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Soziale Phobie

Krankhafte Schüchternheit - soziale Angststörung - soziale Neurose - Antropophobie

Die Soziale Phobie oder "krankhafte Schüchternheit" ist eine Situationsangst. Sie bezieht sich vor allem auf Handlungen, die sich unter den Augen von Drittpersonen abspielen, die das Verhalten nicht nur beobachten, sondern möglicherweise auch kritisieren könnten. Soziale Phobien beginnen meist in Kindheit und Pubertät, wo sie in bestimmtem Rahmen noch als normal gelten. Deshalb wird die Diagnose erst gestellt, wenn ungewöhnlich starke Ängste zu einem verhängnisvollen Vermeidungsverhalten in entsprechenden Situationen führen, am Schluß sogar zu Rückzug, Leistungseinbruch und Isolationsgefahr. Es beginnt mit der Einschränkung der individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, insbesondere der Lebensqualität und geht über verminderte Beziehungen und Aktivitäten einschließlich Arbeitsleistung bis hin zu ernsten seelischen, psychosozialen und schließlich sogar psychosomatischen und rein körperlichen Folgestörungen. Frauen scheinen häufiger betroffen.

Was muß man wissen und vor allem: Was kann man tun?

Die Angst vor anderen Menschen wurde schon vor über 2 000 Jahren beschrieben. Jetzt zeichnet sich aber eine ungewöhnliche Zunahme ab. Manche sprechen bereits von einer "Volkskrankheit". Das ist sicher eine Übertreibung. Doch gehört die Soziale Phobie oder krankhafte Schüchternheit sicher zu jenen seelischen Störungen, die mit am meisten Leid verursachen - wenngleich oft unbeachtet. Was muß man wissen und vor allem: Was kann man tun?

Definition

Die soziale Phobie gehört zu den Angststörungen. In der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sie unter den neurotischen Belastungs- und somatoformen Störungen (F 4) eine eigene Sparte unter dem Titel soziale Phobien (F 40.1). Im Diagnostischen und Statitischen Manual Psychischer Störungen - DSM-IV der Psychiatrischen Amerikanischen Vereinigung (APA) läuft sie unter Soziale Phobie (Soziale Angststörung - 300.23). Früher bezeichnete man sie - sofern man sie überhaupt wissenschaftlich klassifizierte - als soziale Neurose oder Antropophobie, im Volksmund als "krankhafte Schüchternheit". Um was handelt es sich genau?

Soziale Phobien sind ein Situationsangst mit nachfolgendem Vermeidungsverhalten. Die Angst wird zwar als nicht hinreichend begründet, dafür aber als so ausgeprägt erlebt, dass man sich aus eigener Kraft kaum von ihr lösen kann. Es handelt sich also um eine Zwangsbefürchtung (Fachausdruck: Phobie).

Die soziale Phobie bezieht sich stets auf Handlungen, die sich unter den Augen von Drittpersonen abspielen, die das Verhalten nicht nur beobachten, sondern möglicherweise auch kritisieren könnten. Sie äußert sich nicht nur in Ängsten vor Examina, öffentlichem Auftreten u. a., was nachvollziehbar wäre. Schwerpunkt sind vielmehr Alltäglichkeiten, nämlich die Angst vor gesellschaftlichen Anlässen: Partys, Einladungen, Restaurants, Freunde, vor allem aber fremde Menschen treffen müssen, insbesondere des anderen Geschlechts. Also die Angst in Gegenwart anderer das Wort ergreifen, essen, trinken, schreiben, telefonieren, die Angst, ein Geschäft, ein Büro betreten zu müssen usw.

Allgemeine Aspekte

Die soziale Phobie scheint neben der Agoraphobie (siehe das entsprechende Kapitel über Angststörungen, vor allem Agoraphobie) die häufigste Angststörung zu sein oder zu werden. Bisher wird sie noch sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die Untersuchungsergebnisse streuen von 1,7 bis 16 % in der Allgemeinbevölkerung. Ein Mittelwert scheint realistisch.

Allgemeine Belastung

Nicht wenige Sozialphobiker sind von sich aus ängstlich oder in ihrer Persönlichkeitsstruktur verletzlicher (s. u.). Die Auslösung der Krankheit erfolgt dann durch entsprechende Umweltbelastungen, meist Kränkungen, Frustrationen oder Demütigungen. Nicht auszuschließen ist aber auch eine genetische Prädisposition für Angststörungen im allgemeinen und die Sozialphobie im speziellen. Auf jeden Fall wird eine familiäre Disposition (Neigung), immer häufiger eine erbliche Belastung diskutiert. Dies äußert sich vor allem in einer sogenannten positiven Familien-Anamnese, d. h. es findet sich oft ein Mensch mit gleichen Problemen in der Vorgeschichte von Eltern, Großeltern, Onkels, Tanten, Nichten, Neffen, väterlicher- oder mütterlicherseits.

Persönlichkeitstruktur

Menschen mit einer Sozialen Phobie gelten als ängstlicher, introvertierter (in sich gekehrter) und vegetativ labiler (siehe das Kapitel vegetative Labilität) als andere mit weniger Problemen in dieser Hinsicht. Die Grenze zur Schüchternheit (s. u.) ist fliessend, auf jeden Fall schwierig zu ziehen.

In schweren Fällen diskutiert man bei der sozialen Phobie zwei weitere Krankheiten, bei denen jedoch ebenfalls fliessende Übergänge die Regel sein sollen: Zum einen die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung, zum anderen die ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung: Anspannung, Besorgtheit, Befangenheit, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle, Sehnsucht nach Zuneigung und Akzeptiertwerden, Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik, Verweigerung, entsprechende Beziehungen aufzunehmen, wenn die andere Seite keine unkritische Akzeptanz signalisiert bzw. garantiert. Dadurch eingeschränkte persönliche Bindungsfähigkeit, Überbetonung potentieller Gefahren oder Risiken in alltäglichen Situationen bis zur Vermeidung bestimmter Aktivitäten sowie ein eingeschränkter Lebensstil wegen der überzogenen Bedürfnisse nach Gewißheit und Sicherheit.

Gesamthaft gesehen bleibt aber häufig unklar, ob es sich hier nicht um eine Folgeerscheinung der sozialen Phobie handelt. In einigen Untersuchungen fanden sich nämlich bei der Hälfte der Patienten mit sozialer Phobie durchaus verschiedene Persönlichkeitsstörungen, z. B. sogenannte vermeidende, dependente (von anderen krankhaft abhängige), Borderline- und schizotypische Persönlichkeitsstörungen (der schizophrenen Psychose nahestehende Erkrankungen) u. a.

Beschwerdebild

Das Beschwerdebild der sozialen Phobie besteht aus einem seelischen, kognitiven (gedanklichen), psychosozialen und schließlich organischen (körperlichen) Teil mit überwiegend vegetativen Störungen (Einzelheiten s. u.). Im einzelnen:

- Allgemeine Aspekte: Immer mehr Menschen haben Probleme im Umgang mit den anderen. Viele würden die täglich anfallenden sozialen Kontakte am liebsten vermeiden und wären froh, wenn sie möglichst wenig mit anderen zu tun hätten. Das betrifft nicht nur die Schüchternen (s. später), das ist ein offensichtlich wachsender Trend. Krankhaft aber wird es unter den folgenden Bedingungen:

- Seelisch-psychosozial: Angst, von anderen (kritisch) wahrgenommen und beachtet, wenn nicht gar beobachtet zu werden, auch wenn man dazu keinerlei Anlass gegeben hat. Ganz zu schweigen von der Angst vor Situationen, in denen man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen könnte oder sich in der Tat prüfenden Blicken durch andere ausgesetzt sieht. Dabei die Furcht, Fehler zu machen, sich zu blamieren, peinliche Situationen zu provozieren oder gar gedemütigt zu werden. Sozialphobiker erwarten Ablehnung und Mißerfolg (s. auch psychologische Aspekte).

Nun kennen die meisten Menschen die Angst mit dem Gefühl der Aufregung oder zumindest ängstlichen Unruhe vor einer Prüfung oder einem wichtigen Gespräch. Das ist völlig normal. Wachsen diese Ängste jedoch zu einem chronischen und belastenden Problem aus, d. h. empfindet man fast alle Menschen und Situationen als Bedrohung und vermeidet sie nach Möglichkeit, ist die Grenze überschritten. Jetzt handelt es sich um eine Störung von Krankheitswert.

Kurz: Sozialphobische Ängste zentrieren sich auf die Furcht, in Gegenwart anderer das Wort zu ergreifen, gemeinsam mit anderen zu essen, zu trinken, zu plaudern, etwas aufschreiben zu müssen, bei fremden Menschen noch ausgeprägter als bei Bekannten, vor dem anderen Geschlecht stärker als vor dem eigenen. Entscheidend ist die Furcht vor eigenen Fehlern bzw. Fehlhandlungen und damit von negativer Aufmerksamkeit, Spott oder gar Erniedrigung.

- Im kognitiven (gedanklichen) Bereich behindern besonders zergrübelnde Selbstbeobachtungen und negative Gedanken, insbesondere schmerzliche Minderwertigkeitsgefühle.

- Körperlich: Angstzustände im körperlichen Bereich gehen vor allem mit sogenannten vegetativen Störungen einher, d. h. mit Schweißausbrüchen, Herzrasen/Herzklopfen, Erröten, Händezittern, Übelkeit, Schwindel, Drang zum Wasserlassen, trockenem Mund, Kopfdruck/Kopfschmerzen, Atemenge, Durchfall sowie Muskelverspannungen usw.

- In ihrem Verhalten wirken diese Menschen eher schweigsam oder gar "einsilbig", dadurch intellektuell auch ungünstiger als ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Vor allem vermeiden sie oft den Blickkontakt, wirken mimisch resigniert und fast ein wenig starr und fallen durch ein eher "linkisches" Bewegungsmuster auf. Das ist zwar nicht die Regel, kann aber oft beobachtet werden.

- Die Folgen auf einen Nenner gebracht: Beeinträchtigung von Wohlbefinden, geistiger Leistungsfähigkeit, besonders Kreativität, Vitalität und Aktivität, kurz: eine eingeschränkte psychische, psychosoziale und körperliche Gesundheit. Der Endzustand ist dann erreicht, wenn die Betreffenden ihre vier Wände nicht mehr verlassen wollen oder können, wobei sich dann noch andere Angstformen (z. B. Agoraphobie, Panikzustände - siehe die entsprechenden Kapitel) hinzugesellen können, ganz zu schweigen von ernsteren psychiatrischen Folgen: depressive Zustände und/oder Suchterkrankungen durch entgleiste Selbstbehandlungsversuche (zumeist Alkohol, aber auch psychotrope Arzneimittel wie Schlaf- und Schmerzmittel oder Psychopharmaka wie Antidepressiva und vor allem Beruhigungsmittel). Nicht selten ist auch der verzweifelte Griff zu Rauschdrogen (z. B. Haschisch/Marihuana, Designerdrogen, LSD, Kokain, Opiate u. a.).

Verlauf

Die soziale Phobie verläuft in der überwiegenden Mehrzahl chronisch, seltener wellenförmig. In günstigen Fällen gibt es spontane Besserung durch "Nachreifung der Persönlichkeit unter der erzwungenen Exposition im realen Leben", wie das wissenschaftlich-trocken heißt. Oft genug aber entwickelt sich ein chronisches Leiden mit niedrigem Selbstwertgefühl und hohem Risiko für Folgeerkrankungen. Die soziale Phobie beginnt in frühen Lebensabschnitten, wird aber meist erst später durch ernstzunehmende Begleiterkrankungen kompliziert und dadurch in der Regel auffällig.

Soziale Phobie und andere Krankheitsbilder

Soziale Phobien münden in einem nicht geringen Prozentsatz der Fälle in andere psychische Störungen (s. o.), zumeist eine Alkoholkrankheit, aber auch in Depressionen, generalisierte (allgemeine) Ängste, Panikerkrankungen, andere Phobien sowie Zwangskrankheiten, Rauschdrogenkonsum und Eßstörungen. Ein solches mehrschichtiges Leiden (Fachausdruck: Co-Morbidität) kompliziert die Situation natürlich und erschwert die rechtzeitige und vor allem zutreffende Diagnose.

Am häufigsten sind Alkoholmißbrauch oder gar -abhängigkeit. Das hängt wahrscheinlich mit der mißglückten Selbstbehandlung zusammen. Offensichtlich versuchen viele Patienten bestimmte Symptome ihrer sozialen Phobie schon in der Frühphase durch übermässigen Alkoholkonsum zumindest zu lindern.

Ein weiteres Problem ist die hohe Suizidgefahr: Das Selbsttötungsrisiko im Rahmen einer Sozialphobie ist um ein vielfaches größer als in der Normalbevölkerung.

Auch sollen Menschen mit einer Sozialphobie drei Mal häufiger arbeitslos sein und öfter am Arbeitsplatz fehlen als Gesunde.

Was kann mit einer sozialen Phobie verwechselt werden?

Was kann mit einer sozialen Phobie verwechselt werden? Am ehesten kommen offenbar Agoraphobie (früher reine Platzangst, heute weitergefaßt: Menschenmengen, Züge, Busse, Warteschlangen u. a.) mit oder ohne Panikstörung, ferner Depressionen, Alkoholabhängigkeit, extreme Schüchternheit usw. in Frage. Das verwundert nicht, wenn man sich obige Überlegungen noch einmal ins Bewußtsein ruft (Folgestörungen, Selbstbehandlungsversuche).

Charakteristisch für eine Sozialphobie ist das Phänomen, dass diese Patienten über Angstsymptome berichten, ohne dass der psychosoziale Hintergrund deutlich wird, also die krankhafte Schüchternheit und vor allem Angst, von anderen beobachtet und insbesondere negativ bewertet zu werden. Das führt natürlich zu entsprechenden Fehlschlüssen, z. B. zu der Annahme einer organischen Erkrankung (Überfunktion der Schilddrüse, Herz-Kreislaufleiden usw.) oder einer anderen Angststörung (insbesondere Panikattacken, wenn sich die Ängste überfallartig häufen).

Warum werden Sozialphobien so schwer und so spät erkannt?

Eine Sozialphobie wird erst mit jahrelanger Verspätung diagnostiziert. Man vermutet sogar, dass die Erkrankungsdauer nicht selten ein bis zwei Jahrzehnte währt, bis endlich ein Arzt aufgesucht wird - sofern überhaupt. Das liegt vor allem an der Wesensart dieses Leidens. Wer, wenn nicht ein "menschenscheuer", wenn nicht gar "menschenängstlicher", völlig verschüchterter und sich immer mehr zurückziehender Sozialphobiker macht die Diagnose so schwer wie hier.

Außerdem gibt es zahlreiche schüchterne Menschen, vielleicht sogar extrem schüchterne, die man deshalb aber nicht gleich als krank abstempeln, gleichsam "psychiatrisieren" will. Es liegt in der Natur der Sache, das ein schüchterner Mensch auf keinen Fall auffallen will, auch nicht beim Arzt. Am liebsten wäre es ihm, wenn er sich unsichtbar machen könnte. Meist hält er sich im Hintergrund, ergreift selten oder nie das Wort, ist für die anderen in der Tat kaum mehr vorhanden. Schüchterne werden übersehen - und damit bleibt auch das Ausmaß ihres Leidens unerkannt, ganz gleich, ob die ohnehin schwer definierbare Grenze zwischen Schüchternheit und Sozialphobie inzwischen überschritten ist oder nicht.

Auch verhält sich nur ein geringer Teil "auffällig". Man spricht von höchstens jedem zehnten bis fünften. Solche Sozialphobiker wirken dann wirklich nicht nur schüchtern, sondern ggf. demonstrativ distanziert, zurückweisend, ja ablehnend, in seltenen Fällen sogar feindselig (alles Fehlinterpretationen!). Sie vermeiden Blickkontakt, sprechen wenig, stottern bisweilen, haben immer Ausreden, sich nicht "unters Volk mischen zu müssen", geschweige denn an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, ziehen sich immer mehr zurück, vereinsamen dadurch und ruinieren damit letztlich ihr ganzes Leben.

Die Mehrheit der krankhaft Schüchternen und damit sozial Ängstlichen sind offensichtlich "privat krankhaft schüchtern". Ihre pathologische Schüchternheit wird nicht sichtbar. Doch kaum jemand ahnt, welche Kraft es sie kostet, einen harmlosen zwischenmenschlichen Kontakt, ein Gespräch, eine Menschenansammlung oder sonstige Veranstaltung durchzustehen. Kaum droht sich die Aufmerksamkeit auf sie zu richten, und sei es im engsten Rahmen, überschwemmen sie die wildesten Ängste: Wie sehe ich aus? Wie komme ich an? Bin ich gut genug? Werde ich akzeptiert? Wie beurteilen mich die anderen? Hoffentlich mache ich nichts falsch, blamiere mich nicht bis auf die Knochen?

Dann kommen die vegetativen Reaktionen: Blutdruckanstieg, Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, roter Kopf. Jetzt muß man nicht nur gegen seine Ängste, sondern auch gegen seinen ganzen Organismus ankämpfen.

So kostet es viel Zeit und Kraft diese tiefe Selbstunsicherheit zu überwinden oder auch nur zu verbergen. Manche wirken dabei äußerlich durchaus ruhig und kompetent, sind in Wirklichkeit aber "klein, hilflos und voller Angst". Das gilt übrigens auch für die "erfolgreichen Schüchternen". Es gibt Menschen, sie sind so selten nicht, die stehen sogar auf der Bühne, sind umjubelt - und weichen danach den Menschen nicht nur aus, weil sie dauernd angesprochen werden, sondern weil sie schon immer unter "Menschenangst" litten und trotz ihrer Öffentlichkeitserfolge weiterhin leiden. Ein eigenartiges Phänomen, aber Realität.

Außerdem: Der krankhaft Schüchterne ist nur selten davon überzeugt, dass er krank ist oder gar in ärztliche Behandlung sollte. Und selbst wenn er in Not ist, kann er sich kaum vorstellen, von einer Therapie zu profitieren. Es ist also nicht nur das mangelnde Kommunikationsbedürfnis bzw. die Menschenscheu des Sozialphobikers, die ihn hindert einen Arzt aufzusuchen. Viele Betroffene meinen einfach, dass ihr Verhalten ein halbwegs normales Phänomen sei, halt eine Schüchternheit, für die man selber verantwortlich ist und die man nicht ändern kann. Dazu kommt die Angst, gesellschaftlich oder gar psychiatrisch gezeichnet zu sein, vor allem vor dem Begriff "psychische Störung", was ja oftmals mit "Geisteskrankheit" gleichgesetzt wird (und natürlich nicht stimmt). Und hier fühlt sich ein Sozialphobiker dann doch falsch beurteilt.

Einige psychologische Aspekte

Auch bei der krankhaften Schüchternheit gibt es so viele Ursachen wie Betroffene. Einiges scheint sich aber zu wiederholen, besonders in unserer Zeit und Gesellschaft.

Nicht wenigen krankhaft Schüchternen ist eine überzogene Selbstaufmerksamkeit, ja "Selbstüberwachung" eigen, wie es die Sozialpsychologen nennen. Solche Menschen müssen sich in sozialen Situationen ständig überprüfen. Dauernd quält sie die Frage: Was wird von mir gefordert? Wie schaffe ich es, diese Ansprüche zu erfüllen? Dann so letztlich zweitrangige, aber keinesfalls weniger peinigende Fragen wie: Was sage ich als nächstes? Wo soll ich meine Hände hintun? Was mache ich, wenn ich auf die Toilette muß? Und dann die vegetativen Reaktionen, die natürlich sofort ängstlich-überbesorgt registriert werden: Warum zittern meine Hände? Weshalb bebt meine Stimme? Wieso bricht mir der Schweiß aus? Weshalb bekomme ich weiche Knie oder gar Schwindel?

Schüchterne und sozial Ängstliche sind Opfer des Zwangs zur optimalen Selbstdarstellung. Dem sind scheinbar immer mehr Menschen in der westlichen Welt ausgesetzt. Offenbar gehört es zur vorrangigen Aufgabe des postmodernen Menschen, das eigene Selbst möglichst effektiv zu vermarkten.

Doch Selbstdarstellung erfordert Selbstaufmerksamkeit. Und Selbstaufmerksamkeit wird in der Regel als unangenehm aufgefaßt, da das tatsächliche Verhalten den überzogenen Ansprüchen nie gerecht werden kann. So dient die Selbstüberwachung dem einzigen Ziel, nicht zu oft anzuecken, nicht in allzuviele Fettnäpfchen zu treten, möglichst nicht aufzufallen. Das ist typisch für alle Scheuen, Schüchternen und Sozialphobiker. Dabei ist es gleichgültig, ob man sie als solche erkennt oder ob sie sich eine versierte Fassade, eine sozial kompetente Maske zugelegt haben. Schüchterne Menschen sind ihre eigenen, schlimmsten, gnadenlosesten Kritiker. Sie verteilen sich nur schlechte Noten: geistige Leistungsfähigkeit, äußeres Aussehen, Outfit, öffentliches Auftreten usw. Schüchterne halten nichts von sich. Ihr Platz ist - so glauben sie - im Hintergrund. Das wird schließlich zur Sich-selbst-erfüllenden-Prophezeiung. Die Folgen sind bekannt: Schüchterne Menschen und Sozialphobiker werden von den anderen meist als uninteressant beurteilt und damit häufig links liegengelassen.

Woher rührt diese Angst? Zwei Ursachen fallen immer wieder auf:

1. Manche Menschen werden schüchtern geboren. Das sollen - laut amerikanischen Untersuchungen - etwa ein Drittel aller Schüchternen sein.

2. Andere "erlernen" ihre Schüchternheit in der frühen Kindheit oder im Laufe ihres Lebens. Hier sind wieder verschiedene Faktoren beteiligt:

Schüchternheit und nicht zuletzt krankhafte Schüchternheit ist - wie so vieles - eine Frage des Erziehungsverhaltens. Es scheint sogar kulturell gebunden zu sein. So gibt es Nationen, in denen die Schüchternen deutlich häufiger vertreten sind als die sozial Robusten. Das kann mit dem dortigen Erziehungsverhalten zusammenzuhängen, in dem viel oder wenig gelobt und damit entweder ein stabiles oder instabiles Selbstwertgefühl entwickelt wird. Auch die Art der Bindung an die Eltern ist entscheidend. Unsicher gebundene Kinder sind schüchterner als sicher gebundene. Unsichere Bindungen entstehen, wenn die Eltern in der Versorgung ihres Kleinkindes und später im Erziehungsverhalten unbeständig sind und ihrem Kind kein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Auch hier ist die Folge ein instabiles Selbstwertgefühl. Sie verallgemeinern die frühen Erfahrungen mit ihren Eltern und fühlen sich dann auch in späteren Beziehungen unsicher und ungeliebt. Noch schlimmer wird es natürlich bei den - ja immer häufiger werdenden - Trennungen und Scheidungen, die vor allem Kinder in sensiblem Alter treffen.

Und auch in späteren Lebensstadien drohen immer wieder Gefahren. Die Pubertät ist nur eine, wenn auch besonders kritische Lebensphase, in der sich Sicherheit oder Unsicherheit bis hin zur Sozialangst verfestigen können. Danach aber drohen weitere Gefahren bzw. kritische Lebensereignisse mit entsprechenden Folgen: eigene Trennung, Scheidung, ferner Arbeitslosigkeit, ja sogar Umzug in eine fremde Stadt usw. All das kann aus einem selbstsicheren und aufgeschlossenen Menschen einen plötzlich sozial Ängstlichen oder gar krankhaft Schüchternen machen. Es kann, es muß nicht, aber man sollte an diese möglichen Ursachen denken.

Die Sozialpsychologen stellen jedenfalls folgende Belastungen unserer Zeit und Gesellschaft zur Diskussion, die dafür verantwortlich sein könnten, daß Sozial-Ängste ausgerechnet in den letzten Jahren immer häufiger zu beobachten sind: 1. die hohe Mobilität unserer Gesellschaft, 2. die Brüchigkeit vieler Beziehungen und 3. die Unsicherheit am Arbeitsplatz.

Vorbeugung und Therapie

Die beste Therapie ist eine erfolgreiche Prävention, sagt man. D. h. wenn durch gezielte Vorbeugung eine Krankheit schon im Vorfeld verhindert werden kann, braucht es auch keine Therapie mehr. Vorbeugen und damit verhindern kann man aber vor allem durch Aufklärung. Sie muß besonders Eltern, Erzieherinnen, Lehrer und Lehrherrn erreichen, denn im Alter ihrer Schützlinge bricht die krankhafte Schüchternheit am ehesten aus - sofern man ein Auge dafür entwickelt hat. Und ist eine gezielte Behandlung erforderlich, so sind die Ärzte und Psychologen der erste direkte Ansprechpartner. Deshalb müssen alle Beteiligten vor allem eines verbreiten:

Eine Sozialphobie, wenn sie einmal als solche diagnostiziert ist, stellt keine sogenannte Normvariante dar. D. h. sie bewegt sich nicht im gerade noch vertretbaren Bereich des üblichen, sondern wird - jeden Tag mehr - zu einer ernstzunehmenden und vor allem lange Zeit verkannten Störung mit beeinträchtigenden Langzeit- Konsequenzen.

Im Gespräch mit den Betroffenen braucht es dann insbesondere Zuwendung, Zuhören-Können und die Akzeptanz eines Leidens, das nicht durch Schmerzen oder krankhafte Organ-Befunde auffällt, sondern durch eine ins Wanken geratene Gemütslage, was sich aber nach außen hin kaum äußert, zumal sich der Betroffene immer mehr zurückzieht. Das verlangt von den anderen vor allem Gespür, Rücksicht, Warmherzigkeit und insbesondere konkretes Wissen. Und Zeit, viel Zeit, um Lebensgeschichte und Leidensweg einfühlsam und tief genug zu erfragen, wozu auch die Angehörigen, ggf. sogar Freunde und Lehrer wichtiges beitragen können, sofern dies der Patient erlaubt.

Und dann braucht man wiederum viel Zeit, um die Diagnose "Sozialphobie" zu erläutern. Und um die therapeutischen Möglichkeiten aufzuzählen und damit wieder Hoffnung zu machen. Denn die Chancen einer Linderung sind nicht gering, wenn man alle Möglichkeiten nutzt. Etwas enger wird es freilich, wenn es bereits zu längerem Vermeidungsverhalten (Sozialkontakte) und damit zu einer verhängnisvollen Isolationsgefahr gekommen ist. Doch auch dort läßt sich noch so manches korrigieren. Auf jeden Fall kann man den Leidensdruck vermindern und damit die Lebensqualität wieder etwas erhöhen.

Die eigentliche Therapie der Sozialphobie besteht aus drei Säulen: 1. Selbsthilfe, 2. Psychotherapie, 3. Pharmakotherapie. Dazu kommt eine regelmäßige körperliche Aktivität, die man bei keiner seelischen Störung unterschätzen sollte. Im einzelnen:

Selbsthilfe

Am sinnvollsten ist es, wenn der Patient seine Ängste schon aus eigener Kraft zu bewältigen vermag. Daher sollten die Betroffenen bei entsprechender Motivation ruhig zur Selbsthilfe ermutigt werden. Auch die Unterstützung durch Laien wie Angehörige oder Freunde, ggf. sogar Lehrer, Nachbarn usw. ist hilfreich.

Zur Eigeninitiative gehören beispielsweise die körperliche Aktivität als angstlösende Unterstützungsmaßnahme. Regelmäßig durchgeführt besitzen der tägliche "Gesundmarsch bei Tageslicht", die Fahrradtour oder alle anderen Aktivierungsmaßnahmen nicht nur eine gewisse antidepressive, sondern auch entspannende und angstlösende Wirkung. Am besten reagieren darauf Menschen ab den mittleren Lebensjahrzehnten im allgemeinen und Frauen im speziellen.

Im weiteren sogenannte physikalische Maßnahmen, die vor allem die muskulären Verspannungen abbauen: Schulter- und Nackenmassage, Kneipp´sche Anwendungen, Bürstenmassagen (Trockenbürsten), Wechselduschen, ggf. medizinische Bäder mit entsprechenden Zusätzen u. a.

Wichtig ist es auch, Entspannungsübungen zu lernen, und zwar bevor man sie braucht. Aber auch danach und für jede Zeit sind sie nützlich, nämlich Autogenes Training, Yoga, Muskelentspannung nach Jacobson usw.

Interessant und effektiv, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, ist die uralte Methode des halblauten Selbstgesprächs (Soliloqui), entweder als Dialog oder als Trialog bis hin zur "Gerichtsszene", in der man zugleich anklagender Staatsanwalt, verteidigender Rechtsanwalt und schlußfolgernder Richter ist.

Psychotherapie

Die psychotherapeutischen Möglichkeiten sind vielfältiger als früher. Bei den Angststörungen haben sich vor allem verhaltenstherapeutische Maßnahmen bewährt. Sie gehen weniger auf frühkindliche oder spätere Entwicklungsstörungen und ihre neurotischen, psychosomatischen und damit letztlich auch psychosozialen Konsequenzen ein, sondern setzen eher an den aktuellen Problemen an.

Dabei kann man den Patienten ermutigen, zu Konfrontrationszwecken einen Rhetorik-Kurs bei der Volkshochschule zu besuchen oder weitere aktive Unternehmungen mit anderen Menschen durchzuführen, z. B. Clubs oder Vereinen beizutreten. Nützlich ist auch die ständige Wiederholung, daß kein Mensch vor gelegentlichen Blamagen sicher ist, ja, daß dies zum Alltag gehört, gleichsam ein Lebenstraining oder - wenn man so will - ein "Mißerfolgs-Training" ist, durch das man stabiler, routinierter, immer "unverwundbarer" wird (die US-Amerikaner mit ihrer speziellen Mentalität sind darin Meister, aus Mißerfolgen zu lernen, denn dort sind Mißerfolge "Stufen zum Erfolg" und keine definitive Aburteilung).

Obwohl nur wenige sozialphobische Patienten Defizite im Sozialverhalten aufweisen, dominiert in der Regel das Training der sozialen Kompetenz.

Denn vor allem Patienten mit sogenannten sozialen Defiziten (die sich also - allgemein gesprochen - nicht so souverän in ihrem sozialen Umfeld bewegen wie andere) können davon gut profitieren.

Neuere Therapieprogramme rücken daher immer mehr die Rolle von Konfrontation und kognitiver Umstrukturierung (Erklärung s. u.) in das Zentrum der Behandlung. Besonders bewährt haben sich Gruppen von 6 bis 7 Patienten beiderlei Geschlechts. Während bei den meisten anderen Angststörungen Einzeltherapien vorgezogen werden, hat sich in der Behandlung der Sozialphobie die Gruppensituation als effektiver herausgestellt, da hier die entsprechenden Angst-Situationen für den Patienten lebensnah geschaffen werden können.

Ein zentraler Bestandteil sind deshalb entsprechende Rollenspiele, in denen in der Gruppe solche angstauslösenden Situationen nachgestellt werden. Dabei gilt es folgende Ziele zu verfolgen: 1. Konfrontation des Patienten mit seiner Angst mit dem Ziel der Habituation (Gewöhnung), 2. Identifizierung von irrationalen Gedanken, die den Sozialphobiker in sein negatives Selbstbild gleichsam einspinnen, 3. das Üben von neuen Bewältigungsstrategien. Die kognitive (gedankliche) Umstrukturierung solcher sachlich nicht begründeteten negativen Gedanken- und Bewertungsmaßstäbe ist eine wichtige Behandlungskomponente. Auch hier wird die Gruppe einbezogen um gemeinsam zu diskutieren und zu überprüfen, wie und warum der Patient sein Aussehen, sein Auftreten, seine Leistungen (so negativ) bewertet. Um die neu gelernten Fertigkeiten zu festigen, werden individuelle Hausaufgaben aufgegeben, die zwischen den Sitzungen erledigt werden müssen.

Ein wieder entdeckter wichtiger Behandlungsaspekt ist das Selbstsicherheitstraining der Verhaltenstherapie

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Dabei lernt der Patient seine eigenen Interessen, Bedürfnisse, Gefühle, Ansichten und Einstellungen offen auszudrücken und sie auch durchzusetzen, ferner die Interessen, Bedürfnisse, Gefühle und Einstellungen anderer wahrzunehmen und aufzugreifen, unberechtigte Kritik und Forderungen anderer zurückzuweisen, berechtigtes Lob und konstruktive Kritik anzunehmen, selbst Lob und Kritik sowie Forderungen auszusprechen, Kontakt zu anderen herzustellen, aufrechtzuerhalten und wieder zu beenden, sich Fehler erlauben zu können und sich der öffentlichen Beachtung gelassener auszusetzen.

Auch hier bieten sich wieder Rollenspiele, Verhaltensanalysen und die Überprüfung des Selbstbildes an. Zwar sollte man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Doch lassen sich hier wie mit allen anderen therapeutischen Maßnahmen gewisse Grundvoraussetzungen schaffen, die jeder Gesunde für selbstverständlich halten darf:

Sich im Alltag wohl fühlen. Sich und andere Menschen als das zu betrachten, was sie sind, nämlich Mitmenschen mit all ihren Schwächen und Fehlern. Und vor allem: keine Angst mehr vor dem Urteil anderer zu haben.

Pharmakotherapie

Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als hätte der Einsatz von "Chemie" bei einer so "menschlichen, psychologisch nachvollziehbaren Angst" wie der Sozialphobie nichts zu suchen, muß man das doch differenzierter sehen. Arzneimittel allein sind in der Tat keine Therapie, wenigstens keine ausreichende. Arzneimittel zusammen mit entsprechenden psychotherapeutischen und sonstigen Behandlungsmaßnahmen hingegen sind eine wichtige Therapiesäule, auf die man nur dann verzichten soll, wenn sich 1. das Leidensbild in tragbaren Grenzen hält, 2. die Psychotherapie so erfolgreich ist und vor allem so rasche Fortschritte macht, daß Medikamente entbehrlich erscheinen. Da aber Patienten mit einer Sozialphobie in der Regel schon viele Jahre an ihrem Krankheitsbild gelitten haben und ggf. auch schon psychosoziale Nachteile in Kauf nehmen mußten, ist eine mehrschichtige Therapie oft unverzichtbar. Welche psychotropen Pharmaka (mit Wirkung auf das Zentrale Nervensystem und damit Seelenleben) bieten sich hier an?

"Lehrbuchmäßig" sind es vor allem Beta-Rezeptorenblocker, Benzodiazepine, Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), Mono-Amino-Oxidase-Hemmer (MAO-H) und bestimmte Phytopharmaka (Pflanzenheilmittel).

Schaut man sich einmal die verfügbaren Studien an, die unter Kontrollbedingungen durchgeführt wurden, sieht es schon nicht mehr so üppig aus. Die Sozialphobie wird eben noch nicht so lange gezielt behandelt. Trotzdem, was kann medikamentös versucht werden?

- Tranquilizer vom Benzodiazepin-Typ werden am häufigsten verordnet - und kontrovers beurteilt. Die einen finden sie entbehrlich oder gar schädlich (z. B. Suchtgefahr), andere halten sie für eine effektive (Not-)Lösung, auf die man vor allem in der Praxis nicht verzichten kann. Daran ist etwas Wahres. Bedarfsweise und dann am besten in Tropfenform (rasche Wirkung, niedrige Dosierung möglich) bleiben die Benzodiazepine wahrscheinlich weiterhin nützlich. Mittel- oder gar längerfristig und dann noch ohne eigentliche psychotherapeutische Behandlung werden sie hingegen rasch verhängnisvoll, und zwar nicht nur wegen der nach wenigen Wochen bis Monaten drohenden Abhängigkeitsgefahr, sondern weil sie wegen ihrer abschottenden Wirkung eine trügerische Selbstsicherheit vorgaukeln, die nach längerer Benzodiazepin-Einnahme in Wirklichkeit nur ein sogenanntes Indolenzsyndrom ("Wurstigkeit") ist. Kurz: Benzodiazepine ja, aber nur bedarfsweise und niedrig dosiert.

- Beta-Rezeptorenblocker galten früher als die Therapie der Wahl bei vor allem körperlichen Angstsymptomen wie Tremor (Zittern), Herzrasen usw. Im sogenannten Placebovergleich (Wirkstoff gegen Schein-Medikament) sind sie dann aber zurückgefallen. Sie sind also bestenfalls "äußerlich sinnvoll, aber auch das ist natürlich ein Gewinn, besonders bei ausgeprägter "körperlicher Angst". Vor allem zeichnet sich diese Substanzgruppe in der üblicherweise niedrigen Dosierung durch gute Verträglichkeit aus.

- Neuroleptika werden in Deutschland gerne bei krankhaften Ängsten eingesetzt, insbesondere bei den Generalisierten Angststörung (siehe das entsprechende Kapitel). Für die Sozialphobie sind sie bisher noch nicht unter Kontrollbedingungen geprüft worden. Man muß hier also seine eigenen Erfahrungen machen, die für niederpotente Neuroleptika am ehesten denen der Benzodiazepine entsprechen. Allerdings fallen die sogenannten niederpotenten (vor allem dämpfenden) Neuroleptika gegenüber den Tranquilizern (s. o.) im Urteil der Patienten meist deutlich ab. Ihre Dämpfung wird - trotz vorsichtiger Dosierung - in der Regel als unangenehmer und ihre Angstlösung (Fachausdruck: anxiolytische Potenz) als geringer eingestuft. Versuchen kann man es trotzdem, vor allem mit bestimmten hochpotenten (gezielt antipsychotischen) Neuroleptika, wofür sich vor allem - zeitlich begrenzt - die sogenannte "Wochenspritze" empfiehlt. Neuroleptika bieten sich im übrigen besonders bei Patienten mit Abhängigkeitsgefahr an, da alle diese Psychopharmaka nicht süchtig machen.

- Schließlich gibt es auch noch ein sogenanntes Nicht-Benzodiazepin-Anxiolytikum, das ebenfalls ohne Abhängigkeitsgefahr vor allem bei der Generalisierten Angststörung genutzt werden kann. Bei der Sozialphobie hingegen scheint es nur begrenzte Resultate zu bringen.

- Dafür gelten Antidepressiva (also gezielt stimmungsaufhellende Psychopharmaka) bei der Sozialphobie heute als Mittel der Wahl. Dabei muß man allerdings folgendes unterscheiden:

-- Trizyklische Antidepressiva, die bei anderen Angststörungen äußerst wirkungsvoll sein können, sind bei der Sozialphobie noch nicht hinreichend untersucht worden.

-- Die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) empfehlen sich nach der bisherigen Forschungslage als hoffnungsvolle Behandlungsstrategie.

-- Die irreversiblen Mono-Amino-Oxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) der älteren Generation werden wegen der notwendigen Vorsichtsmaßnahmen (Diät, Blutdruck) heute nur noch zurückhaltend eingesetzt.

-- Die neue Generation der reversiblen Mono-Amino-Oxidase-A-Hemmer (MAO-A-Hemmer), von denen derzeit nur ein Produkt auf dem Markt ist, pflegen sich hingegen günstiger zu stellen und werden immer häufiger genutzt.

- Die derzeit im Aufwind befindlichen psychotropen Pflanzenheilmittel haben zweifellos ihre Vorteile, doch muß man auch ihren begrenzten Wirkungsgrad respektieren. Als spezifisch angstlösend gelten ohnehin nur die Kava-Kava-/Ka-vain-Produkte. Sie sind vor allem bei leichteren Angststörungen sinnvoll, besonders wenn eine längerfristige Pharmakotherapie geplant ist (kaum Nebenwirkungen, keine Suchtgefahr). Ob sie vor allem bei der sozialen Phobie langfristig erfolgreich sind, bedarf noch einer umfassenden Abklärung.

Literatur

- Fachliteratur:
Inzwischen zahlreiche Publikationen in medizinischen, vor allem psychiatrischen und psychologischen Fachzeitschriften. Daneben immer mehr Fachbücher (Monographien, Sammelbände, Lehrbücher).

- Allgemeinverständliche Literatur:
Auch hier ein wachsendes Angebot an Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln sowie populärmedizinischen Sachbüchern.

Kostenlose Ratgeber und Patienten-Broschüren (Auswahl):

  • Ratgeber Soziale Phobie. Wege aus der Sozialen Phobie. Hoffmann-La Roche, 79630 Grenzach-Wyhlen
  • Soziale Phobie. Diagnosehilfe mit Patientenfragebogen. Hoffmann-La Roche, 79630 Grenzach-Wyhlen
  • Faust, V.: Angst und Angststörungen. Erkennen - verstehen - verhüten - betreuen. Hormosan-Kwizda, 60389 Frankfurt
  • Faust, V.: Angstzustände, Faltblatt 1 - 3. Lundbeck, 20537 Hamburg

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).