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Die Folter und ihre Folgen

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Den Begriff Folter kennt jeder. Auch hört man immer wieder von den unterschiedlichsten Foltermethoden. Aber was man sich nur schwer konkret vorstellen kann sind die Langzeitfolgen: seelisch, körperlich, psychosozial. Und das ist das eigentliche Problem. Denn das Leben geht - wenn man es trotz Folter retten konnte - weiter, oftmals kaum weniger qualvoll wie während der Foltertortur. Denn das Ziel der "modernen" Folter ist nicht nur das Erzwingen von Geständnissen, sondern auch die Zerstörung der Persönlichkeit, die Vernichtung der Identität. Denn dadurch verliert man jegliche Fähigkeit zum Widerstand.

Nachfolgend deshalb nicht nur eine Auswahl "moderner" Foltermethoden und ihrer körperlichen Folgen, sondern vor allem die seelischen Verletzungen: permanente Angstbereitschaft, flash back-Phänomene, situationsgebundene phobische Ängste, anhaltender Spannungszustand, Grübelzwang, Depressivität, reizbare Verstimmungen, Initiativelosigkeit, Ruhelosigkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen, Leistungseinbruch, Genussunfähigkeit u. a. Und die meist unbekannten Folgen für Lebenssinn und Selbstsicherheit, seelisch-körperliche Einheit bzw. Körpererleben, Schmerzempfindung, Partnerschaft, Beruf usw.

Und warum es so schwer ist, als Opfer Verständnis zu finden, und zwar nicht nur bei den Behörden, auch bei durchaus verständnisvollen Mitmenschen.



Erklärte Fachausdrücke:

Post-torture-syndrome (PTS) - Extrem-Traumatisierung - man-made-disaster - posttraumatische Belastungsstörung - akute Stressbelastungsstörung - Störung durch extreme Belastung - Zwangskollektivierung - flash back-Phänomene - u.a.m.

"Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt. Die Schmach der Vernichtung lässt sich nicht austilgen. Das zum Teil schon mit dem ersten Schlag, in vollem Umfang aber schließlich in der Tortur eingestürzte Weltvertrauen wird nicht wiedergewonnen", schrieb der bekannte Philosoph und Schriftsteller Jean Améry aus eigener KZ-Erfahrung.

Selbst Ende des 20. Jahrhunderts ist die Folter noch immer in vielen Staaten gängige Praxis. Amnesty International zählt mehr als hundert Staaten auf, in denen - trotz zahlreicher Menschenrechtsabkommen - von Polizei, Militär, Geheimdiensten u. a. systematisch nicht nur körperlich, sondern zunehmend auch psychologisch gefoltert wird.

Denn das Ziel der Folter ist nicht nur das Erzwingen von Geständnissen und Aussagen, sondern auch die Zerstörung der Persönlichkeit, die Vernichtung der Identität. Die Folterer wissen, dass Menschen ohne Identität mit zerrütteter Persönlichkeit ihre Fähigkeit zum Widerstand jeglicher Art verlieren.

Fachbegriffe

Früher wurde der Begriff "post-torture-syndrome" (PTS) gebraucht. Das ist inzwischen veraltet. Später sprach man von Extrem-Traumatisierten, "man-made-disaster" (wenn Menschen durch Menschenhand gequält werden), vom existentiellen emotionalen Syndrom usw. Heute spricht man von der posttraumatischen Belastungsstörung (engl.: posttraumatic stress disorder), wobei man noch unterteilt in acute stress disorder (akute Stressbelastungsstörung) und - weil das Trauma der Folter auch danach noch nicht abgeschlossen ist - in complex posttraumatic stress disorder (deutsch: umfassende posttraumatische Belastungsstörung, auch als disorder of extreme stress = Störung durch extreme Belastung) bezeichnet.

Die posttraumatischen Belastungsstörungen sind sinnvollerweise zu unterteilen in

- technische Katastrophen: Chemieunfall, Atomkraftwerke, Schiffsuntergang, Flugzeugabsturz u. a.
- Naturkatastrophen: Erdbeben, Überschwemmung, Vulkanausbruch usw.
- das sogenannte man-made-disaster: Folter, Vergewaltigung, Überfall, Geiselnahme o. ä.

Ziel einer "modernen" Folter-Strategie

Um ihr Ziel zu erreichen, gehen die Folterer planmäßig vor. Die psychische Zermürbung muss schrittweise erfolgen. Das ist ein genau kalkulierter Prozess, der kaltblütig und den individuellen Eigenschaften des jeweiligen Opfers entsprechend durchgeführt wird. Es hätte wenig Sinn, sofort mit den härtesten Maßnahmen zu beginnen. Dem Opfer muss man genügend Zeit lassen, damit es die Qualen und Erniedrigungen ausgiebig erlebt, sich mit ihnen identifiziert und stückweise den Willen zum Widerstand verliert:

"Zuerst dachte ich, sie würden mich totschlagen, darauf war ich gefasst. Und hätten sie es doch nur getan. Aber das schlimmste waren die Pausen" (Zitat).

Der Gefolterte muss völlig hilflos jeden inneren Halt und jedes Selbstbewusstsein verlieren, er muss weinen und um Gnade betteln, er muss in panischer, unkontrollierter Angst Urin und Stuhl lassen, er muss wünschen, endlich getötet zu werden, anstatt so dahinzuvegetieren.

Grausamer als der Schmerz ist oft auch das Alleinsein nach der Folter. Dabei wird man fast verrückt. Man fühlt sich wie ein Tier, abhängig von der Gnade seines sadistischen Herrn. So findet sich das Opfer selbst nach seiner Entlassung als körperlich noch irgendwie lebendig wieder - jedoch seelisch zerstört. Das ist der Sinn der modernen Folter.

Folter-Methoden

Die Folter-Methoden sind einerseits so alt wie die Menschheit und werden andererseits durch "neue" Maßnahmen ergänzt. Was gehörte bzw. gehört noch immer dazu?

Neben Unterernährung (Proteinmangel), evtl. verbunden mit Schädelhirn-Verletzungen und damit verstärkter Gehirnquellung, neben extremer körperlicher Ausbeutung (Zwangsarbeit unter jeglichen Witterungsverhältnissen) einschließlich Seuchen u. a., neben den Folgen der Zwangskollektivierung ("hilfs- und beistandsunfähige Masse") waren und sind es besonders die körperlichen Foltermethoden:

Schläge (vor allem auf den Kopf - siehe oben), ggf. mit ernsteren Auswirkungen wie Bewusstseinsverlust, Knochenbrüchen, Blutergüssen, Blut im Urin, offenen und damit bald eiternden Wunden bis hin zu raffinierten Fesselungen oder sadistischen Prozeduren: ständiger Aufenthalt unter Scheinwerfern, in dauernder Finsternis oder in kalten bzw. überfluteten Zellen über Wochen hin; ferner Metallnadeln unter die Fingernägel, Verbrennungen mittels Zigaretten, Eintauchen in eiskaltes Wasser, Gelenkausrenkungen u. a.

Heute dominieren z. B. Schläge auf die Fußsohlen mit Peitschen (auch aus Stacheldraht), Herausziehen von Nägeln, Verbrennen von Körperteilen mit Zigarettenglut und Kochplatte, ferner Elektroschocks (Schläfen, Brustwarzen, Penis), Einzelhaft in schall-isolierten Zellen, Vergewaltigung (auch von Männern), Vortäuschen von Erschießungen (aber auch stille oder offene Aufforderung zur Flucht, um dann wirklich erschießen zu können) u. a.

Darüber hinaus gibt es viele Variationen: z. B. die eigenen Haare oder Exkremente aufessen, den eigenen Urin trinken, Fixierungen in schmerzhaften Körperhaltungen, stundenlanges Aufhängen an Armen oder Beinen, sonstige Formen der Elektrofolter (siehe oben), Einführen von Gegenständen in Harnröhre und Enddarm, Urinieren in den Mund usw.

Bemerkenswert übrigens die sadistischen Bezeichnungen der einzelnen Foltermethoden: wiederholte Schläge auf die Ohren: "Telefon", Untertauchen bis fast zum Ersticken, auch in stinkenden Flüssigkeiten, nicht selten vermischt mit Urin und Exkrementen: "U-Boot", das Zusammenbinden von Händen und Füßen auf den Rücken und in dieser Lage dann aufhängen:"Schaukel" oder "Papageienschaukel" usw.

Akut zermürbend und nicht selten als gezielte Zerstörungswaffe eingesetzt - real oder vorgetäuscht - ist auch das Mithören von Schreien anderer Gefangener ("können sie ihren Freund hören ...?"). Langfristig qualvoll ist die permanente Todesbedrohung, das wehr- und rechtlose Ausgeliefertsein an einen gnadenlosen Vernichtungswillen ohne Rechtfertigung und Verstrickung in eine auch nur irgendwie geartete Schuld. Für manche entlastend, wenn sie darauf zurückgreifen können, für viele aber zusätzlich peinigend ist der Mangel an einer ideologischen Sinngebung dieses Leidens, wie er wenigstens bei politischen oder religiösen Opfern Halt vermitteln kann.

Lange unfassbar die Gewissheit, dass das ganze nicht zeitlich begrenzt ist, sondern nur mit der höchstwahrscheinlichen körperlichen Vernichtung enden wird (entlastungslose Angst, die aber am Schluss auch in eine Todes-Sehnsucht münden kann). So muss man noch um die tägliche Qual froh sein, die man wenigstens lebend verbringen darf.

Besonders langfristig zermürbend ist der Umstand, dass sich alles ohne zwischengeschaltete Entlastung abspielt (mit Ausnahme der erwähnten kurzen Pausen, die aber gezielt als "Angst-Intervalle" genutzt werden). So haben die Opfer keinerlei Möglichkeit, sich wenigstens auf der untersten vegetativen Stufe wieder zu fangen und etwas zu regenerieren.

Folterer - was sind das für Menschen?

Zur Motivation und Wesensart der Folterer gibt es über Einzelschilderungen hinaus nicht viel fundierte Untersuchungen, die an einem größeren Täter-Kollektiv gewonnen werden konnten. Viele tauchen unter. Andere werden ggf. gefasst und verurteilt, ohne dass aber darüber groß berichtet wird. Nicht wenige bleiben unbehelligt und fallen in keiner Weise, wenn nicht gar positiv auf ("guter Familienvater", "freundlicher Nachbar", "unauffälliger Mitarbeiter" usw.). Einzelheiten dazu würden hier zu weit führen, doch sei noch auf zwei Aspekte hingewiesen:

Wichtig zu wissen, dass es nicht nur den brutalen, sondern auch den "freundlichen Folterer" gibt, der scheinbar mitleidvoll eingreift, um dem Gefolterten zu helfen, der Verständnis zeigt, sei es durch Worte oder Taten. Doch haben alle das gleiche Ziel: Das Opfer in seiner Integrität zu zerstören, ihn aus der Gemeinschaft auszustoßen, indem man ihm durch verschiedene Foltermethoden sein Grundvertrauen in die Menschheit nimmt und an der Gesellschaft irrewerden lässt. Der Betroffene soll nur noch von Misstrauen, Angst, dem Gefühl der Erniedrigung, des Ausgestoßenseins und der Selbstablehnung vereinnahmt sein - bis ans Ende seines Lebens.

Aus organisatorischer Sicht soll es Hinweise dafür geben, dass die Kenntnisse über "moderne Foltermethoden" und ihre Effektivität unter entsprechenden Kreisen weitergegeben wird, dass es also eine Art "Internationale der Folterer mit Weiterbildungsmöglichkeiten" gibt.

Dies ist weniger nötig für die körperliche Seite der Torturen, das schaffen auch primitive Charaktere, sondern für die psychologische Schulung, da ja die Psyche des Opfers zerstört werden soll, um eine vernichtende Langzeitwirkung zu sichern.

Körperliche Folter-Folgen

Die körperlichen Folter-Folgen sind entweder eindeutig organisch-traumatischer Natur (vom griechischen: trauma = Wunde, im übertragenen Sinne auch für seelische Zerstörungen benützt) oder psycho-somatisch interpretierbar (seelische Störungen, z. B. durch Folter, äußern sich somatisch, also körperlich, und zwar ohne nachweisbaren organischen Befund, was an Ursache und Konsequenzen aber nichts ändert). Nicht selten kommt eines zum anderen.

Am häufigsten sind ständige Kopfschmerzen sowie meist wechselnde Herzbeschwerden, dazu Atemnot, Schwindel, Schlafstörungen, Albträume, Überwachheit bis hin zur "nervigen" Übererregbarkeit usw.

Die häufigsten objektivierbaren Untersuchungsbefunde nach Folterqual beziehen sich auf Narben, Bewegungseinschränkungen, Gehbehinderung, Zahnschäden, Trommelfell- und Augenverletzungen. Oft auch eine chronisch erhöhte Muskelanspannung mit entsprechenden Schmerzen durch Hartspann der Muskulatur.

Oftmals finden sich aber auch keinerlei Spuren, jedoch anhaltende Schmerzen. Jetzt ist der Schmerz die "verkörperte Erinnerung" geworden.

Nachfolgend eine (unvollständige) Auflistung der häufigsten Folter-Folgen, und zwar einerseits auf psychosomatischem, andererseits auf rein körperlichem Gebiet. Im Einzelnen:

Psychosomatische Folter-Folgen

Zu den psychosomatisch interpretierbaren Folter-Folgen gehören beispielsweise

- Erschöpfungszustände mit vermehrter Anfälligkeit für Krankheiten, insbesondere Infektionen.

- Schlafstörungen mit Albträumen und nächtlichem Aufschreien.

- Vegetative Störungen mit Zittern, Schweißausbruch, Schwindel, dazu Ohrgeräusche, hechelnde Atmung u. a.

- Herzbeschwerden mit Herzrasen, Herzstolpern, Herzstechen, Herzdruck, Bluthochdruck u. a.

- Druckgefühle auf der Brust, Kloßgefühl im Hals (Schluckstörung, Engegefühl - siehe Globusgefühl), Atemenge usw.

- Magen- und Darmstörungen: vor allem Durchfall, aber auch Verstopfung, Geschwüre, Gallenbeschwerden, dazu Hämorrhoiden, Blasenstörungen usw.

- Schmerzen in jeglicher Form und Lokalisation: Kopf-, Schulter-, Rücken- und Gelenkschmerzen sowie bei Frauen Unterleibsschmerzen, wandernde Schmerzen u. a. m.

- Muskelverspannungen an Kiefergelenken, Nackenmuskulatur ("die Angst im Nacken"), Schulter-Arm-Bereich (und damit häufig auch Spannungskopfschmerzen) und am Rücken. Das kann zu Bewegungsstörungen der oberen Kopf- und Halswirbelgelenke führen und einen Teufelskreis auslösen. Spannungen aufzubauen ist aber für das Opfer häufig die einzige Möglichkeit, "ohnmächtige Wut drinnen zu halten", sonst kommt es zu sinnlosen Erregungszuständen und Gewaltdurchbrüchen. Außerdem war die Spannungserhöhung der Muskeln während der Folter der beste Schutz gegen Schläge. Und diese Spannung wirkt dann weiter, als würde die Tortur ewig andauern.

Objektivierbare Folterfolgen

Zu den häufigsten noch lange Zeit oder lebenslang objektivierbaren Folgen entsprechender Foltermethoden gehören:

Charakteristische Narben durch elektrischen Strom; Trommelfell-Perforationen durch die (oft beidhändigen) Schläge auf die Ohren mit typischer Anordnung der Trommelfell-Löcher wie beim Knalltrauma; entsprechende Narben durch Stichverletzungen, Fesselungen (z. B. am Handgelenk), durch brennende Zigaretten, Kochplatten, heißes Plastik, durch Gegenstände unter Finger- und Fußnägeln schieben, Bewegungseinschränkungen durch Zwangshaltungen in niederen Räumen oder Minikäfigen mit schmerzhaften Veränderungen an Gelenken und Muskulatur; Kopfverletzungen nach Aufhängen (auch Kopf nach unten) mit plötzlichem Fallenlassen sowie wiederholten Schlägen auf den Kopf bis hin zu Einblutungen in die Hirnrinde; Geweberisse des Unterhautgewebes durch Hunger oder Beteiligung an Hungerstreiks; zahlreiche Blutergüsse unterschiedlicher Färbung (und damit Alters) durch entsprechende Gewalteinwirkung, was sogar eine Dialyse (Blutwäsche) notwendig machen kann, weil zuviel Eiweiß in den Nieren anflutet.

Charakteristische Narben hinterlassen auch Verbrühungen und Bisswunden (Tier- und sogar Menschenbisse, wobei in die Wunden manchmal noch Salz gestreut wird) usw.

In manchen Regionen überaus typisch sind Schmerzen der Waden und Füße, brennende Fußsohlen und Beschwerden beim Gehen. Das ist die Folge der Schläge auf die Fußsohlen (sog. falanga): Dabei werden die Gewebestrukturen der Waden, insbesondere der Fußsohlen durch starke Schwellungen in der akuten Phase nach der Folter zerstört. Und auch später sind die Fettpolster unter den Sohlen deutlich reduziert. Die Sehnen der Sohlen lassen sich kaum mehr anspannen, die Großzehen sind überstreckbar.

Seelische Folter-Folgen

Die seelischen Verletzungen sind meist schwerwiegender und langfristiger als die körperlichen. Sie wirken wie ein "Seelenfremdkörper" ("es ist, als ob ein Fremdkörper in der Seele liegt"). Dieser Fremdkörper absorbiert einen Großteil der psychischen Energie, das heißt vor allem Wohlgefühl, Lebensfreude und Gestaltungskraft. Deshalb muss ein entsprechend traumatisierter Mensch viel Kraft aufwenden, um diesen "inneren Fremdkörper" aus seinem bewussten Selbstbild fernzuhalten.

Die häufigsten Klagen auf seelischem, psychosozialem und psychosomatischem Gebiet sind:

Vorschnelle Ermüdung, rasche seelisch-körperliche Erschöpfbarkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen, nachlassende Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit, Gemütslabilität bis hin zur unkontrollierbaren Rührseligkeit, peinliche Zerstreutheit, eigenartige Benommenheit, ständige Anspannung, Unruhe und Nervosität, dazu Reizbarkeit, ja Aggressivität (siehe unten), Angstzustände in jeder Form, frei flottierend oder phobisch, d. h. zwanghaft auf bestimmte Dinge oder Erinnerungen bezogen, dazu Ruhelosigkeit, gemütsmäßige Unbeständigkeit, depressiv-missgestimmte Zustände, hartnäckige Grübelneigung, abnorm gesteigertes Erinnerungsvermögen, aber nur an furchtbare Szenen der Verfolgung u. a.

Dazu Katastrophenträume, Gefühl des Niedergangs, der Wertlosigkeit und Isolierung.

Als relativ typisch gelten Erinnerungsstörungen bzw. konkrete Erinnerungslücken sowie eine Einengung von Vitalität und Antrieb bis hin zur adynamisch-depressiven Dauerverstimmung (auch als "chronische reaktive Depression" bezeichnet, eigentlich ein Widerspruch in sich, soll hier aber erklären, dass ein konkreter Auslöser einer Dauer-Depression unterhält).

Zwischenmenschliche Konsequenzen

Die verminderte Fähigkeit zur aktiven Lebensgestaltung führt vor allem zu schwerwiegenden Irritationen im zwischenmenschlichen und sozialen Bereich. Grundhaltung ist eine matte Traurigkeit mit unverrückbarem Verhaftetsein an die erlebten Demütigungen und Schrecken. Hinderlich bis peinlich können situationsgebundene phobische Ängste (Zwangsbefürchtungen) mit einer eigentümlichen Schreckhaftigkeit werden, selbst auf harmlose Ereignisse hin. Im Einzelnen:

- Permanente Angstbereitschaft mit plötzlich einsetzenden schweren Angstanfällen. Selbst wenn sich das Wachbewusstsein frei von Angst weiß, können sie in Albträumen durchbrechen. Besonders zermürbend sind

- flash back-Phänomene: plötzlich sich aufdrängende, gleichsam überfallartige schreckliche Bilder und Gedanken aus früheren Foltersituationen, manchmal so plastisch, als würde sich das überstandene Trauma wirklich wiederholen, begleitet mit entsprechenden seelischen und vor allem körperlichen Angstreaktionen (Zittern, Schweißausbrüche, Angst-, Unruhe- und Erregungszustände usw.).

- Situationsgebundene phobische Ängste: teils verständlich anmutend (z. B. Furcht vor Uniformträgern oder sogenannte Klingelphobie ("habe ständig Angst, wieder verhaftet zu werden"), aber auch ausgelöst durch Schweißgeruch, Klick-Geräusche (Entsichern einer Schusswaffe), Schreckens- und sogar Freudenschreie, rote Farbe, Erbrochenes u. a.). Sie alle führen zum Ausbruch alter "Schock-Empfindungen", und zwar mit ursprünglicher Heftigkeit - für die Umgebung natürlich völlig überraschend und unfassbar. Häufig verbunden mit einer eigentümlichen und vor allem peinlichen Schreckhaftigkeit, selbst auf harmlose Ereignisse hin, die nur vage an Verfolgungserlebnisse erinnern (Böllerschüsse, Autohupen, Motor- und Treppengeräusche, Klopfen usw.).

Umschriebene, zwanghafte Ängste zwingen auch zur Vermeidung von größeren Menschenansammlungen, von Kino- oder Theater-Besuchen oder erfordern zumindest "fluchtgesicherte" Eck-Plätze, von denen aus sofort das Freie erreicht werden kann.

- Anhaltender ängstlicher Spannungszustand mit entsprechenden psychosomatischen Folgen (siehe diese), mit innerer Unruhe, Fahrigkeit, Ängstlichkeit, ja sogar typischer Körperhaltung.

- Grübelzwang mit quälendem Gedankenkreisen ("Sinnieren", "Studieren"), manchmal mit einer gleichsam photographisch genauen Erinnerungsklarheit für belastende Szenen.

- Depressivität (was nicht das gleiche bedeuten muss wie Depression - siehe diese), sondern: Darniederliegen der vitalen Kräfte, chronische Angstbereitschaft, Konzentrationsabfall, Unfähigkeit zu Frohsinn und Genuss, Initiativelosigkeit, Gemütslähmung, Zurückgezogenheit, abgekehrt von der eigenen Gefühlswelt, unfähig, sich selber zu spüren, weshalb die Betroffenen auch wie ausgebrannt, leer und abgestumpft wirken.

- Reizbare Verstimmbarkeit: missgestimmt-reizbar, schwer beherrschbare Gemütsschwankungen mit ggf. kurzzeitigen, unkontrollierbaren Jähzorn- und Erregungszuständen sowie aggressiven Durchbrüchen mit Gewalttätigkeit gegen andere (schlagen um sich, oft aber wie geistesabwesend, und können sich dann nicht mehr daran erinnern) sowie gegen sich selber (Selbstverletzungs- oder gar Selbsttötungsgefahr).

- Gemütslähmung: nichts kommt mehr an das Gefühl heran, nicht die schlechten, nicht die guten Nachrichten. Völlige Abstumpfung aller Gefühle bis hin zur inneren Leere ("innerlich wie tot").

- Initiativelosigkeit: kein Antrieb, depressiv-adynamisch, stumpf-resigniert, gehemmt, verzagt, bis hin zur apathischen Zurückgezogenheit und damit Vereinsamungs- und Isolationsgefahr ("freudloser Rückzug").

- Ruhelosigkeit: "innere Aufruhr", kommt nirgends zur Ruhe, in keiner Wohnung, in keiner Stadt, in keinem Land. Manchmal sind Apathie und Ruhelosigkeit kombiniert, was besonders zermürbt ("reizbare Schwäche", "getriebene Apathie").

- Konzentrationsabfall und Leistungseinbruch: Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, rasche Erschöpfbarkeit, damit Leistungsmängel auf seelischem, zwischenmenschlichem, schließlich körperlichem, beruflichem u. a. Gebiet.

- Genussunfähigkeit: alles ist schal und inhaltslos geworden, durchweg negativ eingetrübte Einstellung mit entsprechendem Teufelskreis.

- Sinnfrage und Selbstsicherheit: wichtiger, aber für außenstehende schwer fassbarer Belastungsfaktor mit Langzeitfolgen. Das harte Schicksal und die damit verbundene "Sinnentleerung" sind Teil des Grübelzwangs, der sich mit Fragen nach dem Sinn des Daseins und des Weiterlebens beschäftigt. Dazu kommt die zerstörte Selbstsicherheit, ein Charakteristikum vieler Verfolgten-Schicksale (aber z. B. so gut wie nie ein Problem der Verfolger!).

Besondere Aspekte der Folter-Schicksale

Schließlich seien noch einige besondere Aspekte der Folter-Schicksale kurz gestreift, die immer wieder zur Sprache kommen und von Außenstehenden nur schwer verstanden werden können. Im Einzelnen:

- Zerstörung der seelisch-körperlichen Einheit: Die Folterwirklichkeit entzieht sich sogar für den Betroffenen selber im nachhinein der Fassbarkeit, der Wider-Spiegelung im Denken, Verstehen und Bewerten, da der Kern der Persönlichkeit fundamental erschüttert wurde. Durch die Folter wird die seelisch-körperliche Einheit des Menschen tiefgreifend gestört. Das Opfer vertraut sich selbst nicht mehr. Wut und Hass richten sich gegen sich selber. Man will sich bestrafen, schädigen, seinen Körper nicht mehr spüren, ihn als Fremdkörper ablehnen (siehe oben). "Es ist, als würde sich im Menschen die eigene Ausstoßung vollziehen."

- Seelische Besonderheiten der Schmerzempfindung: Seelische (d. h. hier vor allem psychosomatische) und organische (post-traumatische) Schmerzempfindungen verstärken sich gegenseitig. Dazu kommt die Entfremdung "zwischen Kopf und Körper", zwischen Geistigem und Körperlichem. Dieser "kombinierte Schmerz" und seine zahllosen Missempfindungen unterhalb der Schmerzschwelle (mit keineswegs geringeren Einbußen) werden als "fressendes Ungeheuer" erlebt. Dadurch droht ein verhängnisvolles Vermeidungsverhalten, eines der Hauptmerkmale nach extremer Traumatisierung.

Denn wer Schmerzen empfindet, kann nicht mehr klar denken und schlussfolgern, kann sich am Ende nicht einmal mehr an das Schreckliche erinnern. Damit ist ein wichtiger, aber auch folgenschwerer Verdrängungs-Mechanismus programmiert. Je mehr sich die Betroffenen auf ihre Schmerzempfindung konzentrieren und mit der Zeit damit auch ein ausgeprägtes mehrschichtiges Schmerzverhalten zeigen, einschließlich entsprechender Schmerzerwartung, desto sicherer funktioniert die Verdrängung des Erlebten.

- Partner-Folgen: Wurden beide Partner gefoltert, so kann dies auch die Beziehung zerstören. So kommt es z. B. zu gegenseitigen Schuldzuweisungen bezüglich Macht und Hilflosigkeit, zu einem grausamen Spiel, wer von beiden Schrecklicheres erlebt hat, zur Zuschreibung von Foltermethoden an den anderen, zu gegenseitigen unerfüllbaren Ansprüchen an Verständnis und Fürsorge, zum Verlust der Liebesfähigkeit, die beide wechselseitig einzuklagen versuchen. Endergebnis: häufig Trennung oder gar Scheidung.

- Störungen des Körpererlebens: Die Folter-Opfer fühlen sich in ihrem Körper nicht mehr zu Hause. Sie stehen ihm ablehnend gegenüber, sie mögen sich nicht mehr. Sie fühlen sich unattraktiv, erleben sich oft nur über Schmerzen, Unruhe, Zittern, d. h. über die entgleiste körperliche Schiene. Sie sehen ihre Narben und andere Spuren von Verletzungen, fühlen sich deformiert und spüren, dass sie ihre Beweglichkeit, Kraft und Anziehungskraft verloren haben.

Noch schlimmer wird es, wenn sich die Betroffenen "fragmentiert" erleben: Dadurch kann es zur gefühlsmäßigen Abspaltung von Körperteilen kommen. Die natürlichen Zusammenhänge zwischen Kopf, Armen und Beinen und dem übrigen Körper werden nicht mehr wahrgenommen. Es gibt keine gefühlsmäßige Verbindung mehr zwischen den einzelnen Körperteilen. Alles ist wie erstarrt oder eingefroren, man hat kein Gefühl mehr für die Grenzen des eigenen Organismus. Den Tod hat man zwar überlebt, aber jetzt ist man "im Leben wie tot".

- Psychose-ähnliche Zustände sind vor allem durch Einzelhaft und Unterdrückung der Sinneswahrnehmungen möglich. So können z. B. verbundene Augen vor, während und nach der Folter psychoseähnliche Zustände (wie bei einer Geisteskrankheit, z. B. Schizophrenie) begünstigen (ähnlich der Erfahrungen von Menschen nach Augenoperation mit anschließender mehrtägiger Abdeckung der Augen).

- Schamverletzende Foltermethoden sind jene, die weniger dem Geständnis, mehr der Auflösung der persönlichen Identität dienen ("was muss ich für ein Mensch sein, dass mir so etwas passieren konnte"). Je größer die Ungeheuerlichkeit und je brüchiger die Identitätsreste, desto stärker der Eindruck der Unglaubwürdigkeit ("das glaubt man ihnen ohnehin nicht, man wird sie für wahnsinnig halten und in ein Irrenhaus stecken", prophezeien schon die Folterer selber).

- Bewusstlosigkeit und die Folgen: Bewusstseinstrübung oder gar Bewusstlosigkeit sind relativ häufig, teils durch extremes Atmen (Hyperventilation = krankhaftes Hecheln) aus Angst oder Schmerz, teils durch entsprechende Gewalteinwirkung auf Kopf und Nacken.

- Mangel-Syndrom durch Eiweiß-, Vitamin- oder Kalorienmangel mit entsprechenden Auswirkungen, teils durch gezieltes Aushungern, aber auch durch Hungerstreik. Die Folgen sind meist organischer, aber auch seelischer und geistiger Natur (ödematöse Zerebralläsionen = "Gehirnquellung").

Was kommt danach?

Die Zeit der Folter ist eine Extrem-Belastung, die Zeit danach eine nicht minder schwere, wie die seelischen, psychosozialen, psychosomatisch interpretierbaren und körperlichen Folgen belegen. Es gibt aber noch andere Belastungen, Kränkungen, Demütigungen, Frustrationen und damit neue Traumatisierungen. Im Einzelnen:

Bleibt das Folter-Regime bestehen und kann der Betroffene nicht ins Ausland fliehen, gerät er ohnehin in "Freiheit ohne Freiheit". Er darf nicht anklagen, sich nicht einmal beklagen, muss schweigen und dulden, weil er sonst erneut inhaftiert und gefoltert wird. Auch die Angehörigen und Freunde müssen schweigen und geraten damit in eine seltsame Komplizenschaft mit den Folterern, die sie erheblich belastet. Deshalb reagieren nicht wenige mit Unbehagen, Rückzug, ja versteckten Anklagen oder Aggressivität.

Kann das Opfer ins Ausland fliehen, wird es zum Asylanten. Das wirft Probleme eigener Art auf, wie jeder weiß, der sich mit solchen Schicksalen beschäftigt.

Aber selbst wenn das Regime stürzt oder abgelöst wird und die Opfer als ehemalige Widerstandskämpfer zum Helden und Idol emporwachsen könnten, kommen nur wenige auf ihre Kosten. Meist stehen dann andere Probleme im Vordergrund, z. B. Wiederaufbau, Demokratisierung, neue Allianzen. Für eine Reflexion über das Vergangene bleibt oftmals keine Zeit mehr - oder Lust. Letztlich betrachten sich jetzt alle Bürger als Opfer. Die Haltung der Bevölkerung z. B. gegenüber den Widerstandsopfern ist eher ambivalent. Das scheint in allen Nationen ähnlich zu sein. Schließlich erinnert es an das, was war (und an was man sich angepasst hat, z. B. auch aus Mangel an Mut). Es scheint ein generelles Phänomen zu sein, dass die Opfer eines autoritären Regimes nicht beliebt sind, da sie das schlechte Gewissen der schweigenden Mehrheit wach halten.

Außerdem spielen hier auch psychologische Faktoren eine Rolle: Als Widerstandskämpfer hebt man sich aus der Masse heraus, wird wegen seines Mutes bewundert, kann sich in einer Tradition von historischen Helden fühlen. Das spendet Kraft und Identität. Wenn nach dem Fall des Regimes die Restauration einsetzt, fällt diese Aura weg und man wird Teil der großen Masse.

Danach kommt man in einer - inzwischen vielleicht pluralistisch gewordenen - Gesellschaft nur noch dann zu seinem Recht, wenn man seine Interessen organisiert und lautstark zur Geltung bringt. Interessanterweise verstehen das die Interessenverbände der ehemaligen Täter in vielen Fällen besser als die der Opfer, die sich bestenfalls in untereinander zerstrittenen Opferverbänden organisieren - und vor allem an Mitgliederschwund leiden. Das verbittert. Das "Danach" ist deshalb oft nicht das, was man sich erhofft hat. Eher eine fortgesetzte Demütigung oder gar Qual auf anderer Ebene.

Eine Nichtanerkennung der Folter und ihrer Folgen ist eine erneute Traumatisierung, wobei sich die Gesellschaft in den Augen des Betroffenen eher auf die Seite des Täters stellt, indem sie das Vorgefallene leugnet oder verharmlost. Auch die Straffreiheit für die Täter eines Unrechts-Regimes, d. h. die Nachricht von der Freisprechung ehemaliger Schergen durch die Justiz des inzwischen wieder demokratisch gewordenen Landes führt deshalb zu heftigen Reaktionen unter den überlebenden Opfern. Verurteilungen sind dafür ein Stück Gerechtigkeit und Genugtuung. Selbst wenn die Straffreiheit juristisch fundiert ist, aus welchen Gründen auch immer, treibt sie die Betroffenen in Unverständnis, Resignation und ohnmächtigen Zorn, auch wenn man es zu verstehen versucht ("wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen").

Eine absolute Gerechtigkeit kann es offenbar nicht geben. Der Prozess zur Bewältigung vieler Traumen ist nicht frei von menschlichen Tragödien, wie man sie ansonsten aus jedem Drehbuch streichen würde, "weil es in dieser Form unrealistisch ist ...". Das gesellschaftliche Klima geht in Richtung Verdrängung und Verleugnung," damit wieder Ruhe einkehrt". Für die breite Masse mag es besser sein, was die allgemeine Gemütsruhe anbelangt und den Wiederaufbau stimuliert. Für die Betroffenen ist es ein fortwährender Stachel im Fleisch.

Therapie und Rehabilitation - ein mühevolles Unterfangen

Dennoch gilt es eine Basis zu schaffen, die die Opfer davor bewahrt, in jenen Abgrund zu stürzen, in den die Folter sie schon einmal fallen ließ. Dies ist besonders wichtig für jene Betroffenen, die einer ganz anderen Kultur angehören. Hier ist das allgemeine und behördliche Unverständnis auch am größten (und am leichtesten?). Hier wird auch gerne mit schlichten Argumenten pariert, bis hin zur Verdächtigung einer Selbstverstümmelung oder rituell zugefügten Wunde bei Narben, die man sich nicht anders erklären kann oder will.

Hier sind auch die "modernen", psychologisch angesetzten Foltermethoden am wirkungsvollsten, weil sie am wenigsten nachempfunden und bewiesen werden können. Hier gilt auch der an sich absurde Satz: Je größer die geschilderte Ungeheuerlichkeit, desto stärker der Eindruck der Unglaubwürdigkeit. Das ist die Tragik vieler Opfer und darauf spekulieren auch die Folterer ("man wird sie für verrückt halten ...").

Je vielfältiger das Beschwerdebild und seine Ursachen, desto schwieriger gestaltet sich auch die Behandlung. Viele (die meisten?) Betroffenen suchen überhaupt keine Behandlung auf, weil sie fürchten, mit der Wiederbelebung der früheren Erlebnisse nicht fertigzuwerden. Andere wären zwar für eine Behandlung oder zumindest Betreuung dankbar, doch finden sie niemand, der dafür ausgebildet ist und sich dieser schweren Aufgabe stellt. Auch darf man nicht vergessen, dass eine Heilung praktisch unmöglich ist. Das therapeutische Optimum ist eine Linderung der seelischen, körperlichen und psychosozialen Probleme, um wieder ein halbwegs lebenswertes Leben aufnehmen zu können.

Die vielfach geübte Behandlung mit psychotropen Pharmaka (meist Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel) führt - für sich alleine praktiziert - auf Dauer nur zu unbefriedigenden Ergebnissen. Sie ist aber auch nicht völlig falsch, besonders wenn sonst keine Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen und auch in begründeten Fällen als zweite Behandlungssäule sinnvoll. Wichtiger sind jedoch eine spezifische Psychotherapie sowie entsprechende soziotherapeutische Korrekturen und Hilfen.

Einzelheiten würden hier zu weit führen, doch gelten als Grundzüge der Behandlung: 1. wissendes Zuhören, was die individuellen Probleme anbelangt; 2. Therapie der Angst und der mit ihr assoziierten Störungen (siehe seelische und psychosoziale Folter-Folgen) und 3. Wiederherstellung der Persönlichkeit.

Allein der Umstand, dass der gepeinigte Patient weiß, dass ein kundiger Therapeut seine Leidensgeschichte kennt und vor allem anerkennt, also auch die Folgen und Spätfolgen als solche wahrnimmt und verfügbar bleibt, wenn der Betroffene (wieder einmal) mit seinen seelischen und körperlichen Reserven am Ende ist, dass er zu jemand über das Unaussprechliche sprechen kann, dass auch die weiteren Alltags-Konsequenzen akzeptiert werden (zwischenmenschlich, partnerschaftlich, beruflich), bietet eine gewisse Gewähr, für den Rest des Lebens noch ein halbwegs menschenwürdiges Dasein gesichert zu sehen.

Allerdings gibt es nur wenige Aus-, Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten und vor allem Behandlungszentren für die dafür erforderlichen Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Schwestern, Pfleger, Krankengymnasten, Ergotherapeuten usw.

In Deutschland haben bisher nur wenige Behandlungszentren für Folteropfer ihre Arbeit aufgenommen, z. B. Berlin, München, Ulm. Daneben gibt es eine Reihe von Experten, die an Universitäts- und sonstigen Kliniken arbeiten, dafür aber nicht hauptamtlich eingesetzt werden. Die spezialisierten Behandlungszentren wiederum müssen meist ständig um ihre Existenz bangen, auch wenn sie von Ministerien, UNO, EU, vom Roten Kreuz, von Firmen, Stiftungen, Privatpersonen usw. unterstützt werden. Zwar ist seitens entsprechender Institutionen (UNO, Europäisches Parlament, Bundesärztekammer, Deutsches Rotes Kreuz usw.) einiges in Bewegung geraten, doch hat das Problem eben nicht nur humanitäre, sondern auch politische Dimensionen, die sich bekanntermaßen nicht immer ideal ergänzen.

So ist und bleibt die Betreuung von Folter-Opfern vor allem eine menschliche Aufgabe jedes Einzelnen von uns. Bedarf besteht.

LITERATUR

An Fachliteratur mangelt es eigentlich nicht, auch nicht an allgemeinverständlichen Darstellungen (siehe unten). Eher an Interesse. Wer will sich schon - und vor allem auch dauernd - mit so etwas belasten. Am ehesten noch nach spektakulären Ereignissen, z. B. Kriege, Revolutionen, Militärputsche, Vertreibungen, ggf. Einzelschicksale. Aber eben stets medien-geleitet, d. h. kurzfristig, spektakulär - und dann wieder abflauend bis völlig übergangen ("Schnee von gestern").

Nachfolgend deshalb nur einige wenige deutschsprachige Literaturhinweise aus früherer Zeit (z. B. KZ-Folgen) sowie aktuellere Titel (gute Literaturübersichten bei den jeweiligen Behandlungszentren für Folteropfer, z. B. Berlin, München, Ulm).

Amnesty International: Wer der Folter erlag. Fischer-TB-Verlag, Frankfurt 1985

Arce, L.: Die Hölle. Verlag Hamburger Ed, 2001

Baeyer, W. v. und Mitarb.: Psychiatrie der Verfolgten. Springer-Verlag, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1964

Behnke, K., J. Fuchs (Hrsg.): Zersetzung der Seele. Rotbuch-Verlag, Hamburg 1995

Faust, V.: Die chronische reaktive Depression. Gesundheitsschäden nach Gefangenschaft und Verfolgung. In: V. Faust, G. Hole (Hrsg.): Depressionen. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1983

Fischer, G., P. Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. Reinhardt-Verlag, München 1998 (dort ausführliche neue Literaturhinweise)

Graessner, S. und Mitarb.: Folter. Verlag C.H. Beck, München 1996 (hier ausführliches Literaturverzeichnis)

Hepker, W.-W.: Spätfolgen extremer Lebensverhältnisse. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1974

Herberg, H. J. (Hrsg.): Spätschäden nach Extrembelastungen. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Herford 1971

Matussek, P. und Mitarb.: Die Konzentrationslagerhaft und ihre Folgen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1971

Niederland, W. G.: Folgen der Verfolgung. Das Überlebenden-Syndrom - Seelenmord. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1980

Paul, H., H. J. Herberg: Psychische Spätschäden nach politischer Verfolgung. Karger-Verlag, Berlin-New York 1967

Peters, U. H.: Das Verfolgten-Syndrom. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996

Peters, U. H, V. Faust: Das Überlebenden-Syndrom. Gesundheitsschäden nach Verfolgung, Gefangenschaft und Folter. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996

Rauchfleisch, U. (Hrsg.): Folter: Gewalt gegen Menschen. Paulus Verlag, Zürich 1991

Rauter, E. A.: Folter in Geschichte und Gegenwart. Eichborn-Verlag, Frankfurt 1988

Reich-Ranicki, M.: Zwischen Diktatur und Literatur. S. Fischer-Verlag, Frankfurt 1993

Schenck, E. G., E. v. Nathusius: Extreme Lebensverhältnisse und ihre Folgen. Band 1 bis 8. Verband der Heimkehrer, Bad Godesberg 1958 bis 1964

Schenck, E. G.: Das menschliche Elend im XX. Jahrhundert. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Herford 1965

Schulz-Hageleit, P. (Hrsg.): Alltag, Macht, Folter. Patmos-Verlag, Düsseldorf 1989

Stoffels, H. (Hrsg.): Terrorlandschaften der Seele. Roderer-Verlag, Regensburg 1994

Timerman, J.: Wir brüllten nach innen. S. Fischer-Verlag, Frankfurt 1982

Venzlaff, U.: Die psychologischen Störungen nach entschädigungspflichtigen Ereignissen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1958

Wicker, H.-R.: Die Sprache extremer Gewalt. Universität Bern, Institut für Ethnologie, Bern 1993

Wirtz, U.: Seelenmord, Inzest und Therapie. Kreuz-Verlag, Stuttgart 2001

Wurzer, B.: Das posttraumatische organische Psychosyndrom. Universitätsverlag, Wien 1992

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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