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SCHIZOTYPISCHE PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG

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Borderline-Schizophrenie – Grenz-Schizophrenie – Grenz-Psychose – latente schizophrene Reaktion – latente Schizophrenie – präpsycho­tische Schizophrenie – prodromale Schizophrenie – pseudoneurotische Schizophrenie – pseudopsychopathische Schizophrenie – Schizotypie – schizotype Persönlichkeitsstörung – schizotype Störung – u. a.

 

Es gibt Menschen, die fallen auf – negativ, und zwar durch folgende Wesens­art, die alle frustriert, irritiert, verärgert oder gar wütend macht:

 

Unnahbar, unterkühlt, exzentrisch, eigentümliches Verhalten, sonderbare Er­scheinung, die Kleidung nicht immer angepasst und sauber, Augenkontakt vermeidend, eigenartig, furchtsam-argwöhnisch auf Distanz bedacht, humor­los, Neigung zu Rückzug und Isolation u. a. Dabei irgendwie ängstlich, verun­sichert, scheu, wenn nicht gar misstrauisch bis grenzwertig wahnhaft, des­halb(?) unterschwellig reizbar, aggressiv oder gar feindselig. Die Sprache wirkt irgendwie abstrakt bis gekünstelt. Im Extremfall drohen Befürchtungen wie „ich bin nicht mehr ich selber“ und „alles irgendwie sonderbar um mich herum“. Dabei offensichtlich körperliche Beeinträchtigungen, ohne dass sich etwas Organisches finden ließe (was die Ängste noch verstärkt). Oder kurz: Man­ches wirkt regelrecht „schizophren“.

 

Aber sind das Betroffenen auch wirklich? Oder handelt es sich um eine so ge­nannte schizotypische Persönlichkeitsstörung, früher auch als latente, prä­psychotische, pseudoneurotische oder Grenz-Schizophrenie bezeichnet.

 

Nachfolgend deshalb ein etwas ausführlicherer (und stellenweise komplizier­ter) Beitrag zu einem Phänomen, das gar nicht so selten vorkommt – und be­lastet, und zwar nicht nur den Betroffenen, sondern auch sein näheres und weiteres Umfeld.

 

 

Erwähnte Fachbegriffe:

 

Schizotypische Persönlichkeitsstörungen – schizotype Persönlichkeitsstörung – Psychopathie – abnorme Persönlichkeit – Soziopathie – Charakterneurose – Persönlichkeitsstörung – schizoide Persönlichkeitsstörung – Borderline-Persönlichkeitsstörung – Grenz-Schizophrenie – Grenz-Psychose – latente Schizophrenie – präpsychotische Schizophrenie – prodromale Schizophrenie – pseudoneurotische Schizophrenie – pseudopsychopathische Schizophrenie – Schizotypie – schizotype Störung – Schizophrenie – Melancholie – Depres­sion – Wahn – Verfolgungswahn – Größenwahn – Liebeswahn – Wahnsystem – Halluzinationen – Sinnestäuschungen – Trugwahrnehmungen – Wortneu­bildungen – Zerfahrenheit – Gedankenlautwerden – Leibgefühlsstörungen – Wahnwahrnehmungen – Gedankeneingebung – Gedankenentzug – Gedan­kenausbreitung – Willensbeeinflussung – Primär-Symptomatik der Schizo­phrenie – Sekundär-Symptomatik der Schizophrenie – Plus-Symptomatik der Schizophrenie – Negativ-(Minus)-Symptomatik der Schizophrenie – Angst – Aggressivität – Rückzug – Isolation – paranoide Schizophrenie – hebephrene Schizophrenie – katatone Schizophrenie – undifferenzierte Schizophrenie – postschizophrene Depression – schizophrenes Residuum – Rest-Symptomatik der Schizophrenie – Schizophrenia simplex – Grimassieren – Faxen - seelisch-körperliche Erstarrung – Stupor – seelisch-körperlicher Erregungs­zustand – Raptus – Befehls-Automatismen – Negativismus –Gemütsverfla­chung – Antriebsminderung – Selbstversunkenheit – Nichtsesshaftigkeit – Ob­dachlosigkeit – schizophrener Genotyp – schizophrenie-ähnlich – unnahbar – unterkühlt – gemütskalt – skurril – exzentrisch – eigentümlich – steif – ver­schlossen – merkwürdig – maniriert – gekünstelte Sprache – vermeidender Augenkontakt – befremdliche Distanzierungswünsche – rasche Kränkbarkeit – schnell verärgert – Albernheits-Unfähigkeit – Humorlosigkeit – fehlende Freundschaften – beziehungs-arm – bindungs-arm – misstrauisch – wahnhaft – reizbar – aggressiv – feindselig – Verleumdungs-Furcht – auffällige Kleidung – verschmutzt – ungepflegt – Sprach-Besonderheiten – idiosynkratische Aus­drücke – Weitschweifigkeit – sprachliche Auflockerung – Inkohärenz – sprach­liche Zusammenhanglosigkeit – gekünstelte Sprache – neue Sprach-Kon­struktionen – unübliche Redewendungen – „privater“ Wortschatz – Sprach-Neukonstruktionen – seltsame Glaubensinhalte – magisches Denken – magische Fähigkeiten – Beziehungsideen – Beziehungswahn – Aberglaube – paranormale Phänomene – paranormale Fähigkeiten – Gedankenlesen – Glaube an Hellseherei – Telepathie – „sechster Sinn“ – ungewöhnliche Wahr­nehmungserfahrungen – Dysmorphophobie – Entstellungsfurcht – Körper­gefühlsstörungen – metaphorisches Denken – Zwangsgrübeln – Zwangs­handlungen – magische Rituale – Körpergefühlsstörungen – illusionäre Ver­kennungen – Depersonalisation – Derealisation – Wahrnehmungsveränderun­gen – psychosenahe Episoden – Depersonalisations-Angst – Ich-Erlebnisstö­rungen – innere Entfremdung – innere Unwirklichkeit – Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit – Affekt-Vermeidung – Gefühls-Kontrolle – Gemütskälte – mangelhafte zwischenmenschliche Schwingungsfähigkeit – Wurstigkeit – Gemütsarmut – Lieblosigkeit – Teilnahmslosigkeit – Gleichgültigkeit – Kalt­herzigkeit – Sicherheits-Distanz – Schutz vor gefühlsmäßiger Überflutung – Verunsicherungs-Angst – seelische Filter-Störung – seelischer Wall – krank­hafter Gefühlshaushalt – seltsame Glaubensinhalte – magisches Denken – kognitive Einbußen – Unlogik – Müdigkeit – Mattigkeit – rasche Erschöpfbar­keit – somatoforme Störungen – psychosomatische Störungen – Merkstörun­gen – Konzentrationsstörungen – Vergesslichkeit – Verhaltensdefizite – sozialer Rückzug – Argwohn – Überspanntheit – Panikreaktion – überzogene Verletzlichkeit – unkontrollierbares Gefühlsleben – Infekt-Anfälligkeit – seeli­sche Verwundbarkeit – Vulnerabilität – Persönlichkeitsänderung durch körper­liche Erkrankungen – Alkoholismus – Rauschdrogen – Medikamenten-Abhän­gigkeit – Parkinson – Multiple-Sklerose – Hirnhautentzündung – Gehirn­entzündung – posttraumatische Belastungsstörung – Autismus – Asperger-Syndrom – Informations-Verarbeitungsstörung – krankhafte Phantasie – kalt­herzige Erziehung – herabsetzender Erziehungsstil – Pharmakotherapie – Neuroleptika – Antidepressiva – trizyklische Antidepressiva – MAO-A-Hemmer – SSRI – Antidepressiva – Psychotherapie – Verhaltenstherapie – Training sozialer Fertigkeiten – u.a.m.

 

Früher, als die Persönlichkeitsstörungen noch Psychopathie oder abnorme Persönlichkeit genannt wurden, gelegentlich auch Soziopathie, Charakter­neurose u. a., gab es Dutzende von Unterteilungen, je nach hervortretenden Charakterzügen (von autistisch bis zwanghaft-querulatorisch).

 

Nach den heutigen modernen Einteilungs-Empfehlungen (s. später) gibt es nur noch etwa ein halbes Dutzend Formen von Persönlichkeitsstörungen. Die meisten der dominierenden Eigenschaften gehen schon aus dem Fachbegriff hervor: vermeidend-selbstunsichere, narzisstische, zwanghafte, depressive, passiv-aggressive, hysterische (heute histrionisch genannte) sowie antisoziale Persönlichkeitsstörungen.

 

Schon etwas schwieriger sind die Begriffe Borderline-, paranoide (wahnhafte) und schizoide (der Schizophrenie ähnliche) Persönlichkeitsstörungen.

 

Und ganz besonders schwierig wird es bei dem Begriff schizotype oder schizo­typische Persönlichkeitsstörung, vor allem wenn man noch die bedeutungs­gleichen bzw. bedeutungs-ähnlichen Bezeichnungen heranzieht. Um was han­delt es sich bei diesem Leiden und wo liegt der Unterschied zwischen schizoi­den und schizotypischen Persönlichkeitsstörungen, die ja offensichtlich beide eine verwandtschaftliche Nähe zur schizophrenen Psychose zeigen. Nachfol­gend deshalb eine etwas weitergefasste Übersicht:

 

  Zur Geschichte der schizotypischen Persönlichkeits­störung

 

Schon die Geschichte der Persönlichkeitsstörungen an sich ist ein weites Feld. Sie vermittelt nicht nur interessante Einblicke in ein ohnehin spektakuläres Krankheitsbild mit einer Reihe von Untergruppen, je nach Persönlichkeits­struktur bzw. Eigenheiten der jeweiligen Wesensart mit entsprechendem Leidensbild und Konsequenzen für sich und andere (man denke nur an die antisoziale Persönlichkeitsstörung). Sie vermittelt auch historische Aspekte der Psychiatrie generell, vor allem was zwischenmenschliche, gesellschaftliche oder gar grenzwertige bis gefährliche Verhaltensweisen der menschlichen Psyche anbelangen. Einzelheiten zu diesem Thema siehe das Übersichts­kapitel Persönlichkeitsstörungen in dieser Serie und die empfehlenswerten Fach(!)-Bücher „Persönlichkeitsstörungen“ von P. Fiedler (2001), DSM-IV-TR der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung – APA (2003), „Psycho­pathie – Soziopathie – Dissozialität“ von H. Saß (1987) und „Persönlichkeits­störungen – Leitlinien und Quellentext“ von W. Tress u. Mitarb. (2002).

 

Wie bereits erwähnt gibt es ganz unterschiedliche Persönlichkeitsstörungen, wobei die gesellschaftlich belastenden bis bedrohlichen natürlich einen breite­ren Diskussionsraum einnehmen. Doch es gibt auch Persönlichkeitsstörungen, die vor allem für sich selber ein Problem sind (die fremd-aggressiven natürlich letztlich auch). Das betrifft insbesondere selbstunsichere, zwanghafte, über-abhängige Charakterstrukturen. Davon aber hört man meist wenig. Das ver­zerrt natürlich den Gesamt-Eindruck.

 

Die spezielle Bedeutung der schizotypischen Persönlichkeitsstörung und mit ihr die so manche Verbindung aufweisenden schizoiden und Borderline-Persönlichkeitsstörungen ergibt sich vor allem aus ihrer Nähe zur Schizophre­nie, was erbliche Belastung, Beschwerdebild, Ursachen, Krankheitsverlauf, psychosoziale Folgen und letztlich therapeutische Möglichkeiten und Grenzen betrifft.

 

 

Die Schizophrenien heute

 

Die Schizophrenie gehört zu den am intensivsten beforschten Krankheitsbil­dern in der Psychiatrie (und geht schon auf alt-testamentarische Schilderun­gen zurück, ähnlich wie die Melancholie, die Depression). Trotzdem ist sie bis heute ein letztlich ungeklärtes Phänomen geblieben, was die biologischen Ursachen anbelangt, ja, man ist sich noch nicht einmal sicher, ob es sich nicht um mehrere Schizophrenie-Formen handelt, was sich auch in den Klassifi­kationen, den wissenschaftlichen Einteilungsversuchen niederschlägt (siehe Kasten). Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die so genannten schizophrenie-nahen Störungen, also die erwähnten schizoiden, Borderline- und eben auch schizotypischen Persönlichkeitsstörungen lange Zeit zu keinen festen und allseits anerkannten Definitionen und Klassifikationen führten. Jedenfalls liefen die verschiedenen wissenschaftlichen Konzepte zu diesen Störungen bis weit in die 70er-Jahre hinein recht unverbunden, ja divergierend bis kontrovers diskutiert nebeneinander her, je nachdem, welche Forschungs­richtung sich ihrer annahm (psychiatrisch, psychoanalytisch, biologisch, ge­sellschafts-wissenschaftlich u. a.).

 

Nachfolgend sei deshalb vor allem der Kasten über die bisherigen Schizo­phrenie-Konzepte als erster Überblick empfohlen; oder noch besser das aus­führliche Kapitel über die Schizophrenien in dieser Serie.

 

 

Einteilung der Schizophrenien nach ICD-10

 

   Paranoide Schizophrenie: Dauerhafte Wahnvorstellungen, ggf. Halluzina­tionen (Sinnestäuschungen, Trugwahrnehmungen), besonders akustischer Art. Beispiele für die paranoiden bzw. halluzinatorischen Symptome: Verfol­gungs-, Beziehungs-, Abstammungs-, Sendungs-, Eifersuchts- u. a. Wahnfor­men. Ferner Stimmen, die den Betroffenen bedrohen oder ihm Befehle geben; sonstige akustische Sinnestäuschungen wie Pfeifen, Brummen oder Lachen. Ggf. auch Geruchs- oder Geschmacks-Halluzinationen, sexuelle oder andere Körper-Sinnestäuschungen (Gesichtshalluzinationen sind möglich, aber bei der Schizophrenie eher selten). Vor allem die Halluzinationen prägen den Überbegriff einer produktiven oder Plus-Symptomatik (nicht als Plus im herkömmlichen Sinne, nur konkret zur Unterscheidung von der so genannten Minus- oder Negativ-Symptomatik – s. später).

 

   Hebephrene Schizophrenie: Vor allem affektive (Gemüts-)Veränderun­gen. Wahnvorstellung und Sinnestäuschen sind flüchtig und bruchstückhaft. Das Verhalten imponiert als verantwortungslos und unvorhersehbar. Manie­rismen (gekünsteltes bis bizarr erscheinendes Verhalten) sind häufig. Die Stimmung ist flach und unpassend, oft begleitet von Kichern oder selbstzu­friedenem, selbstversunkenem Lächeln, auch mal mit einer hochfahrenden Umgangsweise, begleitet von Grimassieren, Faxen, hypochondrischen Klagen (jammerige Krankheitsbefürchtungen) und ständig wiederholten (oft sinnlosen) Äußerungen. Das Denken ist ungeordnet, die Sprache weitschweifig bis zerfahren. Das Verhalten erscheint ziellos, ohne Empfindung, Zuwendung, zwischenmenschliche Kontaktwünsche, deshalb vor allem Rückzug- und Iso­lationsgefahr.

 

   Katatone Schizophrenie: Überwiegend psychomotorische (seelisch-körperliche, insbesondere was die Bewegung anbelangt) Störungen, die zwi­schen extremem Erregungszustand und Stupor (seelisch-körperliche Erstar­rung) pendeln und auch durch so genannte Befehls-Automatismen und Nega­tivismen erweitert werden können. Ähnliches gilt für Zwangshaltungen und -stellungen, ggf. sogar kurzfristige schwere Erregungszustände. Früher häufi­ger, heute zumindest in den westlichen Industrienationen selten.

 

   Undifferenzierte Schizophrenie: Eine Art Zusatz-Kategorie, die zwar die Grund-Symptomatik der erwähnten Zustandsbilder zeigt, jedoch keiner Gruppe eindeutig zugeordnet werden kann.

 

   Postschizophrene Depression: Eine u. U. länger anhaltende depressive Episode im Anschluss an eine schizophrene Erkrankung. Einige schizophrene Symptome sind noch vorhanden, beherrschen aber nicht mehr das Leidens­bild.

 

   Schizophrenes Residuum: Etwas unglücklich gewählter Begriff der einer­seits eine Besserung, andererseits aber eine Art chronisches Stadium im Ver­lauf einer schizophrenen Erkrankung bezeichnen soll (Rest-Symptomatik), meist eine so genannte Minus- oder Negativ-Symptomatik: seelisch-körper­liche Verlangsamung, verminderte Aktivität, Gemütsverflachung, Passivität, Initiative-Mangel, Vernachlässigung der Körperpflege, Rückgang der sozialen Leistungsfähigkeit, äußerliche Nachlässigkeiten (Körperhygiene, Kleidung, Essverhalten) u. a.

 

   Schizophrenia simplex: Ein seltenes Zustandsbild mit schleichendem Voranschreiten einer nicht unbedingt auffälligen (also keine produktiven Schizophrenie-Symptome wie Wahn, Sinnestäuschungen u. a.), sondern eher Negativ- bzw. Minus-Symptomatik: Gemütsverflachung, Antriebsminderung, Selbstversunkenheit, Rückzug, Isolationsneigung. Allmähliche Krankheits­entwicklung und langsames, meist unaufhaltsames Fortschreiten des Leidens mit ungünstigen Heilungsaussichten. Am Schluss sogar der Gefahr des Ab­stiegs in die Nichtsesshaftigkeit (Obdachlosigkeit).

 

Wichtig: Wahrscheinlich ist die früher häufiger verwendete Diagnose einer Schizophrenia simplex weitgehend identisch mit der heute gebräuchlicheren Diagnose einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung (siehe Text).

 

Nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 der Weltgesund­heitsorganisation (WHO).

 

 

Die Kern-Symptomatik, also das in der Regel am häufigsten belastende Beschwerdebild besteht – etwas vereinfacht gesehen – aus

 

        Gedanken, die eingegeben oder entzogen werden, die sich laut äußern oder sich gar auf andere Personen auszubreiten scheinen,

 

        das Gefühl, auf widernatürliche Weise beeinflusst und kontrolliert zu wer­den (z. B. Gedanken, Bewegungen, Empfindungen als „von anderen ge­macht“ erlebt),

 

        Wahn, insbesondere wahnhafte Beeinflussung und Verfolgung, aber auch Größenwahn, Liebeswahn usw., eventuell komplizierte Wahnsysteme,

 

        Halluzinationen, also Sinnestäuschungen bezüglich Geruch, Geschmack und Tastsinn, vor allem aber Gehör. Beispiele: vergiftet, bestrahlt, elektri­siert werden, Stimmen hören,

 

        Einschiebungen in den Gedankenfluss, die zu Wortneubildungen und zu einer unverständlichen Sprache führen können, bis hin zur „Zerfahrenheit“ sowie ggf.

 

        Erregung oder Erstarrung in Bewegungslosigkeit, einschließlich Verstum­men u. a.m.

 

Früher unterschied man auch noch in

 

        erstrangige schizophrene Symptome, z.B. akustische (Gehörs-)Sinnestäu­schungen wie Stimmen, die im Dialog miteinander sprechen und das Tun und Lassen der Patienten kommentieren, ferner das so genannte Gedan­kenlautwerden, dazu Leibgefühlsstörungen und Wahnwahrnehmungen sowie Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung und Willensbeeinflussung.

 

        Als zweitrangig empfand man dagegen Trugwahrnehmungen beim Sehen, Riechen und Schmecken, Wahneinfälle u. a.

 

Heute diskutiert man als Primär-Symptomatik so genannte Grund- oder Basis­störungen der Wahrnehmung und des Denkens, die auf den ersten Blick eher unauffällig, in Wirklichkeit für das „gesunde“ Empfinden weniger zugänglich erscheinen. Beispiele: Einfallsarmut, Denkverlangsamung, Leere im Kopf, Unfähigkeit, das Denkziel konsequent auszurichten und fest zu halten, Grübel­sucht, Gedankenkreisen, erschwertes Verstehen von Fragen, Verlust auto­matischer Fertigkeiten, Ausblenden der Gedanken (so dass "Leer-Stellen“ drohen), Verarmung des Sprachschatzes mit zunehmenden stereotypen Redewendungen, Verlust sprachlicher Präzision, herabgesetzte Wortflüssig­keit u.a.m.

 

Daraus, so stellt man sich das heute vor, ergeben sich dann die Sekundär-Symptomatik mit verzweifelter Hilflosigkeit, vor allem aber Angst, Nieder­geschlagenheit, ggf. auch Erregung und Aggressivität, meist aber Rückzug, Isolation und weiteren Verhaltensauffälligkeiten.

 

Wie aus den ausführlichen Darstellungen des entsprechenden Groß-Kapitels über die Schizophrenien hervorgeht, handelt es sich bei diesem Leiden um multikausale Entstehungsursachen (mit vielen Gründen). Das beginnt mit dem Risiko der erblichen Belastung (zwischen 10 und 14%, wenn ein Elternteil, bis zu über 60%, wenn beide Elternteile schizophren erkrankt sein sollten) und geht über zahlreiche weitere Einflussfaktoren (z. B. frühkindliche Traumata, d. h. seelisch-psychosoziale Verwundungen), aber auch reale Geburtstraumen sowie weitere körperliche Krankheiten bis zu kritischen Lebensbelastungen, innerseelischen oder äußeren Stress-Faktoren (Eltern, Geschwister, Partner­schaft, Beruf u. a.). Einzelheiten dazu siehe die entsprechende Tabelle in dem Kapitel über die Schizophrenien.

 

 

Biologische, neurosen-psychologische und Kompromiss-Konzepte

 

Was heißt dies nun aber für das Konzept der schizotypischen Persönlichkeits­störung?

 

Schon der Begriff „schizotypisch“ oder „Schizotypie“ hat seine eigene Ge­schichte. Er geht auf die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück, als man sich immer klarer wurde, dass hier nicht nur biologische, sondern auch erbliche Faktoren eine Rolle spielen (damaliger Fachbegriff: schizophrener Genotyp).

 

Zwar müssen deshalb nicht alle Menschen mit einer solchen Belastung später an einer allseits erkennbaren Schizophrenie erkranken, doch drohen zumin­dest in einer auffälligen Zahl der Betroffenen bestimmte Persönlichkeitsmerk­male, die zwar nicht schizophren, aber irgendwie „schizophrenie-ähnlich“ zu sein pflegen. Dazu zählen insbesondere Gemütsstörungen, beispielsweise auch das Problem, tiefe Freude zu empfinden. Und auch eine gestörte Wahr­nehmung, speziell was die eigene Körperlichkeit anbelangt.

 

Hier und auch später werden deshalb immer wieder Begriffe auffallen, die man sonst nie gehört hat bzw. die schwer verständlich sind. Der Grund ist einfach und bezieht sich vor allem auf seelische Störungen im Allgemeinen und schizophrenie-ähnliche im Speziellen: Wenn alles stimmt, wenn alles unauffäl­lig abläuft, wird man sich der „Normalität“ kaum bewusst sein. Wenn hingegen etwas anders, gestört, vielleicht sogar quälend beeinträchtigend wird, kann dies gerade im kranken Seelenleben neue Begriffe erzwingen, die dieses un­gewöhnliche Defizit beschreiben sollen. Das ist ein Problem, mit dem sich der Gesunde natürlich nicht beschäftigen muss: Was stimmt, was funktioniert, was nicht belastet, muss auch nicht erläutert werden, wird sorglos hingenommen und braucht schon gar keine besonderen Bezeichnungen. Das nebenbei als Erklärung für den unfreiwilligen Zwang, dem sich viele schizophren Erkrankte ausgeliefert fühlen, weil sie etwas erläutern sollen, was mit dem herkömm­lichen Alltags-Wortschatz gar nicht erklärbar ist. Unerklärliche (krankhafte) Empfindungen erzwingen also förmlich die unfreiwillige Erfindung neuer Be­griffe, was im Extremfall in eine „Privat-Sprache“ münden kann.

 

Aber zurück zur Geschichte der schizotypischen Störungen. Es wurde schon eingangs erwähnt, dass es darauf ankommt, welche Wissenschaftszweige sich eines Themas, hier einer Krankheit annehmen. Das können beim (ge­störten) Seelenleben beispielsweise die mehr biologisch orientierten Psychia­ter oder die mehr psychologisch (psychodynamisch) orientierten Psychothera­peuten sein, bis hin zu den tiefenpsychologisch ausgebildeten Psychoanaly­tikern. So kommt im Rahmen dieses Krankheitsbildes auch der Begriff der „pseudoneurotischen Schizophrenie“ zustande, d. h. einer psychiatrischen Er­krankung, die aber vor allem neurotische Verhaltensauffälligkeiten zu zeigen scheint (Intellekt, Gefühl, Verhalten, insbesondere im zwischenmenschlichen, speziell im sexuellen Bereich u. a.).

 

Später kam dann der Begriff der „Borderline-Störung“ auf, der einen ungeheu­eren Forschungsschub auslöste, vor allem weil die Zahl der Betroffenen sicht­lich zuzunehmen schien. Einzelheiten dazu siehe das spezielle Kapitel. Auf einen Satz reduziert heißt Borderline (englisch: Grenzlinie): fließender Über­gang zwischen Normalität (wenn auch etwas „grenzwertig“, wie der Begriff ausdrückt) und schizophrener Erkrankung.

 

Inzwischen hat dieser Begriff seine eigene, weitgehend feste Definition und Klassifikation gefunden. Früher war er eher an die Schizophrenie gebunden und erhielt deshalb auch später die Umbenennung zur „latenten Schizophre­nie“, (latent = vorhanden, aber nicht in Erscheinung tretend, gleichsam ver­borgen), zeitweilig auch „larvierten Schizophrenie“ (vom lateinischen: larva = Maske, also eine unter der Maske neurotischer Fehlhandlungen auftretenden schizo­phrenen Psychose).

 

Der erwähnte Forschungsschub zu diesem Thema (besonders in den angel­sächsischen Nationen) führte im Laufe der kommenden Jahrzehnte zu der Erkenntnis, dass – wie auch immer der Fachbegriff ausfallen sollte – die Be­troffenen vor allem zwei Haupt-Reaktionen zeigen:

 

-         Zum einen mehr in Richtung Schizophrenie (dann später als schizotypische Persönlichkeitsstörung bezeichnet),

 

-         zum anderen eher in Richtung neurotische Entwicklung (dann eher den Konzepten psychoanalytisch orientierter Psychiater und Psychologen im Sinne der Borderline-Störung zugerechnet).

 

Nicht wenige Patienten erfüllen allerdings die kennzeichnenden Merkmale beider Dimensionen, was dann die alte Erkenntnis deutlich machte: Es gibt in der Natur (auch des Menschen und seiner Krankheiten) keine festgefügten, starren Einteilungsblöcke. Das meiste greift mehr oder weniger übergangslos ineinander, auch wenn es letztlich Schwerpunkte geben mag.

 

Trotz allem aber einigte man sich nach und nach darauf, zwei von einander abgrenzbare Persönlichkeitsstörungen anzunehmen. Die frühere Borderline-Schizophrenie empfahl man jetzt als „schizotypische Persönlichkeitsstörung“ zu bezeichnen, die „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ mehr zu den heute akzeptierten Borderline-Persönlichkeitsstörungen mit dem bekannten „instabi­len Verhaltensmuster“ zuzurechnen. Sollte es Überlappungsprobleme geben, dann empfahl man eine Doppeldiagnose, die im gesamten psychiatrischen Bereich ohnehin immer häufiger zu werden scheint (Fachbegriff: Ko-Morbidi­tät).

 

Diese Entwicklung ist offensichtlich befriedigend, jedenfalls scheint sie sich weitgehend durchzusetzen.

 

 

l  BegriffE

 

Frühere Begriffe, die gelegentlich noch auftauchen und für Verwirrung sorgen könnten, waren also Borderline-Schizophrenie, Grenzschizophrenie, Grenz­psychose, latente schizophrene Reaktionen, latente Schizophrenie (s. o.), prä­psychotische Schizophrenie (also vor Ausbruch einer Psychose mit allen charakteristischen Symptomen), prodromale Schizophrenie (gleichsam als eine Art Vorposten-, Warn- oder gar Alarmsymptome), pseudoneurotische Schizophrenie (anstelle einer Neurose bzw. einer Neurose ähnlich) sowie die pseudo-psychopathische Schizophrenie (anstelle bzw. einer Psychopathie ähnlich).

 

Wie bereits in der Überschrift angedeutet und im Text mehrfach erwähnt ist der heute gängige und von den wichtigsten meinungsbildenden Institutionen Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen  (ICD-10) sowie der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) mit ihrem Diagnostischen und Statistischen Manual Psy­chischer Störungen (DSM-IV-TR =Textrevision 2003) empfohlene Begriff die

 

-         schizotype Störung (ICD-10). In dieser Klassifikation aber nicht als Persön­lichkeitsstörung bezeichnet, weil man sie (noch?) dem Bereich der Schizo­phrenien zuordnet (bis man mehr verlässliche Forschungsdaten hat) sowie

 

-         die Schizotypische Persönlichkeitsstörung der APA (im Rahmen des DSM-IV-TR bei den Persönlichkeitsstörungen aufgeführt).

 

In beiden Diagnose-Systemen geht man aber inzwischen davon aus, dass es sich um ein „genetisches Spektrum“ der Schizophrenien handelt, d. h. von den erblichen Bedingungen her gibt es nicht selten einen Zusammenhang (Einzel­heiten siehe später).

 

 

l  Wie äußert sich eine schizotypische Persönlichkeits-störung?

 

Das Hauptmerkmal der schizotypischen Persönlichkeitsstörung ist ein tief­greifendes Verhaltensdefizit im zwischenmenschlichen bzw. psychosozialen Bereich. Das äußert sich nicht zuletzt in Verhaltens-Eigentümlichkeiten, insbe­sondere in der mangelnden Fähigkeit zu engen persönlichen Beziehungen. Auch das Denken und Wahrnehmen erleiden dadurch Verzerrungen, die nicht ohne Folgen bleiben können. Im Einzelnen:

 

Auffällig ist das, was die Psychiater einen inadäquaten oder eingeschränkten Affekt nennen, d. h. der Betroffene erscheint unnahbar, unterkühlt bis kalt, manchmal sogar seltsam („skurril“), exzentrisch, auf jeden Fall eigentümlich in Verhalten und Erscheinung (siehe später). Auch verfügen die Betroffenen – wie es die Psychiater vorsichtig umschreiben – gewöhnlich nicht über die ganze Bandbreite differenzierter Empfindungen und zwischenmenschlicher Kommunikationsformen, die für eine tragfähige Beziehung nötig wären. Des­halb gelten sie als nicht nur unterkühlt und seltsam, sondern auch durch eine zumindest inadäquate Kontaktform benachteiligt, wenn nicht gar steif oder verschlossen.

 

Der äußere Eindruck – man mag es beklagen – hat ja einen viel größeren Stellenwert, als sich die meisten eingestehen. Wenn also jemand in die Gefahr gerät, als merkwürdig, eigentümlich oder gar manieriert (gekünstelt in Sprache und Auftreten) zu gelten, vielleicht sogar Augenkontakt zu vermeiden und irgendwie einen größeren (für die uneingeweihten Anderen überraschenden, irritierenden, ggf. sogar beleidigenden) „Distanz-Kreis“ um sich herum zu be­anstanden, dann kann man sich vorstellen, wie er auf andere wirkt und was man mit ihm macht: man grenzt ihn aus.

 

Bemerkungen aus der  Allgemeinheit, die die schizotypische Persönlich­keitsstörung charakterisieren sollen

 

Eigentümlich, merkwürdig, sonderlich, abweichend, anders, wunderlich, exzentrisch, eigenbrötlerisch, absurd, widersinnig, unnatürlich, übersteigert, verzerrt, grotesk, lachhaft, lächerlich, komisch, kurios, spleenig, verschroben, schrullig, sonderlingshaft, närrisch, verstiegen, überspannt, verdreht, skurril u.a.m.

 

Doch schon zuvor stößt einer um eine gelöste, wenn nicht gar heitere Atmo­sphäre bemühte Gesellschaft, sei es privat oder beruflich, in der Regel gewal­tig auf, wenn der Betreffende sich nicht in der Lage sieht an einer lockeren Diskussion, vielleicht sogar an einem durch wohltuende Albernheit geprägten Geplänkel teilzunehmen. Auch hier die häufige Folge: Man ist verblüfft, „ver­schnupft“, wenn nicht gar gekränkt oder verärgert, vielleicht nicht beim ersten und zweiten Mal, aber danach mit einiger Sicherheit. „So etwas muss man sich nicht freiwillig antun, dafür ist der Alltag zu hart“. Konsequenz: Der- oder diejenige wird es also bald zu spüren bekommen.

 

Oder mit anderen, d. h. mit den trockenen Erläuterungen der diagnostischen Kriterien: Menschen mit schizootypischer Persönlichkeitsstörung haben wenig soziale Bezüge und die Tendenz zu sozialem Rückzug (freiwillig oder erzwun­gen bzw. beides). So erleben die Betroffenen auch die zwischenmenschlichen Kontakte, nämlich als problematisch, wenn nicht gar unangenehm. Und ob­gleich sie damit nicht gerade glücklich zu werden pflegen, ja durchaus unzu­frieden bis bekümmert, besorgt ja deprimiert reagieren können, nicht zuletzt was fehlende Freundschaften und damit auch Beziehungen anbelangt, so scheinen sich viele doch mit ihrem verminderten Bedürfnis nach (nicht zuletzt intimen) Kontakten abzufinden. Nur wenige haben enge Freunde oder Ver­traute, abgesehen von nahen Verwandten (wobei auch diese Beziehungen von beiden Seiten nicht gerade als familiärer Pluspunkt gewertet werden).

 

Dabei muss es sich nicht einmal um eine zu rasche Kränkbarkeit oder gar ab­rupte Neigung zur Verärgerung handeln. Nein, diese Patienten reagieren eher „übervorsichtig“, ängstlich, verunsichert, scheu, vor allem wenn nicht so recht bekannte oder gar fremde Personen „auf sie eindringen“, wie sie das in sub­jektiv überzogener Form wahrzunehmen pflegen.

 

Dabei können Menschen mit einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung durchaus Kontakt aufnehmen, vor allem wohl aber nur dann, wenn es zu ihren Aufgaben zählt, wenn sie es müssen, wobei man ihnen diesen gesellschaft­lichen oder beruflichen Zwang durchaus ansehen kann, er kostet sie viel Kraft. Doch wenn es irgend geht, ziehen sie es vor alleine zu bleiben, im Hintergrund tätig zu werden, keine „unnötigen Kontakte zu riskieren“. Dann fühlen sie sich leichter, leistungsfähiger (was sie durchaus sind). Bei entsprechender Entlas­tung sieht man ihnen diese Erleichterung förmlich an. Allerdings beschleicht sie oft auch das ungute Gefühl, nicht nur anders zu sein als die anderen son­dern damit auch „nicht dazugehören“ zu dürfen – ein Teufelskreis.

 

Und selbst wenn sie ihre Umgebung inzwischen besser kennen, bleibt doch ihre soziale Angst weitgehend bestehen. Denn es ist nicht nur die Unfähigkeit mit den anderen vertraut zu werden (was nicht nur mit „sich trauen“, sondern eben auch subjektiv mit „kann man dem trauen?“ zusammenhängt). Es be­lastet ggf. auch ein unnatürliches Misstrauen, bis hin zu gelegentlich wahnhaft erscheinenden Ideen (Stichwort: Was hat der andere vor und was droht mir damit?). Das ändert sich auch nicht im Laufe einer um Vertrauen bemühten Atmosphäre, z. B. bei einem gemeinsamen Essen. Patienten mit einer schizo­typen Persönlichkeitsstörung werden im Laufe des Abends nicht entspannter, zugewandter, aufgeschossener und heiterer, sondern oftmals immer nervöser, angespannter, ja misstrauischer bis gar (unterschwellig) reizbar-aggressiv oder feindselig. Dies betrifft im Übrigen nicht nur engere zwischenmenschliche oder gesellschaftliche, sondern auch berufliche Situationen. Und da man mit einem solchen Menschen notgedrungen nicht so recht „warm“ wird und ihn deshalb eher meidet oder „in Ruhe lässt“, kommt bei dem Betreffenden viel­leicht auch noch die fälschliche Annahme auf man möge ihn nicht, wolle ihn abdrängen, ausgrenzen, beiseite schieben, vielleicht sogar „schlecht machen“ oder „verleumden“. Und daher sein Alleinsein, seine Einsamkeit, seine mangelhaften Aufstiegschancen u. a. m.

 

Da ist natürlich etwas dran, denn der Mensch besteht nicht nur aus Leistung (die jeder gerne nutzt), sondern auch aus einer Wesensart, die eine ange­nehme zwischenmenschliche Atmosphäre zumindest nicht behindert, am besten aber fördert. Und dies kann man nun von einem Menschen mit schizo­typischer Persönlichkeitsstruktur kaum behaupten, auch wenn er dies spürt bzw. zu spüren bekommt und ggf. zu lindern versucht. Das ist zwar eine Frage der Ausprägung des Leidens und besagt: In „verdünnter“ Form kann man durchaus etwas dagegen tun, im Extremzustand wohl nicht. Was aber grund­sätzlich bleibt ist die Unsicherheit der anderen, „ob er es schafft, so zu reagie­ren wie andere, normale Menschen auch“ oder wieder einmal nicht. Und man fühlt sich dabei stets unwohl, verunsichert, wenn nicht gar brüskiert, verärgert oder hilflos-wütend. Und selbst wenn er diese negativen Eigenschaften zu zügeln in der Lage ist, spürt man geradezu schuldbewusst die Anstrengung, die es ihn kostet, um freundlich-zugewandt zu sein, wie es unter den alltäg­lichen Bedingungen üblich ist bzw. wie man es unter „normalen Menschen“ verlangen darf.

 

Außerdem kann hier ein zweiter Punkt sehr unangenehm aufstoßen, nämlich der äußere Eindruck, den die Betreffenden häufig bieten. Das reicht von der nachlässigen (und zwar nicht modisch betont saloppen) Kleidung, manchmal sogar fleckig oder verdreckt bis hin zu grotesken Aufzügen (wiederum nicht modisch bestimmt, sondern „skurril“) und schließt auch die Hygiene mit ein, die bisweilen sehr zu leiden hat. Beides muss – nebenbei gesagt – nicht so sein, fällt aber doch bei diesen Menschen häufiger auf, als einem lieb ist.

 

Und auch das bewusste Übersehen oder gewollte Übergehen der jeweiligen sozialen Konventionen, die neben der Leistung über das Fortkommen ent­scheiden, von der zwischenmenschlichen Atmosphäre im Alltag einmal ganz abgesehen, tragen so manches zur allgemeinen Irritation bei – und zwar nachhaltiger, als den meisten Patienten klar zu sein scheint. Hier zeigt sich dann auch, dass es eine unselige Mischung aus Nicht-Können, aus Nicht-Wollen und aus Nicht-Erkennen ist, die hier – krankheitsbedingt – ein Leben nachhaltig zu belasten bzw. zu zerstören vermag.

 

Zu den mitentscheidenden Faktoren, und zwar an erster Stelle (zuerst der optische, dann der akustische erste Eindruck), gehört auch die Sprache. Über die Form (z. B. ungewöhnliche Sprachmelodie, d. h. eigenartige Betonung beim Sprechen mit unerwarteten Pausen dazwischen, Störung der Artikula­tion, also der Formung der Sprachlaute, besonderer Silbenfluss, also verlang­samt, beschleunigt u. a.) mag sich hier noch nicht soviel Unheil zusammen­brauen, wohl aber bezüglich des Inhalts. Denn auch hier drohen Über­raschungen. Die Sprache kann nämlich recht ungewöhnlich ausfallen und – wie die Fachleute es ausdrücken – idiosynkratische Ausdrücke oder Konstruk­tionen enthalten. Auf deutsch: eine unüberwindliche Abneigung, ja einen regel­rechter Widerwillen gegenüber bestimmten Gegenständen, Anschauungen oder Personen signalisieren.

 

Das reicht bereits aus, um sich nach und nach zu isolieren. Noch riskanter aber wird es, wenn der Betreffende sich nicht nur vage oder weitschweifig, sondern gar „grenzwertig aufgelockert“ äußert, d. h. es fehlt im zwischen­menschlichen Kontakt verwirrend häufig am nachvollziehbaren Zusammen­hang des Gesagten, er wirkt schwer begreifbar, vielleicht sogar verwirrt bis verrückt.

 

Wirkliche sprachliche „Entgleisungen“ oder gar eine so genannte „Inkohärenz“ (Zusammenhanglosigkeit des Gesprochenen), wie sie bei schizophren Er­krankten möglich sind, kommen jedoch bei schizotypischen Persönlichkeiten nicht vor. Was jedoch durchaus irritieren kann, sind entweder so genannte „überkonkrete“, wenn nicht gar „abstrakt“ wirkende Antworten, d. h. irgendwie gekünstelt, eigenwillig, „neu“, „sonderbar“, „konstruiert“, auf jeden Fall „ge­wöhnungsbedürftig“. So werden beispielsweise Worte und Sätze in unüblicher Weise gebraucht, bis hin zu völlig unbekannten Satz-Konstruktionen, die ganz offensichtlich einem privaten Wortschatz, wenn nicht gar einem „geisteskran­ken Gehirn“ entstammen müssen (Zitat).

 

Bis hierher war es vielleicht „grenzwertig“, aber tolerierbar, was gedacht, ge­fragt, geantwortet, (über-)reagiert oder offenkundig nicht reagiert wurde. Es kann aber auch den Rahmen des „es könnte noch normal sein“, vor allem in einer ohnehin „abgehobenen Umwelt“ (crazy is in) sprengen, teils schleichend, teils auch überraschend deutlich:

 

Von Misstrauen oder gar reizbar-aggressiver Feindseligkeit war bereits die Rede. Darüber hinaus aber sind bei schizotypischen Persönlichkeitsstörungen auch paranoide (wahnhafte) Ideen möglich. Und seltsame Glaubens­inhalte, ja die Neigung zu „magischem Denken“, und zwar über das hinaus, was in manchen Kreisen derzeit wieder Mode wird. Ganz zu schweigen von der subjektiven Meinung über „Fähigkeiten“ zu verfügen, die nicht nur das jeweilige Verhalten beeinflussen, sondern jetzt durchaus deutlich im Wider­spruch zur aktuellen kulturellen oder gesellschaftlichen Norm stehen (s. u.). Oder kurz und auf deutsch: schrullig, komisch, verschroben, verklemmt, über­geschnappt, verrückt, durchgedreht oder – wie die härtesten Bezeichnungen in der Allgemeinheit zu sein pflegen – geistesgestört, geisteskrank oder gar schwachsinnig.

 

So hart diese Begriffe auch ausfallen mögen (wobei ordinäre Bezeichnungen gar nicht erwähnt wurden), so sehr muss man auch ein mitunter überaus verwundertes Umfeld verstehen, das nicht aus reiner Lust am „niedermachen“ (Stigmatisierungs- oder gar Diskriminierungsneigung), sondern aus echter Verwunderung heraus, wenn nicht gar erbost bis wütend reagiert. Denn Menschen mit schizotypischer Persönlichkeitsstörung haben auch gar nicht so selten regelrechte Beziehungsideen, d. h. sie interpretieren zufällige oder alltägliche Vorkommnisse oder äußere Ereignisse falsch, so als ob sie eine besondere und ungewöhnliche Bedeutung hätten und dies konkret und spe­ziell für den Betreffenden entweder negativ (dann mit entsprechenden Folgen) oder positiv (was sich meist weniger problematisch anlässt).

 

Solche Beziehungsideen haben allerdings noch nichts mit einem Beziehungs­wahn zu tun, an dem mit wahnhafter Überzeugung unbeirrbar festgehalten werden muss. Ein Beziehungswahn ist zwar eindeutig krankhaft. Dafür er­scheint er aber – das mag auf den ersten Blick etwas verwirren –, im Meinungsbild der Allgemeinheit und damit für das zwischenmenschliche Ver­hältnis zwischen Patient und Umfeld sogar günstiger. Warum? Wenn ein Wahn einmal als Wahn, d. h. eindeutig krankhaft aufgefallen und als Krankheit akzeptiert wurde, dann reagieren die Menschen schon vorsichtiger, im Einzel­fall sogar verständnisvoller, handelt es sich doch um einen ganz offensichtlich „geistig Verwirrten“, den man nicht mit „normalen Maßstäben“ messen kann.

 

Das ist aber bei den meisten Beziehungsideen nicht so eindeutig durchschau­bar und wird deshalb auch eher mit herkömmlichen Maßstäben beurteilt und mangels Verständnis für die krankhaften Hintergründe auch unnachsichtig verurteilt. Mit anderen Worten: Massive Beeinträchtigungen können fürs Erste vorteilhafter ausfallen als „grenzwertige“, die nicht mit Verständnis („krank“), sondern Verurteilung verbunden sind, weil das Umfeld in diesem Punkt psychiatrisch-fachlich überfordert ist

 

Ähnliches gilt für die „absonderliche“ Neigung, sich von abergläubischen oder „paranormalen“ Phänomenen so in Beschlag nehmen zu lassen, so dass selbst durch zwingende Vernunftgründe oder „gütliches Zureden“ kein Entrin­nen mehr möglich zu sein scheint.

 

Natürlich sind hier, wie bei allen anderen individuellen Einschätzungen, Reak­tionen und Verhaltensweisen jene Normen zu berücksichtigen, die die jewei­lige kulturelle bzw. gesellschaftliche Ausgangslage nahe legen. Das kann ge­rade in unserer Zeit und Gesellschaft ein durchaus dehnbarer Aspekt sein, der wenigstens in dieser Hinsicht den Betroffenen zu Gute kommt. Doch irgend­wann sind auch hier die Toleranzgrenzen erreicht, die Umgebung fängt an nachdenklich, beunruhigt, besorgt, skeptisch, vielleicht sogar ironisch, zynisch oder sarkastisch bis wütend zu reagieren.

 

Das droht nicht zuletzt dann, wenn Patienten mit einer schizotypischen Per­sönlichkeitsstörung das Gefühl entwickeln, über besondere Kräfte und Fähig­keiten zu verfügen, beispielsweise Geschehnisse voraus zu sehen und die Gedanken anderer zu lesen. Ja, sie können der Meinung sein, die magische Kontrolle über ihre Mitbürger zu erlangen, Vorhersagen zu machen, dunkle Interpretationen mit folgenreicher Schlussfolgerung zu ziehen u. a.

 

Dabei knüpfen sie in der Regel an Alltäglichkeiten an, die in der Allgemeinheit als unerheblich, auf jeden Fall aber aus der jeweiligen Situation heraus als natürlich bis nachvollziehbar oder gar zwingend erscheinen. Man ist also schon über eine ganz offensichtlich unnötige bzw. nicht situationsgerechte Interpretation von Ereignissen irritiert, die sich offenbar nur dem – bisher noch nicht als krank erkannten – Persönlichkeitsgestörten aufdrängen (Kommentar: „Was soll der Unsinn?“).

 

In diesem Zusammenhang fallen auch häufig ein zwanghaftes Grübeln oder gar bestimmte Zwanghandlungen auf. Für sich allein genommen müssen sie noch kein größeres Aufsehen erregen. Das ändert sich aber dann, wenn sie vom Patienten als potentiell schädigende Einflüsse interpretiert und dadurch neutralisiert werden, dass man sie als magische Rituale einsetzt, was dann natürlich als lächerlich bis ärgerlich empfunden werden kann.

 

Gequält werden viele Betroffenen schließlich auch noch von gedanklichen Zwangsinhalten was Sexualität, Aggressivität, ja sogar ungewöhnliche Wahr­nehmungsinhalte anbelangt. Dazu gehören beispielsweise Körpergefühls­störungen, illusionäre Verkennungen (normale Eindrücke, die aber krank­haft umgedeutet werden), vor allem aber die nachvollziehbar verwirrenden bis in Panik versetzenden krankhaften Phänomene von Depersonalisation (bin ich noch ich selber?) oder Derealisation (alles so sonderbar, komisch, eigen­artig).

 

Zu den schwerwiegendsten Beeinträchtigungen gehören die so genannten Wahrnehmungsveränderungen, also Sinnestäuschungen, bei denen natür­liche Wahrnehmungen krankhaft verändert erscheinen: alles zu groß, zu klein, verzerrt in Größe und Gestalt u. a. Das sind dann zwar vorübergehende, aber doch zumindest psychose-nahe Episoden (also wie bei einer schizophrenen Psychose). Wenn dann noch intensive illusionäre Verkennungen (s. o.), ja akustische (Gehörs-) oder andere Halluzinationen sowie wahnähnliche Ideen hinzukommen, dann wird dieses Krankheitsbild schwer erträglich, und zwar sowohl für den Betroffenen als auch für seine ratlose Umgebung. Die Lang­zeitfolgen kann man sich denken.

 

So gesehen ist das Beschwerdebild einer schizotypischen Persönlichkeits­störung eine gewaltige Belastung, wie man dies von eindeutig schizophrenen und vor allem im Alltag auffallenden Erkrankten her kennt. Andererseits aber „nur“ in einer Form, Häufigkeit und Ausprägung, wie sie ggf. noch tolerierbar sein könnte – sofern sich alles in einem halbwegs akzeptablen Rahmen bewegt und nach relativ kurzer Zeit wieder normalisiert. „Man müsste doch irgendwann wieder einmal Vernunft annehmen können“ (Zitat). Doch das kon­sequent (!) zu kontrollieren ist dem Betroffenen in der Regel nicht gegeben. Denn gerade die psychose-nahen Symptome (s. o.) treten im Allgemeinen ohne äußere Veranlassung, ohne Vorwarnung und oft in den heikelsten Situa­tionen auf – mit allen Folgen. Und sie münden meist in das, was viele dieser Kranken letztlich und damit definitiv und lebenslang prägt, nämlich Rückzug, Isolation und Vereinsamung.

 

 

Fließende Übergänge zur Normalität – kreativer Schub?

 

Nach all dem könnte man meinen, hier handele es sich nun aber wirklich um eine besonders abnorme seelische Störung, vor allem wenn man die nachfol­genden charakteristischen Eigenheiten dieses Leidens überfliegt. Doch so einfach liegen die Dinge nicht – wie so oft in der Seelenheilkunde. Deshalb zuvor ein Einschub, der das ganze wieder relativiert (und vor allem die Prob­leme einer exakten Diagnose und damit nachfolgenden Therapie deutlich macht):

 

Es gibt nämlich bei der schizotypischen Persönlichkeitsstörung nicht nur flie­ßende Übergänge zur Normalität (wenngleich vielleicht ein wenig „abge­hoben“), es gibt auch die Möglichkeit zu fruchtbarer Kreativität, denn gerade solche Persönlichkeitsstrukturen können durchaus konstruktiv sensibel, ahnungsvoll und beispielsweise künstlerisch produktiv sein. Zwar reagieren sie insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich hochgradig empfindsam, fühlen sich in Gesellschaft anderer eher unwohl und fallen häufig als Einzel­gänger auf. Dies aber muss nicht nur negative Folgen haben. Denn wenn eine künstlerische Begabung hinzukommt, ist sie in solchen psychosozialen Konstellationen nicht selten besonders ergiebig („zurückgezogen zwar, aber damit auch unbeeinflussbar, unverbraucht und voller Schaffenskraft“). Das kann man in den Biographien so mancher Maler, Musiker, Schriftsteller, Bild­hauer und anderer Künstler nachlesen (z. B. in den berühmten Pathographien von W. Lange-Eichbaum und W. Kurth in 11 Bänden mit dem (heute vielleicht nicht mehr ganz so zeitgemäß erscheinenden) Titel: Genie, Irrsinn und Ruhm, 1985 bis 1996.

 

Berufe oder Berufungen mit Kontaktzwang mögen bei schizotypisch Erkrank­ten ihre Probleme machen, wer hingegen die Einsamkeit als gestalterische Grundlage braucht, kann mit einer solchen Wesenart durchaus erfolgreich sein. Ähnliches gilt übrigens auch für nicht wenige „Forscher-Naturen“ in wissenschaftlich ergiebiger Zurückgezogenheit.

 

Oder auch hier in wenigen Worten: Schizotypische Eigenheiten müssen nicht grundsätzlich behindernd, befremdend, belastend, quälend oder gar zerstöre­risch sein. Sie können auch einer fruchtbaren Kreativität zum Durchbruch ver­helfen, nicht zuletzt durch den kräftesparenden Rückzug in und zu sich selber – im Interesse von Gesellschaft, Kultur und wissenschaftlichem Fortschritt. Ob das dann auch dem Betreffenden voll zugute kommt, bleibt eine andere Frage. Möglicherweise hätte er persönlich mehr vom Leben, wenn er erfolgreich und „normal“ kontaktfähig wäre.

 

 

Charakteristische Besonderheiten des schizotypischen Beschwerde­bildes

 

Drei für Diagnose und Therapie interessante Aspekte sind es noch, die das schizotypische Beschwerdebild charakterisieren sollen, was vor allem die psychosozialen Folgen anbelangt. Im Einzelnen (nach P. Fiedler):

 

·        Depersonalisations-Angst: Unter einer Depersonalisation versteht man – wie bereits erwähnt – das Gefühl von „ich bin nicht mehr ich selber“, „irgend etwas ist mit mir los, dass mich vom normalen Fühlen, Denken und damit Kommunizieren, Einordnen, Leistung erbringen usw. abzudrängen droht“.

 

Die Psychiater sprechen von unterschiedlichen Ich-Erlebnisstörungen. Bei­spiele: sich selbst ferne, entfremdet, unvertraut, schattenhaft, unlebendig und unwirklich vorkommend sein u. a.

 

Bei genauem Nachfragen zeigt sich dann, dass diese Entfremdung von sich selber (De-Personalisation) auch eine Endfremdung der menschlichen und sachlichen Umwelt nach sich zieht (De-Realisation). Sehr treffend auch die Konsequenzen, ausgedrückt in der Charakterisierung: „Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit“ oder auf deutsch: Alles ist plötzlich anders – aber wie und warum eigentlich? Und vor allem: Was heißt das für mich und wie gehe ich damit um – insbesondere im Alltag?

 

Die Angst vor solchen Entfremdungs-Phänomenen führt gerade bei schizo­typischen Beschwerdebildern dazu, jene Situationen zu meiden, in denen so etwas ausgelöst, besonders irritierend, peinlich oder quälend sein könnte, vor allem aber zwischenmenschliche Situationen, in denen ggf. ausgeprägte Ge­mütsregungen zu erwarten sind. Die Betroffenen werden sich also bemühen, aufwühlende Erfahrungen zu umgehen.

 

So etwas nennen die Fachleute eine „Affekt-Vermeidung“ (Affekt = Gefühl, Gemüt, Stimmung, in der Allgemeinsprache eine eher unkontrollierte Gefühls­wallung mit entsprechenden Folgen). Diese Affekt-Vermeidung wird besonders bei schizophren Erkrankten beobachtet und ohne nähere Kenntnisse von Pati­ent und Leidensbild rasch negativ interpretiert, nämlich als Mangel oder Ver­lust gemütsmäßiger Ansprechbarkeit und zwischenmenschlicher Schwin­gungsfähigkeit (genereller Vorwurf: borniert, „wurstig“). Die Betreffenden er­scheinen dann gemütsarm bis gemütskalt, lieblos, gleichgültig, teilnahmslos, manchmal sogar kaltherzig, schamlos oder brutal.

 

Je nach Person kann dies bei entsprechender Wesensart durchaus zutreffen, in der Mehrzahl der Fälle wohl aber nicht, vor allem nicht auf Dauer bewusst und gewünscht, denn die negativen Konsequenzen in Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis und am Arbeitsplatz liegen auf der Hand.

 

Bei den schizotypischen Patienten handelt es sich darüber hinaus noch auf der Basis einer biologischen Anlage um eine regelrecht eingeübte „Sicher­heits-Distanzierung“. Diese dient dem Schutz vor gefühlsmäßiger Überflutung und damit Verunsicherung im Alltag. Denn sie haben – ähnlich, wenn nicht ganz so ausgeprägt wie bei schizophren Erkrankten – eine Art „Filter-Störung“. Damit können sie Gedanken und Gefühle nicht so wirkungsvoll werten, ein­ordnen und vor allem das aussortieren, was sich für sie als nicht wesentlich herausstellt. Sie sind also ständig in Gefahr „überflutet“ zu werden. Damit sind sie auch ununterbrochen negativen Gefühlen gleichsam hilflos ausgeliefert und geraten damit rasch in Bedrängnis. Also bauen sie um sich herum eine Art „seelischen Wall“ auf, um dieses Zuviel an nicht aussortierbaren Belastungen und damit letztlich einen Zusammenbruch mangels sinnvoll gespeicherter und nur gezielt genutzter Kraft-Reserven zu vermeiden.

 

Leider führt diese aktive Aussortierung auch zur Vermeidung und damit zum Defizit gemütsmäßiger Erfahrungen, und damit auf längere Sicht zu einer zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen und manchmal auch beruflichen Unsicherheit, die den zu erwartenden Teufelskreis noch mehr anheizt. Denn wenn man nicht täglich „trainiert“, seine Erlebnisse und damit Erfahrungen gefühlsmäßig richtig einzuschätzen, konkret zu beurteilen und damit zu ordnen und für die Zukunft zweckmäßig verfügbar zu halten, dann fehlt einem am Schluss jene Routine im „zwischenmenschlichen Gefühlshaushalt“, die jeder Gesunde von sich aus und ohne großes Nachdenken üben, praktizieren und nutzen darf.

 

Bei den schizotypischen Patienten wird auf jeden Fall eines deutlich: Mit die­ser Verunsicherung aufgrund entsprechender Gemütsstrukturen bzw. -strate­gien lassen sich auch eine Reihe eigentümlicher Verhaltensweisen erklären. Beispiele: Beziehungsideen, seltsame Glaubensinhalte bis hin zum magischen Denken u. a. (Einzelheiten s. o.).

 

·        Intellektuelle und körperliche Irritationen: Viele der subjektiv erlebten Störungen betreffen auch die Aufmerksamkeits- und Informationsverarbeitung (Fachbegriff: kognitive Leistungsfähigkeit). Auch dies ist dem Gesunden von Natur aus gegeben, darüber denkt keiner länger nach. Schizotypisch Er­krankte aber sind vor allem in zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen und Krisen nur schwer in der Lage, ihrem Denken eine logische Ordnung zu geben. Das aber ist wichtig, und zwar wiederum aus den gleichen Überlegun­gen heraus: Bedeutsame und weniger wesentliche Informationen trennen können um danach seine Reaktion auszurichten, vor allem auf möglichst energie-sparende Weise. Ist dies nicht der Fall, sind aufgrund ständiger Über­forderungen die seelischen, geistigen und sogar körperlichen Reserven bald aufgebraucht. Es drohen Müdigkeit, Mattigkeit, rasche Erschöpfbarkeit, und auch das auf allen drei Ebenen, nämlich seelisch, geistige und körperlich – mit den dann wieder psychosozial beeinträchtigenden Folgen.

 

Was die körperlichen Belastungen anbelangt, so klagen schizotypische Pati­enten nicht selten über so genannte somatoforme Beeinträchtigungen. Das ist ein neuer Fachbegriff, der auch für die frühere Bezeichnung „psychosoma­tische Störungen“ steht. Und dies heißt soviel wie: Unverarbeitete seelische Konflikte äußern sich körperlich, z. B. was Kopf, Herz-Kreislauf, Magen-Darm, Wirbelsäule und Gelenke u. a. anbelangt – aber ohne organisch nachweis­baren Grund.

 

Wenn also ständig solche nicht nachweisbaren körperlichen Beschwerden er­tragen werden müssen, dann ist das schon für nicht-schizotypisch Erkrankte ein Problem, für diese Patienten aber noch mehr. Denn die haben ja die Eigenart, für ihre körperlichen Beschwernisse ebenfalls Gründe zu suchen, allerdings weniger bei sich, mehr durch äußere Auslöser, insbesondere aber andere Menschen verursacht. Das kann natürlich rasch zu Auseinanderset­zungen führen („unverfroren“) und einen Teufelskreis anheizen („meiden“).

 

Diese unterschiedliche Einstellung, was die Suche nach dem „Schuldigen“ an­belangt, wenn es sich um psychosomatisch interpretierbare Krankheitszeichen handelt, ist übrigens ein gutes Abgrenzungsmerkmal bei schizophren und auch schizotypisch Erkrankten gegenüber rein psychosomatisch (somatoform) Betroffenen und Gesunden, die in dieser Hinsicht aber auch nur leichtere Be­einträchtigungen erdulden müssen. Letztere suchen die Gründe eher bei sich, ihren eigenen seelischen, körperlichen und psychosozialen Schwachpunkten. Schizophrene und schizotypische Patienten hingegen neigen – wie erwähnt – öfter dazu, äußerliche Ursachen zu verdächtigen, was sowohl vermutete tech­nische als auch menschliche Belastungsfaktoren anbelangt. Die Folgen kann man sich denken (s. o.).

 

·        Verhaltensdefizite und sozialer Rückzug: Diese unglücklichen Strategien führen zum dritten Schwerpunkt des Leidensbildes, nämlich zu zwischen­menschlichen Auffälligkeiten und – die Umwelt lässt sich das nicht lange ge­fallen – zu den schon mehrfach erwähnten End-Folgen: Rückzug und damit Isolationsgefahr. Denn die Familie, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen empfinden diesen ständig nach Ursachen für die eigenen Befindlichkeitsstö­rungen suchenden Argwohn als befremdlich, anmaßend oder gar verstiegen bis exzentrisch (überspannt), vor allem wenn er sich mit versteckten oder gar offenen Vorwürfen gepaart findet. Also ziehen sich die Bezugspersonen ihrer­seits zurück, meiden den Kontakt mit dem schizotypisch Erkrankten (der aber als Kranker gar nicht erkannt wird, nur als belastend bis boshaft), isolieren ihn dadurch und drängen ihn noch mehr in Argwohn, wenn nicht gar Furchtsam­keit bis hin zu panischen Ängsten. Das aber bestätigt den Patienten in seinen irrtümlichen (krankhaften) Vermutungen, erhöht seine seelische Verletzlichkeit und untergräbt das ohnehin nur unzureichend kontrollierbare Gefühlsleben.

 

Den Ausgleich für diese instabile Gemütslage suchen die Betroffenen dann oftmals ausgerechnet wieder in jenen folgenschweren Hilfs-Konstruktionen, die ihnen wiederum am meisten schaden werden: Misstrauen gegen aufrichtig unterstützungswillige Mitmenschen auf der einen und abergläubisch anmuten­de, wenn nicht gar wahnhafte Vorstellungen auf der anderen Seite. Bisweilen werden sie auch zur leichten Beute sektiererischer oder sonst wie suspekter gesellschaftlicher Strömungen und Organisationen.

 

Im Extremfall drohen dann auch noch die erwähnten Depersonalisations-Erfahrungen, die – wie der Fachbegriff lautet – einer psychotischen Dekom­pensation sehr ähnlich sind oder gar psychotisch „abirren“ können, d. h. in Wahn, Ich-Störungen, Sinnestäuschungen u. a.

 

Die Konsequenz ist eine immer häufigere und insbesondere in kritischen Situ­ationen grundsätzliche Vermeidung zwischenmenschlicher Kontakte, was nach und nach zu einem sozialen Defizit führt. Oder auf deutsch: Das zwi­schenmenschliche Alltagstraining fällt weg, der Betroffene wird und wirkt hilf­los, sonderbar, „ver-rückt“, „irr“. So etwas lässt sich auch später nur sehr schwer wieder korrigieren. Derlei vergisst niemand so schnell und bleibt – selbst bei gutem Willen und ausreichendem Fachwissen – auch in Zukunft lieber auf Distanz. Dieser Ablauf erklärt auch gelegentliche Entwicklungsrück­stände der schizotypisch Erkrankten im Bereich der so genannten zwischen­menschlichen Kompetenzen („Alltags-Sachverstand“ è „Alltags-Routine“).

 

Das führt letztendlich dazu, dass sogar alltägliche gemütsmäßige, d. h. zwi­schenmenschliche, konkret gesellschaftliche und berufliche Umgangsformen nicht oder nur verzögert erlernt und gefestigt werden – nur um eine verstärkte Verletzlichkeit zu vermeiden. Und dies hat zur Folge, dass sich die erwähnten Verhaltensdefizite, insbesondere aber die irritierende Gemüts-Verarmung ständig vergrößern und das Risiko der seelischen Verwundbarkeit (Fachbe­griff: Vulnerabilität) ansteigt, bis vielleicht eine wirkliche psychotische Störung mit den erwähnten Hauptsymptomen Wahn, Sinnestäuschungen, Ich-Störung u. a. ausbricht. Gelegentlich entwickelt sich sogar ein eindeutige Schizophre­nie. Dann wissen plötzlich alle Bescheid oder haben es „schon immer geahnt“.

 

 

    Definition und Klassifikation der schizotypischen Persönlichkeitsstörung / schizotypen Störung

 

l  Diagnostische Kriterien für die schizotypische Persönlichkeitsstörung nach DSM-IV-TR nach der Amerikanischen Psychiatrischen Vereini­gung (APA)

 

A.  Ein tiefgreifendes Muster sozialer und zwischenmenschlicher Defizite, das durch akutes Unbehagen in und mangelnde Fähigkeit zu engen Beziehun­gen gekennzeichnet ist. Weiterhin treten Verzerrungen der Wahrnehmung oder des Denkens und eigentümliches Verhalten auf. Die Störung beginnt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Situationen. Wenigstens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

 

     (1)   Beziehungsideen (jedoch kein Beziehungswahn),

     (2)   seltsame Überzeugungen oder magische Denkinhalte, die das Verhal­ten beeinflussen und nicht mit den Normen der jeweiligen subkulturel­len Gruppen übereinstimmen (z. B. Aberglaube, Glaube an Hellsehe­rei, Telepathie oder an den „sechsten Sinn“; bei Kindern und Heran­wachsenden bizarre Phantasien und Beschäftigungen),

     (3)   ungewöhnliche Wahrnehmungserfahrungen einschließlich körperbezo­gener Illusionen,

     (4)   seltsame Denk- und Sprechweise (z. B. vage, umständlich, metapho­risch, übergenau, stereotyp),

     (5)   Argwohn oder paranoide Vorstellungen,

     (6)   inadäquater oder eingeschränkter Affekt,

     (7)   Verhalten oder äußere Erscheinung sind seltsam, exzentrisch oder merkwürdig,

     (8)   Mangel an engen Freunden oder Vertrauten außer Verwandten ersten Grades,

     (9)   ausgeprägte soziale Angst, die nicht in zunehmender Vertrautheit ab­nimmt und die eher mit paranoiden Befürchtungen als mit negativer Selbstbeurteilung zusammenhängt.

 

B. Tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Schizophrenie, einer affektiven Störung mit psychotischen Merkmalen, einer anderen psychotischen Stö­rung oder tiefgreifenden Entwicklungsstörung auf.

 

l  Diagnostische Kriterien für die schizotype Störung nach dem ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

 

Eine Störung mit exzentrischem Verhalten und Anomalien des Denkens und der Stimmung, die schizophren wirken, obwohl nie eindeutige und charakteris­tische Symptome aufgetreten sind. Es gibt kein beherrschendes oder typi­sches Merkmal; jedes der folgenden kann vorhanden sein:

 

1.  Inadäquater oder eingeschränkter Affekt (der Patient erscheint kalt und un­nahbar).

2.  Seltsame(s), exzentrische(s) und eigentümliche(s) Verhalten und Erschei­nung.

3.  Wenig soziale Bezüge und Tendenz zu sozialem Rückzug.

4.  Seltsame Glaubensinhalte und magisches Denken, die das Verhalten be­einflussen und im Widerspruch zu (sub)kulturellen Normen stehen.

5.  Misstrauen oder paranoide Ideen.

6.  Zwanghaftes Grübeln ohne inneren Widerstand, oft mit dysmorphophoben, sexuellen oder aggressiven Inhalten.

7.  Ungewöhnliche Wahrnehmungsinhalte mit Körpergefühlsstörungen oder anderen Illusionen, mit Depersonalisations- oder Derealisationserleben.

8.  Denken und Sprache vage, umständlich, metaphorisch, gekünstelt, stereo­typ oder anders seltsam, ohne ausgeprägte Zerfahrenheit.

9.  Gelegentlich vorübergehende quasi-psychotische Episoden mit intensiven Illusionen, akustischen und anderen Halluzinationen und wahnähnlichen Ideen; diese Episoden treten im Allgemeinen ohne äußere Veranlassung auf.

 

Die Störung zeigt einen chronischen Verlauf mit unterschiedlicher Intensität. Gelegentlich entwickelt sich eine eindeutige Schizophrenie. Es lässt sich kein exakter Beginn feststellen; Entwicklung und Verlauf entsprechen gewöhnlich einer Persönlichkeitsstörung. Sie findet sich häufiger bei Personen mit mani­fest schizophren Erkrankten in der Familie. Man nimmt an, dass sie einen Teil des genetischen „Spektrums“ der Schizophrenie verkörpert.

 

 

 

l  Häufigkeit – Geschlecht – Alter – familiäres Vertei­lungsmuster

 

Über die Häufigkeit der schizotypischen Persönlichkeitsstörung gibt es zwar aus US-amerikanischer Sicht entsprechende Vermutungen, doch pflegt man hier international noch etwas zurückhaltend zu sein. Der Grund liegt nicht zuletzt darin, dass beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 empfiehlt, die schizotypen Störungen (wie es dort genannt wird) nicht im Allgemeinen Alltag von Klinik und Praxis diagnostisch und therapeutisch anzuwenden, da noch keine klaren Grenzen zur Schizophrenia simplex oder zu den schizoiden bzw. paranoiden Persönlichkeitsstörungen herausgearbeitet werden konnten (Einzelheiten dazu siehe Einleitung).

 

        Wenn allerdings Häufigkeitsangaben gemacht werden, dann liegen sie bei etwa 3% der Gesamtbevölkerung.

 

        Altersmäßig sind alle Gruppierungen betroffen, zumal sich die schizo­typische Persönlichkeitsstörung schon in Kindheit und Jugend, spätestens im frühen Erwachsenenalter äußern kann.

 

Dabei – dies sei für das Kapitel „Beschwerdebild“ ergänzt – erscheinen schon entsprechend betroffene Kinder als merkwürdig oder eigentümlich und ziehen deshalb gehäuft Hänseleien auf sich. Sie haben auch wenig Freundschaften mit Gleichaltrigen, geraten rasch in Isolation und damit Einsamkeit, entwickeln soziale Ängste (z. B. für andere Menschen schlechthin), fallen öfter durch schlechtere Schulleistungen auf, reagieren insgesamt übersensibel und äußern nicht selten schon in diesem Alter außergewöhnliche Denk- und Sprechweisen, bizarre Phantasien.

 

Außerdem kann es als Reaktion auf entsprechende Belastungen schon bei Kindern und Jugendlichen zu vorübergehenden psychotischen Episoden kommen (z. B. Wahn und Sinnestäuschungen), die allerdings nur Minuten bis maximal einige Stunden andauern, sel­ten länger.

 

Im Allgemeinen beginnt das Leiden aber im frühen Erwachsenenalter und hat dann einen relativ stabilen Krankheitsverlauf. Nur wenige Betroffene ent­wickeln eine Schizophrenie oder sonstige psychotische Störungen.

 

        Geschlechtsspezifisch findet man die schizotypische Persönlichkeitsstö­rung – zumindest nach dem derzeitigen Wissensstand – bei Männern etwas häufiger als bei Frauen.

 

        Das familiäre Verteilungsmuster, das auf eine erbliche (Fachbegriff: here­ditäre) Belastung verweist, besagt nach dem aktuellen Stand der Forschung folgendes: Die schizotypische Persönlichkeitsstörung scheint familiär gehäuft aufzutreten und ist bei Verwandten ersten Grades schizophrener Patienten häufiger als in der Normalbevölkerung anzutreffen. Es scheint auch eine leichte Häufung von Schizophrenie oder anderen psychotischen Störungen bei den Angehörigen eines schizotypisch Erkrankten vorzuliegen.

 

 

l  Differentialdiagnostische Aspekte – was könnte es sonst noch sein?

 

Schizotypisch Erkrankte gehen nur selten zu ihrem Hausarzt, wenn es sich um seelische Störungen handelt, und schon gar nicht, wenn es mit ihrer „besonde­ren Wesensart“ zusammenhängen soll (was sie ohnehin lieber mit widrigen Umständen oder unfreundlich gesonnenen Mitmenschen erklären). Und sie nutzen so gut wie nie (freiwillig) die diagnostischen und therapeutischen Mög­lichkeiten eines Psychologen, Psychiaters oder Nervenarztes („bin ich ver­rückt?“).

 

Wenn es allerdings einmal zu einer solchen Konsultation kommt (in der Regel über den Hausarzt vermittelt oder wenn der Leidensdruck schließlich zu groß bzw. die psychosozialen, insbesondere zwischenmenschlichen und beruf­lichen Folgen zu belastend zu werden drohen), dann muss sich der Psychiater oder Nervenarzt erst einmal Gedanken darüber machen, was es sonst noch sein könnte, außer der vermuteten schizotypischen Persönlichkeitsstörung. Das aber ist ein weites Feld, je mehr man weiß, desto umfassender und ggf. verwirrender. Im Einzelnen:

 

Als Erstes muss man sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass gerade bei Persönlichkeitsstörungen, und hier insbesondere bei den schizotypisch Erkrankten ein Leidensbild zum anderen kommen kann. So etwas nennt man – wie erwähnt – eine Ko-Morbidität, also eine gleichzeitige Belastung durch zwei oder gar mehr Krankheiten. So meint man beispielsweise festgestellt zu haben, dass mehr als die Hälfte der schizotypischen Patienten wenigstens eine depressive Episode erleiden muss. Und sogar die verschiedenen Persön­lichkeitsstörungen können gemeinsam auftreten, vor allem die schizoiden, paranoiden, vermeidend-selbstunsicheren und Borderline-Persönlichkeitsstö­rungen zum schizotypischen Krankheitsbild hinzu.

 

Wie aber ist das konkret festzustellen bzw. auszuschließen?

 

·        Persönlichkeitsänderungen durch äußere Beeinträchtigungen: Wenn von Persönlichkeitsstörungen die Rede ist, dann wird viel zu selten bedacht, dass es auch Persönlichkeitsänderungen gibt. Dabei handelt es sich um Phänomene, die sich neben der „seit jeher“ vorbestehenden Persönlichkeits­störung entwickelt haben. Was kann zu einer Persönlichkeitsänderung führen?

 

-         Zum einen eine schwere andere seelische Störung, z. B. Alkoholismus, Rauschdrogen-Konsum, Medikamenten-Abhängigkeit.

 

-         Zum anderen eine körperliche Krankheit, die vor allem einen negativen Ein­fluss auf das Zentrale Nervensystem hat. Beispiele: neurologische Erkran­kungen wie Parkinson, Multiple Sklerose, Hirnhaut- bzw. Gehirnentzündung u. a.

 

-         Persönlichkeitsänderungen sind aber auch möglich  nach übermäßiger und vor allem lang anhaltender Belastung jeglicher Art, d. h. zwischenmensch­lich, beruflich usw.

 

In solchen Fällen bezieht sich die Änderung der Persönlichkeit dann in der Regel auf das Denken, Wahrnehmen, Verhalten bezüglich Umwelt und eige­ner Person. Meist handelt es sich um eine nachhaltige traumatische Erfahrung (z. B. posttraumatische Belastungsstörung nach einem Schicksalsschlag, Un­fall, Krankheit, Überfall u. a.).

 

Diese kann sich beispielsweise in Gefühlen der Leere, der Hoffnungslosigkeit, ja sogar in Bedrohtheit und Entfremdung, in misstrauischer bis feindlicher Haltung gegenüber der Umwelt äußern. Dazu kommen psychovegetative Reaktionen mit entsprechenden Beeinträchtigungen wie Schweißausbrüche, wandernde Missempfindungen, Schlafstörungen usw.

 

In rein seelischer Hinsicht irritieren Interessenschwund, Passivität, hypo­chondrische Klagen, Stimmungslabilität, ja dauerhafte Miss-Stimmung und Angst. Psychosozial drohen beispielsweise der Einbruch zwischenmensch­licher Beziehungen mit Rückzug und Isolationsgefahr (und die oft felsenfeste Überzeugung, durch solche Beeinträchtigung seelisch, körperlich und gesell­schaftlich benachteiligt, ja stigmatisiert bis diskriminiert worden zu sein).

 

Schizotypische, zumindest aber ähnlich wirkende Eigenheiten können also auch nach einer längeren seelischen, körperlichen und psychosozialen Be­lastung auftreten. Das setzt aber voraus, dass vor dem Ereignis keine Persön­lichkeitsstörung vorhanden war, dass es sich in diesem Fall „lediglich“ um eine Persönlichkeitsänderung mit nachvollziehbarer Ursache handelt.

 

·        Autismus und Asperger-Syndrom: Wenn entsprechende Beeinträchti­gungen vorliegen, die bereits im Kindes- und Jugendalter Probleme bereiteten, gilt es auch autistische Störungen, vor allem ein Asperger-Syndrom sowie ent­sprechende Sprach- und Kommunikationsstörungen in dieser Altersstufe ab­zuklären. Einzelheiten dazu siehe die Fachliteratur und die entsprechenden Kapitel in dieser Serie.

 

Hier handelt es sich um auffällige und damit letztlich einsame Kinder, deren Verhalten durch exzentrische (d. h. verstiegene, überspannte) und/oder Sprach-Ungewöhnlichkeiten geprägt ist. Dabei sollten gerade bei Autismus und Asperger-Störungen größere Defizite im Bereich der sozialen Wahrneh­mung, der gemütsmäßigen Schwingungsfähigkeit und vor allem die stereo­typen Verhaltensweisen und Interessen (z. B. übertriebene Gestik, ständig wiederholte Redewendungen) möglichst rasch an die richtige Diagnose den­ken lassen. Das aber setzt auf jeden Fall einen Facharzt, hier einen Kinder- und Jugendpsychiater voraus.

 

·        Schizophrenie vom residualen Typus, wahnhafte Störungen u. a.: Die Frage „Schizophrenie oder nicht?“ lässt sich im Allgemeinen befriedigend klä­ren. Einzelheiten siehe die entsprechenden Kapitel mit inzwischen eindeutigen diagnostischen und differenzialdiagnostischen Kennzeichen. Eine Persönlich­keitsstörung pflegt in der Regel sehr früh aufzufallen, eine schizophrene Psychose oder wahnhafte Störung beim männlichen Geschlecht zwar auch schon in der Jugend, bei Frauen eher später. Schließlich sind es die zusätz­lichen charakteristischen psychotischen Symptome (z. B. Wahn und Sinnes­täuschungen), die zur richtigen Diagnose führen. Etwas schwieriger wird es bei der abgeklungenen schizophrenen Psychose, bei der noch Rest-Symptome fortdauern (Schizophrenie vom residualen (Rest-)Typus). Dort aber hat man dann in der Vorgeschichte den entsprechenden Hinweis auf eine akute schizophrene Psychose mit den erwähnten Symptomen.

 

Eine schizotypische Persönlichkeitsstörung hingegen kann zwar ebenfalls psychotische Symptome entwickeln (z. B. Wahn, Sinnestäuschungen), in der Regel aber relativ kurz. Dann bleibt wieder das übrig, was schon zuvor auffiel, nämlich die schizotypische Wesensart.

 

·        Andere Persönlichkeitsstörungen: Problematischer kann es bei der Frage werden, ob auch andere Persönlichkeitsstörungen eine Rolle spielen. Das ist möglich bzw. gar nicht so selten und derzeit ein Hauptthema des aktu­ellen Forschungsinteresses. Wo stellen sich also hier die meisten Probleme?

 

-         Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung kann es ebenfalls zu vor­rübergehenden psychose-ähnlichen Krankheitszeichen kommen (s. o.), die aber meist eng mit gemütsmäßigen Beeinträchtigungen und entsprechenden Reaktionen auf (scheinbare) zwischenmenschlichen Belastungen auftreten. Beispiele: intensive Wutreaktionen, Angst, depressive Verstimmungen, Ent­täuschung, gelegentlich auch Depersonalisations- und Derealisationsphäno­mene („ich bin nicht mehr ich“ und „alles ist so sonderbar um mich herum“).

 

Im Gegensatz dazu haben schizotypisch Erkrankte eher kurz- bis mittelfristige psychose-ähnliche Symptome, die sich vor allem unter (psychosozialer) Be­lastung noch zu verschlechtern pflegen. Und obwohl Rückzug und Isolations­gefahr auch bei Borderline-Patienten auftreten können, sind sie meist sekun­där auf wiederholte zwischenmenschliche Konflikte und insbesondere die erwähnten häufigen Stimmungswechsel und aggressiven Durchbrüche zurück­zuführen und weniger das Resultat einer anhaltenden psychosozialen Kon­taktschwäche. Auch zeigen schizotypisch Erkrankte nicht die für Borderline-Patienten charakteristischen impulsiven oder manipulierenden (vor allem die anderen benützenden) Verhaltensweisen.

 

Allerdings scheinen in fast der Hälfte der Fälle beide Krankheitsbilder zusam­men vorzukommen, wie zumindest aus einigen Untersuchungen hervorgeht.

 

Am besten abgrenzbar scheinen

 

- ­- bei schizotypisch Erkrankten kognitive (geistige) Beeinträchtigungen und insbesondere die Neigung zum magischen Denken, ferner seltsam anmu­tende Kommunikations-Eigenheiten sowie misstrauisch-wahnhafte Vorstel­lungen und soziale Ängste.

 

- ­- Bei den Borderline-Persönlichkeitsstörungen irritieren vor allem Affekt-Durchbrüche (Wut, Enttäuschung, Vorwürfe), selbstschädigendes Verhal­ten (z. B. Alkohol, Rauschdrogen, Medikamente, auch nicht-stoffgebun­dene Suchtformen mit hohem Risiko) und insbesondere selbstverletzende Maßnahmen.

 

-         Bei den schizoiden und paranoiden Persönlichkeitsstörungen liegen ebenfalls Probleme im zwischenmenschlichen Bereich vor (befremdliche Dis­tanzierungsneigung und eingeschränkte gefühlsmäßige Zuwendung sowie Schwingungsfähigkeit). Schizotypisch Erkrankte zeigen aber vor allem Verzer­rungen des Denkens und Wahrnehmens sowie eine ausgeprägte Exzentrik (Verstiegenheit) und Merkwürdigkeit in Dingen des Alltags, und nicht zuletzt sprachliche Eigenwilligkeiten.

 

-         Bei den vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörungen liegt wenigstens ein aktives Verlangen nach zwischenmenschlichen Beziehungen vor, auch wenn es von der Furcht vor Zurückweisung und Demütigung ausge­bremst wird. Bei schizotypisch Erkrankten hingegen fehlt der Wunsch nach zwischenmenschlichen Kontakten, das Rückzugsverhalten ist deshalb ein eher durchgängiges Kommunikationsmuster – mit allen Folgen.

 

-         Bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen können zwar ebenfalls Misstrauen, sozialer Rückzug oder Entfremdung irritieren, doch hier entspre­chen diese Eigenschaften lediglich der Angst, dass persönlichen Unzuläng­lichkeiten und Schwächen aufgedeckt werden, was für diese Wesensart schier unerträglich ist. Das aber gerade belastet den schizotypisch Erkrankten am wenigsten, sieht er doch die Probleme in der „unfreundlichen Umwelt“ oder misslichen situativen Bedingungen.

 

-         Und schließlich pflegen bestimmte schizotypische Merkmale während der Adoleszenz (also bei Heranwachsenden) eher Ausdruck von vorüber­gehenden gemütsmäßigen Auffälligkeiten zu sein: soziale Ängstlichkeit, keine engen Freunde, seltsames exzentrisches Verhalten, vages, weitschweifiges oder übermäßig abstraktes, „mystisch befrachtetes“ Denken, unnötiger Arg­wohn, skeptisches Misstrauen, gemütsmäßige Einschränkungen u. a. Doch alles zeitlich begrenzt und nicht als anhaltende Persönlichkeitsstörung, die das ganze Leben zu beeinträchtigen droht.

 

 

l  Wie erklärt man sich eine schizotypische Persönlich­keitsstörung?

 

Die wichtigste Erkenntnis, die alle bisherigen Untersuchungsergebnisse durch­zieht, ist der Hinweis auf die erbliche Belastung bzw. das erhöhte genetische Risiko für schizotypische Persönlichkeitsstörungen durch eine Schizophrenie. Entsprechende Studien ergaben den Verdacht, der inzwischen immer häufiger abgesichert zu werden scheint, dass es sich bei beiden Krankheiten um glei­che oder zumindest ähnliche Grundstörungen handelt, die bei der schizophre­nen Psychose „durchschlagen“, bei der schizotypischen Persönlichkeits­störung wahrscheinlich eher unterschwellig und damit durch die Betroffenen besser kontrollierbar bleiben. Bei den wichtigsten ähnlichen krankhaften Phänomenen handelt es sich vor allem um kognitive, Aufmerksamkeits- bzw. Informationsstörungen, die denen der Schizophrenen weitgehend gleichen.

 

In noch weiter „verdünnter“ Form ließen sich auch bei sonstigen, nicht schizo­typisch erkrankten Angehörigen schizophrener Patienten zwischenmenschlich durchaus auffällige Beeinträchtigungen feststellen: soziale Ängstlichkeit, sprachliche Verstiegenheit, Eigentümlichkeiten im Gemütsleben und in der äußeren Erscheinung u. a. – nur eben noch weniger alltags-belastend und damit auffällig. Vor allem werden diese genetisch nicht so direkt betroffenen Verwandten von den schizophrenie-nahen Grundstörungen verschont, wie sie die schizotypischen Persönlichkeitsstörung heimsucht, nämlich Beziehungs­ideen, Neigung zu magischem Denken sowie ggf. sogar zu ungewöhnlichen Wahrnehmungen.

 

Oder kurz: Es gibt offenbar eine „Verdünnungsreihe“ entsprechender Sympto­me im Verwandtenkreis der Schizophrenien, die in einer ersten milderen Stufe Krankheitszeichen der schizotypischen Persönlichkeitsstörung hinnehmen müssen und in einer zweiten, noch weniger belastenden bestimmte Sym­ptome, die zwar an eine schizotypische Persönlichkeitsstörung erinnern, aber nicht deren Kern-Symptome zu ertragen haben.

 

Um aber die Komplexität dieses Phänomens beim derzeitigen Stand der For­schung noch zu untermauern, sei nicht verschwiegen, dass es auch Unter­suchungen gibt, die kein erhöhtes Risiko für schizotypische Persönlichkeitsstö­rungen bei Verwandten von Schizophrenen feststellen konnten. Das mündet dann in eine weitere Überlegung, nämlich:

 

Zwar können die schizotypischen Persönlichkeitsstörungen von der Schizo­phrenie genetisch (erblich) abgeleitet werden, die Schizophrenie jedoch nicht von der schizotypischen Persönlichkeitsstörung. Damit würde Letztere ihre prämorbide Bedeutung (Hinweis auf Warn-Symptome vor Ausbruch der Krankheit) für Schizophrenie verlieren. Deshalb halten einige Wissenschaftler die schizotypische Persönlichkeitsstörung für ein selbstständiges Krankheits­bild, das zwar manche Berührungspunkte mit der Schizophrenie hat, aber als eigenständiges Leiden geführt werden sollte.

 

Zu allem hin gibt es aber nicht nur biologische (also die krankhaften Hirnfunk­tionen betreffende), sondern auch psychologische Erklärungsansätze (die man heute sinnvollerweise zusammen als bio-psychologische Erklärungsstrukturen nutzt, im erweiterten Sinne auch als bio-psycho-sozial bezeichnet).

 

Diese psychologischen Überlegungen besagen, dass die gleichsam im Wartestand befindlichen schizophrenie-nahen Störungen (z. B. was Denken, Wahrnehmen, aber auch Handlungsansätze anbelangt) ähnlich wie bei der Schizophrenie erst dann „durchschlagen“, wenn die subjektive(!) Belastung für den Betreffenden eine bis dahin tolerierbare Grenze überschreitet. Beispiele: Steigende berufliche Leistungsanforderungen, zwischenmenschliche Aus­einandersetzungen oder sogar körperliche Belastung durch ernstere Erkran­kungen, Unfälle u. a. Dann kann man die Eigenarten der schizotypischen Persönlichkeitsstörung teils als Reaktion auf diese Belastung erklären (vom Unbehagen bis zur ängstlicher Panik), teils als persönlichkeitsspezifischen Bewältigungsversuch zum Schutz vor Extrem-Belastungen (beispielsweise in Form sozialen Rückzugs oder als einer Art „gemütsmäßiges Mauern“, um keine kritischen, geschweige denn krankheitsgefährlichen Auseinanderset­zungen an sich heranzulassen).

 

Und auch bezüglich der Kindheitsentwicklung hat man eine Erklärung gefun­den, die plausibel erscheint: Man geht nämlich davon aus, dass bei Kindern mit einer schizotypischen Persönlichkeitsstörung eine besondere, vor allem schützende Phantasie ausgebaut wird. Und die könnte bis zur pseudo-halluzi­natorischen Erfahrung gehen, also beispielsweise nicht-krankhafte, weil aktiv und bewusst eingesetzte Sinnestäuschungen. Und warum? Weil sich die Be­troffenen damit vor unangenehmen geistigen und gemütsmäßigen Erfahrun­gen abzuschirmen suchen, insbesondere was das gespannte Verhältnis zu Vater, Mutter, Geschwistern u. a. anbelangt. Dies vor allem bei jenen Eltern oder nahen Angehörigen, die selber kühl, zurückhaltend und insbesondere vage in ihrer Erziehung vorgehen, weil sie mit den gleichen Beeinträchtigun­gen zu kämpfen haben. Ähnliches gelte übrigens auch für übersensible und überängstliche Kinder, die schon früh gezwungen seien sich gegenüber her­absetzenden und geringschätzig auftretenden Erwachsenen durch einen selbst-isolierenden Rückzug zu schützen.

 

Auf jeden Fall wird bei allen Erklärungsmustern deutlich, dass sich die gene­tische und psychologische Nähe der schizotypischen Persönlichkeitsstörung zur Schizophrenie zwar nicht in jedem Einzelfall überzeugend, generell aber doch immer konkreter abzuzeichnen scheint. Das erklärt auch die zuneh­mende Attraktivität, die gerade dieses Forschungsthema in den letzten Jahren gewonnen hat. Deshalb dürfte in absehbarer Zeit mit weiteren wichtigen Er­kenntnissen zu rechnen sein – im Interesse der Betroffenen, vor allem was Früh-Diagnose und Therapie, vielleicht sogar Prävention (Vorbeugung) anbe­langt.

 

Denn wenn auch nur wenige Patienten mit dieser genetischen Ausgangslage unter extremer äußerer Belastung schließlich eine ausgeprägte schizophrene Psychose entwickeln, so ist doch die Belastung und damit Krankheitsgefähr­dung über ein ganzes Leben hinweg nicht zu unterschätzen.

 

 

  Wie behandelt man eine schizotypische Persönlichkeits­störung?

 

Auch wenn es durchaus Unterschiede gibt zu den paranoiden (wahnhaften) und schizoiden (ebenfalls der Schizophrenie ähnlichen, allerdings vom Be­schwerdebild her nicht gleichen) Persönlichkeitsstörung, geht es bei der Behandlung auch hier erst einmal um den vorsichtigen Aufbau einer tragfähi­gen Beziehung.

 

Und das ist in diesem Fall besonders schwierig, denn gerade die schizotypi­schen Persönlichkeitsstörungen weisen den stärksten Beeinträchtigungsgrad auf, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Dabei ist es insbesondere die ausgeprägte Angst vor Nähe und Bindung, die der Nervenarzt, Psychiater oder Psychologe mit entsprechender Ausbildung zu berücksichtigen hat. So kann die Therapeut-Patient-Beziehung nur langsam intensiviert und der Kon­takt nur allmählich enger werden. Insbesondere muss der Therapeut die an sich „befremdlichen“ Gefühle und Reaktionen des Patienten verstehen lernen und ihm dabei helfen, diese in wachsendem Maße wahrzunehmen und dar­über zu sprechen.

 

Wenn in dieser Beziehung ein gewisses Vertrauen entstanden ist, kann man das Gespräch schließlich auf die Beziehung zu anderen Menschen erweitern. Denn darum geht es schlussendlich: Der Kontakt zum Therapeuten ist zeitlich begrenzt, doch der zur Umwelt eine „Aufgabe für den Rest des Lebens“.

 

Medikamentös sind antipsychotisch wirksame Neuroleptika gefragt. In Einzel­fällen wird man auch auf bestimmte Antidepressiva (so genannte trizyklische, MAO-A-Hemmer- und SSRI-Antidepressiva) zurückgreifen, vor allem wenn sich die Unfähigkeit Freude zu empfinden, das Fehlen von Vergnügen in Situ­ationen, die normalerweise mit Lustgefühlen verbunden sind sowie Antriebs­mangel und Rückzugsgefahr nicht anders in den Griff bekommen lassen.

 

Allerdings wird man gerade in diesem Bereich auf überschießende Reaktionen achten müssen (zu ausgeprägte dynamische Aktivierung, gleichsam als Kipp-Reaktion?) oder auf deutsch: Früher zu wenig, plötzlich aber medikamentös stimuliert zu viel Kontaktwünsche? Denn gerade das müsste das nähere Umfeld besonders irritieren, weil der Patient bisher als eigentlich gefühls-distanziert, zurückgezogen bis einzelgängerisch empfunden wurde – und nun?

 

Verhaltenstherapeutisch geht es bei den schizotypischen Persönlichkeitsstö­rungen um das Training sozialer Fertigkeiten (wie komme ich mit dem Alltag und seinen „banalen“ Anforderungen zurecht?) und der Verbesserung der kognitiven (geistigen) Leistungsfähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich.

 

Nicht zu vernachlässigen ist auch das Training zur Bewältigung furchtsamer (Rückzugs-)Reaktionen, speziell in ggf. krisen-nahen Situationen von Familie, Partnerschaft, Nachbarschaft, Freundeskreis (sofern vorhanden), Beruf u. a.

 

Die Heilungsaussichten (Prognose) hängen vom Einzelfall ab, d. h. von der Schwere der vorgegebenen erblichen und psychosozialen Belastungen, von der Mitarbeit des Patienten (zu der er oftmals erst therapeutisch angeregt werden muss), von der Reaktion auf ggf. notwendige Psychopharmaka, vom Verhältnis zum Therapeuten, von der Zeit (und Kraft?) die dieser zu investie­ren in der Lage ist, vom persönlichen Umfeld des Patienten (die ein weitsichti­ger Arzt oder Psychologe frühzeitig in die Behandlung einbezieht, um damit Ko-Therapeuten aufzubauen) – und von schicksalhaften Belastungen, die je­den treffen und niemand vorauszusehen vermag.

 

Insgesamt aber gehören schizotypische Persönlichkeitsstörungen aufgrund ihrer Krankheits-Mittelstellung zu jenen Patienten, die eine fachlich besonders erfahrene Behandlung mit „langem Atem“ erfordern, soll sich das (meist als Er­krankung bisher unerkannte) Leidensbild soweit mildern lassen, dass Patient und Umfeld(!) ein tragbares Verhältnis zueinander finden dürfen.

 

 

 

LITERATUR

 

Wachsende Zahl wissenschaftlicher Publikationen, spezieller Fachbücher und andeutungsweise sogar allgemein verständlicher Beiträge.

 

Grundlage vorliegender Ausführung sind die entsprechenden Kapitel in

 

APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – Textrevision – DSM-IV-TR. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2003

 

Bleuler, E.: Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenien. In: G. Aschaffenburg (Hrsg.): Handbuch der Psychiatrie, spezieller Teil 4. Deuticke-Verlag, Wien 1911*

 

Bleuler, M.: Die schizophrenen Geistesstörungen im Lichte langjähriger Kranken- und Familiengeschichten. Thieme-Verlag, Stuttgart 1972*

 

Ciompi, L., C. Müller: Lebensweg und Alter der Schizophrenen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1976

 

Faust, V.: Der psychisch Kranke in unserer Gesellschaft. – Was befürch­tet der psychisch Kranke vom Gesunden - was weiß der Gesunde vom psychisch Kranken? Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1981

 

Fiedler, P.: Persönlichkeitsstörungen. PsychologieVerlagsUnion, Weinheim 2001

 

Gross, G. u. Mitarb. (Hrsg.): Persönlichkeit - Persönlichkeitsstörung - Psy­chose. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 1996

 

Gross, G. u. Mitarb.: Früherkennung idiopathischer Psychosyndrome. In: G. Huber (Hrsg.): Idiopathische Psychosen. Psychopathologie-Neurobiologie-Therapie. Schattauer-Verlag, Stuttgart 1990

 

Kernberg, O.F. u. Mitarb. (Hrsg.): Handbuch der Borderline-Störungen. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2000

 

Kraepelin, E.: Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte. Barth-Verlag, Leipzig 1903*

 

Kretschmer, E.: Der sensitive Beziehungswahn. Springer-Verlag, Berlin 1918*

 

Lange-Eichbaum, W., W. Kurth: Genie, Irrsinn und Ruhm. Bd. 1 - 11, Ernst-Reinhardt-Verlag, München-Basel 1985-1996

 

Marneros, A. u. Mitarb.: Affektive, schizoaffektive und schizophrene Psy­chosen - eine vergleichende Langzeitstudie. Springer-Verlag, Berlin-Heidel­berg-New York-Tokyo 1991

 

Saß, H.: Persönlichkeitsstörungen. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996

 

Saß, H.: Psychopathie - Soziopathie - Dissozialität. Zur Differentialtypo­logie der Persönlichkeitsstörungen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1987

 

Saß, H., Herpetz, S. (Hrsg.): Psychotherapie der Persönlichkeitsstörung. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1999

 

Saß, D.: Persönlichkeitsstörungen. In: H. Helmchen u. Mitarb. (Hrsg.): Psy­chiatrie der Gegenwart, Band 6: Erlebens- und Verhaltensstörungen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2000

 

Tress, W. u. Mitarb. (Hrsg.): Persönlichkeitsstörungen. Leitlinien und Quellentext. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2002

 

WHO: Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10. Ver­lag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto 2003

 

WHO: Taschenführer zur Klassifikation psychischer Störungen. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2001

 

*) Historische Überblicke

 

 

Weitere Literaturhinweise siehe die Kapitel Die Neurosen - einst und heute, Persönlichkeitsstörungen - allgemeiner Überblick, die Schizophrenien und andere Kapitel zu vergleichbaren Themen wie wahnhafte Störungen u. a.

 

 

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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