Start Psychiatrie heute Seelisch Kranke Impressum

KAUFZWANG

Kaufsucht - Kaufwut - Kaufrausch - krankhafte Kauflust - krankhafte Kaufsucht - triebhafte Kaufsucht - anfallsweises Einkaufen - Oniomanie

Unter Kaufzwang versteht man einen ständigen oder immer wiederkehrenden, zumindest phasenweise unzügelbaren Drang, Dinge zu erwerben, die man im Grunde nicht braucht, vielfach schon ein- oder mehrfach hat, sinnlos hortet oder verschenkt. Das Interesse verengt sich immer mehr auf das Kaufen an sich, wobei im Laufe der Zeit nicht nur immer öfter, sondern auch immer teurer eingekauft werden muss. Ist das nicht mehr möglich, drohen seelische und sogar körperliche Entzugserscheinungen. Die Ursachen sollen psychosozialer Natur sein und bis in die Kindheit zurückreichen können. In leichteren Fällen helfen bestimmte Selbstbehandlungs-Maßnahmen, in schwereren braucht es eine Kombinations-Behandlung aus Psycho- und Sozialtherapie, ggf. sogar bestimmte Psychopharmaka.

Eines der bedenklichen Phänomene unserer Zeit scheint ein - von der Werbung natürlich auch angestacheltes - unkritisches Kaufverhalten zu werden. Das geht vom unbesonnenen Einkaufen bis zum krankhaften Kaufzwang. Wahrscheinlich handelt es sich um eine "Ventil-Funktion" bzw. "Selbstbelohnung" für Probleme, Kümmernisse, Kränkungen, Sorgen und Frustrationen verschiedener Art. Im Extremfall wird daraus eine sogenannte Impulshandlung, wie es die Psychiater nennen.

Impulshandlungen

Impulshandlungen oder Dranghandlungen sind überwältigend durchschlagende, unbesonnene Handlungen als Folge eines unsteuerbaren Drangs, dem man sich nur schwer widersetzen kann. Die wichtigsten Impulshandlungen sind die:

- Kleptomanie: plötzlicher, meist wiederholter Drang, auch wertlose und nicht benötigte Gegenstände zu stehlen.
- Pyromanie: dranghaftes Feuerlegen (Brandstiften).
- Trichotillomanie: wiederholtes Ausreißen von eigenen Haaren mit sichtbarem Haarverlust.
- Pathologisches Spielen: intensiver, kaum kontrollierbarer, andauernder oder immer wiederkehrender Spieldrang trotz negativer finanzieller und sozialer Konsequenzen.
- Intermittierende explosible Störung: wiederholtes Versagen, aggressiven Impulsen zu widerstehen, was zu schweren Gewalttätigkeiten oder zur Sachbeschädigung führen kann.
- Sammeltrieb: Anhäufen von sinnlosen Gegenständen.
- Poriomanie: dranghaftes, unvermittelt imperativ (befehlend) auftretendes Weglaufen oder zielloses Umherirren.
- Dipsomanie: periodisch auftretende, imperative Trunksucht bei Menschen, die ansonsten nicht zu den chronischen Alkoholkranken zählen ("Quartalssäufer").

Der Kaufzwang gehört (noch) nicht zu den Impulshandlungen, jedenfalls nicht laut psychiatrischer Lehrbücher. Er wird nach Meinung vieler Experten aber doch eines Tages in diese Kategorie aufgenommen werden müssen, und zwar nicht zuletzt aus zahlenmäßigen Gründen, weil er bei weitem die häufigste Impulshandlung darstellt.

Was ist ein Kaufzwang?

Tatsächlich überkommt schon heute viele, auch sogenannte "klinisch gesunde" Mitbürger beiderlei Geschlechts immer öfter ein zumindest phasenweise verstärkt auftretender Kaufdrang. Er hat vermutlich die gleichen Hintergründe wie ein Kaufzwang, nur ist er weniger ausgeprägt und besser steuerbar.

Definiert wird der krankhafte Kaufzwang als ständigen oder (öfter) wiederkehrenden Drang, (neue) Dinge zu erwerben, die in der Regel nicht wirklich benötigt werden.

Oniomanie: krankhafte Kauflust, triebhafte Kaufsucht. Schon vor über 100 Jahren dem "impulsiven Irresein" zugerechnet. Damalige Krankheitsschilderung: Die Betreffenden "kaufen ohne jedes wirkliche Bedürfnis in großen Mengen hunderte von Halsbinden oder Handschuhen, dutzende von Anzüge, Hüten, Schmucksachen, Spazierstöcken, Uhren ein. In einzelnen Fällen verbindet sich damit der Trieb, allen möglichen Personen Geschenke zu machen" (Kraepelin).

Wie häufig ist ein Kaufzwang?

Die Zahl der Betroffenen ist schwer zu schätzen. In den USA geht man von rund 15 Millionen Menschen aus, in Deutschland von etwa einer halben Million (wobei jeder 20. Bundesbürger aber gefährdet sei).

Geschlechtsspezifisch handelt es sich nicht (mehr) um eine "typisch weibliche Eigenart", denn es belastet auch immer häufiger Männer, auch wenn sie sich offenbar besser zu tarnen wissen.

Über Altersschwerpunkte gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, auch wenn das mittlere Lebensalter ausgeprägter betroffen zu sein scheint. Ähnliches gilt für die soziale Schicht. Die finanzielle Ausstattung spielt auf jeden Fall keine Rolle was den Kaufzwang anbelangt, bestenfalls den Wert der Kaufsucht-Objekte.

Verlauf und Krankheitsbild

Der Ablauf scheint immer der gleiche zu sein und ähnelt durchaus manchen Impulshandlungen: In den Betroffenen wächst nach und nach das Gefühl eines unentrinnbaren inneren Kaufzwangs. Sie werden unruhig, nervös und gespannt und brechen mehr oder weniger plötzlich zu wahren Einkaufsorgien auf. Erworben werden Dinge, die eigentlich nicht benötigt werden. Nicht Weniges bleibt in der Wohnung über Jahre hinweg unausgepackt gesammelt. Entscheidend ist also nicht der reale Wert eines gekauften Gegenstandes, sondern der erfüllte Kaufwunsch bzw. befriedigte Kaufzwang. Die negativen Gefühle schwinden und machen ggf. einer euphorischen Reaktion, also einer Art inhaltslosem Glücksgefühl Platz. Das hält zwar nicht lange an, aber das ist ohnehin das kennzeichnende Merkmal eines Zwangs: die nur kurzfristige Befriedigung mit dem raschen "Rückfall" in erneute Zwangsbedürfnisse.

Manche Menschen überziehen dabei ihr Konto, andere verschulden sich sogar erheblich. Das führt ggf. zu unangenehmen bis psychosozial einschneidenden Konflikten (siehe später) und leitet auch einen Teufelskreis ein, denn es müssen nicht nur immer häufiger, sondern oftmals auch immer kostspieligere Dinge eingekauft werden - auch wenn man sie nur sinnlos daheim hortet.

Kann der Kaufsüchtige - aus welchem Grund auch immer - nicht mehr konsumieren, stellen sich regelrechte Entzugserscheinungen ein, die bis zu körperlichen Abstinenzsymptomen gehen können:

Nach der "Kaufbefriedigung" rasch erneut innerlich unruhig, nervös und gespannt, wachsendes Unwohlsein, "Gefühl einer undefinierbaren Erkrankung" bis hin zu konkreten psychosomatischen Störungen (körperlicher Ausdruck unverarbeiteter seelischer Konflikte, meist auf der Grundlage eines ohnehin vorhandenen organischen Schwachpunktes), ja, zu Stimmungstiefs und Selbsttötungsgedanken.

Nicht selten tritt der Kaufzwang phasenweise auf. Dann lässt er sich im fortgeschrittenen Stadium ohnehin kaum steuern. Manche Betroffene, die sich in dieser Hinsicht noch besser korrigieren können, bevorzugen dann wenigstens Zeiten, in denen ihr dranghaftes Verhalten nicht so auffällt: Schlussverkauf, Sonderverkauf, Vorweihnachtszeit usw. Bisweilen aber kann auch dieser "Kanalisierungs-Versuch" nicht mehr durchgehalten werden, die Kaufsucht "knallt durch" und die Betreffenden werden gleichsam mitgerissen, ob in unauffälliger oder weniger günstiger Zeit.

Ursachen und Hintergründe

Für viele hat der dranghafte Kaufimpuls offenbar eine "Ventil-Funktion für Probleme aller Art" (siehe oben). Dem kommt nicht zuletzt unsere moderne, konsumorientierte Weltanschauung entgegen, mit der ja bereits Kinder konfrontiert werden (Spielzeug statt Zuwendung, Geld statt Lob). Die raffinierte Werbung tut das ihre ("man gönnt sich ja sonst nichts").

Nicht selten finden sich aber auch partnerschaftliche, familiären, nachbarschaftliche, berufliche und sonstige Probleme, die nicht gelöst, sondern durch einen Kaufzwang mit anschließender Kaufbefriedigung neutralisiert werden sollen.

Manche Kaufsüchtige zeigen auch eine verstärkte Anfälligkeit für depressive Verstimmungen und Angststörungen, andere wirken ständig unzufrieden, resigniert, ja verbittert und leiden unter einem labilen Selbstwertgefühl. Nicht selten wird das "zwanghaft Zusammengekaufte" rasch wieder verschenkt, und zwar an Familienmitglieder, Freunde und Kollegen oder gar Vorgesetzte. Hier wird dann offenbar weniger gekauft, um sich selber eine Freude zu bereiten oder Entlastung zu verschaffen, sondern um sich die Zuneigung anderer zu sichern.

Von Seiten psychotherapeutisch tätiger Psychiater und Psychologen werden als Ursache auch oft "seelische Traumata" (Verwundungen) angeführt, die bis in die Kindheit hineinreichen können. Eine Schlüsselrolle komme hier dem Einfluss der Eltern zu. Sie hätten ihre Kinder entweder emotional (gemütsmäßig) vernachlässigt, wenn nicht gar abgelehnt, oder durch eine ungebührliche Überversorgung die Entwicklung ihrer Selbständigkeit untergraben und damit gleichsam lebensunfähig gemacht. Bei nicht wenigen dieser Opfer seien die eigenen Fähigkeiten, Meinungen und Gefühle nicht gefragt gewesen und hätten sich deshalb auch nicht entwickeln können. Bei anderen seien die Geschwister bevorzugt worden. Auch sexuell missbrauchte Kinder sollen bei späteren Kaufzwang-Betroffenen nicht so selten sein.

Was kann man tun?

Eine gezielte Therapie des Kaufzwangs gibt es (noch) nicht, jedenfalls nicht offiziell. Am sinnvollsten ist natürlich auch hier die Prävention, die Vorbeugung, in vielen Fällen also eine emotional befriedigende Kindheit und Jugend. Und wenn später eine Therapie notwendig wird, dann am zweckmäßigsten ein sogenannter Gesamt-Behandlungsplan, wie er auch bei allen anderen seelischen Störungen empfohlen wird (siehe unten).

Als Sofortmaßnahme gegen die Kaufsucht oder gar den Kaufzwang empfehlen die Experten folgende Schritte, die zwar oberflächlich aussehen, die "finanzielle Talfahrt" aber wenigstens etwas abbremsen können:

- Alle Kreditkarten zurückgeben.

- Immer nur mit Bargeld bezahlen (weil das eine heilsam-schockierende Wirkung entfalten kann).

- Grundsätzlich nicht während "tarn-günstiger" Zeiten wie Schlussverkauf, Sonderverkauf, Vorweihnachtszeit einkaufen.

- Alles was nach "sinnlos zusammengekauft", "doppelt und dreifach vorhanden", "unausgepackt deponiert" u.ä. aussieht (siehe oben) gut sichtbar verteilen, d.h. aus Schränken, Schubladen und Abstellecken holen und gleichsam ernüchternd zur Abschreckung in den Weg legen.

- Ggf. eine umfassende Liste solcher Gegenstände anlegen und ständig bei sich tragen.

- Dies alles besonders dann, wenn man sich ein bestimmtes Objekt durch Kaufzwang zum wiederholten Male anzueignen droht.

Diese und viele anderen Tipps erfährt man vor allem in entsprechenden Selbsthilfegruppen. Dort merkt man auch, dass man mit seinem Kaufzwang nicht alleine ist, dass man dort die wahren "Experten" trifft, nämlich Menschen mit leidvoller Eigenerfahrung, dass man den einen oder anderen auch einmal anrufen kann, wenn einen wiederholt der Kaufrausch packt und in die Kaufhäuser zu spülen droht. Kurz: Dort findet sich eigentlich fast immer eine helfende Hand.

Und wenn eine Therapie notwendig wird, dann kombiniert aus Psychotherapie (gesprächs- oder verhaltenstherapeutisch bzw. psychoanalytisch orientiert), aus soziotherapeutischen Korrekturen und Hilfen, aus Selbstmanagement und Familienberatung usw.

Neuerdings diskutiert man wieder bestimmte Medikamente, nämlich sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Der Botenstoff (Neurotransmitter) Serotonin spielt eine wichtige Rolle bei vielen psychischen Funktionen und Krankheiten, z.B. Depressionen, Angst-, Zwangs- und Ess-Störungen. Und auch eine Reihe sonstiger Impulshandlungen (siehe Kasten) sollen z.T. gut darauf ansprechen.

Bei den Depressionen sind diese, deshalb auch als Antidepressiva klassifizierten Psychopharmaka bereits seit vielen Jahren unverzichtbar. Bei den anderen seelischen Störungen werden sie immer häufiger genutzt. Und so prüft man verstärkt die Frage, ob solche Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (zumindest aber einige davon) nicht auch den Kaufzwang in den Griff bekommen könnten. Was auch immer die Forschung in Zukunft bringt, man sollte auch beim Kaufzwang den biologischen, also medikamentösen Aspekt nicht völlig vernachlässigen.

Denn für die meisten seelischen Störungen gilt: Die besten Behandlungsergebnisse erzielt man durch einen Gesamt-Behandlungsplan, der Psychotherapie, soziotherapeutische Unterstützungsmaßnahmen und eine medikamentöse Basis-Behandlung umfasst.

Schlussfolgerung

Vor allem aber gilt es für eine wachsende Zahl von Menschen in grenzwertigen Situationen mit Kaufdrang (also noch nicht Kaufzwang) sich öfter selbstkritisch zu fragen, ob man inzwischen zu den Kaufsüchtigen gehört oder (noch) nicht. In leichteren Fällen braucht es erst einmal keine andere Maßnahme, als die konsequente Eigenkontrolle. In mittelschweren sollte man sich schon überlegen, ob man obige Selbstschutzmaßnahmen ergreift oder gar einen Arzt und später Psychotherapeuten hinzuzieht.

Schwere Fälle hingegen haben auch ein schweres Los. Ihre Kauforgien sind ja auch kein genüssliches Shopping mehr, vergleichbar einem Alkoholiker, dem ja auch nicht mehr die herkömmliche Freude an einem Glas Wein vergönnt ist. Und hier ist dann ein Gesamt-Behandlungsplan einschließlich medikamentöser Therapie wohl nicht mehr zu umgehen.

Literatur

Obgleich es sich beim Kaufzwang um ein altes Krankheitsbild handelt, das ja wie die meisten anderen Impuls- bzw. Dranghandlungen bereits vor über 100 Jahren beschrieben wurde, gibt es dazu relativ wenig neuere Fachpublikationen, vor allem in deutsch und zudem noch allgemeinverständlich dargestellt.

Grundlage vorliegender Ausführungen sind

APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen - DSM-IV. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 1998.

Faust, V., C. Scharfetter: Impulshandlungen. Serie Psychiatrie in Stichworten, Psychopathologie 8. Thieme-Enke-Verlag, Stuttgart

Scharfetter, C.: Allgemeine Psychopathologie. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1996

WHO: Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10. Verlag Hans Huber, Bern-Toronto 1993

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).