HAAR UND SEELISCHE STÖRUNGEN
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Haarausfall: seelische und psychosoziale Folgen - Frisur: modische und psychologische Aspekte - psychosomatische Haar-Erkrankungen - plötzliches Ergrauen - Alopecia areata - diffuser Haarausfall - Haarveränderungen bei Schizophrenie, Alkoholkrankheit, Depressionen, Manie u.a.
Haar-Erkrankungen durch seelische Störungen sind nicht selten. Haut und damit Haar stehen im engen Zusammenhang mit dem seelischen Befinden. Das ist eine alte Erfahrung ("die Haut als Spiegel der Seele"). Dies betrifft sowohl psychiatrische Erkrankungen (vor allem Depressionen und Manie) als auch psychosomatisch interpretierbare dermatologische Störungen (Alopecia areata und ggf. diffuser Haarausfall). Nachfolgend eine komprimierte Übersicht zum Thema Haar und seelische Störungen mit einem Anhang über psychologische Aspekte von Haar, Frisur u.a. |
Erwähnte Fachbegriffe:
Kopfhaare - Körperhaare - Wollhaare - Augenbrauen - Achselhaare - Barthaare - Haarzahl - Haartyp - Haarfarbe - kranke Haare - plötzliches Ergrauen - plötzliches Weißwerden - Depigmentierung - Haar-Kult - Frisur - Haar-Typ - Haar-Farbe - Haar-Länge - Haarausfall - Glatze - Haar und Persönlichkeit - Haar und partnerschaftliche, sexuelle und berufliche Chancen - Haar und Selbstwertgefühl - Haar und Persönlichkeit - Haartracht und Mode - Haartracht zur (militärischen) Einschüchterung - Haar und Schicksal (Fahrtenschreiber des Lebens) - Haar-Erkrankungen unter psychosomatischen Gesichtspunkten - Haar und Rauschdrogen-Konsum - Haar und Medikamenteneinnahme - Haar und Blutgruppenmerkmale - Langzeit-Gedächtnis des Haares - Alopecia areata - plötzliche kahle Kopfhautstellen - totaler Haarverlust - diffuser Haarausfall - androgenetischer Haarausfall - Geheimratsecken - Hinterhauptsglatze - ausgedünnte Schläfenbein-Region - Haar und Depression - Haar und Manie - Haar und Schizophrenie - Haar und Alkoholismus -
Stress - Überforderung - Konfliktreaktionen - körperliche Leiden mit Haarverlust - Vergiftungen mit Haarverlust - Mangelernährung - Dauerwellen - Autoimmunsystem-Erkrankungen - Extrembelastung - Angststörung - Psychose - Geisteskrankheiten - Verhaltensstörungen - Verlusterlebnisse - Mutter-Kind-Beziehung - Schwangerschaft - Geburt - Klimakterium - Wechseljahre - Zuckerkrankheit - Über- und Unterfunktion der Schilddrüse - entzündliche Darmerkrankungen - Infektionskrankheiten - Contrazeptiva - Pille - haar-schädigende Medikamente - Stoffwechselveränderungen - Leberschäden - Psychotherapie - Familientherapie - Pharmakotherapie - Antidepressiva - Neuroleptika - Soziotherapie - u.a.m. |
Das Haar-Kleid ist und bleibt wie kaum ein anderes Merkmal ein zentrales Charakteristikum des Menschen.
Die Kulturgeschichte der Völker zeigt, dass die Menschen den Haaren seit Jahrtausenden eine besondere Bedeutung beigemessen haben. Früher galten sie als Sitz der Seele und der Lebenskraft und als Symbol körperlicher Stärke, weltlicher Macht und auch magischer Kräfte.
Auch heute noch ist das Haar Zeichen der Individualität. Es soll den Menschen nicht nur verschönern, es bestimmt auch den Eindruck, den man von seiner Persönlichkeit hat (bzw. haben soll - Einzelheiten siehe die beiden kurzen Kapitel im Anhang).
Und nach wie vor soll es nicht nur Respekt, sondern vielleicht sogar Furcht einflößen. Darüber sollten wir uns nicht nur amüsieren, darüber sollten wir auch nachdenken. Die Krieger des alten Griechenland hatten auf ihren Helmen Haarbüschel angebracht, um ihre Feinde in Furcht und Schrecken zu versetzen. Bei vielen primitiven Völkern erfüllten zum Teil gigantische Haaraufbauten die gleiche Funktion für die Herrschenden und Krieger. Heute, etwa 2000 Jahre später, geht es den Punkern mit ihrer grellfarbigen Haartracht neben der Ablehnung der gesellschaftlichen Normen und ihrer Weltanschauung um durchaus vergleichbare Absichten.
Neben den normalen und kuriosen Modeerscheinungen aber folgen die verschiedenen Haartypen wie Kopfhaare, Wimpern, Augenbrauen oder Körperhaare einer genetisch (erblich) vorbestimmten Entwicklung und einem eigenen Zyklus. Abnorme Behaarung, sei es ein Zuviel oder ein Zuwenig oder etwa Störungen in der Haarstruktur, können die individuellen Merkmale eines Menschen stark verändern, sich auf jeden Fall auf sein Wohlbefinden, ja auf seine zwischenmenschliche, gesellschaftliche und ggf. berufliche Position nachteilig auswirken und dadurch zu erheblicher psychischer Belastung werden. Und dies seit Menschengedenken (die Alopecia als Krankheitsbild (s. später) wurde schon vor mehr als zwei Jahrtausenden treffend beschrieben, mit allen psychosozialen Folgen).
Dass das Haar - das in seiner sichtbaren Form ja eigentlich eine leblose Horn-Materie zu sein scheint - auch außerhalb der zuständigen Medizin, der Dermatologie (medizinisches Fachgebiet zur Diagnostik und Behandlung von Haut- und Geschlechtskrankheiten) eine interessante Aufgabe und damit Zukunft hat, zeigen die modernen mikroskopischen Analysen schädigender Einwirkungen, die es gleichsam zu einer Art Fahrtenschreiber des Lebens machen, der objektive Informationen zu liefern vermag. So hat die organische Haar-Analytik nicht nur viel zum Verständnis der Haarforschung beigetragen, sondern hilft auch über Rauschdrogen-Konsum, Medikamenteneinnahme, ja sogar Blutgruppenmerkmale usw. zu informieren.
Haare haben gleichsam ein Langzeit-Gedächtnis und sind damit für vielerlei Funktionen interessant.
Haare
Haare findet man mit Ausnahme von relativ wenigen umschriebenen Stellen (z. B. Lippen, Handinnenflächen und Fußsohlen) am ganzen Körper. Man unterscheidet die Wollhaare (kleine, meist kaum sichtbare Härchen) und die eigentliche Haare (Kopfhaare, Augenbrauen, Achselhöhlen, bei Männern auch Bart- und Ohrbehaarung).
Der ausgewachsene Mensch hat etwa fünf Millionen Haare, davon aber nur etwa 100.000 auf dem Kopf (und dort auch noch in Abhängigkeit vom Haartyp bzw. Haarfarbe). Ein Kopfhaar wächst etwa 10 Millimeter pro Monat, bleibt rund 4 Jahre und fällt dann aus (was etwa 80 bis 100 Haare pro Tag ausmachen kann). Die Haarfarbe wird durch die Eigenfarbe der Hornzellen, den Pigment- und Luftgehalt bestimmt. Steht kein Pigment mehr zur Verfügung und bilden sich dafür Lufteinschlüsse im jetzt hohlen Haar, wird es weiß. |
Kranke Haare
Dass Haare erkranken können, wird in der Allgemeinheit neben der vorzeitigen Glatzenbildung (die aber halbwegs als personen-typisch bzw. schicksalhaft hingenommen wird) vor allem durch das rasche Ergrauen symbolisiert, bis hin zu der alten Othello-Geschichte des plötzlichen Weißwerdens. Eine solche schlagartige Farbänderung des Haares ist allerdings von der Natur nicht vorgesehen. Dass Haare jedoch schneller als sonst, d.h. nach einigen Monate oder gar nur Wochen ergrauen können, ist durchaus möglich. Dies hängt damit zusammen, dass nur noch luftgefüllte (also nach außen sichtbar nur noch weiße) Haare und nicht normal pigmentierte Haare nachwachsen. So bleiben am Schluss überwiegend weiße Haare übrig und der Mensch ist in relativ kurzer Zeit grau geworden (jedoch nur selten völlig weiß, da noch immer vereinzelt pigmentierte Haare vorhanden sind).
Noch schneller geht es allerdings bei bestimmten Haarerkrankungen, wenn plötzlich viele pigmentierte Haare ausfallen und nur noch die weißen übrig bleiben. Aber auch das hat dann nichts mit plötzlichem Ergrauen zu tun, sondern geht hier auf einen Ausfall der pigmentierten Haare zurück.
Auf jeden Fall haben Menschen, die "plötzlich" weiße Haare bekommen auch plötzlich deutlich weniger Haare, denn die pigmentierten sind ausgefallen und es verbleiben nur noch die luftgefüllten weißen Haare.
Da nicht wenige Haar-Erkrankungen auch eine seelische Ursache-Komponente haben, sollen im Folgenden noch einige psychiatrische Hinweise zum Thema "kranke Seele = kranke Haare" gegeben werden.
Zu den wichtigsten Haar-Erkrankungen unter psychosomatischen Gesichtspunkten (psychosomatisch: seelischen Störungen äußern sich körperlich) gehören die Alopecia areata sowie der diffuse und/oder androgenetische Haarausfall. Im Einzelnen:
Die Alopecia areata, eine relativ häufige Haarerkrankung, äußert sich durch plötzlich kahle Hautstellen auf der Kopfhaut, im Bartbereich oder an anderen behaarten Körperteilen. Durch flächenhafte Ausbreitung und entsprechendes "Zusammenfließen" können bis zu handteller-große kahle Stellen auftreten. Meist heilen sie wieder spontan ab. Manchmal droht aber auch ein vollständiger Haarverlust (Alopecia areata totalis).
Männer sollen häufiger betroffen sein als Frauen, vor allem beim Ausbruch des Leidens im Kindesalter und möglicherweise bevorzugt bei Dunkelhaarigen. Nach anderen Untersuchungen gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschieden. Am häufigsten sei die Krankheit im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt.
Die Ursachen sind wahrscheinlich mehrschichtig, teils Vererbung, (eine genetische Veranlagung kann das Erkrankungsrisiko erhöhen, allerdings sind bisher noch keine verantwortlichen Gene gefunden worden), teils organischer Natur (z. B. Schilddrüsenerkrankung, Colitis ulcerosa, Polymyalgia rheumatica usw., jedoch nicht die immer wieder diskutierten Amalgam-Vergiftung, Mangelernährung oder sogar Dauerwellen), teils psychosomatisch (Störungen im Autoimmunsystem, abhängig von emotionalem, d.h. seelischem Stress).
Bei einer Störung im Immun(Abwehr-)System könnten die körpereigenen Immunzellen die Haarwurzeln irrtümlich als fremd identifizieren und ggf. angreifen. Die Folge sind eine Entzündung und damit Haarverlust. Warum, das bleibt unklar. Möglicherweise hängt es auch mit Haarpigmenten zusammen. Erfahrungsgemäß sind im besonderen Maße pigmentierte Haare betroffen, während graue von der Entzündung eher verschont bleiben sollen.
Seelische und psychosoziale Störungen scheinen Entstehung und Verlauf der Alopecia areata deutlich zu beeinflussen. Früher wurde sogar von plötzlichem Haarausfall aufgrund einer Extrembelastung berichtet. Heute weiß man, dass es in der Regel länger bestehende Probleme sind. Nicht wenige Betroffene scheinen aufgrund erblicher Belastung und/oder frühkindlicher Entwicklungsstörungen besonders empfindlich auf emotionalen Stress zu reagieren (Emotion: Gefühl, Gemütsbewegung; emotional: das Gemüt betreffend, gemütsmäßig).
Immer wieder wird auch auf das Vorkommen von Ängstlichkeit und Depressivität hingewiesen, sogar auf Psychosen (Geisteskrankheiten) und Verhaltensstörungen. In manchen Fällen häufen sich Schüchternheit, Unsicherheit, Zwanghaftigkeit, Passivität sowie Minderwertigkeitsgefühle. Nicht wenige sind unfähig, ihre Emotionen durch Sprache oder entlastende Handlungen auszudrücken. Vor allem bei Kindern scheint die Alopecia areata in engem Zusammenhang mit einem schmerzhaften realen oder auch symbolischen Verlusterlebnis zu stehen. Nicht selten wird auf eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung hingewiesen, die beim Betroffenen in eine zu enge Abhängigkeit geführt habe.
Eine große Belastung sind auf jeden Fall die sichtbaren Folgen. Die Kopfbehaarung hat ja für beide Geschlechter einen hohen ästhetischen Stellenwert. So kann bereits der kleinste reale oder auch nur vermutete Verlust der Haarpracht je nach Selbstwertgefühl und sonstigen Eigenheiten zu erheblichen Konsequenzen führen. Noch schlimmer wird es, wenn nicht nur die Kopfhaare, sondern auch Augenbrauen, Wimpern und Barthaare ausfallen. Nicht wenige Betroffene haben aber im Laufe dieser leidvollen Erkrankung gelernt, damit halbwegs gelassen umzugehen und vor allem ihre Umgebung daran zu gewöhnen, was diese in der Regel auch bereitwillig tut. Wenn dies nicht der Fall ist, kann eine entsprechende Behandlung notwendig werden.
Therapie: Und hier kommt der Psychotherapie (d.h. der Behandlung mit seelischen Mittel) bzw. der Arzt-Patient-Beziehung eine große Bedeutung zu, charakterisiert durch die Minderwertigkeitsgefühle der Betroffenen auf der einen und ihre hochgesteckten Behandlungserwartungen auf der anderen Seite (was bei entsprechender Enttäuschung bis zur Selbsttötungsgefahr gehen kann).
Aufgrund der mehr oder weniger typischen Entwicklung werden einer - insbesondere psychoanalytisch orientierten - Psychotherapie gute Erfolge zugeschrieben. Patienten mit weniger ausgeprägten Fähigkeiten zur Introspektion ("Innenschau") können aber auch von Selbstsicherheitstraining und stützenden Therapien profitieren. Wichtig ist eine frühzeitige Behandlung im Kindes- und Jugendalter (Kinder- und Jugendpsychiater, Psychologe, Familientherapie mit entsprechenden Experten usw.), um schwerwiegendere Langzeitfolgen zu verhindern. Man befürchtet: Je früher die Krankheit auftritt, desto schlechter sind die Heilungsaussichten, vor allem unbehandelt.
Einzelheiten zur dermatologischen (Haut-)Therapie (z. B. topische Immuntherapie u.a.) siehe die spezielle Literatur.
Der diffuse Haarausfall kann verschiedene Ursachen haben. Am häufigsten ist der sogenannte "androgenetische" Haarausfall, der - häufiger beim Mann als bei der Frau - vor allem in den letzten Lebensjahrzehnten vorkommt, meist genetisch determiniert und nur wenig beeinflussbar ist (Geheimratsecken und Hinterhauptsglatze beim Mann, Ausdünnung im Bereich der Schläfenbeine bei der Frau).
Auch hier sind die Ursachen auf viele Möglichkeiten verteilt.
Selbst eine Reihe von physiologischen Zuständen kann zu diffusem Haarausfall führen: Heuschnupfen, Schwangerschaft, Geburt, Klimakterium (Wechseljahre) sowie organische Krankheiten, z. B. Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Hypo- und Hyperthyreose (Unter- und Überfunktion der Schilddrüse), Colitis ulcerosa (entzündliche Dickdarmerkrankung mit Geschwüren), nach verschiedenen Infektionskrankheiten (Typhus, Scharlach, Syphilis, Pilzinfektionen u.a.), nach einer Reihe von Medikamenten (Kontrazeptiva (Pille) oder das blutverdünnende Marcumar), auch nach örtlich schädigenden Einwirkungen (z. B. Dauerwelle) usw.
Diffuser Haarausfall ist aber auch nach starker gemütsmäßiger Erschütterung möglich (z. B. posttraumatische Belastungsreaktion nach Extrembelastung). Dort kann er sogar länger anhalten als beispielsweise nach fieberhaften Erkrankungen. Bei emotionalem Stress kann es schon 2 bis 4 Monate dauern, bis das Leiden so richtig bewusst wird, um dann noch einmal ein halbes Jahr und mehr zu verunsichern. In der Mehrzahl der Fälle aber ist der Ausfall nur vorübergehend. Nur in sehr ernsten Belastungssituationen sowie bei häufigen Rückfällen droht ein Totalausfall.
Die seelischen und psychosozialen Folgen sind schon beim "normalen" Haarausfall schwerwiegend. Und dort kann man sich noch relativ langsam darauf einstellen. Viel beeinträchtigender ist ein schneller und dramatischer Verlauf, der dann ohnehin emotional labile Menschen trifft, die schon länger unter entsprechenden Belastungen litten, um dann noch schlechter damit fertig zu werden.
Therapie: Es ist schon schwer, den Haarausfall zu akzeptieren, dessen Gründe man kennt (s. o.). Noch schwieriger wird es bei unbewussten Beeinträchtigungen. Entscheidend ist das "darüber reden", ggf. eine Psychotherapie, die dann auch Rücksicht auf die depressive Verarbeitung des Haarverlustes nimmt.
Haar und psychiatrische Erkrankung
Ein besonderes Phänomen, wenn auch selten registriert, für manche Betroffene aber durchaus belastend, sind die Haar-Veränderungen bei psychiatrischen Erkrankungen. Dazu einige Beispiele.
- · Gemütsstörungen (Depression und Manie)
Eindrucksvoll, weil bei der gleichen Person wechselnd, kann das Haar bei der manisch-depressiven Erkrankung, aber auch bei der ausschließlich depressiv verlaufenden Schwermut bzw. rein manischen Hochstimmung verändert sein - und das mitunter tatsächlich "über Nacht".
- Bei der Depression droht eine Vielzahl von nicht nur seelischen und psychosozialen, sondern auch körperlichen Beeinträchtigungen. Dabei können Haut und Haar besonders nachhaltig betroffen sein. So wird das Haar mehr oder weniger plötzlich, d.h. über Wochen oder Monate, gelegentlich aber auch in der erwähnten ungewöhnlich raschen Zeitspanne, spröde, struppig, glanzlos, kurz: "unbeeinflussbar ungepflegt" aussehend. Und dies selbst nach einem Friseurbesuch, wo die Frisur wieder relativ rasch in sich zusammenfällt (weitere Einzelheiten siehe das Depressions-Kapitel).
Nicht selten ist auch ein - meist diffuser - Haarausfall. Das ist für die Betroffenen ein besonders belastender Aspekt, sieht man sich doch täglich und zwar handfest mit seinem "körperlichen Verfall" konfrontiert, den man auch noch unwiderruflich wähnt. Dies ist aber glücklicherweise ein Trugschluss.
Der Haarausfall durch Depressionen geht nach Abklingen der Schwermut wieder zurück. Die Haare wachsen wieder nach. Diese Art von zeitweiligem Haarverlust erschüttert die Betroffenen (insbesondere weiblichen Geschlechts) zwar nachhaltig, aber glücklicherweise ohne ernstere längerfristige Konsequenzen. |
- Das Gegenteil findet sich dann beim gemütsmäßigen Gegenpol der Depressionen, bei einer Manie, der krankhaften Hochstimmung in seelischer, psychosozialer und sogar körperlicher Hinsicht (Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel). Hier wirken die Patienten (die sich aber gar nicht als solche empfinden, noch nie fühlten sie sich so "optimal", leistungsfähig und "gut drauf" wie jetzt) um Jahre verjüngt. Das beweist tatsächlich auch ihr äußeres Erscheinungsbild: "blühendes Aussehen", temperamentvolle, und dabei doch natürliche, geschmeidige Bewegung, lebhafte Mimik, straffe Haut, leuchtende Augen usw. Vor allem aber gesundes, insbesondere glänzendes Haar, das sich gut legt und die insgesamt vorteilhafte Erscheinung gleichsam noch positiv abrundet.
Und das alles in einem unter Umständen raschem Wechsel von "depressiver Voralterung" (siehe oben) bis zur "manischen Verjüngung" in wenigen Wochen, Tagen oder gar Stunden (ggf. "über Nacht").
Allerdings hält eine manische Hochstimmung - innerlich, äußerlich und vor allem psychosozial - nicht lange an. Es kann Tage, Wochen, ja Monate dauern, aber dann läuft auch eine Manie aus. Und im schlimmsten Fall kippt sie nach einiger Zeit in eine Schwermut um (manisch-depressive Erkrankung). Schon während der abklingenden Hochstimmung normalisiert sich auch das äußere Erscheinungsbild - und damit das Haar (Einzelheiten siehe das entsprechende Manie-Kapitel).
Fragt man nach den Charakteristika einer Schizophrenie, wird - wenn man ehrlich ist - nicht zuletzt auf das äußere Erscheinungsbild von schizophren Erkrankten hingewiesen. Dies betreffe vor allem Mimik, Augen, die Bewegung, ggf. die Kleidung, selbst die Haartracht. Doch abgesehen davon, dass von den rund 1% Schizophrenen (also etwa 60 Millionen Betroffenen auf dieser Erde) nur die wenigsten äußerlich so beeinträchtigt sind, wie es die alten Vorurteile nahe legen, haben solche Auffälligkeiten in diesem Falle mit dem Haar an sich wenig zu tun, mehr mit der individuellen, hier psychotisch veränderten Gestaltung (z. B. "wallende Haarpracht" mit "Prophetenbart" usw.). Heute aber, wo jeder so auftreten kann, wie er es persönlich für richtig hält, hat dieses früher eher als anormal eingestufte Phänomen seine Bedeutung verloren. Außerdem haben die modernen antipsychotischen (vor allem medikamentösen) Behandlungsmöglichkeiten wesentlich dazu beigetragen, dass schizophren Erkrankte nur noch dezente seelische
Beeinträchtigungen hinnehmen müssen, wenn überhaupt (Einzelheiten siehe das entsprechende Schizophrenie-Kapitel).
Allerdings kann sich das Haar als solches gelegentlich auch beim Schizophrenen verändern, wie beim Depressiven auch (siehe oben).
Dagegen kommt es beim Alkoholkranken (vor allem über Stoffwechselveränderungen, insbesondere was die geschädigte Leber anbelangt) neben anderen charakteristischen Merkmalen an der Haut gelegentlich zu einer nicht selten ungewöhnlich dichten Kopfbehaarung, wobei das Haar (besonders beim weiblichen Geschlecht) noch zunehmend struppig und brüchig werden kann.
Therapie: Die Veränderung des Haares unter seelischen Störungen, vor allem durch manische und depressive Zustände, kann nur über die Veränderung der zugrunde liegenden Erkrankung beeinflusst werden. Das sind in der Regel neben Psycho- und Soziotherapie medikamentöse Maßnahmen. Einzelheiten dazu siehe die speziellen Kapitel.
DAS HAAR UND SEIN SEELISCHER SOWIE PSYCHOSOZIALER EINFLUSS
Die menschlichen Grundfragen: "Wer bin ich?" bzw. "Wie wirke ich?" oder konkreter "Wie nimmt man mich wahr?" werden in der Regel durch folgende Aspekte gesteuert (nach Anja Krumpholz-Reichel):
Erster Eindruck (und zwar in Sekunden-Schnelle), Gesicht (und hier vor allem Mimik), Bewegung (Fachbegriff: Psychomotorik), Kleidung (Stil) sowie von der schwer definierbaren, weil letztlich von jedem in subjektiver Weise persönlich registrierten Aura von Sympathie/Antipathie. Und vom Haar, und dies nicht zu gering.
Dabei ist das Haar im Grunde schwer exakt einzuordnen. Denn kein anderer Körperteil des Menschen ist so wandlungs- und damit aussagefähig, und sei es auch nur für einen begrenzten Zeitrahmen (eben weil es so wandlungsfähig ist, siehe Frisur, Färbung u.a.).
Darüber hinaus sind Haare wichtige und bei entsprechendem Kenntnisstand durchaus sichere Informationsträger, die Auskunft über unseren Gesundheitszustand (siehe dieses Kapitel), über Alter, Geschlecht und ethnische (kulturelle und sprachliche) Herkunft geben.
Und natürlich informieren sie über soziale Gruppenzugehörigkeit und den Stand und Rang innerhalb einer gesellschaftlichen Ordnung (R. Henss).
Darüber gibt es seit Jahrtausenden zahlreiche völkerkundliche und individuelle Beispiele. Schon im antiken Griechenland schätzte man die Verführungskunst schöner Haare (lang und offen getragen als Kennzeichen der Liebesgöttin Aphrodite). Wer hier vom Schicksal weniger gut bedient war, musste sich mit entsprechenden Überbrückungsmaßnahmen behelfen (z. B. der mit dünnem Haar geschlagene römische Imperator Caesar mit seinem Lorbeerkranz oder der gar kahle Sonnenkönig Ludwig XIV., der nicht nur seinen glanzvollen Hofstaat, sondern auch Adel und sogar Bürgertum Europas lange (und lästige) Perücken aufzwang). Sogar die germanischen Stämme, die ansonsten wenig für Äußerlichkeiten übrig hatten, huldigten einem ausgeprägten Haarkult, galt ihnen doch langes Haar als Zeichen der Stärke.
Haare heute
Haare sind also Schlüsselreize des ersten Eindrucks, auch und vor allem heute noch. Sie lösen - je nachdem ob sie gepflegt oder ungepflegt wirken -, unmittelbare und eindeutige Sympathie- oder Antipathie-Bewertungen aus. Dies insbesondere beim weiblichen Geschlecht. Doch auch die Männer sind hier nicht ausgenommen (R. Bergler, T. Hoff).
Das geht soweit, dass ein negativer Haar-Eindruck alle, zumindest aber viele andere Merkmale regelrecht unterdrückt, d. h. sie werden nicht adäquat wahrgenommen. So scheint beispielsweise ungepflegtes Haar einen Großteil der übrigen Charakteristika zweitrangig werden zu lassen, zumindest beim ersten Eindruck.
So konnten entsprechende Untersuchungen zeigen, dass zum Beispiel "Stahlwoll- oder Flusenlook" bei Frauen rasch den Eindruck von schlampig, finanziell nicht so gut gestellt, in seelischer Hinsicht verschlossen, unzufrieden, weniger intelligent und unsportlich auslösen. Die Antipathie, die durch ungepflegte Haare geweckt wird, setzt demnach einen Mechanismus der sozialen Distanzierung in Gang (R. Bergler). Denn in unsympathisch erscheinende Menschen wird - individuell, gesellschaftlich, wirtschaftlich oder finanziell - kaum investiert, das Risiko erscheint zu hoch. Und deshalb sind ungepflegte, aber auch fehlende oder ungesunde Haare ein Risikofaktor in psychosozialer Hinsicht (nach R. Bergler).
Ob dies dann in Wirklichkeit auch so hart und konsequent zutrifft oder nicht, ist eine andere Frage. Die Entscheidung aber liegt beim Einzelnen. Und der trifft sie offenbar auch nach solchen Gesichtspunkten: Frauen etwas differenzierter, Männer direkter, globaler, von "feineren Wahrnehmungen" offensichtlich unbeeindruckter. Dies betrifft vor allem die letztlich so vielschichtigen, komplexen und im Allgemeinen schwer objektivierbaren Aspekte wie Temperament, Gesundheit, Jugendlichkeit, Intelligenz, Verträglichkeit/Streitsüchtigkeit, Leistungsorientierung, Genuss, ja sogar politische Einstellung u.a. Dass eine solche "Alltags-Psychologie" natürlich ihre Tücken hat, ist den meisten schon klar, doch es ändert nichts an ihrer Einstellung - und ihrer Beurteilung.
Entsprechende Untersuchungen aus dem angelsächsischen Bereich scheinen dies zu bestätigen. So fielen bei einer Studie zur Frage Haar und Persönlichkeitseigenschaften vor allem die langhaarigen Männer durch das Raster erwünschter zwischenmenschlicher Attribute. Sie galten in dieser Studie als unangenehm und ungehobelt, außerdem als dumm und arm, als am wenigsten kontaktfreudig, als nachlässig und wenig sexy. Allerdings wurden sie auch als am wenigsten egozentrisch (ich-bezogen) eingestuft.
Deutlich besser schnitten dafür Männer mit halblanger Frisur und seitlichem Scheitel ab, während Kurzhaar-Strähnchen-Träger eher zum flippig-kreativen Gegenpol gezählt wurden. Als netter Durchschnittstyp ohne umwerfendes Sex-Appeal entpuppte sich der halblange Mittelscheitel-Träger (nach Marianne LaFrance)
Beim weiblichen Geschlecht ist es weniger der Scheitel, der zum wichtigen Kriterium der Fremdwahrnehmung wird, eher - wie sollte es auch anders sein - die Haarfarbe und Länge. Frauen mit langen, blonden, glatten Haaren wurden als am erotischsten, dabei aber auch am wohlerzogensten und sogar wohlhabendsten (?) bewertet. Allerdings auch als besonders ichbezogen und sogar "engstirnig".
Kurzhaarige Frauen im Strähnchenlook konnten sich in diesen Bewertungen zwar nicht mit Sex-Appeal, dafür aber mit hoher Intelligenz und Selbstbewusstsein darstellen - zumindest im Eindruck ihres Umfelds. Während man dem Frauentyp mit dem unkomplizierten mittellangen, dunklen Haarschnitt immerhin Sorglosigkeit und Altruismus (Selbstlosigkeit, Uneigennützigkeit) zusprach, wirkten solche mit dunkelgelockten Haarpracht weniger intelligent und selbstsicher.
Demzufolge haben Dunkelhaarige beim ersten Eindruck einen leichten Wettbewerbsnachteil. Das wohlwollende Auge des (männlichen) Betrachters bleibt, so scheint es, nach wie vor an Goldtönen hängen (Anja Krumpholz-Reichel).
Psychologische Aspekte
Werden Blondinen also tatsächlich bevorzugt? Bezüglich Attraktivität haben Blond, aber auch Braun gewisse Vorteile gegenüber Schwarz und Rot. Damit können Farben und Frisuren tatsächlich bestimmte Effekte auslösen - allerdings nicht auf jedem Kopf. Denn "der Betrachter reagiert vor allem auf die so genannten Gesamt-Konfiguration. Einzel-Merkmale schlagen selten voll durch, sie modulieren lediglich den Gesamteindruck" (R. Henss).
Das ist an sich eine tröstliche Erkenntnis, doch dem Kult ums Haar hat es dennoch keinen Abbruch getan. Denn kaum jemand will dem ersten Eindruck wehrlos ausgeliefert sein, sondern möglichst aktiv am eigenen Image mitwirken (Anja Krumpholz-Reichel). Deshalb auch der raffinierte Werbe-Slogan, der sich fast zum zentralen Glaubenssatz empor-stilisieren konnte: "Weil ich es mir wert bin".
Tatsächlich geht der Trend der Haarpflege-Industrie (und damit ihrer Werbe-Strategie) weg von der reinen Funktionalität der Haarpflegemittel und hin zur emotionalen Einbettung des Produktes "Haar". Dazu kommt der Anspruch, sich immer wieder neu selbst zu (er)finden und zu platzieren. "Gerade für junge Frauen sind Haare ein wichtiges Experimentierfeld auf der Suche nach der eigenen Identität" (Renate Arndt).
Das allerdings scheint seinen Altersschwerpunkt zwischen 20 und 30 zu haben, während die Bedeutung der Haare als expressives Stilmittel mit zunehmendem Lebensalter allmählich inneren Werten Platz macht. Jetzt beginnt das weibliche Geschlecht nämlich zu erkennen, wo die Möglichkeiten und Grenzen seines eigenen Typs liegen. Und nun geht es darum, die innere Zufriedenheit über das äußere Erscheinungsbild auszudrücken (Renate Arndt). Haare senden eben in jedem Lebensalter ihre eigenen Signale in die Welt, und damit nicht nur alters-, sondern auch bildungs-, werte- und vor allem selbstwert-geprägt.
Darüber hinaus aber gibt es aber schon noch festgefügte Schemata, was in den einzelnen Gesellschaften der jeweilige Haartyp aussagt. Hierzulande stehen (bzw. standen) kahlrasierte Köpfe häufig für eine rechte politische Gesinnung, lange Mähnen eher für eine gewisse provokative "linke" Haltung. Das kann sich aber rasch ändern, besonders was den kahlgeschorenen Schädel anbelangt, der sich inzwischen auch in moderaten männlichen Kreisen etabliert hat. Starre Einstufungen sind also immer riskant, man muss auch modische und gesellschaftliche Strömungen einkalkulieren.
Doch es bleibt etwas, und zwar in allen Nationen, Gesellschaftsstrukturen und Epochen, nämlich die Frage: Was will man mit seiner Haartracht ausdrücken? Derzeit scheinen besonders "Natürlichkeit" beliebt zu sein, aber auch sinnliche Attraktivität und Leistungsorientierung (R. Bergler).
Und wenn das einmal nicht klappt, weil Haare zum seelisch-körperlich-psychosozialen "Gesamt-Menschen" gehören, also auch von Stimmungslage, Gesundheit, Alltags-Befinden und äußeren Aspekten abhängt, und wenn damit die Frisur nicht so wird, wie man es gerne hätte (Modebegriff: bad hair day), dann hat das Folgen. Die Betroffenen fühlen sich nämlich weniger leistungsstark (siehe auch das Haar als Kraft-Dokumentation bei den alten Germanen, im Übrigen auch schon im Alten Testament beschrieben: Samson und Delila, und zwar bei Männern noch deutlicher erkennbar als bei Frauen). Selbst Gefühle von sozialer Unsicherheit und geringer Selbstsicherheit sind an solchen Tagen ausgeprägter, ja, man fühlt sich anderen weniger ebenbürtig, reagiert eher und meist unnötig verlegen, beschämt, nervöser, meidet soziale Kontakte, hält sich selbst für weniger attraktiv, ja unfähig, "minderwertig" oder "neurotisch".
Kurz: Das Haar ist kein abgestorbener, toter, nichtsagender, entbehrlicher, sondern ein lebender und überaus wichtiger Teil unseres Organismus mit besonderen seelischen Aufgaben - und entsprechenden psychosozialen Konsequenzen, im Guten wie im Schlechten. Und mit der Frisur kann man noch einen Grad Aussagekraft hinzufügen, im Extremfall sogar einseitig zu dominieren versuchen, was Pflege, Länge, Farbe und sonstige Beschaffenheit anbelangt.
Und so bleibt die Erkenntnis: Der Kult ums Haar ist so alt wie die Menschheit, es wird immer so bleiben. Wer das nicht glaubt, frage einen Mitbürger, dem sein zunehmender Haarausfall einen neuen äußeren Eindruck aufnötigt und damit ggf. vielleicht sogar eine Änderung in Persönlichkeit, partnerschaftlicher, gesellschaftlicher oder beruflicher Stellung. Völlig hilflos ist man dann zwar immer noch nicht. Denn jetzt kommt es darauf an, wie man dünnes oder fehlendes Haupthaar in seine (ursprüngliche) Wesensart zu integrieren versteht.
Das hat dann letztlich auch einen Einfluss auf die Beurteilung von außen, wie es im nachfolgenden Kasten kurz umrissen werden soll.
Nach dem Artikel von Anja Krumpholz-Reichel: Der Kult ums Haar. Psychologie heute 7 (2003) 36 |
HAARAUSFALL UND PSYCHOSOZIALE FOLGEN
Es wurde schon gefragt (und zumindest partiell beantwortet): Welchen Stellenwert haben Äußerlichkeiten für die Beurteilung einer Persönlichkeit? Vor allem ihrer zwischenmenschlichen, partnerschaftlichen, sexuellen, familiären, nachbarschaftlichen, beruflichen Situationen, ihrer moralischen und sonstigen Eigenheiten, ihrer Vorzüge, Nachteile u.a.?
Äußerlichkeiten sind Äußerlichkeiten, werden die meisten antworten. Es kommt auf das "Innere" an, auf die "eigentlichen Werte", die zählen. Oder zählen sollten...
Denn in Wirklickheit hat der äußere Aspekt schon einen großen Einfluss, größer als uns lieb ist, besonders wenn man zu den weniger Bevorzugten in dieser oder jener Hinsicht gehört. Und dazu zählt auch das Haarkleid im Allgemeinen und die Kopfbehaarung im Speziellen. Denn welche Bedeutung Haare für den Menschen haben, merkt man spätestens dann, wenn sie sich lichten. Davon jedenfalls können vor allem die Betroffenen ein Lied singen - was immer die anderen (was "man") auch für bedeutsamer halten mögen.
Das war seit jeher so und wird durch das älteste überlieferte Rezept der Medizingeschichte dokumentiert, einer eher unappetitlichen Essenzen-Mischung gegen Haarausfall.
Das durchzog alle Jahrhunderte, schloss obskure Hilfsmittel ein, war eine zeitlang durch die Perücken-Mode (oder gar -Pflicht an manchen Königshöfen) etwas erleichtert und spielt auch heute noch eine bedeutsame Rolle, wie der Markt für Toupets und Haarwasser jeglicher Mixtur zeigt (derzeit die so genannten Finasteriden, bestimmte Hormonhemmer, die vor allem gegen die androgenetische Alopezie, also den vererbten Haarausfall erfolgreich sein sollen).
Warum aber die Aufregung auch heute noch, wo doch glattrasierte Schädel (ob mit oder ohne Haare darunter) Mode geworden und von der Damenwelt sogar positiv aufgenommen werden. Nun - es bleibt bei der alten Erkenntnis:
Haarausfall und Glatze sind unübersehbare Signale für einen Alterungsprozess, den zwar niemand aufhalten kann, der aber möglichst spät eintreten sollte. Und altern heißt ja auch - ob zutreffend oder nicht, jedenfalls vom Alten Testament bis heute - Verlust an Kraft und vor allem Potenz (R. Henss).
Stimmt das? Leider ja, wie die Psychologen herausgefunden haben wollen (Anja Krumpholz-Reichel in Psychologie heute 7/2003).
Dass ein volles Haarkleid in der Liebe zählt, mag noch angehen. Dass dies aber auch in der Job-Suche nicht anders ist, belegen sogar ernsthafte Studien. Bewerber mit vollem Haar werden offensichtlich häufiger von den Personalleitern zum Bewerbungsgespräch eingeladen als in dieser Hinsicht benachteiligte Mit-Konkurrenten.
Dabei gibt es - so die Psychologen nach R. Henss - gar keine eindeutigen Zuschreibungen zwischen menschlicher, sexueller oder beruflicher Qualität und der jeweiligen Haar-Ausstattung. Nicht einmal die hohe Denkerstirn oder frühe Geheimratsecken lassen sich als positives Charakteristikum für geistige Aktivität nutzen. So einfach ist das nun auch wieder nicht. Denn das End-Ergebnis hängt weitgehend von dem ab, was gesamthaft geboten wird, und da ist das Haarkleid zwar nicht unwichtig, aber nur ein Teil-Aspekt. Bei der optischen und später wertenden Wahrnehmung anderer Menschen funktioniert das Gehirn wie ein Rechenzentrum, sagen die Psychologen: "Wenn die Gesamtkonfiguration ein besonders männlich-markantes Gesicht ergibt, dann wird dieser Mann auch mit Glatze noch als kompetent oder optisch attraktiv wahrgenommen" (R. Henss). Allerdings hätte er es noch leichter, würde er eine volle Haarpracht mit einbringen können, denn dann würde er als noch kompetenter und ansprechender gelten. Es sind kleine
Beurteilungs-Schattierungen, die hier hereinspielen - aber letztlich sind es eben auch diese, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, wenn es um den ersten oder zweiten Sieger geht.
Und für die sexuelle Attraktivität ist und bleibt die Haarpracht offensichtlich ein dominanter Faktor. Sex-Appeal ist und bleibt eine der wenigen Bereiche, wo sich beispielsweise eine Glatze eindeutig negativ auswirkt - und zwar bei fast jedem (nach R. Henss).
Aber gelten kahlköpfige Männer aufgrund der bekannten hormonellen Hypothesen nicht als die besseren Liebhaber? Mag sein, dass sich hier die Wissenschaft eine Meinung gebildet hat - die Allgemeinheit und hier insbesondere der weibliche Teil davon hat hier nach wie vor offenbar eine andere Überzeugung gewonnen.
So scheinen repräsentative Untersuchungen zur Partnerwahl ergeben zu haben, dass die Erfolgschancen für vollhaarige Männer bei Frauen rund 6-mal (!) höher ausfallen als für Männer mit Glatzenbildung (B. Tischer). Ja, selbst die unterschiedlichen Variationsmöglichkeiten im zwischenmenschlichen und insbesondere sexuellen Bereich, die ja schon eine weite Spanne vom Flirt bis zur festen Beziehung umfassen, sind für die Haar-Benachteiligten noch unerfreulicher. Lediglich als guten Freund könnte man sich diese Männer vorstellen - so manche Untersuchungen - wobei dies vor allem ein bestimmter Typ von Frauen vorgibt, nämlich diejenigen, die sich als relativ wenig schutzbedürftig (und dazu nur begrenzt verführerisch) einstufen.
Andererseits weiß man aus weltweiten Befragungen, dass sich bei der Partnerwahl auch andere Eigenschaften auszählen, ja ganz offensichtlich im Vordergrund stehen, nämlich Persönlichkeit, Ehrlichkeit, Einfühlsamkeit, Humor und ein gepflegtes Äußeres. Wer diese Eigenschaften erfüllt, hat die besten Chancen - mit oder ohne volle Haarpracht (wobei "mit" wieder etwas besser abschneidet - das alte Lied).
Letztlich scheint es nur einen Lebensbereich zu geben, wo man auch haarmäßig weniger Beglückten etwas mehr Kompetenz zutraut, nämlich als Familienvater. Man unterstellt ihnen - so R. Henss - dass sie kinderlieb sind und weniger fremdgehen. Dies aber - so der Psychologe - sei beim genauen Nachdenken auch keine wirklich gute Nachricht...
Nach Anja Krumpholz-Reichel in Psychologie heute 7/2003 |
LITERATUR
Früher wenig, heute immer mehr wissenschaftliche Publikationen und Fachbücher und eine wachsende Zahl allgemeinverständlicher Beiträge.
Grundlage vorliegender Ausführungen sind
Arndt, R.: zitiert nach A. Krumpholz-Reichel
Bergler, R., T. Hoff: Psychologie des ersten Eindrucks. Die Sprache der Haare. Deutscher Instituts-Verlag, Köln 2001
Deter, H. C. (Hrsg.): Angewandte Psychosomatik. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1997
Faust, V., E. Faust: Seelische Störungen. Kleines Psychiatrie-ABC für den Alltag. Teil IV: H., Wiss. Verlagsges. Stuttgart 1999
Faust, V.: Schwermut. S. Hirzel-Verlag, Stuttgart-Leipzig 1999
Faust, V.: Depressionsfibel. G. Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-Lübeck-Ulm 1997
Faust, V. (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. G. Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996
Faust, V.: Schizophrenie. Erkennen und Verstehen in Fragen und Antworten. Arcis-Verlag München 1996
Henss, R.: zitiert nach A. Krumpholz-Reichel
Krumpholz-Reichel, A.: Kult ums Haar. Psychologie heute 7 (2003) 36
LaFrance, M.: zitiert nach A. Krumpholz-Reichel
Mayr, D. F., K. O. Mayr: Von der Kunst Locken auf Glatzen zu drehen. Eine illustrierte Kulturgeschichte der menschlichen Haarpracht. Eichborn-Verlag, Frankfurt 2003
Tischer, B.: Einfluss von Haarausfall auf Personalentscheidungen. Emnid-Institut, Healthcare, Pullach 1999
Tischer, B.: Erfolgschancen von Männern mit Haarausfall bei Frauen. Emnid-Institut, Healthcare, Pullach 2000
Uexküll, Th. v.: Psychosomatische Medizin. Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1996
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