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Wie beginnt die Ersterkrankung, wie kündigt sich ein Rück­fall an?

 

Wie beginnt eine Schizophrenie? Uncharakteristisch, leider, denn dadurch wird das rechtzeitige Erkennen und anschließend gezielte Behandeln noch mehr verzögert. Welches sind die wichtigsten Vorposten-Symptome? Zuerst Beeinträchtigungen, wie sie jeder kennt: nervös, rasch ermüdbar, merk- und konzentrationsgestört bis zerstreut, verlangsamt, entschlussunfähig, antriebs­los, missgestimmt, reizbar, schlafgestört u. a. Dann aber auch gelegentlich aggressiv bis unmotiviert feindselig, ratlos-getrieben, ängstlich-gedrückt bis schwermütig, innerlich leer, fast wie „abgestorben“, zunehmend ungesellig, scheinbar gleichgültig-unzuverlässig-undiszipliniert, alles auf sich selbst be­ziehend, Neigung zu Rückzug und Isolation.

 

Daneben eigentümliche Vorstellungen, selbstversunken, plötzliches Interesse an wirklichkeitsfremden Fragen (religiös, mystisch, philosophisch, magisch, gesellschaftspolitisch u. a.), dadurch immer orientierungsloser, ratloser, leich­ter beeinflussbar (Sekten?). Zuletzt Klage über Gedankenjagen, eigentümliche Wahrnehmungsstörungen ohne objektivierbare Ursache, deshalb zunehmend verschrobenes Verhalten, Angst, verrückt zu werden oder durchzudrehen, verzweifelte Selbstbehandlungsversuche mit Alkohol und Rauschdrogen (die die krankhafte Entwicklung ja noch beschleunigen) und „dunkle Gedanken“ (Suizidgefahr).

 

Dass so etwas bei schleichender Entwicklung kaum frühzeitig und treffend diagnostiziert werden kann, leuchtet ein. Doch auch die Rückfall-Hinweise eines bereits als krank erkannten schizophrenen Patienten werden zumeist übersehen: wiederum unruhig, gespannt, nervös, humorlos, reizbar, aggressiv, negativistisch (nur unwillig oder überhaupt nicht tun, was man soll oder muss), deprimiert, ängstlich, freudlos, merk- und konzentrationsgestört, Grübel­neigung, zahlreiche körperliche Beeinträchtigungen ohne organischen Grund, rastlos umhergetrieben (verzweifelte Suche, aber nach was?), Änderungen im Ernährungs- und Kleidungsstil, auch in der Körperpflege, schließlich die alle alarmierenden Symptome Wahn, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen u. a.

 

Dabei gilt sowohl bei Ersterkrankung als auch Rückfall die bekannte Regel:   Je früher erkannt, desto schneller und gezielter behandelt, umso besser der Therapieerfolg.

 

Nachfolgend deshalb eine erweiterte Übersicht zum Thema: Wie beginnt eine schizophrene Ersterkrankung, wie kündigt sich ein Rückfall an?

 

 

 

Erwähnte Fachbegriffe:

 

Schizophrenie – Spaltungsirresein – Geisteskrankheit – Häufigkeit – Warn­symptome – Alarmsymptome – Vorposten-Syndrom – Vorhersage-Kriterien – Risikogruppen – Früherkennung schizophrener Störungen – beginnende Schizophrenie – Befindensschwankungen – Überforderung – Bedrohung – sozialer Status – berufliche Position – familiäre Folgen – sozialer Abstieg – Vorläufer-Phase – Verhaltensstörung – Fehlverhalten – erbliche Belastung – Untersuchungsinstrumente – Diagnose-Skalen – Krankheitsdisposition – Zwillingsforschung – Schwangerschaftserkrankungen – Geburtsstörungen – Sauerstoffmangel – Hirnentzündung – Gehirninfektionen – Geburtstermin – Stadt-Land-Verteilung – Rauschdrogenkonsum – Cannabis-Missbrauch – Haschisch-/Marihuana-Missbrauch – Östrogen-Einfluss – weibliche Sexual­hormone – Neurotransmitter – Botenstoffe – Dopamin – Serotonin – Filter­störung – Störung der Informationsverarbeitung – kognitive Störungen – Knick in der Lebenskurve – Nervosität – seelische Labilität – Merk- und Konzentra­tionsschwäche – Zerstreutheit – geistige Absorption – Verlangsamung – Ent­schlussunfähigkeit – Antriebslosigkeit – Miss-Stimmung – Reizbarkeit – Aggressivität – Feindseligkeit – Schlafstörungen – Leistungsabfall – Genuss­unfähigkeit – Freudlosigkeit – Schwermut – innere Leere – Ungeselligkeit – innerseelisches Erkalten – sozialer Rückzug – Isolationsgefahr – Selbstver­sunkenheit – wirklichkeitsfremde Interesse (religiös, mystisch, philosophisch, gesellschaftspolitisch u. a.) – innere Orientierungslosigkeit – Ratlosigkeit – Beeinflussbarkeit – Sekten-Gefahr – sexuelle Störung – Distanzlosigkeit – Taktlosigkeit – Überheblichkeit – Arroganz – Schüchternheit – Angst – Resig­nation – Todesphantasien – Suizidgefahr – Selbsttötungspläne – Stress – Überforderung – Erschöpfung – Operationen – Wochenbett – Schlafmangel – Alkoholexzesse – Rauschdrogenkonsum – einschneidende Lebensereignisse – life-events – expressed emotion (EE)-Klima – Bevormundung – Überbehü­tung – Kritikneigung – feindselige Ablehnung durch Angehörige u. a. – Angst und Unbehagen vor zu viel Nähe und Menschen – Zwangsgedanken – Zwangshandlungen – Wahn – Sinnestäuschungen – Halluzinationen – Selbst­gespräche – Früh-Intervention – Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodell – Neuroleptika – Antipsychotika – Psychopharmaka – Antidepressiva – Psychostimulanzien – Weckmittel – Psychoedukation – Verhaltenstherapie – Stress-Management – Problemlöse-Training – soziotherapeutische Korrek­turen – Einzeltherapie – Gruppentherapie – kognitives Training – Familien­beratung – Aufklärung – Stress-Entlastung – gemeinsame Krisen-Bewältigung – Konfliktlösung – Laien-Kompetenz – u. a. m.

 

 

„Schizophrenie, das heißt doch Spaltungsirresein. Das sind Geisteskranke, die hören, sehen, schmecken und fühlen Dinge, die ihnen nur ihr krankes Gehirn aufzwingt, die es in Wirklichkeit aber gar nicht gibt“.

 

Das ist die am weitesten verbreitete Laienvorstellung, die nebenbei nicht falsch ist, nur einseitig. Und hier liegt das Problem, und zwar nicht nur in gesellschaftlicher, sondern auch in diagnostischer Hinsicht. Wer nämlich nur auf so spektakuläre Krankheitszeichen wie Sinnestäuschungen, Wahn und groteske Äußerlichkeiten fixiert ist, muss zwangsläufig jene Symptome über­sehen, die weniger Aufsehen erregen. Und das ist die Mehrzahl.

 

Dazu kommt ein sonderbares Phänomen, das man schon früher den „Gestalt­wandel seelischer Symptome oder Erkrankungen“ nennt. Dabei sind die auf­sehenerregenden Symptome seltener, dezente, aber keineswegs weniger be­einträchtigende Krankheitszeichen häufiger geworden.

 

Auf was gilt es nun beim möglichen Ausbruch einer schizophrenen Psychose (Geisteskrankheit) zu achten? Nachfolgend einige Hinweise aus dem „psychi­atrischen Alltag“, der vor allem ergänzt wird durch die Beobachtungen der An­gehörigen, Freunde, Nachbarn und Berufskollegen. Zuvor aber einige aktuelle wissenschaftliche Daten:

 

 

l SCHIZOPHRENIE HEUTE

 

Depressionen, psychosomatische und Angst-Störungen gehören heute zu den häufigsten seelischen Erkrankungen, d. h. beeinträchtigen Millionen von Mit­bürgern, wobei im Umfeld die jeweilige Not gar nicht so deutlich wird (und den Betroffenen oftmals selber nicht klar ist, was sie haben – monate- oder jahre­lang). Schizophrene Psychosen hingegen, die früher die psychiatrischen Krankenhäuser füllten und zu den wichtigsten Kapiteln der psychiatrischen Lehrbücher zählten, sie sind heute kein Thema (mehr) – wenn man nur die nüchternen Zahlen berücksichtigt. Aber das kann täuschen.

 

Sicherlich, die so genannte Lebenszeitprävalenz (s: u.) beträgt „nur“ 1% der Bevölkerung (also etwa 1 Million aus dem deutschsprachigen Bereich, dann aber immerhin rund 60 Millionen auf dieser Erde). Und die Inzidenz (s. u.) liegt bei „lediglich“ 15 bis 20 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner im Jahr.

 

Prävalenz und Inzidenz

 

     Unter Inzidenz versteht man die Neuerkrankungsziffer, d. h. die Häufigkeit des Neuauftretens einer bestimmten Krankheit in einer bestimmten Zeiteinheit, meistens ein Jahr.

 

     Prävalenz ist die Häufigkeit einer Krankheit zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einer bestimmten Zeitperiode. Unter lebenslanger Prävalenz oder Lebenszeitprävalenz wird die Wahrscheinlichkeit verstanden, mit der eine Person mit mittlerer Lebensdauer eine bestimmte Krankheit bekommen kann. Im Grunde wird hierbei die Inzidenz (s. o.) gemessen, wobei als Zeitraum das ganze menschliche Leben zählt.

 

 

Das Problem liegt aber auf einer anderen Seite: Schizophrene Psychosen werden vor allem aufgrund ihres frühen Erkrankungsalters bedeutsam.

 

Ge­samthaft gesehen spielt sich dies zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr als Kernalter ab, jedoch mit einem Schwerpunkt männ­licher Betroffener zwischen dem 10. und 24. Lebensjahr und bei Frauen eher in den mittleren Lebensjahr­zehnten. (Interessanterweise sollen zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr dann plötzlich mehr Mädchen als Jungen erkranken. Dies legt die Hypothese nahe, dass Hormone am Krankheitsprozess beteiligt sind – siehe später.)

 

Weitere entscheidende Faktoren sind der individuelle Leidensdruck, wirtschaft­liche und gesellschaftliche Folgen, was vor allem auf die Dauer der Krankheit und hier insbesondere die Gefahr der Chronifizierung („lebenslang“) zurück­geht. Letzteres trifft etwa ein Drittel aller schizophren Betroffenen.

 

Zwar sollten wirtschaftliche Aspekte bei einer Krankheit und hier nicht zuletzt bei einer lebensgeschichtlich so beeinträchtigenden wie der Schizophrenie keine Rolle spielen. Doch das hat sich gründlich geändert. Die Kosten stehen inzwischen im Mittelpunkt aller Diskussionen, früher verschämt, heute unver­blümt bis „gnadenlos“. Und die sind beträchtlich, und zwar nicht nur für die Solidargemeinschaft, was medizinische Betreuung, vielleicht sogar ein oder mehrere Klinikaufenthalte anbelangt, sondern auch für den Patienten und seine Familie. Mindestens ein Drittel der Betroffenen kann nicht für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen. Und zwei Drittel der betreuenden Angehöri­gen sind selber seelisch so stark belastet bis beeinträchtigt, dass auch hier Kosten in jeder Form entstehen, von dem persönlichen Leid ganz zu schwei­gen.

 

 

Schizophrene Störungen

nach den tonangebenden Klassifikationen (modifiziert)

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  Internationale Klassifikation seelischer Störungen (ICD-10) der Welt­gesundheitsorganisation (WHO)

 

    mindestens ein Symptom:

 

  -   Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedanken­ausbreitung

 

  -   Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Wahnwahrnehmung, Gefühl des Ge­machten

 

  -   kommentierende oder dialogische (Rede- und Gegenrede) Stimmen

 

  -   bizarrer Wahn, z. B. mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen

 

    oder mindestens zwei der folgenden Symptome:

 

  -   anhaltende Halluzinationen (Sinnestäuschungen, Trugwahrnehmungen) jeder Sinnesmodalität (optisch, akustisch usw.)

 

  -   Neologismen (Wortneubildungen), Gedankenabreißen, Zerfahrenheit

 

  -   katatone Symptome wie Haltungsstereotypien und wächserne Biegsam­keit, Mutismus (Verstummen), Stupor (seelisch-körperliche Erstarrung), Negativismus (das Gegenteil vom Geforderten tun)

 

  -   Negativsymptome wie Apathie, Sprachverarmung, Affekt (Gemüts-) verfla­chung

 

  während der meisten Zeit innerhalb eines Monats

 

 

  Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen in 4. überarbeiteter Auflage (DSM-IV-TR) der Amerikanischen Psychiatri­schen Vereinigung (APA)

 

    charakteristische Symptome: mindestens zwei der folgenden, jedes beste­hend für einen erheblichen Teil einer Zeitspanne von einem Monat (oder weniger falls erfolgreich behandelt):

 

  -   Wahn

 

  -   Halluzinationen (Sinnestäuschungen, Trugwahrnehmungen)

 

  -   desorganisierte Sprechweise (z. B. häufiges Entgleisen oder Zerfahren­heit)

 

  -   grob desorganisiertes oder katatones Verhalten (katatoner Typus: Unbe­weglichkeit einschließlich wächserner Biegsamkeit oder Stupor (seelisch-körperliche Erstarrung), übermäßige Bewegungsaktivität, extremer Nega­ti­vismus (offensichtlich grundloser Widerstand gegenüber allen Aufforde­rungen oder Beibehaltung einer starren Haltung gegenüber Versuchen, bewegt zu werden) oder Mutismus (Verstummen), merkwürdige Willkür­bewegungen, stereotype Bewegungsabläufe, ausgeprägte Manie­rismen (sonderbar verschrobene Gewohnheiten in Mimik, Sprache und Bewe­gung), Echolalie oder Echopraxis (Nachsprechen, Nachahmen u.a.)

 

  -   negative Symptome, d. h. flacher Affekt (unzureichendes gemütsmäßi­ges Ansprechen), Alogie (Unfähigkeit, richtige Sätze zu bilden) oder Willens­schwäche

 

 

Letztlich werden allein in Deutschland über 3 Milliarden Euro pro Jahr für die Versorgung mit Menschen aufgebracht, die an einer Schizophrenie leiden (da­bei sterben noch 10% dieser Patienten „vor der Zeit“ von eigener Hand und zwar oft noch in den „besten Jahren“).

 

Unter diesem Aspekt stellt sich natürlich die Frage: Was kann man tun zur Früh-Erkennung und Früh-Intervention schizophrener Störungen? Das ist auch das Thema weltweiter Forschung, seit Jahrzehnten. Also müsste man auch annehmen, dass hier inzwischen etwas Fundiertes, Praxisrelevantes, das Leid (und nebenbei auch die Kosten) Senkendes dabei herausgekommen ist. Doch das Ergebnis hält sich in Grenzen. Warum und was weiß man wenigstens halbwegs sicher?

 

 

l WIE KÜNDIGT SICH EINE SCHIZOPHRENE ERSTERKRANKUNG AN?

 

Wie äußert sich nun das Leidensbild einer schizophrenen Erkrankung zu Beginn und noch wichtiger: Gibt es spezielle Symptome im Vorfeld, vielleicht sogar Warn- oder Alarmsignale? Das wäre ja entscheidend für die alte Er­kenntnis: je früher erkannt, desto schneller und gezielter behandelt, umso erfolgreicher die Therapie – vor allem langfristig.

 

Nun gilt es hier einige Hürden zu überwinden, die unverändert die Früherken­nung behindern. Das ist zum einen der mangelnde Kenntnisstand der Allge­meinheit bzw. das übliche Informationsdefizit was Gesundheit bzw. Krankheit im Allgemeinen und seelische Störungen im Speziellen anbelangt (zu Letzte­rem das Zitat: „Wer will sich auch mit so etwas freiwillig beschäftigen, ohne dazu gezwungen worden zu sein...“).

 

Im Falle psychischer Erkrankungen und der Schizophrenie im Besonderen kommen aber noch weitere Hindernisse dazu, seelische bzw. psychosoziale:

 

     Als Erstes gehört dazu die Scham. Sie findet sich in keinem Lehrbuch aus­führlicher dargestellt, gewinnt aber inzwischen auch öffentlich an Bedeutung, und zwar durch die Angehörigen, die darauf hinweisen: Wer sich schämt, pflegt sich nicht zu öffnen, sondern zu verstecken. Und wer durch absonder­liche Verhaltensweisen auffällt, ganz besonders.

 

     Neben der Scham aber sind es vor allem Resignation, Niedergeschlagen­heit, ja Hoffnungslosigkeit. Und manchmal auch Reizbarkeit, Aggressivität oder gar verzweifelt-feindselige Reaktionen (z. B. bei Vorhaltungen durch die Angehörigen, Freunde, Nachbarn oder Kollegen bzw. beim Arzt, wenn er es beispielsweise wagen sollte, eine solche Diagnose zu stellen).

 

Einzelheiten würden hier zu weit führen, doch wird eines deutlich: Hier liegt der Beginn einer bedauerlichen, weil folgenschweren Verzögerung (diagnos­tischer und therapeutischer Zeitverlust), wenn auch menschlich verständlich.

 

     Ein weiteres Problem ist mehr wissenschaftlicher Natur: Ja, es gibt so etwas wie „Warnsymptome“ im Vorfeld einer schizophrenen Psychose. Sie sind aber nicht in jedem Falle anzutreffen. Und außerdem sind sie keinesfalls so eindeu­tig in ihrer Aussage und damit präzise nutzbar, wie man das bräuchte, um guten Gewissens eine solche Diagnose auszusprechen. Im Gegenteil: Sie können zu vielerlei passen, von der alltäglichen Befindensschwankung über die vorrübergehende Überforderung bis hin zu ernsten Beeinträchtigungen durch andere Ursachen.

 

Nachfolgend deshalb einige Erkenntnisse zum derzeitigen Stand der Schizo­phrenie-Forschung, beginnend mit einem Kasten zur Diagnose schizophrener Psychosen im Kindes- und Jugendalter, wobei man nach Beschwerdebild, Ersterkrankungs-Alter und Verlaufs-Typ unterscheiden kann.

 

 

Zur Diagnose schizophrener Psychosen

im Kindes- und Jugendalter

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    Nach ihrer Symptomatik (Beschwerdebild) können Psychosen (Geistes­krankheiten) in drei Gruppen eingeteilt werden:

 

  -   Positiv-Typ: Wahnphänomene, Halluzinationen (Sinnestäuschungen) und Desorganisation des Denkens und Handelns

 

  -   Negativ-Typ: Beeinträchtigungen von Antrieb, Motivation und affektiver (ge­mütsmäßiger) Kommunikation sowie Störungen der Kontaktaufnahme und Rückzugsneigung

 

  -   Misch-Typ: Beide Beschwerdebilder mit unterschiedlichem Schwerpunkt zusammen, denn reine Positiv- oder Negativ-Psychosen sind selten, ge­rade im Jugendalter

 

    Differenziert man nach dem Manifestations-Alter (Alter bei Ersterkran­kung) dann lassen sich vier Gruppen unterscheiden:

 

  -   Gruppe 1: autistische und frühkindliche motorische Manifestationsformen, die bis zum 3. Lebensjahr beschrieben werden

 

  -   Gruppe 2: einige Formen tiefgreifender kindlicher Entwicklungsstörungen mit fraglichem Zusammenhang zur Schizophrenie (Beispiele: Dementia infantilis, Asperger-Syndrom – Einzelheiten siehe Fachliteratur)

 

  -   Gruppe 3: Psychosen der späteren Kindheit und Vor-Pubertät mit klarem Zusammenhang zur Schizophrenie

 

  -   Gruppe 4: adoleszente Schizophrenien (im Jugendalter) mit Beginn in Pu­bertät und Adoleszenz, die sich wie Erwachsenen-Schizophrenien äußern (nach H. Remschmidt)

 

    Will man nach zeitlichem Verlaufs-Typ unterscheiden, so gibt es die

 

  -   sehr früh beginnenden Psychosen, die vor dem 13. Lebensjahr ihren An­fang nehmen

 

  -   früh beginnende Psychosen, die noch vor dem abgeschlossenen 18. Le­bensjahr auftreten (nach Werry u. Mitarb.).

 

  In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass sich beispielsweise ein wahnhaftes Beschwerdebild vor dem 4. Lebensjahr noch nicht ausbilden kann, also auch keine Beziehungs-, Verfolgungs- und Beeinträchtigungs­ideen. Denn bis dahin kann sich das Kind noch nicht richtig in andere Perso­nen und deren Absichten hineinversetzen, weshalb die Unterscheidung zwi­schen Fantasie und Wirklichkeit noch unsicher bleibt.

 

 

 

Früherkennung schizophrener Störungen – eine aktuelle Übersicht

 

Über die „beginnende Schizophrenie“ wurde schon vor 100 Jahren wissen­schaftlich diskutiert. Konkrete Hinweise fasste der Psychiater Prof. Dr. K. Conrad vor etwa halben Jahrhundert in seiner viel zitierten Untersuchung zusammen: Die beginnende Schizophrenie (1958). Sie vermittelte erste Über­legungen (siehe Kasten), war allerdings auf junge Männer beschränkt.

 

Die beginnende Schizophrenie aus früherer Sicht

 

Beginn mit einer Art „Lampenfieber“ mit Depressivität, Ängsten und Schuld­erleben. Übergang in eine Wahnstimmung mit dem Eindruck der existentiellen bedrohlichen Umweltveränderung bis hin zum wahnhaften Bewusstwerden der Bedeutung dieser krankhaften Veränderungserlebnisse. Damit eindeutiges psychotisches Verhalten, z. B. in Form katatoner Symptome (Erregungs­zustand oder seelisch-körperliche Erstarrung).

 

Neue Untersuchungen, und zwar weltweit, nicht zuletzt von deutschen Arbeits­gruppen, erbrachten vor allem folgende, gesundheitspolitisch alarmierende und individuell unnötig belastende Hinweise:

 

     Es werden beileibe nicht alle schizophren Erkrankten (als solche) diagnosti­ziert und konsequent behandelt.

 

     Es dauert im Mittel etwa 5 Jahre, in denen man sich über die noch nicht psychotischen Verhaltensweisen wundert bzw. darunter zu leiden hat (und zwar nicht nur der noch nicht als solcher erkannte Patient, auch seine Umge­bung, insbesondere die Angehörigen).

 

     Selbst wenn bereits psychotische Symptome aufgetreten sind (z. B. Sinnes­täuschungen, Wahn, Ich-Störungen), dauert es im Schnitt immer noch ein Jahr und mehr, ehe unter den heute optimalen Versorgungsbedingungen ein erster Behandlungskontakt zustande kommt (von einer konsequenten Therapie ganz zu schweigen – s.o.).

 

Nun könnte man meinen, dass es nicht so sehr auf eine Früh-Erkennung ankommt, wenn der Betroffene wenigstens irgendwann einmal in fachliche Hände gerät und gezielt behandelt wird. Doch das ist eine weitere, und zwar tragische Erkenntnis:

 

Je später erkannt, akzeptiert und gezielt behandelt (falls überhaupt), desto eher droht auch der soziale Abstieg.

 

In dieser unserer Zeit und Gesellschaft wird niemandem etwas geschenkt. Selbst wer finanziell abgesichert ist, kann gesellschaftlich einbrechen. Und dass die Hilfsmöglichkeiten umso begrenzter sind, je geringer der soziale Status, ist eine alte Erkenntnis. Es gilt also den gesellschaftlichen und beruflichen Stand so lange wie möglich zu halten. Und genau dies ist bei schizophren Erkrankten kaum gegeben, im Gegenteil.

 

     Schuld daran ist vor allem eine zu späte Diagnose und damit verschleppte Therapie. Denn der soziale Abstieg vieler Schizophrenie-Patienten droht nicht erst als Folge der psychotisch irritierenden Episode (wie erwähnt: Wahn, Sinnestäuschungen, auffälliges Verhalten u. a.), sondern bereits (lange?) vor dem ersten psychotischen Symptom überhaupt.

 

Zum Zeitpunkt solcher Früh-Hinweise (sofern erkannt, richtig bewertet und sofort einem Facharzt zugeführt) unterscheiden sich Schizophrene noch nicht von gesunden Kontrollpersonen aus der Allgemeinbevölkerung. Zum Zeitpunkt der Erstaufnahme in einer psychiatrischen Fachklinik hingegen sind sie in den meisten „sozialen Rollen“ (Fachbegriff) deutlich zurückgefallen. So haben sie beispielsweise seltener eine ihrer geistigen Ausgangslage entsprechende Schul- oder Berufsausbildung und damit auch seltener ein eigenes Einkom­men und eine eigene Wohnung. Und vor allem deutlich (!) seltener eine trag­fähige Partnerschaft, die sie wohl am nötigsten hätten, insbesondere wenn das Elternhaus und sonstige Angehörige nicht mehr zur Verfügung stehen (wollen).

 

„Schuld“ am sozialen Abstieg eines an Schizophrenie erkrankten Menschen ist nicht so sehr die Schizophrenie an sich (die heute durch einen Gesamt-Behandlungsplan mittels Neuroleptika, Psycho- und Soziotherapie erstaunlich gut in den Griff zu bekommen ist), Schuld ist vor allem die „unerkannte“ schizophrene Vorläufer-Phase zwischen den ersten (vielleicht nur subjektiven) Belastungen und den ersten (auch anderen langsam auffallenden) Verhal­tensstörungen.

 

Und das ist – wohlgemerkt – keine kurze Zeitspanne, das sind Jahre, sinnlos und zwar verhängnisvoll sinnlos vergeudete Jahre nicht genutzter Früh-Erkennung und insbesondere Früh-Behandlung.

 

Und noch ein weiterer Faktor unterstreicht diesen unseligen Zeitverlust:

 

     Die Dauer der unbehandelten psychotischen Erkrankung ist rückblickend ein guter Prädiktor (Vorhersage-Kriterium) eines ungünstigen weiteren Krankheits-Verlaufs. Oder kurz:

 

Je länger im Früh-Stadium unbehandelt, desto schlechter die Heilungsaus­sichten.

 

Ob sich dies nur auf die erste psychotische Episode bezieht oder auch den ganzen restlichen Lebensweg belastet, wird derzeit wissenschaftlich noch untersucht. Doch es spricht schon jetzt einiges dafür, dass sich eine Früh-Erkennung und -Behandlung auch heilsam auf das gesamte übrige Leben auszuwirken vermag: Leidensweg oder seelisch, körperlich und psychosozial (zumindest halbwegs) stabil?

 

 

Welches sind die wichtigsten Ursachen und Vorposten-Symptome aus wissenschaftlicher Sicht?

 

Der Übergang von (bisher vielleicht kaum wahrnehmbaren) ersten Krankheits­zeichen in eine schließlich allseits erkennbare schizophrene Psychose kann auch mit den heutigen wissenschaftlichen Möglichkeiten nur mit einer gewis­sen Wahrscheinlichkeit beschrieben und damit vorgesagt werden:

 

Die häufigsten Prodromal- und Vorposten-Symptome (Erklärung siehe Kasten) sind entweder unspezifisch (also können auf alles mögliche zurückgehen) oder bereits psychose-nah. Mit Letzteren bezeichnet man jene Symptome, die nicht mehr für ein „normales, gesundes Empfinden“ nachvollziehbar sind, sondern schon grenzwertigen bis auffälligen seelischen Beeinträchtigungen entsprechen. Denn jene Vorposten-Symptome, die man mit einiger Sicherheit als spezifisch psychotisch bezeichnen und damit als eindeutige Warn-Hinweise nutzen könnte, sind vergleichsweise selten.

 

Nachfolgend im Kasten einige Hinweise auf entsprechende schizophrene Vorstadien, wie sie die Wissenschaftler in ihrer Fachsprache publiziert haben. Danach eine Übersicht im laufenden Text.

 

 

Prodrome und Vorposten-Symptome aus internationalen Studien (in der psychiatrischen Fachsprache)

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    Prodrome werden als Vorstadien bezeichnet. Die Dauer geht von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren.

 

    Vorpostensymptome sind Krankheitszeichen in solchen Vorstadien, die aber nicht bis zur Ausbildung eines schizophrenen Vollbildes voranschrei­ten, sondern sich rasch wieder zurückbilden (nach G. Huber und G. Gross).

 

-       In einer US-amerikanischen Untersuchung wurden die kindlichen Schizo­phrenie-Erkrankungen rückwirkend untersucht, wobei man in einem hohen Prozentsatz motorische Entwicklungsverzögerungen und Defizite in der motorischen Koordination fand, und zwar mehrheitlich mit schleichendem Beginn. Dort, wo bereits zwischen dem 7. und 9. Lebensjahr psychotische Symptome auftraten, zeigten sich im Vorfeld vor allem autistoide (also dem Autismus ähnliche) Verhaltensweisen mit Auffälligkeiten der Sprache und einem Mangel an sozialer Responsivität. Jene Kinder, die im Alter von 9 bis 11 Jahren psychotisch wurden, fielen vor allem durch soziale Beeinträchti­gungen, durch Ängstlichkeit, Irritabilität und eine Reduktion des affektiven Ausdrucks auf und zeigten magische Denkweisen, d. h. erlebten Objekte der dinglichen Umgebung beseelt oder glaubten, Natur und Wetter oder an­dere Menschen durch Geisteskräfte beeinflussen zu können. Auch depres­sive Symptome und paranoide Bereitschaft (verstärktes Misstrauen unter der Annahme permanenter Bedrohung) im Vorfeld konnten nachgewiesen werden (nach R. Nicolson u. J.L. Rapoport, 1999).

 

-       In einer anderen angelsächsischen Untersuchung wurden Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit, von Antrieb und Motivation, ferner Schlafbeeinträchtigungen, Angstzustände, sozialer Rückzug, Misstrauen, Leistungsknick in schulischen und beruflichen Belangen sowie eine erhöhte Irritabilität genannt (A.R. Yung und P.D. McGorry, 1996). Wie im Erwachse­nenalter würden sich auch im Kindes- und Jugendalter zuerst Negativ-, schließlich auch Positiv-Symptome finden, bis sich zuletzt das Vollbild der Psychose entwickle.

 

-       Noch konkreter werden die Experten, wenn sie zwei typische Muster prodromaler Phänomene nachweisen:

 

-       -   Das erste Muster sei charakterisiert durch unspezifische Veränderungen des Erlebens und Verhaltens (so genannte pseudoneurotische Phäno­mene), danach spezifischere präpsychotische Symptome, die sowohl Energieeinbußen, Rückzug als auch Unruhe und Gespanntheit einschlie­ßen. Zuletzt komme es zu Symptomen des Misstrauens und zunehmen­der kognitiver Beeinträchtigungen (nach D.E. Cameron, 1938, bestätigt durch A.R. Yung und P.D. McGorry, 1996).

 

-       -   Beim zweiten Muster würden zuerst spezifische subjektive Veränderun­gen auftreten, beispielsweise Störungen der Aufmerksamkeit, der Wahr­nehmung und weitere kognitive Beeinträchtigungen, die durch reaktive Negativ-Symptome begleitet seien und erst sekundär ein pseudoneuro­tisches Verhalten nach sich zögen. Erst in einem dritten Schritt komme es dann zum Auftreten psychotischer Phänomene (nach J.P. Chapmann, 1966).

 

-       Die so genannte Übergangsreihen-Hypothese erklärt die kindliche Psy­chose im Rahmen eines Prozesses zunehmender Irritation. Es beginnt mit Basissymptomen, also subjektiven Beschwerden und Veränderungen der Erlebnisweise aus dem Bereich der Negativ-Symptomatik, der kognitiven Beeinträchtigungen sowie der zönästhetischen und vegetativen Beschwer­debilder. Sie sind die erste Manifestation des beginnenden psychotischen Prozesses. Solche Basissymptome wären beispielsweise rasche Erschöpf­barkeit, Konzentrationsschwäche, Lärmempfindlichkeit, Herzklopfen, Schlaf­störungen oder hypochondrische Beschwerden.

 

    Mit zunehmender Irritation und vor allem durch Erhöhung der affektiven (Gemüts-)Spannung werden aus solchen uncharakteristischen Basis­symptomen schließlich schizophrenie-charakteristische Basissymptome wie formale Denkstörungen, Gedankenblockaden, Wahrnehmungsstörungen, Störungen des Handlungsablaufs oder zönästhetische Körpermissempfin­dungen.

 

    Schreitet dieser psychotische Prozess weiter voran, dann drohen Entfrem­dungserlebnisse gegenüber der eigenen Person (Depersonalisation) oder gegenüber der Umwelt (Derealisation). Schließlich auch infolge unerträglich zunehmender affektiver Spannungen psychotische Erlebnisweisen im Sinne von Halluzinationen, Wahnwahrnehmungen und anderen Positiv-Sympto­men (nach G. Huber, 1983, G. Huber und G. Gross, 1997 und J. Kloster­kötter, 1988, 2001).

 

-       Als häufigste Symptome im Rahmen einer ersten schizophrenen Episode finden sich nach neuen Untersuchungen vor allem affektive Schwankungen, bizarres Verhalten, Anhedonie, Apathie sowie - deutlich seltener - Wahn­inhalte und Halluzinationen. Dazu formale Denkstörungen, depressive Stimmungslage und Sprachverarmung (H. Remschmidt, 2001).

 

-       In einer weiteren neueren Untersuchung beginnt eine kindliche Schizo­phrenie mit defizitärer Sprach- und verzögerten motorischer Entwicklung, setzt sich auf der Ebene der Entwicklungsstörungen mit Sprachproblemen und Schulleistungsschwäche fort und geht über in Stimmungslabilität, Un­selbständigkeit, grundlose Affektdurchbrüche, in Tagträumereien, Hyper­aktivität, Impulsivität und Konzentrationsstörung und endet schließlich in einem Mangel an altersentsprechender sozialer Kompetenz, in unlogischem Denken, inadäquatem Affekt und zuletzt Halluzinationen und Wahn (nach R.F. Asarnow und C. Karatekin, 2001).

 

Weitere Literaturhinweise in H. Remschmidt (Hrsg.): Schizophrene Erkrankun­gen im Kindes- und Jugendalter. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2004

 

 

Als früheste Krankheitszeichen erinnern sich rückwirkend schizophren Er­krankte am häufigsten an lästige bis bereits quälende Zustände von Nervosi­tät, Deprimiertheit, an Ängste, ungewöhnliche Energielosigkeit mit Leistungs­einbruch, an hartnäckige Selbstzweifel und sozialen Rückzug.

 

So etwas mag sich zwar überzeugend anhören, ist es aber nicht. Denn das sind im Grunde „Allerwelts-Beeinträchtigungen“, wie sie fast jeder kennt, ohne später natürlich schizophren geworden zu sein. Deshalb deckt sich diese „frühe Symptom-Liste“ auch weitgehend mit den Ergebnissen einer Reprä­sentativ-Befragung unter gesunden Studenten in Deutschland: Dort äußerte jeder Vierte psychische Probleme und dabei am häufigsten jene Symptome, die auch später an Schizophrenie Erkrankte als früheste Anzeichen nennen.

 

Damit sind solche Hinweise – zumindest wissenschaftlich gesehen – kaum nutzbar. Ähnliches gilt auch für das weltweit am meisten verbreitete Diagnose-Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA), das DSM-IV-TR. Dort werden als Vorposten-Symptome unter anderem absonderliches Verhalten, Denken oder Erscheinungsbild, abgestumpfter, verflachter oder inadäquater Affekt (Gemütslage) u. a. genannt. Das hört sich zwar schwer­wiegend an, bleibt aber wissenschaftlich ebenfalls unergiebig, weil ohne konkreten Hinweiswert. Man spricht von einem Drittel falsch positiver und von einem Viertel falsch negativer diagnostischer Zuordnungen. Oder auf deutsch: In mehr als der Hälfte der untersuchten Klienten ließ sich damit keine sichere Schizophrenie-Diagnose stellen.

 

Damit muss zumindest derzeit hingenommen werden, dass es letztlich kein Diagnose-Instrument gibt (z. B. Frage-Bogen), das eine Schizophrenie im Vorfeld mit der erwünschten Sicherheit und Treffschärfe erkennen und damit therapeutisch rechtzeitig lindern lässt (Einzelheiten zu zwei solcher Erhe­bungsbogen siehe später). Doch dies sollte nicht resignieren lassen. Denn gerade die Schizophrenie ist ein mehrschichtiges Leiden, was ihre Ursachen anbelangt (siehe später). Deshalb ist sie auch nicht mit noch so komplizierten und schon gar nicht mit einfachen Fragen zu diagnostizieren. Und nebenbei auch nicht mit den modernsten technischen Untersuchungsmethoden (s. u.). Man muss es einfach auf mehreren Ebenen versuchen. Und damit kommt man schon weiter. Was heißt dies?

 

So hat man beispielsweise Risiko-Gruppen gebildet, bei denen verschiedene seelische, körperliche und psychosoziale Belastungen zusammenkommen und damit letztlich für den Ausbruch einer Psychose verantwortlich gemacht werden können. Im Einzelnen (nach H. Häfner u. a.):

 

1.        Bei einer ersten Risiko-Gruppe ist es vor allem die genetische (erbliche) Belastung, die eine spätere Schizophrenie befürchten lässt. Familienstudien können nämlich belegen, dass mit zunehmender genetischer Übereinstimmung von Familienangehörigen auch die so genannte Konkordanzrate (Übereinstimmung, in diesem Fall übereinstimmende Merkmale) für Schizophrenie steigt. Bei eineiigen Zwillingen beispielsweise bis auf 50%. Bei anderen Verwandten ersten Grades liegen die Daten allerdings unter 10% und damit weit weniger aussagekräftig. Hier müssen dann andere Belastungsfaktoren hinzukom­men (beispielsweise ein deutlicher „Leistungsknick“ im Leben des Betreffenden: „von da an ging’s bergab, da brachte ich nichts mehr zustande“).

 

Was dann allerdings einen solchen Leistungs-Einbruch ausgelöst oder nach sich gezo­gen hat, ist wiederum ein anderes Problem. Hier gilt es deshalb auch Ursache und Folge auseinander zuhalten. Als Ursache könnte deshalb eine psychosoziale Belastung gelten (vor allem zwischenmenschlich, also partnerschaftlich, familiär oder beruflich, manchmal auch ein Unfall, eine Erkrankung u. a.).

 

2.        Eine zweite Risiko-Gruppe bilden offenbar Personen mit milden psychotischen Sympto­men, beispielsweise immer wiederkehrende Beziehungsideen („was will dieser oder je­ner von mir“, „was bedeutet denn das schon wieder“, „das fällt mir jetzt aber doch immer wieder auf?“) sowie Misstrauen, aber ohne eindeutigen Wahn-Charakter. Hier handelt es sich also um ein reines, wenn auch noch nicht besonders auffälliges (Fehl-)Verhalten, von einer möglichen Ursache (z. B. erbliche Belastung, zwischenmenschliche Aus­einandersetzungen) ist nicht die Rede.

 

3.        Eine dritte Risiko-Gruppe fällt vor allem durch immer wieder auftretende psychotische Symptome (als beispielsweise Wahn, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen) auf, aller­dings von nur kurzer Dauer. Beispiele: akustische Halluzinationen (Gehörs-Sinnestäu­schungen) oder Verfolgungswahn für nur wenige Stunden, was aber nicht durch Rauschdrogen u. ä. provoziert sein darf (das wäre dann eine so genannte pharma­kogene oder Intoxikations-Ursache im Rahmen einer „Vergiftungs-Psychose“).

 

 

Fasst man diese drei Risiko-Gruppen aus unterschiedlichen Beurteilungs­ebenen zusammen, kann man davon ausgehen, dass bis zu 40% der auf­fälligen Betroffenen innerhalb von 6 Monaten in eine eindeutige schizophrene Psychose geraten. Vier von zehn Patienten, das ist allerdings kein umwerfen­der prognostischer Wert, was die notwendige Voraussage-Möglichkeiten anbelangt. Deshalb müssen die Wissenschaftler resigniert eingestehen: Eine 100%ige Sicherheit liegt noch in weiter Ferne.

 

Das lässt sich auch offensichtlich nicht dadurch verbessern, dass man die Zahl der möglichen Warn-Symptome drastisch erhöht. So gibt es inzwischen Untersuchungsinstrumente bzw. Diagnose-Skalen, die Dutzende von Sympto­men berücksichtigen, was einen erheblichen (fachärztlichen) Aufwand erfor­dert, die Treffsicherheit aber nicht unbedingt befriedigend verbessert. Auch hier herrscht also noch Forschungsbedarf.

 

Eines allerdings wird bei allen Mess-Instrumenten deutlich (und natürlich schon lange zuvor den Angehörigen, Freunden, Lehrern, Lehrherrn und Mit­arbeitern): die so genannten kognitiven Defizite (vom lateinischen: cognoscere = erkennen). Dabei handelt es sich aber nicht nur um intellektuelle Einbußen, wie sie beispielsweise bei einer Alzheimer-Demenz auffallen, sondern auch um so komplizierte Symptome wie (in Fachbegriffen, Einzelheiten siehe Fach­literatur):

 

Gedankeninterferenzen, Gedankenperserverieren, Gedankendrängen, gestör­te Diskrimination von Vorstellung und Wahrnehmung, Störung der rezeptiven Sprache, ferner Derealisationserleben, optische und akustische Wahrneh­mungsstörungen u. a.

 

Es gilt also möglichst viele Informationsquellen zu nutzen. Nachfolgend des­halb eine Übersicht im Kasten, wie sie von den Schizophrenieforschern zum Thema „Risiko und Schutzfaktoren“ nach dem derzeitigen Stand der Wissen­schaft zusammengefasst wird:

 

 

Risiko- und Schutzfaktoren für Schizophrenie

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-   Frühe Risikofaktoren tragen zur Verursachung einer Krankheitsdisposition (Erkrankungsneigung) bei, späte Risikofaktoren führen zur Auslösung der Krankheit bei entsprechend disponierten Personen.

 

-   Die wichtigsten Risikofaktoren sind familiäre Belastung mit Schizophrenie und schizophrenie-ähnlichen Erkrankungen. Das Lebenszeitrisiko wächst von knapp 1% bei Personen ohne familiäre Belastung auf knapp 50% bei eineiigen Zwillingen. Je älter der Patient beim Ausbruch seiner Schizo­phrenie (Fachbegriff: Spätschizophrenie), desto geringer ist die genetische (Erb-)Belastung.

 

-   Die wichtigsten Umweltfaktoren, die das Krankheitsrisiko schon im Mutter­leib erhöhen können, sind fieberhafte Erkrankungen, Blutungen oder Pla­zenta (Mutterkuchen-)-Anomalien in der Schwangerschaft, die zum Sauer­stoffmangel beim Ungeborenen führen. Sauerstoffmangel beim Neugebore­nen haben einen ähnlichen Effekt. Das Gleiche gilt für Hirnentzündungen durch Viren oder Bakterien in der Kindheit. Eine solide Schwangeren- und Geburtsvorsorge wird deshalb auch als Prävention zur Schizophrenie-Erkrankung empfohlen.

 

-   Außerdem findet sich zwar eine geringe, aber doch auffällige und in vielen Studien immer wieder belegte Erhöhung der Erkrankungshäufigkeit für Schizophrenie bei Geburtsterminen zwischen Februar und Mai (auf der Nordhalbkugel der Erde). Dies ist allerdings auch bei anderen Erkrankun­gen möglich. Die Ursachen sind umstritten und wissenschaftlich noch nicht ausdiskutiert (Hitze-Belastung in den warmen Sommermonaten während der ersten Schwangerschaftsphase? Oder?).

 

-   Auch schwere Stressbelastungen während der Schwangerschaft sind schon als erhöhtes Schizophrenie-Risiko für das Kind diskutiert worden, allerdings bisher unbewiesen.

 

-   Erhöhte Erstaufnahme-Raten aus den untersten Sozialschichten und aus schlechten Wohngegenden großer Städte führten früher zur Annahme, die Schizophrenie sei sozial verursacht. Das hat sich aber als Irrtum heraus­gestellt. Die Krankheit beginnt im Mittel 5 bis 6 Jahre vor Erstaufnahme in eine psychiatrische Klinik. Und zu diesem Zeitpunkt stehen die Kranken hinter ihren gleichaltrigen GeschlechtsgenossenInnen sozial noch nicht zurück. Sozialer Abstieg oder Behinderung des Aufstiegs spielen sich überwiegend vor Behandlungsbeginn (also lange, d. h. mehrere Jahre nach dem eindeutigen und nicht therapierten Ausbruch der Psychose) ab.

 

    Die soziale Benachteiligung Schizophrener ist damit nicht die Ursache der Krankheit, sondern die Folge ihres früh ausgebrochenen, aber leider viel zu spät erkannten und damit lange unbehandelten Krankheitsverlaufs.

 

-   Menschen, die in Städten geboren wurden, haben im Vergleich zur Land­bevölkerung eine leicht erhöhte Schizophrenie-Rate. Das Gleiche gilt für farbige Einwanderer aus der Karibik in Großbritannien bzw. aus Surinam in den Niederlanden. Hier wird allerdings eingewandt, es könnte sich um einen reinen Auslesefaktor handeln. Denn Menschen, die an Familie und vertrau­ter Umwelt weniger gebunden sind, neigen möglicherweise verstärkt zur Abwanderung aus ihrer Heimat. Das aber könnte zu einer Veränderung des so genannten „genetischen Pools“ bei Einwanderern und bei städtischen Bevölkerungen mit entsprechendem Zuzug vom Land geführt haben.

 

-   Cannabis-Missbrauch (Haschisch und Marihuana) kann die Krankheit vor­zeitig auslösen. Cannabis-User sind bei Ausbruch der Schizophrenie im Mittel 8 Jahre jünger als drogen-abstinente Personen.

 

-   Starke Spannungen zwischen dem Kranken und seiner unmittelbaren Umwelt erhöhen das Rückfall-, nicht jedoch das Krankheitsrisiko. Das heißt: Bei Erstausbruch sind die Auseinandersetzungen zwar vorhanden, aber nicht krankheits-bahnend. Beim Rückfall (und weil die Angehörigen bei­spielsweise inzwischen besser Bescheid wissen und eine zuverlässige Nachbehandlung anmahnen) wird der Ton schon schärfer, was zusammen mit dem „dünnen Eis“, auf dem der Patient inzwischen steht, offenbar eine nachvollziehbare Mit-Ursache des Rückfalls sein dürfte. Dies umso mehr, also eine als positiv erfahrene Familien-Atmosphäre den Ausbruch einer Schizophrenie zumindest verzögern kann (Erkenntnis von Adoptions-Studien entsprechend belasteter Zwillinge: Der eine im schwierigen, der andere in einem familiären Milieu, das ihn geduldiger und verständnisvoller auffängt).

 

-   Ein bisher unzureichend genutzter Schutzfaktor scheinen die Östrogene (weibliche Sexualhormone) zu sein. Sie wirken auf bestimmte Botenstoffe des Gehirns (z. B. Dopamin und Serotonin) ausgleichend ein, weshalb Frauen vor dem Klimakterium (Wechseljahre) 3 bis 4 Jahre später und oft­mals milder erkranken als Männer.

 

  Zusammenfassung: Schizophrenie ist ein heterogenes (nicht einheitliches) Leiden, dem mehrere Ursachen zugrunde liegen, meist mit weniger bedeut­sam erscheinenden Effekten. Entscheidend ist nach bisheriger Kenntnis offenbar das Zusammenspiel der einzelnen Risiko-Faktoren: genetisch, Schwangerschaft, Geburt, Erkrankungen mit Wirkung auf das Zentrale Nervensystem, Umfeld, frühe oder (zu) späte Diagnose und damit Behand­lung, Verlauf (mit zusätzlichen psychosozialen Belastungs-, aber ggf. auch Entlastungs-Faktoren) u.a.m.

 

Modifiziert nach H. Häfner, newsletter 6 (2002) 3

 

Neben den erwähnen Belastungen werden auch Faktoren diskutiert, die orga­nischer Natur sind, d. h. durch entsprechende Gehirn-Untersuchungen objekti­viert werden können. Hier helfen vor allem bildgebende Verfahren (Fach­begriffe: kraniales CT oder MRT). Sie sind allerdings für sich allein genommen ebenfalls nicht aussagekräftig.

 

Neurophysiologische und neuropsychologische Verfahren zeigen darüber hinaus bei Menschen mit offensichtlicher Schizophrenie Störungen der so ge­nannten Informationsverarbeitung im Gehirn, d. h. von der Reizaufnahme bis hin zu komplexen geistigen Leistungen. Viele dieser Patienten fühlen sich nämlich wie „reizoffen“, „überflutet“ oder „überstimuliert“, erleben sich also äußeren Eindrücken gleichsam schutzlos ausgeliefert. Dieses Phänomen be­zeichnet man als „Filterstörung“, d. h. die Unfähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, das eine zu nutzen und das andere gleichsam „unbewusst gezielt“ zu übersehen – und damit als schädigend oder zumindest belastend auszuschalten.

 

Wer das nicht kann, ist natürlich nach kurzer Zeit so „eingedeckt“ bis „zu­geschüttet“, dass ihm die Kräfte für normale seelische, psychosoziale, ja körperliche Abläufe im Alltags-Geschehen fehlen.

 

 

Die häufigsten Vorposten-Symptome einer beginnenden Schizophrenie aus der Alltags-Sicht

 

Welches sind nun die wichtigsten Vorposten-Symptome einer beginnenden Schizophrenie, wenn man die bisherigen Erkenntnisse in allgemein verständ­licher Sprache auf den Alltag zu übersetzten versucht, trotz aller Mängel was objektivierbare Häufigkeit, zutreffende Aussagekraft usw. anbelangt? Dies vor allem deshalb, weil bei einer Ersterkrankung ja niemand den allseits bisher noch nicht als Erkrankungsbeginn registrierten Verlauf beobachten konnte. Das ist nur bei einem Rückfall möglich, wo man ja bereits durch die Diagnose alarmiert ist und dann gezielt aufpassen kann. Bei einer Ersterkrankung lässt sich so etwas ja nur rückwirkend rekonstruieren, z. B. durch Fremdanamnese (Erinnerungen und Aussagen von Angehörigen u. a.) oder durch entspre­chende Hinweise des Patienten selber (Eigen-Anamnese).

 

Nachfolgend deshalb ein Überblick mit entsprechenden Einschränkungen, was die Wertung solcher nachträglich zusammengetragenen Erst-Symptome anbe­langt:

 

Vorposten-Symptome im weitesten Sinne finden sich bei der Schizophrenie nach Aussage der Angehörigen aber in mindestens einem Drittel aller Fälle. Kurz vor dem eigentlichen, für jedermann nachvollziehbaren Ausbruch der schizophrenen Psychose werden sie immer häufiger. Das Beschwerde-Spektrum solcher Leidenshinweise im Vorfeld kann sich auf nur wenige Monate, aber auch auf mehrere Jahre erstrecken.

 

Die meisten dieser späteren Patienten gelten jedoch bis zum allseits erkenn­baren Durchbruch ihres Leidens als weitgehend unauffällig, was ihr Verhalten und Erleben betrifft. Manche erscheinen sogar mustergültig, ja fast zu be­flissen und brav in Leistung und Betragen. So etwas nannte man früher „Rockzipfel-Kinder“, die lieber bei der Mutter in der Küche blieben oder lange zufrieden mit sich selber spielten als rauszugehen und mit den anderen zu toben.

 

Danach kommt es jedoch zu einem sogenannten „Knick in der Lebenskurve“. Jetzt kann es rasch eskalieren. Oder es gehen längere Phasen langsamer seelischer Änderungen voraus, die schließlich in eindeutige Verhaltensauffäl­ligkeiten münden. In der Mehrzahl sind sie jedoch allgemeiner Natur und las­sen erst einmal an nichts Ernstes denken, auch wenn man sich gelegentlich wundert oder ärgert. Oft normalisieren sie sich auch wieder. Manchmal finden sich die Angehörigen aber auch nur damit ab, teils aus Hilflosigkeit, teils aus der unbewussten Strategie: Was nicht sein darf, kann nicht sein.

 

Welches sind nun die häufigsten Vorposten- und damit Warn-Symptome einer beginnenden Schizophrenie, meist in Form uncharakteristischer und zu allem passender „Allerwelts-Beeinträchtigungen“? Einzelheiten siehe Kasten.

 

 

Die häufigsten Vorposten-Symptome einer beginnenden Schizophrenieã

 

·        Allgemeine Aspekte

 

 Mehr oder weniger plötzlich zunehmende Nervosität und allgemeine seelische Labilität; rasche Ermüdbarkeit; auffällige Merk- und Konzentrationsschwäche, gelegentlich regelrechte Zerstreutheit; erhöhte Beeindruckbarkeit; manchmal „wie völlig absorbiert“ oder „total vereinnahmt“; allgemeine seelische, geistige und sogar körperliche Verlangsamung, bis hin zur unfassbaren Entschlussun­fähigkeit oder Antriebslosigkeit; gehäuft Miss-Stimmungen, Reizbarkeit, ja Aggressivität, nicht zuletzt durch die unbegründete Neigung, alles auf sich selbst zu beziehen; dabei gelegentlich unmotiviert feindseliges Verhalten; Schlafstörungen und „nächtliches Umhergeistern“; wachsende Unfähigkeit, seine Rolle im Alltag auszufüllen, sei es Familie, Haushalt, Nachbarschaft, Schule, Arbeitsplatz u. a. bis hin zu peinlichem Leistungsabfall; grundlose Genussunfähigkeit, ja Freudlosigkeit; ängstlich-gedrückte bis schwermütige Stimmung; Gefühl der inneren Leere, manchmal wie „abgestorben“; schwin­dende Kontaktfähigkeit trotz vorhandenem Kontaktwunsch; dadurch wach­sende Ungeselligkeit, bis zum befremdlichen, ja erschreckenden Erkalten der zwischenmenschlichen Beziehungen zu Eltern, Geschwistern, Partner, Freun­den, sonstigen Angehörigen, Nachbarn, Schul- und Berufskollegen usw.; schließlich sozialer Rückzug und Isolationsgefahr.

 

·        Weitere Besonderheiten

 

Eigenartige Selbstversunkenheit, teils im Spielen, teils im Lesen oder auch nur Schauen; langsam sich entwickelndes oder plötzliches, auf jeden Fall überzo­genes Interesse an wirklichkeitsfremden Fragen: religiös, mystisch, philoso­phisch, gesellschaftspolitisch u. a.; damit erhöhte Gefahr, durch die innere Orientierungslosigkeit, Ratlosigkeit und leichte Beeinflussbarkeit in falsche Hände zu geraten (z. B. Sekten!); „sonderbare Vorstellung“ oder magisch überzogenes Denken; eigentümliche Wahrnehmungsstörungen (ungewöhn­liche Veränderungen von Mitmenschen, Tieren, Objekten ohne fassbaren Grund); Gedankendrängen, ja Gedankenjagen, ggf. Gedankenbeeinflussung „von außen“ u. a.

 

·        Verhältnis zum anderen Geschlecht

 

Nicht selten unfrei, „verklemmt“, scheu oder gar ablehnend; dabei hin- und hergerissen zwischen normalen Wünschen und Träumen und sonderbar brüs­ken, abweisenden, gelegentlich fast feindseligen Verhaltensweisen; bisweilen unerklärliche Extremausschläge: einerseits unverständliche Zurückweisung und Rückzug, andererseits plötzliche distanz- oder taktlose Kontaktsuche.

__________

ã  Auswahl (siehe auch Hinweise zur Rückfallgefahr)

 

Wenn es auch immer wiederkehrende und damit halbwegs nutzbare Hinweise gibt, die als Vorposten- oder gar Warnsymptome den diagnostischen Weg weisen, so wird doch jede seelische Krankheit nicht zuletzt durch Wesensart, Umfeld, geistige, körperlicher und psychosoziale Ausgangslage, kurz: durch ihre Möglichkeiten und Grenzen mitbestimmt. D. h. es gibt so viele Beschwer­debilder wie Betroffene. Und vor allem gibt es wenig Konkretes und viel Vages, Diffuses, dazu Wechselndes, also letztlich nicht Fassbares, besonders wenn man mit so etwas noch nie konfrontiert wurde.

 

Mit am schmerzlichsten aber wird jene kaum beschreibbare Atmosphäre empfunden, die nach und nach von vielen dieser späteren Patienten ausgeht und die mit ihrer früheren Wesensart nicht in Einklang zu bringen ist („was ist nur aus ihm/ihr geworden“?):

 

Das ist eine schwer einzuordnende und vor allem unvereinbare Mischung aus „Hilfe suchen – zurückweisen, verschüchtert – überheblich-arrogant, durch­geistigt – schwerbesinnlich, nervig – apathisch“ usw.

 

Nach und nach, d.h. im fortgeschrittenen (weil unbehandelten) Zustand macht der Betroffene schließlich den Eindruck, als zähle er nicht mehr zu dieser Gesellschaft, teile nicht die Freuden und Sorgen dieser Welt und besonders seiner Altersstufe, „gehöre auf einen anderen Stern“, lebe „gleichsam wie knapp daneben“, als ob man tatsächlich „neben sich her lebt“, jedenfalls „irgendwie nicht ich selber sein darf“ usw.

 

Dabei befremdet er nicht nur andere, sondern kommt sich selber fremd vor – ohne etwas dagegen tun zu können. Er wird ein „ewig Suchender“, und zwar mit wachsendem Scham- und schwindendem Selbstwertgefühl – und damit einem Gefühlsleben, das immer mehr ins Wanken gerät. Denn er kann tun und lassen was er will, er findet keine Erklärung, keine Lösung, keinen Weg. Dabei gibt er sich große Mühe, bis hin zu für ihn eigentlich unverständlichen religiösen, philosophischen und sonstigen Büchern, in denen er bisweilen zu finden sucht, was ihn so rastlos und schließlich ratlos umtreibt – aber ver­gebens.

 

Die Folgen sind Resignation, Angst, Schwermut und innere Panik – und die erwähnten tiefsitzenden Scham- und Minderwertigkeitsgefühle, ein kennzeich­nendes, aber weitgehend unbekanntes Merkmal jeglicher schizophrener Er­krankung.

 

So kann es nicht ausbleiben, dass sich gerade in jungen Jahren Rauschdro­gen, Alkohol und Nikotin anbieten und eine erschreckend hohe Zahl schon in dieser Altersstufe in eine entsprechende Abhängigkeit gerät – mit allen Folgen (manche Rauschdrogen klinken auch eine „Psychose im Wartestand“ erst richtig aus, z. B. Haschisch, LSD, Kokain, Designerdrogen u.a.). Für viele droht jetzt auch ein soziales Abgleiten bis hin zur Verwahrlosungsgefahr, selbst wenn die gutsituierten Angehörigen alles tun, um diese bittere Entwick­lung zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern. Die Verwahrlosung ist hier keine Frage der wirtschaftlichen Ausgangslage, sondern ein seelisches und schließlich psychosoziales und damit gesellschaftliches Abgleiten.

 

Einige merken schon recht früh und registrieren sehr wohl, dass sie einerseits unwiderruflich „abrutschen“ und andererseits nichts dagegen tun können. Da­mit geraten sie bereits in diesem frühen Stadium in Gefahr, Hand an sich zu legen. Oft häufen sich deshalb schon jetzt Todesphantasien, Suizidwünsche oder konkrete Selbsttötungspläne, was die erschreckend hohe Suizidrate er­klärt: Denn jeder zehnte schizophren Erkrankte stirbt durch eigene Hand.

 

 

l Wie kündigt sich ein Rückfall an?

 

Während sich also bei einer Ersterkrankung viele Faktoren unglücklich sum­mieren: Informations- und Wissensdefizit, Überraschungseffekt, die Hoffnung, es möge sich alles wieder „auswachsen“, insbesondere wenn es während der Pubertät beginnt, Scham, Resignation, Niedergeschlagenheit, vielleicht sogar Reizbarkeit, Aggressivität oder feindselige Verzweiflungsreaktionen (s. o.), die zu einem monate- und jahrelangem Zeitverlust führen können, sollte dies bei einem Rückfall keine Rolle mehr spielen. Hier darf keine Zeit mehr verloren gehen, denn die Diagnose steht ja fest und man weiß von der ersten, zweiten oder vielleicht sogar dritten Krankheits-Episode, was hilft und was nicht, was zu tun und was zu lassen ist. Das kann viel Leid ersparen helfen, und zwar sowohl für den Patienten als auch für sein Umfeld, vor allem für die näheren Angehörigen.

 

Was gilt es also zu wissen, was zu tun? Vor allem:

 

Welches sind die wichtigsten Hinweise, d. h. individuellen Frühwarn­zeichen einer erneuten drohenden psychotischen Entgleisung?

 

Dafür gab es schon früher konkrete Beispiele aus dem englischsprachigen Bereich, später ergänzt durch deutsche Untersuchungen (was natürlich auch kulturelle und zeitbedingte Unterschiede einbezieht). Nachfolgend deshalb eine Übersicht über die relative Häufigkeit von Frühwarnzeichen bei schizo­phrenen Patienten in abnehmender Häufigkeit. Die Ergebnisse stammen aus einer deutschen Untersuchung, ergänzt durch eine englische, deren statisti­sche Abweichung wir in der Klammer beifügen.

 

 

Relative Häufigkeit von Frühwarnzeichen bei schizophrenen Patienten

 

1.       Angespannt, Nervosität (mehr als drei Viertel aller Betroffenen)

2.       Konzentrationsschwierigkeiten (zwei Drittel)

3.       Unruhig (rund zwei Drittel)

4.       Schlafstörungen (jeder Zweite und mehr)

5.       Weniger Freude an den Dingen des Lebens (jeder Zweite und mehr)

6.       Freunde seltener sehen wollen (jeder Zweite)

7.       Verlust von Interesse an den Dingen des Lebens (vier von zehn Betroffe­nen, in der angelsächsischen Studie fast zwei Drittel)

8.       Ausgelacht werden, die Leuten reden über ihn, meint der Betreffende (mehr als jeder Dritte, in der früheren Studie jeder Zweite)

9.       Beeinflussungsgedanken, Meinung, kontrolliert zu werden (vier von zehn Betroffenen)

10.   Depressive Verstimmungen (jeder Dritte, in der angelsächsischen Studie zwei Drittel aller Patienten)

11.   Sich ohne Grund schlecht fühlen (rund jeder Dritte)

12.   Gedächtnisstörungen (mehr als jeder Vierte, in der früheren Studie über die Hälfte)

13.   Überregt sein (mehr als jeder Vierte, in der früheren Studie fast jeder Zweite)

14.   Schwierigkeiten mit Partner/Angehörigen (mehr als jeder Vierte)

15.   Minderwertigkeitsgefühle (jeder Vierte, in der früheren Studie fast die Hälfte)

16.   Halluzinationen (Sinnenstäuschungen, Trugwahrnehmungen = jeder Fünfte, in der früheren Studie jeder Zweite)

17.   Persönliche Erscheinung, d. h. Sauberkeit, Kleidung vernachlässigen (je­der Fünfte, in der früheren Studie fast jeder Zweite)

18.   Gedanken an Selbstmord, zumindest aber Selbstverletzung (jeder Fünfte)

19.   Unverständliche Äußerungen von sich geben (jeder Fünfte, in der früheren Studie mehr als jeder Zweite)

20.   Weniger Appetit als sonst (jeder Fünfte, in der früheren Studie mehr als jeder Zweite)

21.   Zwangsgedanken/Zwangshandlungen (jeder Fünfte, in der früheren Studie mehr als jeder Zweite)

22.   Verstärkt fordernd bis aggressiv auftretend (jeder Fünfte, in der früheren Studie doppelt so viel)

23.   Angst, verrückt zu werden (mehr als jeder Sechste, in der früheren Studie doppelt so viel)

24.   Mehr Beschäftigung mit religiösen, mystischen u. a. Fragen (jeder Siebte, in der früheren Studie jeder Zweite)

25.   Sich über Kleinigkeiten aufregen (jeder Zehnte, in der früheren Studie vier­mal so viel)

26.   Schlecht träumen (jeder Zehnte, in der früheren Studie viermal so viel)

27.   Mehr Alkoholkonsum, ggf. mehr Rauschdrogen (jeder Zehnte, in der frühe­ren Studie doppelt so viel)

28.   Klage über häufige Schmerzen (jeder Zwanzigste, in der früheren Studie fast jeder Dritte)

29.   Gedanken, andere zu verletzen, wenn nicht gar umzubringen (jeder Zwan­zigste, in der früheren Studie jeder Vierte)

 

Nach G. Wiedemann u. Mitarb. (1994) in Kombination mit Daten aus der

Herz- & Melville-Studie (1980), modifiziert

 

An erster Stelle stehen also auch hier innere Unruhe, Nervosität, Merk- und Konzentrationsstörungen, Freudlosigkeit, Interesselosigkeit, Rückzugsnei­gung, Isolationsgefahr, zwischenmenschliche Konflikte, Niedergeschlagenheit und Minderwertigkeitsgefühle, „dunkle Gedanken“, Schlafstörungen, belas­tende Träume, Vernachlässigung von äußerem Erscheinungsbild (Hygiene, Kleidung) und schließlich Sinnestäuschungen, Zwangsgedanken und -hand­lungen, Angst durchzudrehen oder verrückt zu werden, unverständliche Äußerungen, Reizbarkeit und Aggressivität, Zuflucht zu Alkohol und Drogen auf der einen, aber auch zu geistigen Hilfen wie Religion und Mystik auf der anderen Seite u. a.

 

Was heißt das nun auf den Alltag bezogen, und zwar zuerst wieder die Frage nach der Ursache:

 

 

Was kann einen schizophrenen Rückfall auslösen?

 

Häufiger als bei einer Ersterkrankung lassen sich bei einem Rückfall be­stimmte Auslöser feststellen, und zwar immer wieder und oftmals die gleichen. Diese Auslöser für einen schizophrenen Rückfall sind nicht so sehr schizo­phrenie-spezifisch, sondern richten sich vor allem nach dem jeweiligen Betroffenen bzw. seiner Persönlichkeitsstruktur, seinen eigenen Nöten, zwi­schenmenschlichen Problemen, psychosozialen Schwierigkeiten usw. Sie sind also in der Mehrzahl der Fälle überaus subjektiv und können deshalb nur schwer von außen beurteilt werden.

 

    In etwa jedem vierten Fall, wahrscheinlich aber häufiger finden sich Ver­lusterlebnisse im zwischenmenschlichen Bereich, z. B. Tod oder schwere Er­krankung von wichtigen Bezugspersonen, ferner Trennung, Scheidung, Weg­zug, Verlassenwerden oder auch nur Entfremdung u.a.

 

    Aber auch berufliche Konflikte in jeglicher Form. Oder mehr oder wenige diskrete, teils akute, teils langwierig zermürbende Auseinandersetzungen auf familiärem, partnerschaftlichem, erotischem, sexuellem, aber auch religiösem und ethischem Gebiet.

 

    Natürlich belasten auch körperliche Auslösefaktoren, z. B. Stress, Über­forderung, Erschöpfung, Erkrankung, Operationen, das Wochenbett, nicht zu vergessen Schlafmangel, Alkoholexzesse, Rauschdrogenkonsum u.a.

 

    Es können aber auch Belastungen sein, wie sie jedermann und zu jeder Stunde hinnehmen muss. Dazu gehören nicht nur ungewöhnliche, unerwartete oder vielleicht auch nur neue Anforderungen in Familie, Nachbarschaft, Beruf usw. Es kann bei einer schizophrenen Erkrankung sogar problematisch werden bei alltäglichen sozialen Situationen, die für einen Gesunden völlig neutral, unerheblich, auf jeden Fall nicht beeinträchtigend sind.

 

Beispiele: Bei der Unterhaltung mit dem Patienten oder bei einem Gespräch von anderen untereinander in seinem Blickfeld. Oder auch nur die Gegenwart zu vieler Menschen auf einmal, zu große Dichte und Nähe, also „Trubel“ oder „Rummel“, vielleicht auch nur eine ganz harmlose gesellige Veranstaltung. Nicht zuletzt das Gedränge in Kaufhäusern, sonstigen öffentlichen oder priva­ten Gebäuden, in Verkehrsmitteln, auf Straßen und Plätzen. Ferner optische oder akustische Stimulationen wie Plakat- oder Leuchtreklame-Werbung, durch elektronische Medien u. a. (man sagt, dass der „moderne Mensch“ pro Tag hunderte von Werbe-Informationen zu verarbeiten hat, auch wenn es den meisten Gesunden gar nicht mehr auffällt, vom kleinsten Logo bis zur auf­dringlichsten Reklame). Ähnliches gilt für Arbeit unter Zeitdruck oder rasch wechselnde Anforderungen im Alltag.

 

Alles Einflüsse, die der Gesunde als gewohnt, bestenfalls als lästig empfindet. Schizophene aber stehen seelisch, körperlich und psychosozial, also in ihrer gesamten biologischen Ausstattung gleichsam auf „dünnem Eis“ und sind deshalb besonders anfällig (siehe auch der Begriff der „Filterstörung“ – s. o.), scheinbar extrem reagierend, schneller überfordert, leichter verwundbar oder fast in panikartige Reaktionen zu treiben – und das bei alltäglichen Belastun­gen.

 

Nachfolgend eine tabellarische Übersicht über die wichtigsten einschneiden­den Lebensereignisse, die eine psychotische Erkrankung auslösen können, und zwar sowohl bei der Ersterkrankung, vor allem aber auch bei Rückfall­gefahr:

 

Einschneidende Lebensereignisse, die eine psychotische Erkrankung

auslösen können

 

-   Schwangerschaft

-   Geburt eines Kindes

-   Todesfälle von engeren Familienmitgliedern oder nahen Bezugspersonen

-   Heirat

-   Trennung oder Scheidung

-   eigene Erkrankungen und Operationen

-   ernsthafte Erkrankungen von nahe Angehörigen oder Freunden

-   Berufswechsel

-   Berentung

-   Arbeitslosigkeit

-   Umzug

-   ernsthafte finanzielle Probleme

-   größere Reisen

-   Prüfungen

-   Gerichtsverfahren

-   andere Belastungsfaktoren

 

Nach A. Marneros, 2004

 

 

Wie äußert sich ein schizophrener Rückfall?

 

Ein psychotischer Rückfall kann zwar plötzlich ausbrechen. Meist hat man dann aber die Vorzeichen übersehen. Die Regel ist jedoch kein Alles-oder-nichts-Ereignis, sondern mehrere Zwischenstufen:

 

Drei Viertel aller Patienten geben vor ihrem Rückfall Veränderungen in ihren Gedanken, Gefühlen oder in ihrem Verhalten an. Die Familienangehörigen registrieren dies sogar in fast jedem Fall.

 

Aber die meisten dieser so genannten „Warn-Symptome“ sind eben allge­meiner Art. Vor allem sind sie keine psychotischen Krankheitszeichen, die irritieren, befremden, verwundern, verärgern oder gar erschrecken, was dann wenigstens relativ schnell registriert würde. Es sind eher unspezifische Befin­densschwankungen, meist „nur“ Stressfolgen wie sie jeder kennt, falls die Ge­sunden sie überhaupt als Stress betrachten.

 

Dazu gehören – wie bereits in der wissenschaftlichen Einleitung beschrieben –  z. B. „Angespanntsein“, „Nervosität“, „urlaubsreif“, „die Nerven liegen blank“, und neben diesen allgemeinen Hinweisen die etwas konkreteren Symptome: Merk- und Konzentrationsstörungen, innere Unruhe, vermehrte Schlaflosigkeit, aber auch Freudlosigkeit, Interesselosigkeit, depressive Verstimmungen, Elendigkeitsgefühl, Minderwertigkeitsgefühle, Appetitlosigkeit usw.

 

So etwas ist nicht ungewöhnlich und deshalb für viele noch kein Grund, den Arzt aufzusuchen. Allerdings könnte es in dieser Phase leichter sein, einen Arztbesuch durchzusetzen. Denn die nächsten Leidensschritte sind zwar ein­deutiger, pflegen den Patienten aber auch oft in mehr Widerstand gegen alle notwendigen Maßnahmen hineinzudrängen.

 

Denn die folgende Stufe der Eskalation, die so genannten präpsychotischen Symptome sind beispielsweise:

 

     Ängstliche Unruhe, Spannung und Nervosität: Die Betroffenen werden immer empfindlicher, humorloser (!), legen jedes Wort auf die Goldwaage, und zwar mehr als in sonst üblichen Stress-Situationen. Vielleicht verbreiten sie auch eine gewisse Nervosität, Fahrigkeit und Hektik, kurz: eine unge­sunde Überaktivität, die zwar alle anderen anstecken kann, aber auch un­produktiv, lästig bis belastend ausfällt.

 

    Oft ist damit auch ein weiteres Phänomen verbunden, nämlich eine

 

     wachsende Reizbarkeit und Aggressivität: Die Patienten können sich über Kleinigkeiten aufregen, fühlen sich ungerecht behandelt, provoziert, benachteiligt, lächerlich gemacht usw., auch wenn sie bei entsprechender Nachfragen ihr Misstrauen nicht überzeugend begründen können. Daneben wächst eine hintergründige, immer reizbarere Aggressivität, die bis zur regelrechten Feindseligkeit ausufern kann, offen oder nur mangelhaft ver­deckt. Dabei hat keiner etwas Böses getan.

 

     Auch eine negativistische Einstellung ist möglich: nur unwillig oder über­haupt nicht tun, was man soll oder muss - bzw. bewusst das Gegenteil. Dabei fallen bisweilen Bemerkungen von Seiten des Patienten, die als un­angebracht oder böswillig interpretiert werden können, vor allem aber die anderen verdrießen. Der Reizbarkeitspegel steigt, die Atmosphäre in Fami­lie, Nachbarschaft und am Arbeitsplatz wird immer gespannter. Auf dieser Schiene bahnt sich dann meist auf „atmosphärischer Ebene“ jener Teufels­kreis an, der dann nicht unerheblich am endgültigen Ausbruch einer schizo­phrenen Psychose beteiligt ist.

 

     Nicht selten sind auch Gemütsstörungen, und zwar in beide Richtungen: Zum einen eine ungewöhnliche Aktivität bis Überaktivität, ja fast eine unge­steuerte Umtriebigkeit mit lästigem Rededrang bis hin zur Distanzlosigkeit mit entsprechend peinlichen Folgen. Zum anderen niedergeschlagen, resig­niert, schwermütig, auf jeden Fall freudlos, hoffnungslos, seelisch, geistig und körperlich verlangsamt, zuletzt Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle, ja Selbsttötungsideen.

 

     Von anderen kaum registriert, für den Betroffenen aber ausgesprochen quälend sind die schon mehrfach erwähnten kognitiven, d. h. geistigen Beeinträchtigungen. Beispiele: Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächt­nisleistung lassen jetzt doch spürbar nach oder werden durch ein ständiges Grübeln regelrecht aufgesaugt (wirkt wie durchgängig absorbiert). Alles wird mühsam, kann nur mit doppelter Kraftanstrengung geleistet werden.

 

Bisweilen steht der entsetzte Patient vor seiner Routinearbeit und begreift nicht einmal mehr, was dort geschrieben steht, von einer fachlichen Be­arbeitung ganz zu schweigen. Die Anfragen, vor allem die ungnädigen und gereizten, häufen sich. Der Teufelskreis zieht sich immer enger um den Patienten.

 

     Selbst an körperlichen Beeinträchtigungen mangelt es nicht: insbeson­dere Schlafstörungen (Einschlafstörungen, zerhackter Schlaf, nicht selten sogar eine völlige Schlaflosigkeit). Und wenn, dann schweißgebadet, uner­quicklich und mit belastenden Träumen. Ferner unklare Missempfindungen, Appetitlosigkeit und ein undefinierbares Gefühl des Unwohlseins. Dazu Hitzewallungen, Kälteschauer, feuchte Hände, vermehrte Steifigkeit, viel­leicht sogar undefinierbare, wandernde oder so sonderbare Schmerzen, dass man sie kaum beschreiben kann usw.

 

 

Auffälliges Verhalten und psychosoziale Konsequenzen

 

Vielleicht beginnt jetzt auch schon ein irgendwie auffälliges Verhalten bis hin zu eindeutig psychotischen Störungen:

 

     Rastlosigkeit und Ratlosigkeit: Manche Patienten wandern rastlos und vor allem ratlos im Zimmer, Haus, Garten, in Straßen, Wald und Feld um­her, nicht zuletzt nachts. Sie wühlen in Papieren, Schubladen, Schränken. Sie versuchen in Büchern, Zeitungen, in Radio und Fernsehen zu finden, was sie sich selber nicht mehr erklären können.

 

     Die Suche nach dem Sinn: Dazu kommt unter Umständen die zuneh­mende Beschäftigung mit religiösen, mystischen und psychologischen Fragen, die verzweifelte Suche nach einer Antwort auf innerliche Verände­rungen, die Böses verheißen. Aber warum, wie, wo, wodurch – und vor allem: was kann man tun? Und hier insbesondere eine weitere Verzweif­lung: Mit wem könnte man sich besprechen, bei wem Rat suchen, wer würde einen verstehen (wollen), d. h.: letztlich ist man allein(gelassen), und das in einer der kritischsten Phasen seines bisherigen Lebens.

 

     Ernährungsänderungen: Bisweilen irritiert das Umfeld auch die plötzliche Bevorzugung bestimmter (meist einseitiger) Ernährungsweisen, wenn nicht gar die Verweigerung von jeglicher Nahrung - auch hier mit allen Folgen (Gewichtsabfall, Stoffwechselstörungen).

 

     Kleidung und Körperpflege: In diese Zeit fällt dann ggf. auch eine mehr oder weniger plötzliche, vor allem aber ungewöhnliche Vernachlässigung von Körperpflege und Kleidung (schlampig, aber beispielsweise auch „absurd“, verstiegen, skurril).

 

     Weitere Auffälligkeiten: Nicht wenige beginnen sich mehr und mehr über Kleinigkeiten aufzuregen, werden schmerzempfindlicher, klagen über Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen, verlieren die Lust an Dingen, die ihnen früher etwas bedeuteten, fühlen sich „einfach schlechter“, und zwar ohne jeglichen Grund und vor allem: ohne etwas ändern zu können.

 

     Der wahnhafte Endzustand eines solchen Rückfalls ist schließlich charak­terisiert durch besorgte, ängstliche und gereizt-aggressive Klagen bzw. Vorwürfe, dass die Leute über einen zu reden beginnen, einen zu beeinflus­sen, zu kontrollieren, zu manipulieren oder zu schädigen versuchen. Jetzt sind auch Sinnestäuschungen möglich (z. B. Stimmen, Gerüche). Manche fangen deshalb an, Selbstgespräche zu führen, wobei sie in sich hinein­horchen, vielleicht hineinlachen, um sich schimpfen oder gegen unsichtbare Peiniger drohend vorgehen.

 

     Nicht wenige nehmen in dieser schweren und für alle unfassbaren Zeit Zuflucht zu verzweifelten Selbstbehandlungsversuchen mit Alkohol, Nikotin, vielleicht sogar Rauschdrogen (Ecstasy, Haschisch/Marihuana, Kokain, LSD, Opiate usw.), die alles nur noch verschlimmern.

 

 

Das Ende: die erneut ausgebrochene Psychose

 

Das Ende ist erreicht: Die Psychose ist wieder ausgebrochen. Die psycho­sozialen Konsequenzen lassen auch nicht mehr lange auf sich warten: in der Regel Rückzug und damit Isolationsgefahr. Nirgends geht es mehr: Partner­schaft, Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis, Arbeitsplatz. Es häufen sich irritierte Reaktionen, Auseinandersetzungen, Beschwerden, Vorwürfe, viel­leicht sogar Abmahnungen oder ernstere Konsequenzen jeglicher Art.

 

Alles ist wie sonst bei entsprechenden Auseinandersetzungen, nur eines müsste eigentlich zu denken geben: Der Betroffene ist zwar offensichtlich sel­ber schuld an dieser Entwicklung, wirkt aber irgendwie hilflos ausgeliefert, gereizt und hoffnungslos, aggressiv und deprimiert zugleich.

 

Schließlich zieht er sich zurück, lässt niemanden mehr an sich heran, verwei­gert jeglicher Arztkontakt, vielleicht sogar jeglichen Kontakt schlechthin.

 

Spätestens jetzt ist allen klar: Nun ist er wieder krank, hätte man lieber vorher schon was getan.

 

 

l Früh-Erkennung ermöglicht auch Früh-Intervention

 

„Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“, lautet der bekannte und von den meisten als banal abgetane Sinnspruch. Doch solche Sprichwörter halten sich nicht umsonst im Volksmund. Die Gefahr erkennen heißt noch lange nicht etwas dagegen tun. Der Ausbruch oder die erneute Erkrankung einer seelischen Stö­rungen, insbesondere der Schizophrenie ist dafür ein gutes Beispiel. Was kann, was soll man tun? Einzelheiten siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie (vor allem über die Schizophrenien). Nachfolgend nur einige Hin­weise in Stichworten:

 

Die Früh-Intervention bei so genannten Risikopersonen mit der Gefahr einer schizophrenen Erkrankung stützt sich auf eine Theorie, die man in Fachkrei­sen Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungsmodell nennt. Vulnerabilität kommt vom lateinischen: vulnus = Wunde, Verletzung. Und Vulnerabilität, ein in der Psychiatrie und medizinischen Psychologie häufig verwendeter Begriff heißt Verwundbarkeit bzw. eben leichtere Verwundbarkeit, als es einem Menschen mit gesunden Abwehrkräften, z. B. einem psychisch Gesunden gegeben ist.

 

So gibt es zwischen den krankmachenden und den seelisch stabilisierenden Faktoren im Leben eines Schizophrenen ein Ungleichgewicht. Dadurch drohen erstmaliger Krankheitsausbruch und später Rückfallgefahr. Konsequenz: Man sollte die so genannte Vulnerabilitäts-Schwelle erhöhen, d. h. der Betreffende muss stabiler werden, darf sich nicht so schnell und zu nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Wissenschaftlich ausgedrückt: Reduktion von Stress und Aufbau protektiver Ressourcen (schützender Hilfsquellen), seien sie gesundheitlicher, seien sie sozialer Herkunft. Hierfür gibt es in der Rückfall-Vorbeugung schizophrener Störungen durchaus wirksame Verfahren, nämlich:

 

     Auf der biologischen Ebene die Neuroleptika, also antipsychotisch wirkende Psychopharmaka, ggf. unterstützt durch stimmungsaufhellende oder -stabili­sierende Antidepressiva und angstlösende Beruhigungsmittel.

 

Was auf dieser Ebene auf jeden Fall vermieden werden muss, ist der unselige Einfluss anderer psychotroper Substanzen wie Rauschdrogen oder aktivie­rende Psychopharmaka (Weckmittel, Psychostimulanzien, wie sie in Verken­nung der wirklichen Lage gelegentlich gegen ständige Mattigkeit und Initia­tivelosigkeit eingenommen werden).

 

     Auf der psychologischen Ebene sind es vor allem psychoedukative und kognitive verhaltenstherapeutische Verfahren, ferner Stress-Management, Problemlösetraining u. a. (Einzelheiten dazu das spezielle Kapitel über die Schizophrenien).

 

     Auf der sozialen Ebene sind es insbesondere familienbezogene Interventio­nen, d. h. die Angehörigen müssen aufgeklärt, ja angelernt und trainiert wer­den, mit den Belastungen einer schizophrenen Psychose im Familienkreis besser fertig zu werden, um sich nicht durch überzogene oder „entnervte“ Maßnahmen zu Überreaktionen verleiten zu lassen, die den Teufelskreis nur noch anheizen. Auch hier Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über Schizophrenien.

 

 

Eine neuere Rückfall-Vorbeugung: die Psychoedukation

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Sowohl die Ursachen-Forschung als auch die alltagsrelevante Frage, was kann man tun, und zwar nicht nur Ärzte und Psychologen in Klinik und Praxis, sondern auch die Angehörigen, Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen u. a. führten zu entsprechenden Untersuchungen mit der Erkenntnis: psychoeduka­tive Interventionen können das Los schizophren Erkrankter um ein Vielfaches erleichtern. Dabei geht es um folgende Ziele:

 

1. Aufklärung von Patienten, Angehörigen und Freunden u. a. über Diagnose, Krankheitsverlauf, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

 

2. Gemütsmäßige Entlastung von Patient und Angehörigen im Alltag

 

3. Förderung der Behandlungsbereitschaft

 

4. Zuversicht und Kompetenz, die eigenen Probleme bewältigen zu können (Erwartung eigener Effektivität)

 

5. Aufbau der Fähigkeiten zur Bewältigung von Krisen

 

6. Fähigkeit zur Bewältigung von Alltagsproblemen, die sich aus der Erkran­kung ergeben und

 

7. innerfamiliärer Umgang mit der Erkrankung, um die dabei drohenden Kon­flikte gemeinsam besser zu lösen.

 

Im Rahmen dieser Psychoedukation ist es aber wichtig, genügend über die schizophene Erkrankung zu kennen, insbesondere über Frühwarnsymptome bei Ersterkrankung und Warnhinweise bei Rückfallgefahr (nach G. Wiede­mann u. Mitarb., 2003).

 

 

Die Verfahren der Früh-Intervention leiten sich im Grunde von der Rezidiv-Prophylaxe, also jenen Verfahren ab, die dem Rückfallschutz dienen. Beide sind gleich wirksam und sollten miteinander kombiniert werden.

 

Früh-Interventionen müssen sich an der Höhe des Erkrankungsrisikos mes­sen. Beispiel: aktiveres Vorgehen bei bekannter schizophrener Erkrankung in der Familie, weil man sich dann seiner Diagnose sicherer sein kann. Sie müs­sen aber auch das Stadium der Erkrankung berücksichtigen. Beispiele: aktive­res Vorgehen, wenn schon einmal psychotische Symptome registriert werden konnten (z. B. Wahn oder Sinnestäuschungen). Vor allem müssen sie auch die Wesensart, die Erwartungen, Reaktionen, die inneren Nöte, Kümmernisse, Sorgen und Befürchtungen berücksichtigen, denn nur dadurch lässt sich der wichtigste Faktor sichern: eine konsequente Mitarbeit des Betroffenen (was bei einer schizophrenen Psychose schwieriger werden kann als bei vielen anderen seelischen Störungen, z. B. Depressionen, Angsterkrankungen u. a.).

 

Am günstigsten ist ein so genannter Gesamt-Behandlungsplan, d. h. die Kom­bination aus Psychotherapie, soziotherapeutischen Korrekturen und Hilfen sowie Pharmakotherapie durch insbesondere antipsychotisch wirksame Medi­kamente. Hier lässt sich tatsächlich laut neuester Untersuchungen der Über­gang von einem psychotischen Vor-Stadium in eine definitive schizophrene Psychose von etwa 40 auf 10% reduzieren – sofern die beteiligten Patienten alle therapeutischen Schritte konsequent mitmachen.

 

Ein wichtiger Meilenstein im vorbeugenden Therapieprogramm lautet auch: „Selbstvertrauen und Kontakt“, weil sich diese beiden Aspekte als ständig wiederholende Defizite, als zentrale Probleme im Leben eines Menschen fin­den lassen, der von einer Psychose bedroht ist (und wenn er dann psycho­tisch erkrankte, umso mehr). Es scheint sogar so zu sein, dass ein verstärkter psycho- und soziotherapeutischer Einsatz in dieser Vor-Phase medikamen­töse Unterstützungsmaßnahmen entbehrlich machen kann, aber das ist grundsätzlich nur im Einzelfall zu entscheiden.

 

Im Allgemeinen gilt die Regel der Experten:

 

     Finden sich so genannte prädiktive Basis-Symptome (auf deutsch: Warn-Hinweise im Vor-Stadium einer schizophrenen Psychose), vor allem ein Knick in der Lebenslinie und insbesondere ein Leistungseinbruch, und dies bei genetischen (Erb-)Belastungen oder zusätzlichen perinatalen Risiken (siehe Schwangerschaft, Geburt und erste Lebensmonate), dann dürfte der Schwer­punkt auf einer psychologisch orientierten Früh-Intervention liegen.

 

     Handelt es sich aber bereits um psychose-nahe Symptome (wie sie dann später auch stärker und länger im Rahmen einer Schizophrenie auftreten), auch wenn sie nur kurz dauern und sofort wieder verschwinden bzw. nur ab­geschwächt aufscheinen, dann wird man zu den psycho- und soziotherapeu­tischen Maßnahmen auch Medikamente hinzugeben, nämlich die erwähnten antipsychotischen Neuroleptika.

 

Zu den psychologischen Angeboten im weitesten Sinne gehören Einzel- und Gruppentherapie (siehe die Therapie-Hinweise in dem Kapitel über Schizo­phrenien), denen es darum geht, angenehme Aktivitäten zu erarbeiten sowie soziale (insbesondere zwischenmenschliche und berufliche) Kompetenz- und Problem-Fertigkeiten zu trainieren. Ergänzt wird dies durch ein kognitives (die geistigen Kräfte stärkendes) Training am Computer, durch Familienberatung u. a.

 

Sind Medikamente nötig, darf man nicht nur deren Wirkung nutzen, sondern muss auch die möglichen Nebenwirkungsbelastungen einbeziehen. Allerdings sind diese durch die modernen (atypischen) Neuroleptika spürbar vermindert worden, insbesondere was deren nach außen stigmatisierende oder gar diskriminierende Begleiterscheinungen anbelangt (Mimik, Gestik, Haltung, Gang u. a.).

 

 

l SCHLUSSFOLGERUNG

 

Es kann nicht oft genug betont werden: Keine seelische Krankheit, wahr­scheinlich kein Leiden überhaupt provoziert so viel negatives Interesse, Unsi­cherheit, Ratlosigkeit, Verlegenheit, Furcht, Scham, ja gereizte Reaktionen und Aggressivität wie die Schizophrenien. Doch die meisten Menschen haben außer vagen Vorstellungen („Spaltungsirresein“) keine konkreten Kenntnisse.

 

Doch genau das wäre wichtig, um sein Wissen nicht nur aus dritter Hand, aus Gerüchten und sensationsgeleiteten Medienberichten zu beziehen. Und vor allem einer Krankheit gerecht zu werden, die nicht nur rund eine Million Men­schen im deutschsprachigen Bereich und damit etwa 60 Millionen auf dieser Erde betrifft, sondern nach außen weitgehend unauffällig ist, d. h. überwie­gend „innerlich“ beeinträchtigt, von einigen wenigen Ausnahmezuständen ab­gesehen, in denen vor allem Wahn, Sinnestäuschungen und angst-erfüllte(!) aggressive Durchbrüche erschrecken, wenn auch nur kurzzeitig.

 

Nun ist es nicht einfach, eine beginnende Schizophrenie zu erkennen, zumal sie – vor allem beim männlichen Geschlecht – schon in jungen Jahren aus­brechen und sich lange Zeit völlig uncharakteristisch entwickeln kann. Dies jedenfalls nicht im Sinne der späteren schizophrenen Psychose, sondern eher als unspezifische Befindlichkeitsstörungen und gelegentlich unerklärliche geis­tige Defizite, sonderbare Verhaltensweisen oder gar peinliche Fehlhandlun­gen. Hier wird man – um nicht unnötig Unruhe zu verbreiten – in vielen Fällen erst einmal zuwarten müssen, allerdings unter ärztlicher Kontrolle. Doch auch das geschieht viel zu selten – letztendlich zu Lasten der Betroffenen und ihrer Angehörigen.

 

Völlig unerklärlich, ja unentschuldbar aber wird es dann, wenn der Betroffene bereits eine schizophrene Episode durchlitten und seine Angehörigen alle psychosozialen Konsequenzen miterlebt haben – und beim erneuten Rückfall spielt sich das Gleiche ab, wie beim ersten Mal. Natürlich dominiert hier das trügerische Prinzip „Hoffnung“: „Es wird doch nicht das Gleiche losgehen, wie damals“ oder die unbewusste Selbsttäuschung: „Was nicht sein darf, kann nicht sein“.

 

Doch dieses weitgehend nachvollziehbare, weil resignierte bis verzweifelte Wegschauen, dieser unglückselige Selbstbetrug ist heute schon deshalb nicht mehr sinnvoll, ja verzeihbar, weil man inzwischen zahlreiche moderne und weniger nebenwirkungsbelastende antipsychotische Psychopharmaka zur Verfügung hat, die gerade der überwiegenden Mehrzahl der Betroffenen ein unauffälliges Leben garantieren – wie allen anderen Gesunden auch. Man muss sich allerdings dieser medikamentösen Hilfe auch bedienen, und zwar längerfristig als es die zusätzlich nützlichen psycho- und soziotherapeutischen Angebote in der Regel vorhalten. Doch beides – Medikamente und zwischen­menschliche Stützung – geschehen in einer unverständlich großen Zahl von Be­troffenen noch immer nicht – und das zu ihrem lebenslangen Nachteil.

 

Deshalb sei hier zum Abschluss noch eine Mahnung angefügt, die unter den Auslösern eines psychotischen Rückfalls bisher nicht aufgeführt wurde:

 

Der häufigste Rückfall-Grund bei einer behandelten schizophrenen Psychose ist die eigenmächtige und damit verhängnisvoll eigenverantwortliche Unter­brechung der neuroleptischen Langzeit-Behandlung. Denn wer seine Medi­kamente nicht mehr nimmt oder seine Depot-Spritze mit ein- bis vierwöchiger Wirkdauer nicht mehr abholt, muss in der Mehrzahl der Fälle mit einem er­neuten Ausbruch seiner schizophrenen Psychose rechnen, und sei es erst nach einigen Monaten trügerischer „Erlösung von Krankheit und Medikament“.

 

Jahrtausendelang war die schizophrene Psychose eine Geisel für die Betrof­fenen, mit der niemand fertig wurde und die die Patienten meist aus der Gesellschaft ausgrenzte. Heute haben wir alle Chancen, frei von Symptomen (wenngleich auch nicht für den Rest des Lebens geheilt) zu werden – voraus­gesetzt, man nutzt neben den psychosozialen Hilfe die medikamentösen Möglichkeiten, die ständig perfektioniert werden (wirkungsvoller und neben­wirkungsärmer).

 

Dass noch immer psychotisch Erkrankte gesellschaftlich absteigen oder gar ausgegrenzt werden, liegt inzwischen weitgehend daran, dass sie selber(!) die heutigen Behandlungsmöglichkeiten nicht einmal kennen, geschweige denn einsetzen.

 

Am Informationsangebot kann es vor allem in Deutschland mit seinen inzwi­schen medien-unterstützten Aufklärungskampagnen nicht liegen (z. B. Kom­petenznetz Schizophrenie). Es ist eine Eigenheit schizophren Erkrankter, sich in ihre psychotische Welt zurückzuziehen und damit einen Teufelskreis einzu­leiten. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Früh-Erkennung schizophrener Erkrankungen in der Allgemeinheit verstärkt zum Zuge kommt, um eine ansonsten unnötig häufige und schmerzhafte und damit tragische Entwicklung rechtzeitig zu verhindern. Die Möglichkeiten dafür sind inzwischen gegeben. Jetzt gilt es sie zu nutzen.

 

 

Literatur

 

Die Fachliteratur zum Thema Schizophrenie ist inzwischen nicht mehr über­sehbar. Eine Auswahl deutschsprachiger Fachbücher findet sich in dem Kapitel über Schizophrenien. Dort sind auch mehrere allgemein verständliche Sachbücher und Broschüren angeführt.

 

Zum Thema Früh-Erkennung, Rückfall-Schutz und Früh-Intervention schizo­phrener Störungen gibt es ebenfalls eine Reihe von Publikationen, allerdings meist als Fachartikel. Nachfolgend einige deutschsprachige Beispiele ein­schließlich aktueller Internet-Adressen:

 

 

 

Bron, B.: Drogeninduzierte Psychose und Schizophrenie im Jugendalter. Schweizerisches Archiv für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 1 (1980) 179

 

Conrad, K.: Die beginnende Schizophrenie. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1985

 

Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (DGKJP), Bundesarbeitsgemeinschaft leitender Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Berufsverband der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (Hrsg.): Leitlinien zu Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzteverlag, Köln 2000

 

Eggers, C.: Die schizoaffektiven Psychosen im Kindesalter. In: A. Marneros (Hrsg.): Schizoaffektive Psychosen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1989

 

Gross, G. u. Mitarb.: Bonner Skala für die Beurteilung von Basissympto­men (BSABS). Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1987

 

Häfner, H. u. Mitarb.: Ein Instrument zur retrospektiven Einschätzung des Erkrankungsbeginns bei Schizophrenie. Zeitschrift für Klinische Psycholo­gie 19 (1990) 230

 

Häfner, H. u. Mitarb.: Ein Kapitel systematischer Schizophrenie­forschung. Nervenarzt 64 (1993) 706

 

Häfner, H.: Das Rätsel Schizophrenie: Eine Krankheit wird entschlüsselt. Verlag C. H. Beck, München 2001

 

Hambrecht, M. u. Mitarb.: Früherkennung und Frühintervention schizo­phrener Störungen. Deutsches Ärzteblatt 44 (2002) 2334

 

Katschnig, H. (Hrsg.): Die andere Seite der Schizophrenie. Verlag Urban & Schwarzenberg, München 1984

 

Klosterkötter, J. u. Mitarb.: Sind selbst wahrnehmbare neuropsycho­logische Defizite bei Patienten mit Neurose- oder Persönlichkeits­diagnosen für spätere Schizophrenie-Erkrankungen prädiktiv? Nervenarzt 68 (1997) 196

 

Klosterkötter, J., M. Hambrecht (Hrsg.): Erste psychotische Episoden er­kennen und behandeln. Ein Trainingsmanual. Janssen-Cilag Zukunfts­arbeit, Neuss 1999

 

Klosterkötter, J.: Basissymptome und Endphänomene der Schizophrenie. Springer-Verlag, Berlin 1988

 

Lutz, J.: Über die Schizophrenie im Kindesalter. Schweizerisches Archiv für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 39 (1937) 335

 

Marneros, A.: Handbuch der unipolaren und bipolaren Erkrankungen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2004

 

Martin, M.: Der Verlauf der Schizophrenie im Jugendalter unter Rehabi­litationsbedingungen. Enke-Verlag, Stuttgart 1991

 

Nissen, G. (Hrsg.): Psychische Störungen im Kindesalter und ihre Prog­nose. Schattauer-Verlag, Stuttgart 2004

 

Nowotny, B. u. Mitarb.: Die beginnende Schizophrenie als Einbruch in die soziale Biographie. Zeitschrift für Klinische Psychologie 25 (1996)208

 

Nuechterlein, K. H. u. Mitarb.: Beziehungen zwischen Patient und Umwelt in der Schizophrenie. In: W. Böker und H. D. Brenner (Hrsg.): Schizophrenie als systemische Störung. Verlag Hans Huber, Bern 1989

 

Proustka, F., U. Lehmkuhl (Hrsg.): Gefährdung der kindlichen Entwicklung. Quintessenz-Verlag, München 1993

 

Remschmidt, H.: Psychotische Zustandsbilder bei jugendlichen Drogen­konsumenten. Medizinische Klinik 67 (1973) 706

 

Remschmidt, H. u. Mitarb.: Schizophrene Psychosen. In: H. Remschmidt (Hrsg.): Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter. Thieme-Verlag, Stuttgart, New York 1997

 

Remschmidt, H. (Hrsg.): Kinder- und Jugendpsychiatrie – eine praktische Einführung. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2000

 

Remschmidt, H. (Hrsg.): Schizophrene Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2004

 

Resch, F.: Therapie der adoleszenten Psychosen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1992

 

Resch, F.: Psychotherapeutische und soziotherapeutische Aspekte bei schizophrenen Psychosen des Kindes- und Jugendalters. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie 22 (1994) 275

 

Resch, F.: Zur präpsychotischen Persönlichkeitsentwicklung in der Ado­leszenz. Psychotherapeut 43 (1997) 111

 

Resch, F.: Schizophrenie. In: B. Herpetz-Dahlmann u. Mitarb. (Hrsg.): Ent­wicklungspsychiatrie. Schattauer-Verlag, Stuttgart 2003

 

Schulz, E.: Verlaufsprädiktoren schizophrener Psychosen in der Adoles­zenz. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1998

 

Trott, G. E. u. Mitarb.: Klinik, Verlauf und Therapie von schizophrenen Psychosen mit sehr frühem Krankheitsbeginn. In: D. Naber, E. Spahn (Hrsg.): Leponex. Pharmakologie und Klinik eines atypischen Neuroleptikums. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1999

 

Wiedemann, G. u. Mitarb.: Zur Erfassung von Frühwarnzeichen bei schizo­phrenen Patienten. Einsatzmöglichkeiten in der Rückfallprophylaxe. Nervenarzt 65 (1994) 438

 

Warnke, W., G. Lehmkuhl (Red.): Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in der Bundesrepublik Deutschland. Schattauer-Verlag, Stuttgart 2003

 

Wiedemann, G. u. Mitarb.: Psychoedukative Interventionen in der Behand­lung von Patienten mit schizophrenen Störungen. Nervenarzt 9 (2003) 798 (dort auch zahlreiche Hinweise auf psychoedukative Manuale und Arbeits­materialien für Therapeuten, aber auch Angehörige und Betroffene)

 

 

 

Internetadressen

zur Diagnose, Therapie, Rückfallvorbeugung und zur Stärkung zwischen­menschlicher Aspekte im Rahmen einer schizophrenen Erkrankung

 

     www.psychiatrie.de (gemeinsame Seite des Bundesverbandes der Ange­hörigen psychisch Kranker e.V. (BapK), des Bundesverbandes der Psychi­atrie-Erfahrenen e.V., des Dachverbandes Psychosozialer Hilfsvereine, der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie und des Psychiatrie-Ver­lages)

 

     www.bpe.berlinet.de (Informationen des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen e.V.)

 

     www.eufami.org (Internetseite der EUFAMI (European Federation of Familiy Associations of People with Mental Illness) mit Informationen, Umfragen und Chatroom für Betroffene und Angehörige)

 

     www.psychiatrie-aktuell.de (Informationsportal mit Unterstützung vom Be­rufsverband der Nervenärzte (BVDN), vom Bundesverband der Angehöri­gen psychisch Kranker (BapK), der Janssen-Cilag GmbH (Neuss), der Medcon Health Content AG (Köln), der Rechtsanwaltskanzlei Sträter (Bonn), des Schattauer-Verlags (Stuttgart) und des Urban & Fischer Verla­ges (München))

 

     www.kompetenznetz-schizophrenie.de (Informationen über das Kompetenz­netzwerk Schizophrenie, die dortigen Forschungsprojekte des Bundes­ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und praxisrelevante Infor­mationen für Betroffene und Angehörige)

 

     www.fetz.org (Früh-Erkennungs- und Therapie-Zentrum für psychotische Krisen (FETZ) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Univer­sität zu Köln)

 

     www.uniklinik-saarland.de/psychiatrie/psychoedukation (Übersicht über psy­choedukative Programme und weiterführende Literatur für Betroffene, An­gehörige und Professionelle)

 

Zitiert nach G. Wiedemann u. Mitarb., Nervenarzt 9 (2003) 804

 

 

 

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).