bonnet's syndrome. The Lancet 374 (1996) 794 (englischsprachige Publikation, auf den in vorliegender Publikation in Anlehnung an die Übersetzung von P. Allen (Franz Bardon-Forschung, 2001) Bezug genommen wird. Waespe, W., M. Stäubli: Intermittierende visuelle Halluzinationen. Schweiz. Med. Wochenschr. 128 (1998) 679 Wetterling, T.: Organische psychische Störungen - Hirnorganische Psychosyndrome. Steinkopff-Verlag, Darmstadt 2002 (dort auch weitere englischsprachige Literatur-Hinweise)
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |