Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
DERMATOZOENENWAHNVon vermeintlichem Ungeziefer verfolgt Wahnhafter Ungezieferbefall - chronische taktile Halluzinose - Acarophobie - Entomophobia - Parasitophobia - Ekbom-Syndrom - u.a.
WAS IST EIN WAHN? Der Dermatozoen-Wahn ist - wie der Name sagt - ein Wahn. Was ein Wahn ist, weiß jeder - scheinbar. Doch das täuscht. Nicht einmal die Fachleute, die Psychiater sind sich hierin einig. Denn: Der Wahn ist das wahrscheinlich vielschichtigste Phänomen in der Seelenheilkunde. Obgleich er den meisten als sicher erkennbar erscheint und oft genug für die Umwelt überaus spektakulär ist (z. B. Größenwahn), gibt es bisher keine allgemein anerkannte wissenschaftliche Definition. In der Psychopathologie, als der Lehre von den Beschwerdebildern seelischer Erkrankungen heißt es: Der Wahn ist die private, nur persönlich gültige lebensbestimmende Überzeugung eines Menschen von sich selber und seiner Welt. Nicht der Inhalt ist das krankhafte am Wahn, sondern die aus der Gemeinsamkeit herausgerückte ("verrückte") Beziehung zu Mitmenschen und Mitwelt auf der Basis eines veränderten Selbst (Scharfetter). Oder, kurz und verständlich:
An dieser Fehlbeurteilung wird - und das ist der Grund, weshalb man einem Wahnkranken in der Regel "mit Vernunft nicht beikommen" kann - mit hoher subjektiver Gewissheit und damit unkorrigierbar festgehalten. Und dies selbst dann, wenn diese Fehlbeurteilung im Widerspruch zur objektiven Wirklichkeit, zur eigenen Lebenserfahrung ("das ist doch ein erwachsener Mensch") und zum Urteil gesunder Mitmenschen steht ("aber das sieht doch jeder, dass das nicht stimmen kann"). Doch der Wahnkranke will seine wahnhafte Überzeugung gar nicht korrigieren. Für ihn ist sie meist unerschütterlich und unanfechtbar (wobei er in seinem übrigen Denken jedoch folgerichtig zu urteilen und zu handeln vermag, was sein Umfeld noch mehr verwirrt). Was gibt es für Wahnformen? Wenn man nun glaubt, ein Wahnkranker sei halt nur ein "Spinner", eben wahnsinnig, dann muss man sich von den Experten der psychiatrischen Krankheitslehre, den Psychopathologen eines anderen belehren lassen: Da gibt es die Wahnstimmung, den Wahneinfall, die Wahngedanken, die Wahnerinnerungen, die Wahnwahrnehmungen, ja sogar eine Wahnarbeit, die über die Wahndynamik in ein regelrechtes Wahnsystem mit einer geschlossenen Wahnstruktur münden kann (jetzt stimmen alle Beobachtungen zusammen und bestätigen die Wahn-Gewissheit des Kranken). Von dieser Basis des Wahns haben sicher noch die wenigsten gehört, doch könnte man hier endlos lang darüber diskutieren (siehe auch das entsprechende Kapitel über den Wahn). Bekannter sind dafür die einzelnen Wahnformen (siehe Kasten), vor allem der Verfolgungs-, Größen-, Liebes- und Eifersuchtswahn.
Dabei gibt es bei den verschiedenen Wahnformen unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten, die dann auch manchmal den Zugang zu einem solchen Wahn-System erleichtern können. So lassen sich Größenwahn, Liebes- und Eifersuchtswahn noch am ehesten verstehen. Schwieriger wird es beim Schuld- und Verarmungswahn, beim hypochondrischen Wahn unheilbar krank zu sein (obwohl sich nichts finden lässt) und beim Verfolgungswahn, bei dem selbst harmlose Ereignisse als Bedrohung und Verfolgung erlebt werden: Komplott (Verschwörung), Mord, Folter, Vergiftungspläne u.a., ausgehend von Angehörigen, Nachbarn, Arbeitskollegen, Behörden oder gar Ärzten mit ihren Hintermännern, die sich der modernsten technischen Hilfsmittel bedienen (Videokamera, Laserstrahlen, "Wanzen" u.a.). Dass übrigens die scheinbar absonderlichsten Einfälle heute nicht mehr ausschließlich krankhafter Natur sein müssen, macht die moderne Technologie der "Bespitzelung" möglich. Da kann man dann einerseits an sich selber irre werden, andererseits doch mit Entsetzen registrieren, dass inzwischen so gut wie alles möglich sein soll - was die elektronische Technik anbelangt. Deshalb müssen sogar erfahrene Psychiater einräumen, dass man sich gerade beim Verfolgungswahn ohne weitere Hinweise auf seelische Symptome erst einmal gut informieren muss, bevor man jemand unumstößlich zum "Wahn-Kranken" erklärt, besonders wenn der Betreffende in seinem technischen Verständnis auf dem neuesten Stand und gut informiert sein sollte (siehe erneut das Kapitel über den Wahn). Aber zurück zur psychischen Störung in Form des wirklichen krankhaften Wahns im allgemeinen und des Verfolgungs-Wahns im speziellen, wenngleich auf der Basis einer ganz besonders unfassbaren, ja grotesken bis "lächerlichen" Form, nämlich des Dermatozoenwahns. Zuvor aber einige Hinweise auf jenes Organ, das zwar lebensnotwendig ist, im Bewusstsein der Allgemeinheit aber keine große Rolle spielt: die Haut. Die Haut - auch ein "psychologisches Organ" Die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Seele und Haut sind bereits seit dem Altertum bekannt. Das geht schon auf die Erkenntnis zurück, dass sowohl das Gehirn, also das für seelische Vorgänge wichtigste Organ als auch die Haut dem gleichen Keimblatt des Embryos, also der Leibesfrucht im frühen Stadium der Schwangerschaft entstammen. Haut und Gehirn sind also besonders eng verbunden, auch wenn dies auf den ersten Blick sonderbar anmutet. Aber nur auf den ersten. Denn man sollte die Haut nicht nur als rund 2 m² (!) "äußere Hülle" abtun. Sie besteht nicht nur pro cm² aus Millionen von Zellen sowie zahlreichen Talg- und Schweißdrüsen, Haarbälgen und Blutgefäßen, sondern auch aus vielen spezialisierten Nervenendigungen zur Temperatur- und Schmerzempfindung. Die zahlreichen Erkrankungsmöglichkeiten der Haut führten deshalb schon sehr früh zu einem eigenen medizinischen Fachgebiet, der Dermatologie. Da die Haut auch ein seelisch sehr empfindsames Organ ist (siehe das spezielle Kapitel Haut und seelische Störung) arbeiten inzwischen Teilgebiete der Dermatologie und Psychiatrie wieder enger zusammen, was zu den Fachbegriffen Psychodermatologie bzw. Dermatopsychiatrie führte, die Forschung beflügelte, die Diagnose krankhafter Entwicklungen beschleunigte und die Therapie verbesserte. Denn dass die Haut ein "Spiegel der Seele" ist, können immer mehr Menschen bestätigen, die mit Hautkrankheiten zu kämpfen haben, die in wachsender Zahl psychosomatischer Natur sind (allgemein ausgedrückt: seelische Störungen äußern sich körperlich, also beispielsweise in Hautveränderungen wie Neurodermitis, Schuppenflechte, Akne, periorale Dermatitis im Mundbereich, Urticaria, in Kollagenosen u.a., ganz abgesehen von Hautveränderungen im Rahmen von Depressionen, Alkoholismus usw.). Eine der spektakulärsten Haut-Erkrankungen auf rein seelischer Grundlage aber ist der Dermatozoenwahn. Nachfolgend deshalb eine etwas ausführlichere Darstellung, denn er ist nicht so selten wie man im allgemeinen glaubt. Im einzelnen: DER DERMATOZOENWAHN Der Dermatozoenwahn ist ein eigentümliches Krankheitsbild, für den (Fach-) Arzt überaus eindrucksvoll, für die Angehörigen aber irritierend bis erschütternd (obgleich damit keine ernsteren Folgen wie Funktionsstörungen oder gar Schmerzen zu ertragen sind). Für die Betroffenen sind sie vor allem eine unglückselige Mischung aus subjektiver Qual und objektivierbarer Beeinträchtigung ihrer psychosozialen, d. h. partnerschaftlichen, familiären, nachbarschaftlichen, beruflichen, kurz: gesellschaftlichen Position, wenn sie sich in ihrer Not an ihre Mitmenschen wenden bzw. wenn es sich auch "nur" um entsprechende Gerüchte handelt, die ja erfahrungsgemäß noch folgenschwerer sind als wenn man offen seine (Krankheits-) Probleme zugibt. Den Dermatozoenwahn beschäftigen vor allem Dermatologen, Hausärzte (Allgemeinmediziner) und Internisten, ja Mikrobiologen, Zoologen (Tierkundler) und Entomologen (Fachleute der Insektenlehre) - aber nur selten jene Experten, die eigentlich dafür zuständig sind, nämlich die Psychiater und Nervenärzte. Es ist, als ob die Betroffenen ahnten, dass sie eigentlich in die Hände der Seelenheilkunde gehören, dies aber nicht akzeptieren wollen oder können und daher lieber eine mitunter endlose Reihe von "fachfremden Experten" konsultieren, die ihrerseits zwar willig mitunter Endlosuntersuchungs-Serien beginnen, nach kurzer Zeit aber den Verdacht nicht los werden, hier müsse es sich um etwas Seelisches handeln. Sollten sie aber diesbezügliche Vorschläge machen (dürfen wir Sie zu einem Psychiater überweisen, der kann Ihnen wirklich helfen?), wenden sich die in der Tat immer verzweifelter werdenden Patienten sofort einem neuen Experten zu - und das Spiel beginnt von vorne. Wissenschaftlich liegen inzwischen über 200 Fachartikel vor, und doch gibt es bislang kaum konkrete Leitlinien zur Diagnose und Therapie. Was aber weiß man? Vor über 100 Jahren erstmalig beschrieben Der Dermatozoenwahn ist vermutlich so alt wie die Menschheit, allerdings auch so ungewöhnlich, dass die ersten konkreten wissenschaftlichen Hinweise erst vor etwa 100 Jahren treffend wiedergegeben wurden, nämlich durch den französischen Arzt Dr. G. Thieberge (1894). Vier Jahrzehnte später prägte Dr. K .A. Ekbom den Begriff "Dermatozoenwahn" (1938), und dabei ist es bis heute geblieben. Begriff Der Dermatozoenwahn ist also ein Wahn (siehe oben), wobei die Haut (griechisch: derma) von Tieren (griechisch: zoon = Lebewesen, Tiere) beeinträchtigt wird. Bedeutungsgleiche Begriffe zum Dermatozoenwahn sind - in der deutschsprachigen Literatur Fachbezeichnungen wie Ungezieferwahn, wahnhafter Ungezieferbefall, Ekbom-Syndrom (nach Dr. Ekbom - s. o.), chronische taktile Halluzinose, organische Halluzinose, Acarophobie, Dermatophobie, circumskripte Hypochondrie, Parasitophobie, Entomophobie u.a. sowie - in der angloamerikanischen Literatur Delusion(s) of Parasitosis, Entomophobia, Delusion of Infestation, Parasitophobia, Monosymptomatic Hypochondriacal Psychoses (MHP), Tactile Hallucinations, Delusional/Psychogenic Parasitosis u.a. Schon allein die Vielzahl der Fachbegriffe macht deutlich, dass man sich bei diesem Krankheitsbild noch immer nicht so ganz sicher ist (ironische Kritik: Wo viel Begriffe, da wenig Klarheit). Es ist aber nicht nur eine "babylonische Sprachverwirrung" zu vermeiden, es sind auch einige missverständliche Begriffe auszumerzen. Denn die Bezeichnungen Phobie (also Acarophobie, Dermatophobie, Parasitophobie, Entomophobia u.a.) haben nichts mit einem Wahn zu tun. Phobien sind zwanghafte Befürchtungen auf rein seelischer Grundlage (siehe beispielsweise das Kapitel über die Angststörungen oder die Sozialphobie). Ein Dermatozoenwahn hingegen ist eine unkorrigierbare subjektive Überzeugung, eben ein Wahn, und das ist ein großer Unterschied, nicht zuletzt therapeutisch. Allerdings muss man auch eingestehen, dass es sich nicht immer um einen eindeutigen Wahn zu handeln scheint, das Phänomen kann auch mehrschichtig sein, was dann aber umso mehr eine exakte wissenschaftliche Namensgebung nahe legt. Nachfolgend im Kasten einige Erläuterungen zu den wichtigsten Aspekten eines Dermatozoenwahns, sei es als Symptom Sinnestäuschung oder Trugwahrnehmung (Fachbegriff: Halluzination), sei es als Diagnose einer Halluzinose (siehe Kasten).
Definition Unabhängig von einer Reihe ungeklärter Fragen ist man sich aber wenigstens in der Definition weitgehend einig, die das lautet:
Wenn trifft ein Dermatozoenwahn? Die Häufigkeit des Dermatozoenwahns ist schwer abschätzbar. Der Grund wurde bereits erwähnt: Die Betroffenen meiden den Facharzt, also Psychiater oder Nervenarzt und sprechen bei Ungeziefer-Spezialisten vor (Zoologen, Entomologen), bestenfalls aber bei ihrem Hausarzt, der dann rasch zum Dermatologen schickt. So kommt es, dass recht unterschiedliche Häufigkeitsangaben verwirren. In der Psychiatrie spricht man von nur sieben auf 10.000 Aufnahmen in einer Fachklinik bzw. von sechs Betroffenen auf eine Million Einwohner. Doch das entspricht sicher nicht der Realität. Die tatsächliche Zahl ist größer, auch wenn man keine genauen Daten hat. - Frauen sind häufiger Betroffen als Männer (wobei bis zum Alter von etwa 50 Jahren offensichtlich beide Geschlechter eher gleich beeinträchtigt sind). Oder konkret: Die Häufigkeit beim weiblichen Geschlecht nimmt während und nach den Wechseljahren deutlich zu (je nach Untersuchung 1,5 : 1 bis 6 : 1; zumeist doppelt bis drei Mal soviel Frauen wie Männer). - Der Altersgipfel liegt zwischen 48 und 64 Jahren, d. h. mit einem Schwerpunkt im mittleren und höheren Lebensalter. Männer scheinen früher als Frauen zu erkranken. - Die mittlere Krankheitsdauer variiert zwischen ein und vier Jahren, je nachdem wie rechtzeitig der Patient gezielt behandelt werden konnte. - Zwar gibt es keine konkreten Hinweise zur Frage des Zivilstands, aber eine bemerkenswerte Beobachtung: Der Dermatozoenwahn findet sich nicht zuletzt bei Alleinstehenden (ledig, geschieden, verwitwet), d. h. es fehlt in der Regel die frühzeitige Korrektur durch die gesunde Umwelt und die damit verbundene Empfehlung, nicht nur einen Dermatologen aufzusuchen und dann wieder zu verlassen, wenn dieser "keinen Erfolg" hat, sondern endlich auch einen Psychiater zu konsultieren. Es können aber auch Menschen in intakter Partnerschaft oder Ehe betroffen sein, wobei die verzweifelten Angehörigen nach einiger Zeit ihre vergeblichen Korrekturversuche aufzugeben pflegen. - Auch bezüglich der sozialen Schicht gibt es keine Untersuchungsergebnisse, wohl aber den Hinweis, dass es sich nicht selten um "sozial schlecht eingebundene Betroffene" handelt, d. h. Menschen mit eher weniger Kontakt. Beide Aspekte werden als so genannter "prämorbider Risikofaktor" eingestuft. D. h. sowohl allein lebend und vielleicht noch sozial schlechter gestellt kann natürlich einer wahnhaften Entwicklung eher Vorschub leisten, von den Folgen der Erkrankung einmal ganz abgesehen, nämlich Rückzug, Isolationsgefahr und damit ein Teufelskreis (früher als "Kontaktmangel-Paranoid" bezeichnet, d. h. wahnhafte Erkrankung durch wenig zwischenmenschliche Kontakte, wenn nicht gar eine diesbezüglich verstärkte Krankheitsanfälligkeit). - Was sich bezüglich der Persönlichkeitsstruktur ebenfalls häufiger aufdrängt ist der Eindruck, dass es sich nicht selten um so genannte anankastische, d. h. zwanghaft auf Reinlichkeit bedachte Menschen handeln soll. Wie äußert sich ein Dermatozoenwahn? Nahezu alle Patienten mit einem Dermatozoenwahn leiden unter einer vermeintlichen Infektion mit Parasiten oder kleinen Tieren, ohne dass dies medizinisch objektivierbar ist.
Als Lokalisation wird meist angegeben "auf der Haut", "in der Haut" oder "unter der Haut". Danach folgen Verdauungstrakt (vor allem Magen-Darm, dann als "Enterozoenwahn" bezeichnet), Körperöffnungen (Mund, Nase, Ohren, Nabel, After) sowie sogar die Augen. Die eingebildeten Infektionen führen subjektiv zumeist zu so genannten taktilen Missempfindungen (lateinisch: tactio = Tastsinn, Gefühl) wie Juckreiz, Kribbeln, Kriechen, Grabbeln, Hüpfen, Stechen u.a. Neben diesen Haut-Missempfindungen werden die Tiere aber auch gesehen, ja ihr Aussehen und Verhalten sehr detailliert geschildert, was plötzliches Auftauchen und Verschwinden, was Bewegungsmuster, Nester, Vermehrung, ja Nahrungsaufnahme und -ausscheidung anbelangt. Häufig sind sie schwarz oder weiß, in anderen Fällen wechseln sie die Farbe (z. B. von rot nach grün) und bisweilen sogar die Form. Bemerkenswert ist auch, dass die Größe dieser "Wesen" in der Regel überaus gering ist oder - noch häufiger - an der Grenze der natürlichen Wahrnehmbarkeit liegt. Neben den z. T. bizarren Äußerlichkeiten kann es aber auch vorkommen, dass die Erreger gar nicht näher beschrieben werden können, was dann genauso umständlich bis verzweifelt beklagt wird. Nicht zuletzt deshalb suchen die Betroffenen die Parasiten an den vermeintlichen Infektionsquellen mit Lupen, Mikroskopen und sogar Fotoapparaten zu "dokumentieren". Und sie gehen sogar mit Pinzette, Messer, Gabel u.a. in die Tiefe der Haut und versuchen den Parasiten mit Klebeband zu fixieren. Es gibt sogar Fälle, wo diese "Tiere" mit Chemikalien und - was die Verzweiflung der Betroffenen dokumentiert - mit Stromschlägen gelähmt, "gefangen" oder getötet werden, um sie dann zu bergen, aufzubewahren und als Beweis vorzustellen. Fast schon typisch (Fachbegriff: pathognomonisch) ist das, was im angelsächsischen Sprachgebrauch als "matchbox sign" bezeichnet wird. Dabei werden dem Arzt, Zoologen, Entomologen und zuvor den Angehörigen, Nachbarn u.a. "die gefangenen Parasiten" als Infektionsbeweis in kleinen Schachteln, Plastiktüten, auf Klebestreifen, in Kuverts oder Reagenzgläsern vorgeführt. Natürlich wird heutzutage auch die moderne Technologie genutzt, d. h. vergrößerte Fotografien oder andere Medien (z. B. Video). Doch es hilft nichts: Bereits auf den ersten Blick ist das "Beweis-Material" meist so nichtssagend und unauffällig, dass sogar Laien erkennen, hier muss es sich um einen Irrtum, wenn auch verzweifelten Irrtum handeln. Und nach mehrmaligem Hinsehen zu der Erkenntnis kommen, was dann auch der Realität entspricht:
Auf jeden Fall erbringen alle mikrobiologischen Untersuchungen den Beweis: kein Anhalt für eine "pathologische Besiedlung". Die Folgen ... Die Konsequenzen eines solchen Dermatozoenwahns sind voraussehbar. Sie gliedern sich in verschiedene Stufen: Als erstes kommt es zu verzweifelten Konsultationen: Aufgesucht werden - wie bereits erwähnt - vor allem Hausärzte, also Allgemeinmediziner und Internisten sowie Hautärzte. Manchmal aber zuvor schon Parasitologen (Sammelbegriff für Experten, die sich mit Parasiten beschäftigen, also schmarotzende Lebewesen), ferner Heilpraktiker, Kammerjäger und das Fachpersonal von Gesundheitsämtern. Im Extremfall kommt es zu Dutzenden von Arztbesuchen, ja sogar Notaufnahmen. Den meisten Ärzten wird sehr rasch klar, um was es sich hier handelt. Einige drücken sich vorsichtig aus, beruhigen, machen Vorschläge, die an sich nicht falsch sind, von den Betroffenen aber enttäuscht, unwillig oder gar empört abgelehnt werden. Dazu gehören meist Beruhigungsmittel, stimmungsaufhellende Antidepressiva oder - leider zu selten (siehe später) - antipsychotische Neuroleptika. Einige drücken sich schließlich doch etwas direkter, wenn nicht gar drastischer aus, bis hin zu der Vermutung, es müsse sich wohl um eine abnorme Reaktion handeln, wenn der Patient nicht gar verrückt sei. Manche unterstellen - im Einzelfall nicht ganz abwegig - einen Rauschdrogen-Konsum (z. B. Kokain, wobei besonders die "Kokain-Tierchen unter der Haut" zum ("Vergiftungs-) Wahnsinn treiben können), ferner Alkoholismus (Delirium mit wuselnden Kleinlebewesen bis hin zu ganzen Käfer-Kolonnen) oder eine Medikamenten-Vergiftung. Obgleich die meisten Ärzte (und auch andere in Anspruch genommenen Fachkräfte) rasch auf Distanz gehen und schließlich keine Termine mehr vergeben oder Anrufe annehmen, werden viele dennoch immer wieder mit e-mails, Briefen, Fax-Sendungen oder kleinen Päckchen mit scheinbar beweiskräftigen Proben bedrängt. Manche Ärzte verordnen auch einmal Insektizide (Insekten vernichtende chemische Mittel), aber nicht weil sie an ihre Wirkung glauben, sondern weil sie ihre Ruhe haben wollen. In manchen Fällen sollen sogar Pestizide (chemische Schädlingsbekämpfungsmittel) verordnet worden sein, wohl aus dem gleichen Beweggrund heraus. Die Betroffenen selber aber fordern schließlich immer wirkungsvollere "Reinigungsmittel", und zwar nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich, vor allem Anthelminthika (Wurmmittel). Einige Empfehlungen gehen auch in Richtung Knoblauch, Zink, Teebaumöl, Essig, Chili-Lösungen sowie Abführmittel und hochprozentige Alkoholika zur inneren Anwendung - und sogar Klistiere (Darmspülung). Am häufigsten aber werden in eigener Regie Hautreinigungs-Maßnahmen in jeglicher Form, mit jeder nur erdenklichen Substanz, vor allem aber mit geradezu exzessiven Mengen praktiziert: Seifen, Laugen u.a. (in Fachkreisen als "aggressive Desinfektion" bezeichnet). Ja, man lässt auch nicht mechanische Reinigungsverfahren aus, z. B. intensives Bürsten, Schrubben, Durchwalken usw. Relativ harmlos ist noch das stundenlange heiße Baden oder Saunieren, deutlich weniger das Epilieren der Körperhaare oder gar das Anlegen von Strom, um die Parasiten durch Elektroschock zu töten. Da diese Maßnahmen in der Regel erfolglos bleiben müssen, wissen sich manche Patienten schließlich nicht mehr zu helfen und geraten in eine solche Verzweiflung, dass sie Kleider, einzelne Gegenstände, ja ganze Wohnungseinrichtungen vernichten (in der Regel verbrennen) oder die Wohnung bzw. den Wohnort wechseln. Zuvor fallen sie dann vor allem durch Angst, "Panikreaktionen" und Depressionen auf und können sogar Hand an sich legen (es sind auch vollendete Suizide beschrieben worden). Durch die ständige Suche nach "Erregern" und die daraus folgenden intensiven Reinigungsmaßnahmen drohen natürlich oft Hautschäden, besonders an gut zugänglichen Stellen, die nach Ansicht der Betroffenen "die Parasiten ohnehin zu bevorzugen scheinen". Die Folgen sind so genannte bakterielle Superinfektionen (d. h. durch die aufgekratzten Stellen kommt es zu bakteriellen Infektionen und damit nach der eingebildeten zu einer echten Infektion), bis hin zu chronischen Ekzemen (entzündlichen Hautausschlägen). Das pflegt dann noch die Wahn-Gewissheit anzuheizen und leitet einen Teufelskreis von zuletzt ständigen Säuberungsmaßnahmen ein. Die Beschäftigung mit dem Thema "Parasiten" kann mehrere Stunden täglich dauern und schließlich weite Bereiche des Alltagslebens ausfüllen, im Extremfall den Betroffenen durchgehend absorbieren. Das führt natürlich zu Problemen mit den "genervten" Angehörigen, d. h. mit Partner, Eltern, Kindern, aber auch mit Nachbarn, Freunden und am Arbeitsplatz. Denn nur die wenigsten Patienten halten sich mit ihren eingebildeten Befürchtungen zurück bzw. sehen sich im Laufe der Zeit dazu gezwungen, ständig auf ihre Not hinzuweisen, Bestätigung zu suchen und Hilfe zu fordern. In diesem Zusammenhang kommt es dann oftmals auch zu unnötigen, mitunter sogar unschönen Konflikten mit den behandelnden Ärzten, meist Hausärzte, Internisten und Dermatologen. Die Reaktion ist meist Frustration, Enttäuschung, aber auch Reizbarkeit, Wut, Zorn und verbale (in Einzelfällen sogar verzweifelte brachiale) aggressive Durchbrüche. Weitere Einzelheiten zu diesem Problem siehe später. Eine interessante Variante in dieser Auseinandersetzung zwischen den Betroffenen und ihrer erst ungläubigen, schließlich zermürbten Umgebung ist das Internet. Leider finden sich hier nicht nur medizinisch solide Hinweise, sondern auch Beiträge, die nicht nur jegliche psychische Erkrankung verneinen, sondern - im Gegenteil - die Ärzte der Unfähigkeit bezichtigen, die jeweilige Infektionsquelle zu diagnostizieren, zu isolieren und zu behandeln. Die Folge sind laienhafte Informationen (einschließlich Fotos) zur Nutzung und Verbreitung z. T. durchaus riskanter Selbstreinigungs-Maßnahmen. Wenn diese bisweilen erstaunlich detaillierten und umfangreichen Hinweise schon nach den ersten Zeilen nachdenklich und den krankhaften Charakter des Gebotenen deutlich werden lassen, so gilt dies aber nur für die Gesunden, nicht für die Betroffenen in gleicher Lage. Diese nehmen nämlich selbst abstruse Informationen gierig auf und versuchen auch einmal bisher unbekannte Selbsthilfemaßnahmen, auch wenn sie ihnen bisweilen etwas rigoros vorkommen. "Die Not zwingt sie dazu ..." Schließlich stecken solche wahnhaften Reaktionen gar nicht so selten auch Gesunde an. Im Extremfall ist es eine so genannte induzierte wahnhafte Störung im Sinne einer Folie à deux/trois (Einzelheiten siehe Kasten).
Aber auch ohne diesen z. T. tragischen Endzustand einer "seelischen Infektion" berichten auch normal reagierende und gesund bleibende Angehörige, dass sie sich selber immer argwöhnischer beobachten, ja einzelne Hautstellen zu inspizieren und zu reiben, kratzen, vielleicht sogar heimlich und verstohlen zu desinfizieren beginnen. Besonders beschämend sei das in Gesellschaft, sei es im Freundeskreis, sei es im Restaurant, wo man teils amüsiert, teils peinlich berührt feststellen müsse, dass es auch andere, ja sogar völlig fremde Tische beeinflusse. Dies ist nebenbei einer der für den Patienten stichhaltigsten Beweise, der immer wieder von den Betroffenen angeführt wird: "Mich, Herr Doktor, mögen Sie ja für verrückt halten, aber es trifft auch schon meinen Mann und die Kinder, die sich heimlich kratzen, immer öfter die Wäsche tauschen und ratlos registrieren müssen, dass die Erreger bereits die ganze Familie angesteckt haben. Selbst im Gasthaus, im Konzert und in der Kirche beobachte ich doch, wie sich die Leute um mich herum immer öfter kratzen. Ich bin eben ansteckend, infektiös, ein Gefahrenherd. Sie müssen mir helfen und allen anderen, das weitet sich ganz sicher aus, man wird mich noch in eine Isolierstation einsperren müssen". Dass sich das Kratzen, besonders wenn es immer wieder und offensichtlich auffällig getan wird, als Nachahmung einschleichen kann, meist unbewusst, ist eine alte Erkenntnis, das kann jeder Gesunde an sich selber prüfen. Dass es aber eine ganze Familie zu zermürben vermag, auch wenn die Mehrzahl die krankhafte Grundlage längst erkannt (der Betroffene sogar eine psychiatrische Behandlung akzeptiert) hat, das ist schon eine ernstere Folge und kann viel zwischenmenschliche Not, ja sogar Unglück auslösen, bis hin zur Spaltung oder Zerstörung einer Familien-Gemeinschaft, die zuvor gut zusammengehalten hat ("erst ist es lächerlich, dann wird es untragbar"). Schließlich, und das ist das tragische Ende einer solchen krankhaften Entwicklung, sind auch weitere wahnhafte Störungen möglich, vor allem nicht nur Beeinträchtigungs-, sondern regelrechte Vergiftungsideen sowie Halluzinationen (Sinnestäuschungen) auf praktisch allen Sinnesgebieten (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen). Ursachen - Verlauf - Klassifikation Der Dermatozoenwahn hat - wie erwähnt - die Wissenschaft schon früh belebt, von der Diagnose über die hypothetischen Ursachen bis zur begrenzten Behandlungsmöglichkeit. Leider gibt es bis heute kein allgemein gültiges Krankheitsmodell, auch nicht unter den modernen Klassifikationen (ICD-10, DSM-IV). Deshalb beschränkt man sich vor allem auf das Beschwerdebild und unterscheidet in der so genannten Nosologie (Krankheitslehre bzw. systematischen Beschreibung der Krankheiten) sowohl primäre als auch sekundäre Formen (wobei im Einzelfall eine klare Zuordnung meist gar nicht einfach ist). - Die primäre Form des Dermatozoenwahns (früher auch idiopathisch genannt, d. h. man kennt die Ursachen nicht) ist eine umschriebene Störung ohne erkennbare seelische oder körperliche Auslösung bzw. Ursache. Sie wird heute als "reiner" Dermatozoenwahn bezeichnet und entspricht im wesentlichen einer wahnhaften Störung (siehe das entsprechende Kapitel). - Die sekundären Formen eines Dermatozoenwahns hingegen können bei den unterschiedlichsten neurologischen, dermatologischen, internistischen, gynäkologischen u.a. Erkrankungen auftreten. An erster Stelle stehen wahrscheinlich Durchblutungsstörungen des zentralen Nervensystems sowie der Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit). Möglich sind aber auch bestimmte Rauschdrogen und Medikamente und nicht zuletzt fast alle psychiatrischen Erkrankungen, vor allem die Schizophrenien und Depressionen. Deshalb unterscheidet man bei den sekundären Formen auch in organische (z. B. Gehirngefäßverkalkung), toxische (Vergiftung) und psychische (seelische Erkrankungen). Nachfolgend eine Übersicht, was alles bei den sekundären Formen eine Rolle spielen kann, wobei aus Platzgründen auf eine Erklärung der jeweiligen Fachbegriffe verzichtet wurde (Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur).
Die wissenschaftliche Frage, was ist häufiger: die primäre oder sekundäre Form des Dermatozoenwahns bzw. wie kann man sich die Entwicklung einer solchen Störung vorstellen? wird seit Jahrzehnten diskutiert - aber letztlich ohne verbindliche Einigung. Bereits die relative Häufigkeit wird unterschiedlich beurteilt. Früher hielt man die primären Störungen für zahlenmäßig führend, heute ist es genau umgekehrt: Es dominieren die sekundären Formen und hier, je nach Untersuchungs-Kollektiv entweder organisch, toxisch oder psychisch ausgelöst. Dabei überwiegen vor allem die körperlich begründbaren Formen (angeblich als statistisch erdrückende Mehrheit). Tatsächlich lässt sich - rein theoretisch - der sekundäre Bereich besser erklären, beispielsweise durch folgende 3-Stufen-Abfolge (Fleck, zitiert nach Freudenmann, 2002): 1. Hautempfindungsstörungen, die schließlich als krankhafte Empfindung zur Grundlage werden für 2. illusionäre Verkennungen (vom lateinischen: illudere = verhöhnen, verspotten), also Fehlwahrnehmungen von real Vorhandenem, in diesem Fall auf dem Gefühlssektor die erwähnten Hautempfindungsstörungen, die aber jetzt zur Fehlinterpretation eines "Parasiten-Befalls" führen. 3. Das Endergebnis ist schließlich eine wahnhafte Störung, d. h. durch Wahnarbeit kommt es zur Systematisierung des eingebildeten Parasitenbefalls. Dieses Schema erklärt vor allem die sekundären Formen, ausgelöst durch organische, toxische oder psychische Beeinträchtigungen. Weniger hilfreich ist es bei den primären wahnhaften Formen, die man deshalb gleich unter die wahnhaften Störungen einordnet (siehe das entsprechende Kapitel). Besonders problematisch ist die Chronifizierung, d. h. die dauerhafte Beeinträchtigung mit dem mehrfach erwähnten Teufelskreis: Hautempfindungen fehlerhafte Schlussfolgerung ("es juckt mich, also habe ich eine Infektion") und schließlich Selbstbehandlungsversuche mit (ggf. immer aggressiveren) Substanzen. Durch die Reizung kommt es ständig zu Juckreiz und schließlich tatsächlichen Hautschäden, die ihrerseits wieder sekundär wahnhaft verarbeitet werden können. Der Teufelskreis und die Chronifizierung sind nicht mehr zu vermeiden. Bei einer Abklärung des Dermatozoenwahns aus psychiatrischer Sicht stehen an erster Stelle organische Psychosen (Geisteskrankheiten durch körperliche Erkrankungen), gefolgt von schizophrenen Psychosen (was zusammen fast die Hälfte alle Betroffenen ausmacht). Im weiteren schließlich affektive Störungen (vor allem Depressionen), neurotische Entwicklungen (z. B. Angststörungen) und eine Kombinationen aus diesen Leiden. Grundsätzlich schwieriger wird es bei älteren Patienten, die ja einen nicht geringen Anteil der Betroffenen ausmachen. Gerade hier ist ja eine genaue Grenzziehung zwischen körperlich begründbaren Psychosen, endogenen Leiden und psychogenen (rein seelischen) Störungen nicht immer so exakt möglich, wie man es eher in jungen und mittleren Lebensjahren vorfindet. Besonders im hohen Lebensalter werden häufig Überscheidungen dieser drei Bereiche gesehen, z. B. organisch bedingte Beeinträchtigungen, eine endogene (z. B. erbliche) Bereitschaft zu solchen Störungen und psychogene (rein seelisch erklärbare) Reaktionen. D. h. eine Entscheidung ist grundsätzlich anzustreben, aber gerade im höheren Lebensalter nicht immer befriedigend lösbar. Was muss man bei der Diagnose eines Dermatozoenwahns beachten? Eine Beeinträchtigung, wie sie der Dermatozoenwahn darstellt, ist für den Betroffenen und seine Angehörigen eine große Last. Wenn sich nicht gleich irgendwelche Hinweise auf körperlich begründbare Störungen erkennen lassen, neigen auch psychisch sonst weniger interessierte Allgemeinärzte, Internisten, Dermatologen u.a. relativ rasch zur Diagnose einer "psychogenen Genese" (seelischen Ursache). Das mag in vielen Fällen stimmen, kann aber auch zu einer unzulänglichen organischen Abklärung verleiten. Dem kann nur eine detaillierte Stufen-Diagnose vorbeugen, wie sie nachfolgend im Kasten aufgeführt wird (wiederum ohne Erklärung der Fachbegriffe (Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur):
Entscheidend ist also der bereits erwähnte Gefahrenherd, den Patienten nicht zu schnell auf eine seelische Störung zu fixieren, besonders in der heutigen Zeit mit ihren vielfältigen touristischen und sonstigen Möglichkeiten. Andererseits sollte man aber auch nicht - wenn sich die Diagnose eines Dermatozoenwahns abzeichnet - zu lange warten, das einzig richtige zu tun, nämlich eine gezielte (Pharmako-)Therapie. Die vorausgegangene Diagnose mit der genauen Vorgeschichte und einer verständnisvollen Befragung dient aber auch einem Aspekt, der gerade bei diesem Krankheitsbild nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann: einer tragfähigen Arzt-Patient-Beziehung. Wenn die nicht gegeben ist, dann droht eine ständig wechselnde Arzt-Konsultation bis hin zum doctor-hopping, wenn nicht gar doctor-shopping. Umgekehrt sollten gerade die Nicht-Psychiater den Rat eines Nervenarztes nicht von vorne herein ablehnen, auch und vor allem weil die Patienten einer solchen Empfehlung sehr reserviert bis empört gegenüber stehen. Nur die enge Kooperation zwischen allen möglichen Spezialisten bringt letztlich alle dem gewünschten Ziel näher, nämlich der erfolgreichen Behandlung und damit Genesung des Betroffenen. Schließlich ist - wenngleich selten - auch an so genannte dermato-psychische Störungen mit auto-aggressivem Verhalten und Hautschädigung zu denken, beispielsweise dem Münchhausen-Syndrom (siehe dieses) oder einer Trichotillomanie (also dem krankhaften Herauszwirbeln einzelner Haare oder Haarbüschel, ja Augenbrauen, Wimpern) sowie im Rahmen einer Dermatotillomanie von Körper- und Schamhaaren. Schwieriger Krankheitsverlauf Doch trotz aller Bemühungen hält sich der Erfolg einer fachgerechten Betreuung bei eindeutiger psychiatrischer Diagnose im Sinne eines Dermatozoenwahns oft in engen Grenzen. Die meisten Betroffenen beharren nämlich trotz aller negativer Untersuchungsergebnisse auf ihrem "Ungezieferbefall" und vermuten vielmehr Mängel in der Diagnose bzw. ein unzureichendes Fachwissen der jeweiligen Ärzte. Deshalb fordern sie unbeeindruckt immer aufwändigere Untersuchungen und sammeln Beweise, die manchmal sogar am Schluss wieder die alte Unsicherheit aufkommen lassen, ob nicht doch noch von der letzten Reise her ein irgendwie gearteter Parasiten-Befall zur Diskussion steht. Meist brechen die Patienten aber den Kontakt zu ihrem Arzt bzw. ihren Fachärzten ab und wenden sich wieder in verzweifelter Konsequenz den gefährlichen Eigentherapien zu, was dann oft zu wirklichen (dermatologischen) Beeinträchtigungen führt und den seelischen Zustand noch mehr verschlechtert, von den psychosozialen Konsequenzen (Familie, Beruf, Nachbarschaft) ganz zu schweigen. Schon deshalb ist nicht nur ein fundiertes Basis-Wissen des psychiatrischen Phänomens Dermatozoenwahn unerlässlich, sondern auch die erwähnte enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen medizinischen Disziplinen, sofern dies der Patient überhaupt zulässt und nicht sogar untersagt, untereinander Kontakt aufzunehmen. Was kann man tun? Es gibt einen Lehrsatz in der Psychiatrie, der vor allem für bestimmte seelische Störungen gilt (z. B. manische Hochstimmung), grundsätzlich aber auch für den Dermatozoenwahn seine Berechtigung hat, und der lautet im übertragenen Sinne:
Und das ist die eigentliche Schwierigkeit. Wer diesen Beitrag bis hierher gelesen hat, wird es bestätigen. Dies hängt zum einen mit der Struktur des Wahnes zusammen (siehe Einleitung), zum anderen mit den psychosozialen Folgen, die die wahnhafte Eigenwilligkeit und letztlich Verzweiflung bahnt. Der Kranke mit einem Dermatozoenwahn will von seinen "Infektionen" und "Parasiten" befreit und nicht als "Geisteskranker" abgestempelt werden. Damit aber hält er sich selber in einem verhängnisvollen Teufelskreis gefangen: Die von ihm angesprochenen Experten, nämlich Allgemeinärzte, Dermatologen, Entomologen, Heilpraktiker und vielleicht sogar "Heiler" können ihm letztlich nicht weiterhelfen, es sei denn durch eine psychiatrische Behandlung mittels entsprechender Psychopharmaka, was er aber gerade nicht will (s.o.). Und die letztlich dafür zuständigen Psychiater und Nervenärzte werden nicht, zu spät (psychosoziale Folgen) und wenn, dann meist nicht konsequent kontaktiert (ein treffender Begriff, denn zu einem echten Behandlungswunsch reicht es in der Regel nicht). Also bleiben die Heilungsaussichten begrenzt und die Folgen durch den psychosozialen Teufelskreis manchmal sogar für den Rest des Lebens negativ prägend. Was also kann, was soll man tun? Das betrifft die Angehörigen, ja, sofern eingeweiht oder gar um Hilfe gebeten, die Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen. Die Experten raten zu folgendem Ablauf (nach R. Freudenmann, 2002): 1. Es muss nicht gleich der Psychiater sein, der hier als erster konsultiert wird, zumal die Hemmschwelle gerade hier am größten ist. Der erste Ansprechpartner ist und bleibt deshalb der Hausarzt, also der Allgemeinarzt oder hausärztlich tätige Internist. Er wird zuerst einen Dermatologen heranziehen, um sich abzusichern (auch wenn er schon sehr früh den richtigen Verdacht hegt). Möglicherweise und je nach Ursachen (siehe das entsprechende Schema) können hier auch spezielle internistische Disziplinen, der Neurologe, ggf. sogar bei unklaren Fällen der Mikrobiologe und Parasitologe gefragt sein. Denn es sei unbestritten: Nicht jeder Dermatozoenwahn ist auch ein Wahn, dafür gibt es in der Fachliteratur durchaus Beispiele. Dieses Eingeständnis wird zwar viele Patienten in ihrer Meinung bestätigen, nämlich, dass es ein organisches Leiden sein muss, doch sind sich die Experten auch darin einig: Wenn es sich um einen Wahn oder eine andere seelische Störung handelt, sollte der Betroffene auch die "Gnade der Einsicht" haben und den richtigen Therapeuten und damit die letztlich einzig erfolgreiche Behandlung wählen. Und das ist der Psychiater mit seiner gezielten Pharmakotherapie (siehe später). 2. Sind sich die hinzugezogenen Ärzte nach Absprache einig, dass es sich um einen Dermatozoenwahn handelt, dürfen sie keinesfalls ("um des lieben Friedens" oder einer erhofften besseren Therapietreue willens) Antibiotika, Antimykotika (Pilzmittel), Insektizide u.ä. verordnen, selbst wenn der Patient immer heftiger darauf drängt oder gar einen (verhängnisvollen) Kompromiss verspricht: einerseits Insektizide, dafür vielleicht auch mal den Psychiater konsultieren. 3. Was aber durchaus möglich, sinnvoll oder gar unverzichtbar sein kann, ist die Pflege etwaiger Hautschäden und die Bekämpfung des (selbst verursachten) Juckreizes. Dazu gehören unter dermatologischer Anleitung Lotionen und fettende Salben, Pflegebäder, ggf. elastische Wickel zum Schutz, bei stärkeren Entzündungen auch kurzfristig Glucokortikoide u.a. Sie dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, es handele sich um "Parasiten-Bekämpfungsmittel". Stets muss klar werden, dass hier künstliche Kratz- oder sonst wie ausgelöste Schäden gelindert werden. 4. Handelt es sich um ein Beschwerdebild auf Grund einer körperlichen Grunderkrankung (siehe entsprechendes Schema), gilt es therapeutisch dort anzusetzen. Beispiele: Bei Urämie die Elimination harnpflichtiger Substanzen (z. B. durch die Dialyse, also Blutwäsche), bei Diabetes mellitus; eine Einstellung des Zuckerspiegels, ggf. durch eine gezielte Insulintherapie, bei Vitamin B 12-Mangel eine entsprechende Vitaminsubstitution u.a. 5. Handelt es sich um eine seelische Grunderkrankung, kann die Therapie schon schwieriger werden, da diese Leiden den menschlichen und auch ärztlichen Zugang mitunter erschweren. Die wenigsten Probleme bereiten im Therapeut-Patient-Verhältnis in der Regel depressive Patienten. Sie bekommen die (auch weniger stigmatisierend empfundenen) stimmungsaufhellenden Antidepressiva verordnet (Einzelheiten siehe unten). Mehr Probleme können hingegen Rauschdrogenabhängige (z. B. Kokain oder Weckmittel), Alkoholkranke, Mehrfachabhängige, geistig Behinderte, Demente, Persönlichkeitsgestörte und vor allem für bestimmte Patienten mit einer Schizophrenie oder wahnhaften Störung verursachen. Hier wären nämlich in der Regel antipsychotisch wirkende Neuroleptika die Mittel der ersten Wahl. Und die gelten als ungeliebte Arzneimittel mit z. T. auch durchaus beeinträchtigenden Nebenwirkungen (zumindest die früheren Neuroleptika-Generationen). Außerdem gilt es ein weiteres Hindernis zu beachten: Wer Neuroleptika (also antipsychotisch wirkende Psychopharmaka) nehmen muss, dem wird ja wohl auch eine Psychose (Geisteskrankheit) unterstellt. Also wird die neuroleptische Behandlung abgelehnt, um nicht die dahinter vermutete Psychose (was der Dermatozoenwahn ja letztlich auch ist) akzeptieren zu müssen. Die manchmal als Alternative gewünschte Psychotherapie, in welcher Form auch immer, hat bei dieser Heilanzeige keine oder nur geringen Behandlungserfolge, am ehesten in Form stützender, betreuender, begleitender Hilfe. Das aber empfiehlt sich ohnehin, als alleinige Therapie aber endet es rasch in Frustration für beide Seiten. Was leisten Neuroleptika beim Dermatozoenwahn? Neuroleptika sind antipsychotisch wirksame Psychopharmaka, also Arzneimittel mit direkter Wirkung auf das Zentrale Nervensystem und damit Seelenleben (Einzelheiten siehe das ausführliche Kapitel über Neuroleptika). Sie machen nicht (!) süchtig, auch wenn ihnen das gerne unterstellt wird. Denn sie sind - wie erwähnt - "ungeliebte" Medikamente, einerseits wegen ihrer Heilanzeigen (z. B. Psychosen, die eben oft auch auf kein Verständnis stoßen, was man nicht nur den anderen anlasten kann). Und sie haben ggf. Nebenwirkungen, die ebenfalls unangenehm bis irritierend, ja erschreckend sein können, jedenfalls die ältere Generation dieser Psychopharmaka. Die Neuroleptika aber waren es auch, die es Hunderttausenden von Betroffenen möglich machten und immer noch machen, ein Leben zu führen wie andere auch, die das Glück hatten, seelisch gesund bleiben zu dürfen. Und so auch hier, beim Dermatozoenwahn. Die Neuroleptika sind es, die beim primären Dermatozoenwahn auf jeden Fall und beim sekundären in Kombination mit den dafür zuständigen Behandlungsmaßnahmen die Betroffenen von einem Leiden befreien, das sie ansonsten ihr halbes Leben nicht nur quälen, sondern auch gesellschaftlich "unmöglich" zu machen droht. Unter den zahlreichen Neuroleptika, die es inzwischen gibt, hat sich beim Dermatozoenwahn vor allem eine antipsychotisch wirkende Substanz durchgesetzt, und zwar schon seit über einem Vierteljahrhundert, nämlich das Diphenylbutylpiperidin Pimozid (Substanzname, Handlungsname siehe Fachliteratur bzw. behandelnder Arzt). Es wirkt bei einmaliger Einnahme pro Tag relativ lange und garantiert deshalb einen gleichmäßigen Plasmaspiegel im Blut, was den gewünschten kontinuierlichen Therapieeffekt sichert. In der Psychiatrie wird es vor allem zur Langzeitbehandlung schizophrener Psychosen und bei wahnhaften und Ticstörungen genutzt (siehe diese). Beim Dermatozoenwahn gilt es als erste Wahl, auch wenn es nicht jeden Betroffenen davon befreit (man spricht von etwa der Hälfte der Fälle, die gut darauf ansprechen). Über die Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln siehe die bereits erwähnte Fachliteratur. Zwei Aspekte aber seien nicht verschwiegen, nämlich Störungen der so genannten extrapyramidalen Motorik (also Bewegungsstörungen - Einzelheiten siehe das Neuroleptika-Kapitel) sowie die Gefahr von Herzrhythmusstörungen (deshalb hausärztliche, insbesondere EKG-Kontrollen). In dieser Hinsicht günstiger sind die neuen Neuroleptika, auch als "atypische Neuroleptika" bezeichnet, weil sie zwar den gleichen Wirkeffekt, aber nicht die beunruhigenden Nebenwirkungen haben (allerdings ohne geht es auch nicht, so etwas wird es wohl nie geben, in diesem Fall z. B. Appetit- und damit Gewichtszunahme). Wie wirken Antidepressiva? Wie bereits erwähnt, können auch Depressionen mit einem Dermatozoenwahn einhergehen, teils zusammen, teils als Folge. In diesen Fällen greift man nicht zu antipsychotischen Neuroleptika, sondern stimmungsaufhellenden Antidepressiva. Früher waren dies vor allem die so genannten trizyklischen Antidepressiva (siehe das entsprechende Kapitel), heute die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (Serotonin-Reuptake-Inhibitoren - SSRI) mit erfreulichem Erfolg. Aber auch hier gilt es Nebenwirkungen zu ertragen (wenngleich keine Bewegungsstörungen), und zwar bei der älteren Arzneimittel-Generation etwas mehr, bei den modernen Produkten weniger, aber grundsätzlich nicht ohne, wenngleich im Laufe der Behandlung deutlich zurückgehend. Auch Antidepressiva machen nicht süchtig. Weitere Möglichkeiten der Behandlung Mit den Neuroleptika und ggf. Antidepressiva kommt man in der Regel zu einem befriedigenden Therapieerfolg, auch wenn diese Arzneimittel über Monate (manchmal sogar Jahre) eingenommen werden müssen. Sollte sich aber manche Betroffene als therapieresistent herausstellen (also auf die an sich gängigen Arzneimittel nicht oder nur unbefriedigend ansprechen), dann diskutiert man heute noch Beruhigungsmittel (Tranquilizer vom Typ der Benzodiazepine), die zwar beruhigend und angstlösend wirken, ursächlich aber kaum Aussicht auf Erfolg haben und vor allem bei mittel- bis langfristigem Einsatz abhängig machen. Und man diskutiert die seit einem halben Jahrhundert genutzte, aber auch gerne diskriminierte Elektrokrampfbehandlung (EKT) sowie die derzeit für verschiedene Heilanzeigen erprobte transkranielle Magnetstimulation (TMS). Psychiatrische Spezialambulanzen für Dermatozoenwahn-Kranke Jeder weiß und hört es täglich: Das Gesundheitswesen ist nicht mehr bezahlbar. Dies hat verschiedene Ursachen, die im Bedarfsfalle gerne als "Buhmann" missbraucht werden. Eine davon ist die Spezialisierung der verschiedenen medizinischen Disziplinen. Spezialisten und Spezialeinrichtungen kosten Geld, und zwar mehr als konventionell arbeitende Institutionen, die ein breites diagnostisches und therapeutisches Feld abdecken. Darüber kann man trefflich diskutieren - wenn man gesund ist und solche Spezialeinrichtungen nicht braucht. Menschen aber, die schon von "Pontius zu Pilatus" gewandert sind und langsam mit und an ihrem Leiden verzweifeln, von den Angehörigen ganz zu schweigen, verstehen plötzlich, was ein Spezialist wert ist, wenn alle anderen Maßnahmen versagt haben. So auch hier. Ein Dermatozoenwahn mag nicht sehr häufig sein, obgleich die Hautärzte und andere vorzugsweise gefragten Spezialisten hier anderer Meinung sind (die dafür zuständigen Psychiater werden ja meist gemieden und haben diesbezüglich keine aussagekräftigen Statistiken verfügbar). Der Dermatozoenwahn mag auch kein Krankheitsbild sein, das "die Welt bewegt". Die Betroffenen haben ohnehin mit ihrer sozialen Position zu ringen ("lächerlich") und keinen großen Einfluss, falls sie sich überhaupt getrauen, mit ihrer Qual an die Öffentlichkeit zu gehen. Und doch wäre gerade hier eine Spezialisierung hilfreich - aber auch aufwendig und kostspielig. Trotzdem gibt es so etwas bereits, nämlich interdisziplinäre Spezialambulanzen, in denen oder mit denen Psychiater/Nervenärzte, Hautärzte, Neurologen und Internisten, Parasitologen und sogar Schädlingsbekämpfungsfirmen eng zusammen arbeiten (letztere nicht, um sie bei Wahnkranken einzuspannen, das hat der Betroffene schon selber getan, sondern um vor allem herauszufinden, mit was und wie und mit welchen Folgen sich der Patient durch seinen eigenen falschen Einsatz ggf. bereits geschädigt hat). Solche Einrichtungen müssen aber "niederschwellig" bleiben, wie der moderne Fachausdruck heißt. Oder auf deutsch: Die Schwelle zum Eintritt in eine solche fachärztliche Abklärung muss niedrig, d. h. darf nicht an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft sein, die den ohnehin zögernden Patienten zurückschrecken und damit eine entscheidende Nutzung vergeben lassen (so etwas gibt es inzwischen auch in entsprechenden Rauschdrogen-Abteilungen, der Erfolg spricht für sich). Die Zuweisung in solche Ambulanzen oder Polikliniken erfolgt also an eine "Spezialambulanz, in der Spezialisten aller Berufsgruppen zur Verfügung stehen", um zuerst einmal ein offensichtlich mehrschichtiges Krankheitsbild zu untersuchen und zu behandeln. Natürlich spielt hier - sobald die Diagnose "Wahn" feststeht - der Psychiater die wichtigste Rolle, wobei aber der Aufbau einer tragfähigen Vertrauensbasis über mehrere Ebenen und damit langfristig erfolgt, ohne den Betreffenden gleich durch eine "psychiatrische Diagnose vor den Kopf zu stoßen". Denn hat das interdisziplinäre Behandlungs-Team Erfolg, wird auch der Psychiater akzeptiert. Heilungsaussichten Tatsächlich hängen der Verlauf und damit die Prognose (Heilungsaussichten) eng mit der Kooperationswilligkeit und Behandlungszuverlässigkeit (Fachbegriff: Compliance) zusammen. Dabei unterscheidet man drei Möglichkeiten: 1. vollständige Genesung (Fachbegriff: Vollremission), 2. Besserung (Teilremission) sowie 3. Therapieversagen mit Gefahr einer Chronifizierung. Letzteres ist der bedrohlichste Ausgang, denn das Leben des Betroffenen kann unter Umständen "für alle Zeit gezeichnet sein" und damit sogar mit dem Tod durch eigene Hand (Suizid) enden. - Günstig ist die Prognose dann, wenn der Wahn nur kurze Zeit besteht oder eine Grundkrankheit (seelisch oder körperlich) vorliegt, die konsequent behandelt wird und vor allem auf die spezielle Therapie gut anspricht. Günstig wirkt sich auch eine neuroleptische Therapie aus: Gut die Hälfte bessert sich darunter deutlich oder spürt zumindest eine Erleichterung, die zu weiterer Hoffnung Anlass gibt. Ohne Neuroleptika dagegen kann sich das Krankheitsbild ebenfalls zurückbilden, aber offenbar nur in etwa einem Drittel der Fälle - wenn überhaupt. - Ungünstig hingegen sind alle jene Aspekte, die in diesem Beitrag angeklungen sind, allen voran die Unwilligkeit oder Unfähigkeit, die eigentlich dafür zuständigen Spezialisten aufzusuchen, deren Diagnose zu akzeptieren und die Behandlungsempfehlungen durchzuhalten. LITERATUR Altes Leiden mit z. T. historischen Hinweisen, aber erst in den letzten zwei Jahrzehnten gezielter erforscht und behandelbar. Nachfolgend eine Übersicht. Grundlage vorliegender Ausführungen sind die beiden Fachartikel: Freudenmann, R.W.: Der "Dermatozoenwahn". Eine aktuelle Übersicht. Fortschr. Neurol. Psychiat. 70 (2002) 531 (dort auch ausführliches, meist englischsprachiges Literaturverzeichnis der wichtigsten Arbeiten zu diesem Thema) Musalek, M., H. Walter: Psychische Störungen in der dermatologischen Praxis. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996 Auswahl weiterer Fachartikel, Lehrbuch-Kapitel und Fachbücher (u.W. bisher keine wissenschaftlich fundierten allgemein verständlichen Sachbücher verfügbar): APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen - DSM IV. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 1998 Berner, P., M. Musalek: Schizophrenie und Wahnkrankheiten. In: G. Platt (Hrsg.): Handbuch der Gerontologie, Neurologie und Psychiatrie. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-New York 1989 Borelli, S.: Haut und Psyche. In: H. A. Gottron (Hrsg.): Handbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Ergänzungsband VIII. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1967 Bork, K.: Arzneimittelnebenwirkungen an der Haut: Klinik und Diagnostik zur Erkennung der auslösenden Medikamente. Schattauer-Verlag, Stuttgart 1998 Bosse, K. A.: Psychosomatische Gesichtspunkte in der Dermatologie. In: Th. v. Uexküll (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1986 Bosse, K.A., V. Gieler: Seelische Faktoren bei Hautkrankheiten. Beiträge zur psychosomatischen Dermatologie. Verlag Hans Huber, Bern-Stuttgart-Toronto 1987 Ekbom, K. A.: Der präsenile Dermatozoenwahn. Acta Psychiatrica et Neurologica Scand. 13 (1938) 227 Faust, V., C. Scharfetter: Psychiatrie in Stichworten. Psychopathologie 4. Enke-Verlag, Stuttgart 1998 Giesler, U., U. Stangier: Dermatologie. In: Th. v. Uexküll (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1990 Musalek, M.: Der Dermatozoenwahn. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1991 Musaph, H.: Psychodermatologie. In: K. P. Kisker u. Mitarb. (Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart. Band 2. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York-Tokio 1986 Rechenberger, U.: Tiefenpsychologisch ausgerichtete Diagnostik und Behandlung von Hautkrankheiten. Verlag Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1979 Scharfetter, C.: Allgemeine Psychopathologie. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2002 Schröpl, F.: Seelische Faktoren bei Hautkrankheiten. In: K. A. Bosse, V. Gieler (Hrsg.): Seelische Faktoren bei Hautkrankheiten. Beiträge zur psychosomatischen Dermatologie. Verlag Hans Huber, Bern-Stuttgart-Toronto 1987. Stangier, U.: Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störung. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2002. Thieberge, D.: Les acarophobes. Rev. Gén. Clin. Thér. 32 (1894) 373 WHO: Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto 2000 Whitlock, F. A.: Psychophysiologische Aspekte bei Hautkrankheiten. Perimed-Verlag, Erlangen 1980 |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |