Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Einsam unter MüllVermüllungs-Syndrom - Diogenes-Syndrom Diogenes-Syndrom - Müll-Horten - Unrat-Sammeln
Erwähnte Fachbegriffe: Vermüllungs-Syndrom - Diogenes-Syndrom - Müll-Horten - Unrat-Sammeln - Verwahrlosung - Alkoholkrankheit - chronische Depression - schizophrene Psychose - Zwangsneurose - Zwangsstörung - hirnorganische Beeinträchtigung - Alzheimer-Demenz - Minderbegabung - Persönlichkeitsstörung - Anpassungsstörung - Müll als Verlust-Ersatz - Vermüllung als Zeichen unserer Zeit - Müll als gewollte Verwahrlosung - Sammeltrieb - Sammelsucht - Messies - Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADS) - psychologische Hintergründe - Ratschläge für Helfer und Behörden - Heilungsaussichten - Betreuung/Pflegschaft - u. a. Wie konnte es nur soweit kommen? fragt sich so mancher, wenn wieder einmal „überraschend“ eine Wohnung oder ein Haus geräumt werden muss, das mit Unmengen von Altpapier, nutzlosen Gerätschaften und Abfällen verstellt ist - manchmal bis zur Decke gestapelt. Sozialarbeiter, Ärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute, Polizisten u.a. quälen sich dann (im Extremfall sogar in Schutzkleidung und Atemschutzgeräten) durch schmale Gänge durch die Räume, verscheuchen Ratten und Mäuse, schütteln sich vor unsagbaren Entdeckungen bis hin zu Tier- oder Menschenleichen - und wundern sich, was einen nach außen in der Regel eher unauffälligen Mitbürger zu einer solchen Existenz getrieben haben könnte. Und ob es so etwas überhaupt noch einmal in dieser Form gibt? Die Antwort: ja, und gar nicht so selten. Nur: es dauert seine Zeit, bis Angehörige und Bekannte (falls vorhanden), vor allem aber Nachbarn die Behörden informieren. Und die ihrerseits brauchen ebenfalls ihre Zeit, bis sie sich zum Einschreiten entscheiden. (Manchmal haben die betroffenen Nachbarn allerdings den Eindruck, die Behörden seien aktiver in ihren Begründungen, warum sie nicht einschreiten können, dürfen oder sollen, als in den längst überfälligen Maßnahmen, die ja dann doch irgendwie kommen müssen.) Und wenn es dann letztendlich nicht mehr hinausgeschoben werden kann, ist natürlich noch immer keine befriedigende Lösung in Sicht. Nachfolgend deshalb zuerst einige Augenzeugenberichte aus verschiedenen Veröffentlichungen:
Das Unbehagen, mit dem sich die Behörden bisweilen lange Zeit bedeckt halten, hat natürlich seine Gründe. Davon wissen vor allem die Gesundheitsämter und Sozialen Dienste ein Lied zu singen. Auch sind die - zumindest erfahreneren - Mitarbeiter solcher Institutionen ja nicht blind, gefühllos oder desinformiert, sondern wissen aus eigener Erfahrung: „So katastrophal sich die Situation für den Außenstehenden, vor allem aber für Nachbarn und Angehörige auch darstellen mag, sie hat oft einen Sinn, einen psychologischen Hintergrund, den es zu erkennen, zu verstehen und zu akzeptieren gilt, will man erfolgreich eingreifen. Sonst macht man diese - vom Schicksal meist ohnehin „geschlagenen“ - Menschen noch unglücklicher und treibt sie zuletzt in die Obdachlosigkeit (wobei selbst dort noch das Sammeln von nutzlosen Gegenständen bis zum Unrat fortgeführt wird - siehe das entsprechende Kapitel). Kurz: Die Unfähigkeit, in seinen vier Wänden Ordnung zu halten, ist nicht selten. Die Grenze vom vertretbaren Chaos („geordnete Unordnung“) bis zur befremdlichen „Unhygiene“ ist ebenfalls fließend. Doch die „Vermüllung“, wie man dies heute am zweckmäßigsten nennt, steht vor konkreten Fragen: seelische, psychosoziale und auch körperliche Gesundheit? Schweres Schicksal mit einem oder mehreren Traumata (seelischen Verwundungen), die nicht überwunden werden konnten? Unfähigkeit, sich schließlich aus dieser Situation selber zu befreien? Ja vielleicht sogar eine Art „häusliche, vor allem psychologische Geborgenheit im oder unter dem Müll“? Auf jeden Fall haben das „Horten“ und die Beschäftigung mit dem scheinbaren Unrat an überwertiger Bedeutung gewonnen. Das äußert sich nicht nur in der bisweilen unfassbaren Anhäufung, sondern auch mit der ungestümen Heftigkeit, mit der die Betroffenen den Verlust ihres „Besitzes“ abzuwenden suchen und den damit angefüllten Lebensraum verteidigen, wenn eine behördlich angeordnete Entrümpelung droht. Deshalb die etwas ausführlichere Übersicht zu einem Phänomen, das eigentlich jeder schon einmal bei einem Obdachlosen gesehen hat, der Berge von Plastiktüten mit sich herumschleppt, meist mit Hilfe eines Einkaufswagens, eines Fahrrads oder wie auch immer. Und zu einem Problem, das die zuständigen Behörden, insbesondere die sozialen Dienste als gar nicht so selten einstufen - auch oder gerade wegen unserer Wohlstandsgesellschaft, in der vor allem der „lächelnde Ellenbogen“ immer mehr an Bedeutung gewinnt und die Schwächeren unter uns auch einmal in eine „unmögliche, asoziale, unfassbare, ekelhafte Verhaltensweise oder Lebensform“ (Zitate) stößt, wie dann gerne naserümpfend beklagt wird. So etwas ist doch gerade in einem Sozialstaat, wie dem unseren nicht mehr zu verstehen, ist der Grundtenor praktisch aller Kommentare. Deshalb sei schon hier eine vielleicht ungewöhnliche Erkenntnis vorweggenommen: Mitbürger mit einem Vermüllungs-Syndrom sind nicht nur Menschen ohne Angehörige, Ausbildung, Beruf und Vermögen. Es gibt unter ihnen auch solche mit Familie einschließlich Kindern, mit solider Ausbildung einschließlich akademischer Berufe, ehemals guter Position und - man höre, staune und denke darüber nach - mit großem Vermögen, bar oder in Immobilien (Letzteres pflegt besonders dann deutlich zu werden, wenn die Betroffenen sich behördlichen „Maßnahmen“ entgegenstellen und plötzlich teure Anwälte bezahlen können). Begriff und bedeutungsähnliche Bezeichnungen Das „Vermüllungs-Syndrom“ ist - wie die wenigen Experten zu diesem Thema bedauern - in der klinischen Psychiatrie so gut wie unbekannt und wird in den führenden Lehrbüchern kaum beschrieben. Deshalb hat man sich auch um den Begriff bisher keine eingehenderen Gedanken gemacht.
So bleibt letztlich nur das Vermüllungs-Syndrom als treffendster Begriff, der auch in die Wissenschaft Eingang finden sollte. Definition des Vermüllungs-Syndroms Was die Definition anbelangt, neutraler als charakteristische Merkmale bezeichnet, so kann - laut Experten - von einem Vermüllungs-Syndrom dann gesprochen werden, wenn folgende Faktoren zusammentreffen (mit einem ¯ versehen die wichtigsten Charakteristika):
Einzelheiten dazu siehe später. Wie häufig ist das Vermüllungs-Syndrom? Angaben über die Häufigkeit eines Phänomens kann man nur dann machen, wenn man einen Überblick dazu bekommt. Gerade beim Vermüllungs-Syndrom wird man aber mit den größten Schwierigkeiten konfrontiert, weshalb man auch oft von dem Begriff der „hohen Dunkelziffer“ (viele unerkannte oder statistisch einfach nicht erfassbare Fälle) hört. Deshalb gilt derzeit die Meinung: Dass ein ernsteres Vermüllungs-Syndrom nicht allzu häufig ist, muss nicht weiter diskutiert werden. Dass es öfters vorkommt, als man in der Allgemeinheit annimmt, wird zumindest von den zuständigen Behörden, insbesondere durch Gesundheitsämter und Soziale Dienste, aber auch durch die Sozialarbeiter entsprechender Kliniken und ambulanten Einrichtungen bestätigt. Auf die Frage, ob das Vermüllungs-Syndrom in nächster Zeit weniger oder häufiger wird bzw. unverändert bleibt, scheint sich unter den Experten die Vermutung durchzusetzen: eher mehr. Dahinter stehen nicht zuletzt die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit. Auch in psychopathologischer Hinsicht (Psychopathologie = Lehre vom Beschwerdebild seelischer Erkrankungen) scheint sich eine Veränderung anzudeuten. So soll das Vermüllungs-Syndrom schon im ausgelaufenen 20. Jahrhundert zugenommen haben, nicht zuletzt als zeit- und gesellschaftsspezifische Verarbeitung seelischer Nöte und psychosozialer Schicksalsschläge. Weitere Einzelheiten siehe später. Alter - Geschlecht - soziale Aspekte Die Frage, wen das Vermüllungs-Syndrom besonders trifft, vor allem also Alter und Geschlecht, aber auch soziale Ausgangslage, Zivilstand usw., ist nur anhand der erfassten Betroffenen zu beantworten - und das ist ein minimaler Prozentsatz, gemessen an der vermuteten Gesamt-Population. Nachfolgende Erkenntnisse sind also mit Vorsicht zu interpretieren, dürften aber auch nicht völlig daneben liegen:
Ähnliches fanden auch erste deutsche Untersuchungen: Dabei wurden vor allem zwei Alters-Schwerpunkte ausgemacht, und zwar jenseits des 50. und bei Jüngeren zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Eine gezielte Nachfolge-Studie ergab bei weiblichen Geschlecht zwei Gipfel, nämlich zwischen 40 und 50 sowie 70 bis 80 Jahren. Bei den Männern häuften sich die Betroffenen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr. Gesamthaft gesehen ist also mit jeder Altersspanne zu rechnen, wobei sich bestimmte Schwerpunkte ergeben, die vor allem die mittleren und die höheren Lebensjahrzehnte einschließen. Dabei muss man allerdings einkalkulieren, dass es ja eine Weile braucht, bis jemand sein Vermüllungs-Syndrom soweit getrieben hat, dass er auch auffällt. Und dann dauert es noch einmal seine Zeit, bis sich die ersten Widerstände des Umfelds soweit formieren, dass auch die Behörden zum Eingreifen veranlasst werden. Und erst dann werden diese Menschen sozial, medizinisch, psychiatrisch und damit statistisch erfassbar. Zwar gibt es sicher auch kurzfristige, gleichsam „explodierende“ Vermüllungs-Tendenzen, doch die Mehrzahl dürfte sich mittel- bis langfristig entwickelt haben.
Und in wirtschaftlicher Hinsicht von der bitteren Armut bis zum - ungenutzten und deshalb unbekannten - Wohlstand .Zuerst also in der Mehrzahl der Fälle ein wohl „üblicher“ partnerschaftlicher und beruflichter Werdegang. Im fortgeschrittenen Stadium dann allerdings überwiegend Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Rente - und meist nur sehr kümmerliche Einkommensverhältnisse - wenn überhaupt. Aber nicht grundsätzlich: Es gibt auch Vermüllung im Wohlstand. Und Vermüllung im Rahmen einer halbwegs unauffälligen gesellschaftlichen Integration. Welche Formen der Vermüllung lassen sich unterscheiden? Vermüllung ist nicht gleich Vermüllung. Es gibt Unterschiede nicht nur nach Alter, Geschlecht, Ursachen (siehe später), psychosozialen Begleitumständen, sondern auch nach der Form der Vermüllung, erklären manche Experten, zum Beispiel P. Dettmering (1985), der sich als einer der ersten Psychiater intensiver mit diesem Problem beschäftigt hat: 1. Wohnungen, die nach einem stereotypen Ordnungsschema mit wertlosen Gegenständen vollgestellt werden: Das Ganze verteilt sich auf ein Zimmer, eine Wohnung, eventuell auch über zwei oder mehrere Wohnungen oder das gesamte Grundstück. Häufig gibt es in diesen „Wohnhöhlen“ einen Gang oder ein Gangsystem, das mitunter an den Bau eines Hamsters oder anderer Erdbewohner erinnert. Manche Spezialisten sprechen in diesem Zusammenhang von „geordneter Unordnung“ und rücken die zugrunde liegende Störung in die Nähe einer Zwangsneurose (heute Zwangsstörung genannt - siehe später). Bisweilen erinnert diese „chaotische Sammelwut“ auch an die Bereitschaft von Kindern, wertlose oder wertneutrale Gegenstände aufzuhäufen, die sie gefunden, mit fantastischen Bedeutungsinhalten versehen und dann mehr oder weniger „geordnet“ horten. 2. Wohnungen, die keine Ordnung mehr erkennen lassen und wahrscheinlich nie eine besaßen. Sie gleichen Müllhalden und vermitteln nicht selten den Eindruck, der Inhaber sei selbst an einem bestimmten Punkt der Vermüllung angelangt. Bisweilen müssen die Wohnungsinhaber im Freien oder im Treppenhaus übernachten und dort sogar ihre Notdurft verrichten. Verschaffen sich z. B. die Behörden Zugang zur Wohnung, so sperrt meist schon die Haustür und der Müll fällt einem entgegen (trifft ein solches Unglück den Wohnungsinhaber, dann ergibt sich wenigstens ein Grund zum Eingreifen). Sämtliches Mobiliar, also Tisch, Bett, Herd und Waschgelegenheiten, Badewanne und WC sind unter Müll verschwunden und schon längere Zeit nicht mehr benutzbar. 3. Wohnungen, die total unbewohnbar geworden sind, weil nicht einmal mehr die Grundlage hygienischer Voraussetzungen funktionieren können. Die entsetzten Besucher finden nicht nur verdorbene Speisereste, sondern auch frische und vertrocknete Exkremente, in Behältern gesammelten Urin u. a. Hier hat man den Eindruck, dass die Wohnungsinhaber die Fähigkeit verloren haben, das Ekelerregende ihres selbst inszenierten Umfelds überhaupt noch zu empfinden und danach zu handeln. Ein grausiges Extrem eigener Art ist dann die Entdeckung von Tier- oder gar einer menschlichen Leiche, entweder früh im Zersetzungszustand oder nach einiger Zeit fast schon mumifiziert. Dabei muss es sich bei den Zurückgebliebenen nicht nur um seelisch Kranke und jetzt völlig vereinsamte, hilflose und isolierte „Überlebende“ handeln, sondern auch um zuvor halbwegs normale Partnerschaften oder Ehen, bei denen die Witwe oder der Witwer selbst nach dem Tod nicht die Initiative oder Kraft aufbrachten, das Notwendige zu veranlassen. Wie es sich grundsätzlich nicht nur um seelisch kranke Menschen handeln muss, bei denen man das vielleicht gerade noch verstehen kann: z. B. schwere oder chronische Schizophrenie, ausgeprägter Autismus oder gar das seltene Phänomen einer Nekrophilie (abnorme Neigung und Vorliebe für Abstoßendes, Ekelerregendes oder gar Totes). Es können auch Menschen in extremen Belastungssituationen sein, bei denen sich der untersuchende oder begutachtende Arzt zu keiner Diagnose durchringen kann, also „völlig unverständlich“, aber „eigentlich auch nicht krank“. Die Entscheidung ist schwierig und lässt sich wahrscheinlich nur in jedem Einzelfall treffen. Nachfolgend deshalb einige Aspekte zur Frage: Was kann zu einem Vermüllungs-Syndrom führen? Doch ob in leichter, für das Umfeld gerade noch tolerierbarer Form oder in schweren Fällen, man kann sich bei einem Vermüllungs-Syndrom fast nicht vorstellen, dass es sich hier um Menschen ohne jegliche seelische Beeinträchtigung handelt. Allerdings mahnen die Fachleute zur erwähnten Vorsicht. Chaos oder Vermüllung sind nicht so selten, und nur die Extremfälle werden letztlich aktenkundig (und von denen auch nur ein Bruchteil - siehe später). Man kann also nur Stellung nehmen zu jenen Zuständen, die mehr oder weniger fachlich untersucht wurden oder sich untersuchen ließen bzw. die später in einer Fachklinik eingewiesen werden mussten. Allein auf Grund der verfügbaren Daten lässt sich jedoch behaupten, dass die in Frage kommenden Diagnosen ein breites Spektrum psychiatrischer Erkrankungen einschließen. Was heißt das im Einzelnen?
Dabei muss natürlich offen bleiben, was Ursache, d. h. schon frühere, möglicherweise konstitutionelle Wesensart ist, was die Reaktion auf mannigfache Enttäuschungen und Schicksalsschläge darstellt, und was schließlich die psychosozialen Folgen eines solchen „Vermüllungs-Daseins“ sind - fast unabwendbar. Auch finden sich diese Charaktermerkmale meist in jenen Studien aufgeführt, in denen keine Psychiater oder Psychologen beteiligt und damit letztlich keine fachlich fundierte Untersuchung möglich waren. Wie fragwürdig solche Befunde sind, zeigt sich auch im Ergebnis mancher dieser Studien, in denen zwischen solch (doch z. T. extremen) Verwahrlosungserscheinungen und seelischen Ursachen bzw. psychosozialen Folgen (z. B. Psychose oder hirnorganischer Abbau) keine Beziehungen gefunden wurden.
Wissenschaftlich unterscheidet man beispielsweise die Verwahrlosung in Bezug auf die eigene Person oder auf die Umwelt. Bei Letzterem differenziert man wiederum in eine asoziale Verwahrlosung (z. B. Haltlosigkeit, mangelhafte Motivation zur Hausarbeit, Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten, Rauschdrogen) und in eine antisoziale Verwahrlosung (aggressive Handlungen, z. B. Misshandlung von anderen, Beschädigung von Objekten, gehäufte Delikte). Über die psychosozialen Hintergründe ist damit aber noch nichts ausgesagt. Dass eine Verwahrlosung aber wenig mit einem Vermüllungs-Syndrom zu tun haben muss, deuten einige interessante Unterschiede an: Bei den „rein Verwahrlosten“ fällt in den meisten Fällen eine Vernachlässigung des äußeren Erscheinungsbildes auf, was man bei den Vermüllungs-Patienten ebenfalls vorfindet. Die Wohnung hingegen oder die sonstigen Unterkünfte werden dafür eher häufig gewechselt. Das steht im Gegensatz zum Vermüllungs-Syndrom, wo sich die Betreffenden ja regelrecht „festkrallen“ (Behörden-Zitat). Auch findet sich bei der „reinen Verwahrlosung“ nicht selten eine eigenartige Leere in der Wohnung, wenngleich das karg Vorhandene meist in arg verschmutztem Zustand ist. Das kann man nun beim Vermüllungs-Syndrom gleich gar nicht behaupten. Der Unterschied ist also das auf der einen Seite ein Zuwenig, auf der anderen ein Zuviel. Insofern führt also das Phänomen der „Verwahrlosung“ an sich beim eigentlichen Vermüllungs-Syndrom nicht weiter.
Unklar bleibt in den meisten Fällen jedoch die Frage: Ging der Alkohol-Missbrauch der Verwahrlosung der persönlichen und häuslichen Verhältnisse voraus, fielen „Alkohol-Erkrankung und persönlicher Niedergang" zeitlich mehr oder weniger zusammen oder war der Alkoholismus die Folge des sozialen Abstiegs bis zur Vermüllung? Eine Erkenntnis aber ist als Unterscheidungs-Kriterium auf jeden Fall hilfreich:
Chronische Depressionen haben - soweit sie fachärztlich untersucht worden sind - nicht selten eine eigene „Familiendynamik" (meist Partnerschafts- bzw. Eltern-Kind-Probleme in der zweiten Lebenshälfte, also z. B. sehr alte Mutter und auch schon in die Jahre gekommene Tochter). Beim größeren Teil der nicht-erfassten Depressiven mit langfristigem Krankheitsverlauf dürfte aber der Faktor „Einsamkeit" und damit Isolation eine große Rolle spielen. Zwar gibt es dazu wenig Untersuchungen, doch reichen die Spekulationen aus, um sich im Extremfall auch eine völlige Verwahrlosung bis hin zum Vermüllungs-Syndrom vorzustellen. Genaue Daten dazu gibt es nicht. Auch dürfte sich dann der Zustand der Verwahrlosung letztlich doch in Grenzen halten (siehe das Unter-Kapitel „Vermüllungs-Formen"). Gerät ein solcher Patient (vermutlich vor allem weiblichen Geschlechts) aber in einen Teufelskreis, sind auch schwerere Vermüllungs-Folgen nicht auszuschließen. Dies besonders bei älteren und allein lebenden Depressiven ohne entsprechende Betreuung. Der Unterschied zum Vermüllungs-Syndrom an sich aber wird spätestens dann deutlich, wenn die Depression zurückgeht, aus welchem Grund auch immer (Genesung mit oder ohne konkrete Therapie). Dann wird auch wieder aufgeräumt - im Gegensatz zum Vermüllungs-Syndrom mit seinem „Dauer-Chaos".
Andererseits weiß man aus Obdachlosen-Untersuchungen, dass gerade schizophren Erkrankte unter unglücklichen Umständen sozial so absteigen können und vor allem dort verbleiben, wie es bei kaum einem anderen seelischen Krankheitsbild droht (besonders wenn dazu noch ein Alkohol- oder Rauschdrogen-Missbrauch kommt). So gilt auch für das Vermüllungs-Syndrom: Schizophrene Psychosen oder wahnhafte Störungen (siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie) sind offenbar nicht selten. Wie hoch ihr Anteil an der Gesamtheit der Betroffenen liegen mag, bleibt unklar. Manche Experten vermuten, dass es vor allem schizophrene Menschen sind, bei denen als trauriges End-Schicksal die Obdachlosigkeit droht. Denn die Verwahrlosung einer Wohnung ist für die Mitbewohner schon belastend genug. Kommen dazu noch „unverständliche Verhaltensweisen" oder gar „feindselige Aggressivität", sinkt die Toleranz rapide und auch die Behörden sehen sich dann eher gezwungen einzugreifen, bis hin zur Einweisung in eine Fachklinik. Damit ist zwar für die Zukunft noch nicht viel erreicht, aber der Betreffende ist erst einmal als Patient registriert und ggf. unter zweckmäßiger Beobachtung. Wie viele schizophren Erkrankte unter Vermüllungs-Patienten zu finden sind, bleibt eine offene Frage. Es ist aber sicher nicht die kleinste Gruppe, vor allem bei Obdachlosen im Allgemeinen und solchen mit „ambulantem Vermüllungs-Syndrom“ (Fahrräder, Einkaufswagen u.a.) im Speziellen.
Da Zwangsstörungen zum einem gar nicht so selten sind, wie man bisher annahm, in letzter Zeit vielleicht sogar zugenommen haben, und andererseits gerade hier bestimmte Berührungspunkte zum Vermüllungs-Syndrom auffallen, nachfolgend eine etwas ausführlichere Darstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden: Im Allgemeinen fallen bei einer Zwangsstörung vor allem jene Zwangshandlungen auf, die eine Verminderung von Verschmutzung oder Unordnung erzwingen sollen. Deshalb auch die ständigen Wasch-, Kontroll- und Korrekturzwänge. Zwar empfindet der Betroffene seine Zwangshandlungen als unnötig, ja als unsinnig bzw. - wie der Fachausdruck heißt - als ich-fremd. Davon lassen kann er aber trotzdem nicht, denn sonst drohen Ängste, und das ist ein ggf. so hoher Preis, dass er sich in der Regel lieber den Zwangshandlungen unterwirft. Die Vermüllung ist nun eigentlich das Gegenteil von überzogener Sauberkeit und Ordnung, wie es bei vielen Zwangsgestörten anzutreffen ist. Im Grunde herrscht hier aber der gleiche innerseelische Abwehrvorgang, der die drohende Angst auffangen soll. Erschütternd deutlich wird dies bei vielen Patienten, die nicht nur mit Angst, sondern regelrechter Panik reagieren, wenn eine „amtliche" Entrümpelung droht (siehe später). Ob man sich wegen der Unordnung schämt oder nicht, ob man aufgrund der Vermüllung einen Leidensdruck entwickelt oder nicht, der Patient muss bei entsprechenden therapeutischen oder behördlichen Maßnahmen mit Unbehagen oder gar Angst bezahlen. Die psychologische Problematik der „zwangsneurotischen Vermüllung" liegt also hier weniger im Sammeln als in der Unfähigkeit, etwas wegwerfen oder weggeben zu können. 1. Fallbeispiel: Eine 50-jährige Frau sucht einen Arzt auf, weil sie mit dem Leben nicht mehr fertig wird. Sie schildert, dass sie im Laufe des Tages eine Fülle von Ritualen erfüllen müsse, die ihr ein erträgliches Leben schließlich unmöglich machten. Früher sei sie lediglich genau und sorgfältig gewesen. Später wurde sie zwanghaft. Heute sei ihre Wohnung völlig vollgestellt wie eine Rumpelkammer. Sie sei einfach nicht mehr in der Lage, etwas wegzuwerfen. Auf diese Weise enge sich nicht nur ihre Wohnung, sondern ihr ganzes Leben immer mehr ein. Jetzt drohe der Hausbesitzer mit der Räumung (nach R. Pastenaci). 2. Fallbeispiel: Eine 58-jährige Bauersfrau hat ihre zwanghafte Unfähigkeit, etwas wegzuwerfen letztlich den Familienfrieden gekostet. Der Ehemann hält sich meist außer Haus auf, da das gesamte Anwesen vom Keller bis zur Scheune inzwischen vollgestellt sei mit Dingen, die niemand mehr brauchen könne. Ältester Sohn und Tochter lassen sich ebenfalls nicht mehr sehen. Der jüngere Sohn mit einem guten Verhältnis zur Mutter würde alles selber aufräumen, um im Dachgeschoss eine eigene kleine Wohnung auszubauen, gerät aber mit seiner Mutter nach kurzer Zeit in heftigen Streit, was er entsorgen dürfe und was nicht - und das meiste eben letztlich nicht. Die Frau ist verzweifelt. Sie weiß um ihr „unmögliches Verhalten", sieht das Ende vor sich, nämlich die totale Isolation unter einem vermüllten Bauernhaus - und kann nichts dagegen tun. Früher sei sie nur „akkurat" gewesen, jetzt sei sie „eine verrückte Zwangskranke", die alle in die Flucht getrieben habe und einsam und allein zurückbleiben werde, bis der Tod sie schließlich erlöse. Inwieweit die innerseelische Problematik des eigentlichen Vermüllungs-Syndroms tatsächlich auf einer anderen Ebene liegt wie bei einem „reinen" Zwangskranken, muss sich wohl erst durch eingehende Untersuchungen zeigen. Interessant ist jedenfalls ein mögliches Unterscheidungs-Merkmal: Der „vermüllte" Patient glaubt, alle in seinem Leben anfallenden Abfälle aufbewahren zu müssen bis zu dem Tag, an dem er wieder die Fähigkeit erlangt, selbst das Brauchbare vom Nichtbrauchbaren trennen zu können. Deshalb raubt ihm die Vorwegnahme dieses Zeitpunkts durch eine behördlich angeordnete Entmüllung wahrscheinlich auch der Hoffnung, seinen seelischen Zustand selber wieder ordnen zu können. Das macht so manche Reaktion verständlich (nach R. Pastenaci). Zwangskranke hingegen, besonders im fortgeschrittenen Stadium, sind so von ihrem Leiden „eingekerkert", dass sie nur noch selten an eine zukünftige Lösung glauben, schon gar nicht beim zwanghaften Horten unsinniger Gegenstände. Allerdings ist dieser Trugschluss auch so manchen Zwangskranken eigen, nämlich eines Tages doch noch die Kraft und Zeit zu finden, alles wieder zu ordnen und zu entsorgen - wenngleich unter ihren eigenen (letztlich unverändert zwanghaften) Bedingungen. In beiden Fällen aber - Zwangs- oder Vermüllungs-Syndrom - braucht es in der Regel den Psychiater oder Psychologen. Und noch mehr: Es braucht einen in dieser Hinsicht erfahrenen Therapeuten (siehe später).
Ob zu zweit oder meist alleine: Es kommt zu Rückzug, Isolation und Verwahrlosung, wie es auch ohne Vermüllungs-Syndrom nicht selten von Angehörigen, Nachbarn oder Behörden registriert wird. Einzelheiten siehe die entsprechenden Kapitel, insbesondere das Stichwort Alzheimer-Demenz. Das Vermüllungs-Syndrom im Alter - nicht nur als Krankheit zu sehen Wenn ein Vermüllungs-Syndrom schließlich einer behördlichen „Klärung" zugeführt werden konnte, dann ist es meist die Psychiatrie, die die weiteren Schritte übernehmen muss. Und wenn - wie zumindest nach außen hin am häufigsten - ältere Menschen betroffen sind, dann ist das das psychiatrische Spezialgebiet der Gerontopsychiatrie, das diese Menschen aufnehmen, abklären, behandeln und nachbetreuen muss. Nun steht ja die Psychiatrie unter dem Verdacht, ihrer Aufgaben bisweilen nicht gewachsen zu sein, charakterisiert durch den humorvoll gemeinten, im Affekt aber dann doch bitterernsten Satz: „Gesunde sperren sie ein - gefährliche Irre lassen sie laufen". Dass man dies nicht so stehen lassen kann und dass auch Psychiater vor allem an ihre Patienten denken und nicht jede ungewöhnliche Verhaltensweise gleich „psychiatrisieren", beweist nicht zuletzt das Vermüllungs-Syndrom, vor allem im höheren Alter. Zwar gibt es hier nur wenige, dafür aber gut dokumentierte Untersuchungen, die besagen: Die - z. B. in einer psychiatrischen Klinik - erfassten Vermüllungs-Patienten (alle höheren Alters und weiblichen Geschlechts) waren gar nicht krank, sondern „nur" vom Schicksal gezeichnet (nach H. Renelt, 1999). Sogar die körperlichen Befunde waren eher unauffällig. In psychischer Hinsicht waren die behördlich in eine psychiatrische Klinik eingewiesenen Vermüllungs-Betroffenen zwar deprimiert, erregt und empört über die Zwangseinweisung, aber nicht depressiv, wahnhaft-psychotisch, zwangs- oder suchtkrank, dement u.a. Was sich in der Tat fand, waren so genannte langfristige „Sozialisations- und Reifungsstörungen", d. h. ausgeprägte Nöte bis ins Erwachsenenalter und nicht entsprechend verarbeitete Lebenserfahrungen, schließlich soziale Isolation und Entfremdung. Doch trotz enttäuschender Schicksale schienen die meisten durchaus eigenständig und kontaktfähig, was die Außenwelt anbelangt - wenn auch nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Auch die finanzielle Situation war nur selten von Armut geprägt. Der Tag war nicht öde, sondern halbwegs strukturiert, was man nicht von jedem älteren Menschen behaupten kann. Was allerdings anklang, aber keineswegs eindeutig krankhaft, waren depressive und zwanghafte Züge. Das „Sammeln und die Beschäftigung" mit den gesammelten Dingen wirkten wie ein Symbol und fassbares Objekt einer indirekten Kontaktaufnahme mit der Außenwelt. Das Interesse hatte sich im Laufe der Jahre nur noch Ersatzobjekten und „Ersatz- Lebensaufgaben" zugewandt. Das „Sammeln oder Horten" schien eine sinngebende und vertraute Beschäftigung in einem isolierten Dasein geworden zu sein. Manchmal klang sogar kreatives Interesse und ein Schimmer von Hoffnung an, dass sich irgendwann alles selber ordnen würde - auch in Gemeinschaft mit anderen, selbst wenn sie nicht vorhanden war. Der Müll schien nicht nur Bollwerk gegen die Außenwelt, wie mitunter in der Fachliteratur beschrieben. Er hatte inzwischen einen „höheren Sinn" gewonnen. Deshalb wurden Schmutz, Kälte und zunehmende Ablehnung der Umwelt wohl überhaupt erst ertragbar. Die Patienten konnten zwar nicht mehr unter gesellschaftlich üblichen Umständen in der Gemeinschaft mit anderen leben, aber so doch auf ihre persönliche Weise an ihr teilhaben (H. Renelt). Mit anderen Worten: Selbst bei einem Vermüllungs-Syndrom im höheren Lebensalter, bei der die Diagnose einer Demenz (Stichwort: Alzheimer-Demenz) manches erklären und erleichtern würde, warnen die zuständigen Gerontopsychiater davor, alles voreilig „über einen Kamm zu scheren". Zwar haben die hirnorganischen und lebensgeschichtlichen Aspekte einen prägenden Einfluss, doch krank im psychiatrischen Sinne muss der Patient deshalb noch lange nicht sein, auch wenn er einen ungewöhnlichen Lebensstil gewählt hat. Welche psychosozialen Ursachen werden beim Vermüllungs-Syndrom diskutiert? Wenn man einmal von bestimmten konkreten seelischen Erkrankungen absieht, die zu entsprechenden Folgen führen können (siehe oben), wenn man also davon ausgeht, dass auch seelisch gesunde bzw. stabile Personen in eine solche Situation geraten können, dann muss man nach entsprechenden Ursachen fahnden. Und hier wiederholt sich vor allem eine Erkenntnis:
Die Psychiater und Psychologen sprechen deshalb auch von einer „fehlgelaufenen Trauerarbeit", im krankhaften Sinne einer depressiven Reaktion oder reaktiven Depression (moderner Fachausdruck: Anpassungsstörung). So etwas kann alle Bereiche betreffen: Menschen, Tiere, Besitz in jeglicher Form, vom Haus bis zum kleinsten Erinnerungsstück, aber auch gesellschaftliche oder berufliche Position, bestimmte Leistungen oder Privilegien u.a.m. Oder wie es die Psychiater und Psychologen in ihrer Fachsprache beschreiben: „Das Aufbewahren der Vergangenheit in Form von Gegenständen aller Art, die den Lebensraum so einengen, dass keine Möglichkeit zu einem Neuanfang besteht, kann als äußere Kompensation eines (inneren) Trennungserlebnisses verstanden werden. Deshalb sollen die Helfer nicht nur „aufräumen", was ohnehin mit entsprechenden Reaktionen der Patienten verknüpft sein wird, nein, sie sollen ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf lebensgeschichtliche Ereignisse richten, die einen seelischen Zusammenbruch hervorgerufen haben könnten. Beispiele: plötzliche Trennung, Scheidung, Todesfälle, körperliche Erkrankungen, gesellschaftliche Einbußen, Diskriminierungen, erlittenes Unrecht, lebensgeschichtliche Verlustsituationen u.a. Neuere, insbesondere deutsche Untersuchungen zu diesem Thema sprechen vor allem von zwei Verlust-Schwerpunkten:
Im Übrigen trifft es nicht nur alte Menschen mit hirnorganischer Dekompensation, bei denen die täglichen Anforderungen nicht mehr bewältigt werden können und ein geordneter Lebensstil nicht mehr möglich ist, es ereilt sogar junge Menschen zu Beginn ihrer eigenen biographischen Geschichte. So findet man gelegentlich eine Vermüllung relativ kurze Zeit nach dem Auszug aus dem Elternhause in eine eigene Mietwohnung. Das hat dann allerdings mit der Persönlichkeitsstruktur des jungen Menschen zu tun, der sich zwar (wirtschaftlich und vor allem psychosozial) selbständig machen wollte, aufgrund charakterlicher Strukturmängel aber dazu nicht in der Lage ist und sogar in eine Vermüllung abstürzt. Psychologische Überlegungen Eng verbunden mit dieser Diskussion um die psychosozialen, seelischen und anderen Ursachen sind auch psychologische Überlegungen. Dazu gibt es einige Fachbeiträge, deren Erklärungsmuster hier aber zu weit führen und nur stichwortartig wiedergegeben werden soll:
In beiden Fällen kann man den sich in der Wohnung ausbreitenden Müll als gegenständliche Entsprechung zu der Trauer- oder Trennungsarbeit auffassen, die eigentlich geleistet werden müsste und die der Patient im Grunde auch von sich erwartet. Nimmt man ihm nämlich die Arbeit des Aufräumens ab (etwa bei einer zwangsweisen Entrümpelung), so gerät er - ebenfalls schon mehrfach angedeutet - in Angst und Panik und reagiert so, als sei unter dem Müll etwas Wertvolles und Kostbares verborgen, das ihm gewaltsam fortgenommen werden soll. Tatsächlich gibt es Fälle, in denen sich - vor allem bei alten Menschen - wirklich Wertvolles unter dem Müll verbirgt. In der Mehrzahl bezieht sich aber die Panik auf die nun gewaltsam zunichte gemachte Hoffnung, das erwähnte Gute und Schlechte, also letztlich auch die mit der Trauer- und Trennungsarbeit verbundenen guten und schlechten Gefühle irgendwann doch noch „sortieren" zu können - und so zumindest theoretisch aus eigener Kraft wieder zu einer inneren Ordnung zu gelangen. Diese Erkenntnis ist auch für die weitere Betreuung von großer Wichtigkeit und sei deshalb dem entsprechenden Unterkapitel über die Hilfsmöglichkeiten vorweggenommen (siehe später).
Auch diese innerseelische Verknüpfung macht bei einer z. B. behördlich angeordneten „Entmüllung" die häufige Reaktion solcher Patienten erklärlich, weil sich in diesem Falle das Trauma des Verlustes wiederholen würde. Ein solches „Hilfsangebot" wird also nicht nur aus Misstrauen oder Scham zurückgewiesen, sondern vom Betroffenen als erneuter Verlust erlebt.
Vermüllung als Zeichen unserer Zeit? Ob das Vermüllungs-Syndrom auch im Zusammenhang mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen unserer Zeit steht, wird zwar diskutiert, aber wohl nicht schlüssig erklärbar sein. Der Umstand, dass es im 20. Jahrhundert entscheidend zugenommen hat, spricht zwar dafür, allerdings fehlen dazu Vergleichsuntersuchungen aus früherer Zeit. Was aber in der Psychiatrie immer wieder verwundert, ist das Phänomen des „Syndrom-Wechsels" (englischer Fachbegriff: syndrome-shift). Das besagt, dass jede Zeit ihre psychopathologischen Schwerpunkte hat, was das jeweilig dominierende seelische Beschwerdebild anbelangt. Das kann so weit gehen, dass selbst im Rahmen einer konkreten seelischen Erkrankung (z. B. Depression, Schizophrenie, Angststörung, funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen) diese oder jene Krankheitszeichen im Laufe der Zeit gehäuft vorkommen - und andere Symptom-Schwerpunkte dafür Platz machen. Warum also nicht auch beim Vermüllungs-Syndrom? Die Frage, weshalb auf individuelle Schicksalsschläge beispielsweise nicht mit einer Depression, sondern mit einem Vermüllungs-Syndrom reagiert wird, kann durchaus gesellschafts- und zeitbedingt sein. Zum Beispiel als Reaktion auf die wachsenden Zwänge der modernen Leistungsgesellschaft. Das kann zwar auch mit einer bewussten Verweigerungshaltung zu tun haben, doch diese Einstellung lässt sich vom eigentlichen Vermüllungs-Syndrom relativ sicher abgrenzen. Oder kurz: Die Vermüllung als „Zeichen unserer Zeit" mag ein randständiges Phänomen sein, da sie aber offenbar zunimmt, sollte sie auch in diesem Zusammenhang einmal diskutiert werden; ggf. dann aber auch mit entsprechenden psychosozialen, d. h. vorbeugenden und therapeutischen Konsequenzen. Was kann mit einem Vermüllungs-Syndrom verwechselt werden? Die Frage, was mit einem Vermüllungs-Syndrom verwechselt werden kann, ist nicht leicht zu beantworten, so sonderbar sich das anhört. Das liegt zum einen an den bisher wenig konkreten Definitions- und Abgrenzungsversuchen, zum anderen an entsprechenden Überschneidungen mit anderen Krankheitsbildern oder Ursachen. Nachfolgend deshalb nur eine globale Anmerkung zu einigen Aspekten, wobei ein Teil schon diskutiert worden ist:
Im Einzelnen: - Messies „Mess" heißt im Englischen Unordnung oder Durcheinander. Die Messie-Gruppen kommen aus den USA und haben sich inzwischen zu einer aktiven Bewegung entwickelt - weltweit. Vorreiterin dieser Selbsthilfebewegung war die amerikanische Sonderschulpädagogin Sandra Feiton, die als berufstätige Mutter mit drei Kindern selbst zum Vermüllungspatienten geworden war. Um sich aus diesem Chaos wieder heraus zu arbeiten, entwickelte sie ein strategisches Konzept, schilderte in ihren Büchern die eigene Lebenssituation und machte anderen Betroffenen Mut, die Sache konstruktiv anzugehen. Bereits Anfang der 80-iger Jahre gründete sie eine Selbsthilfegruppe, aus der inzwischen eine weitflächige Bewegung entstanden ist. Das Grundproblem ist das jeweilige „chaotische Denkmuster", das ein gezieltes Aufräumen unmöglich macht und schließlich in die bedenkliche Nähe der Vermüllung gerät, obgleich es sich um intelligente und vielseitig interessierte, lebensoffene und kontaktbereite Menschen handelt (was ja beim reinen Vermüllungs-Syndrom meist nicht (mehr) gegeben ist). Der unstrittig größte Erfolg dieser Bewegung, die inzwischen auch in Deutschland rund 70 Selbsthilfegruppen aufgebaut hat, ist der Umstand, dass viele Betroffene durch diese Kontakte vor allem die Scham überwinden, über den Zustand in ihrer Wohnung zu sprechen - und dadurch vielleicht jahrelange soziale Isolation vermeiden. Die Diskussion im Kreise Gleichgesinnter einschließlich strategischer Vorschläge hat offenbar vielen Menschen geholfen, sich aus dieser „Vermüllungsfalle" wieder herauszuarbeiten.
Ob es sich bei dem „Messietum" und dem Vermüllungs-Syndrom um das Gleiche handelt oder lediglich um zwei Phänomene mit einigen Überschneidungen und Berührungspunkten, ist unter Experten strittig. Auffällig bleibt, dass der Vermüllungszustand oft in ähnlicher Weise beschrieben wird wie bei den wirklichen Vermüllungs-Betroffenen. Auch werden nicht selten ähnliche Auslöser genannt, z. B. Tod oder Trennung oder andere lebensbiographische Belastungen. Meist fehlt aber doch der klare Hinweis, dass es sich um eine ernstere seelische Störung handelt und das die Betreffenden einer therapeutischen Behandlung bedürfen, um wieder ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen zu können. So bleibt die Vermutung, wie sie auch die Medien gelegentlich titulieren: „Die meisten chronisch Vermüllten sind psychisch krank. Messis dagegen sind vorwiegend Chaoten" (Spiegel vom 10.07.2000). Auch scheinen nicht wenige Messies ihren persönlichen Zustand nun doch ganz gern den derzeit herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen anzulasten, auch wenn das offiziell verneint wird. Offensichtlich wird mitunter erwartet, dass sich erst etwas in der Gesellschaft ändern muss, bevor man sich selbst zu ändern gewillt sei. Bis dahin wäre es für den Messie sinnvoll, an diesem Status festzuhalten, der ihm gesellschaftliche Identität und Gruppenzugehörigkeit garantiert (nach P. Dettmering). Auf jeden Fall bieten die Messies für so manchen Betroffenen, der in ihre Kategorie passt, einen hilfreichen Einstieg, sich aus der Unordnung und dem Durcheinander mit eigener Kraft bzw. mit Selbsthilfegruppen-Unterstützung herauszuarbeiten - was wohl aber nur den wenigsten Patienten mit einem echten Vermüllungs-Syndrom vergönnt sein dürfte. - Aufmerksamkeitsdefizit'/Hyperaktivitätsstörung (ADS) Was die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADS) anbelangt, so handelt es sich hier ebenfalls um ein altes Phänomen, das schon vor über 150 Jahren von dem Nervenarzt Dr. Heinrich Hoffmann in seinem „Zappelphilipp" treffend beschrieben wurde. Heute ist dieses Leiden in Kindes- und Jugendalter und später auch beim Erwachsenen in aller Munde, vor allem was das Beschwerdebild anbelangt: Bewegungsunruhe, zwanghafter Rededrang, Aggressivität, oppositionelles Verhalten, aber auch Ängstlichkeit, Trödelei, Störungen der Koordination und des Körpergefühls, so genannte Teilleistungsschwächen, ferner eingeschränkte Frustrationstoleranz, rasche Irritierbarkeit, Stimmungsschwankungen, Unfähigkeit, aus Fehlern und Erfahrungen zu lernen, mangelnde Selbstkritik, unzureichender Bezug zur Realität - und vor allem eine mangelhafte Organisationsfähigkeit, die nicht selten in ein regelrechtes Chaos führt, von der Schultasche bis zum Schreibtisch, vom Kinderzimmer bis zum Büro. Wer sich also nur auf diesen Aspekt konzentriert, kommt möglicherweise auch einmal zu der (irrtümlichen) Erkenntnis, im einen oder anderen Fall handele es sich um ein beginnendes oder zumindest drohendes Vermüllungs-Syndrom. Doch die ADS-Patienten in Kindheit, Jugend und schließlich Erwachsenenalter haben mit den Vermüllungs-Patienten nichts zu tun, sind durch exakte kinder- und jugendpsychiatrische bzw. später allgemein-psychiatrische Differentialdiagnose (was könnte es denn sonst noch sein?) sehr genau abzugrenzen und vor allem durch einen Gesamt-Behandlungsplan mittels Psychotherapie und insbesondere bestimmten Arzneimitteln (bei Kindern ein Psychostimulanz, bei Erwachsenen bestimmte Antidepressiva) von ihren Beeinträchtigungen meist erstaunlich rasch zu befreien. Vermüllungs-Syndrom in der Nachbarschaft? Ohne jetzt auf die „Psychologie der Nachbarschaft" im Guten oder Schlechten eingehen zu wollen, ist es doch gerade beim Vermüllungs-Syndrom mitunter erstaunlich, wie tolerant oder gleichgültig, je nachdem wie man das sieht, die Nachbarschaft mit solchen Situationen umgeht. Letztlich sind es aber eben nicht nur Rückzug und Isolation, sondern vor allem Geruchsbelästigung, Brandgefahr, Rattenbefall und sonstiges Ungeziefer, das die Nachbarn und die nähere und sogar weitere Umgebung auf den Plan ruft. Hausmeister, Vermieter, Gesundheitsamt oder Polizei werden eigentlich erst bei einer deutlichen Verschlechterung der Verhältnisse benachrichtigt. Manchmal kommt die Vermüllung auch nur per Zufall ans Licht, wenn beispielsweise ein Handwerker oder Hausmeister wegen eines Rohrbruchs Zugang zur Wohnung erhalten muss. Oder wenn ein Vermüllungs-Betroffener von seinem eigenen Unrat fast erschlagen wurde. Am häufigsten aber ist es der „bestialische Gestank", der den letzten Ausschlag gibt. Interessant und für die Frage wichtig: wie lange braucht es bis zu einem ausgeprägten Vermüllungs-Syndrom? ist die Erkenntnis, dass ein solcher Nachbar meist schon seit Jahren in seiner schleichenden Vermüllung lebt - ohne dass etwas geschieht. Die Mitbewohner haben sich zwar schon längst abgewandt und der früher ohnehin geringe nachbarliche Kontakt ist nicht einmal mehr in Erinnerung („ich weiß gar nicht, wann ich sie zuletzt gesprochen habe..."). Doch erst der Ekel und der Wunsch nach Beseitigung der drohenden Gefahren (also vor allem hygienisch und Feuer) bringt Bewegung in die Beziehungen. Die Hilfsbedürftigkeit dieser Menschen wird allerdings nur selten wahrgenommen oder gar konstruktiv angegangen. Das pflegt sich auch nicht zu ändert, wenn Sozialarbeiter, Ärzte und Psychologen sich dieser Situation - ambulant oder in der Klinik - angenommen haben. Die häusliche Gemeinschaft ist und bleibt auf Distanz. Das aber verschlechtert natürlich die Heilungs- und nachbarschaftlichen Zukunftsaussichten. Und das leitet zum letzten Kapitel über, nämlich: Was Angehörige, Nachbarn und vor allem Helfer wissen müssen Einige Hinweise zum Thema: „psychologische Aspekte bei der Betreuung des Vermüllungs-Syndroms" sind bereits angeklungen. Was heißt das nun konkret für die Helfer, seien es Angehörige, Bekannte oder Nachbarn, seien es Sozialarbeiter, Ärzte und Psychologen der Gesundheitsämter, psychosozialen oder sozialpsychiatrischen Dienste, der Ambulanzen, Polikliniken u.a. Und schließlich die Klinikärzte? Auf einen kurzen Nenner gebracht heißt das: Man darf sich nicht wundern, nicht ekeln, nicht verurteilen, nicht mit brachialer Gewalt „entmüllen" und ausschließlich „Recht und Gesetz" im. Kopf haben wollen. Dagegen sollte man sich als erstes fragen: Wie kommt ein Mensch wie du und ich in eine solche Situation? Und was muss man beachten, um ihn ohne Anwendung von seelischer oder körperlicher Gewalt so weit zu bringen, dass er auch in Zukunft(!) auf seinen Müll verzichten kann, der offensichtlich einen psychologisch elementaren Stellenwert hat. Vor allem darf man nicht glauben, man wäre als „Helfer" willkommen. Denn ob Nachbar, Sozialarbeiter oder Arzt, dem Patienten droht „Ungemach" - jedenfalls aus seiner Sicht. Und so ganz unrecht hat er ja nicht. Es wird sich etwas ändern, und zwar zu seinen Lasten - subjektiv gesehen, aber schließlich ist das auch sein Leben und damit Standpunkt. Deshalb sind die Menschen hinter ihren Müllbergen auch kaum zugänglich. Oft wird die Tür nicht geöffnet und wenn ein Gespräch zustande kommt, wird der chaotische Wohnungszustand heruntergespielt. Viele glauben in naher Zukunft in der Lage zu sein, alles ordnen und aufräumen zu können (es klang schon mehrfach an). Für andere befinden sich unter dem Müll die erwähnten wertvollen Gegenständen, die auf jeden Fall aufbewahrt gehören. Viele zeigen nicht bloß keine Auskunftsbereitschaft, sondern lehnen auch jeglichen Kontakt ab. Auch darum sind die entsprechenden Hinweise in den Akten so dürftig. Und deshalb sind auch die Helfer meist nicht ausreichend geschult und gewappnet, was ihre ohnehin heikle Aufgabe erschwert. Und weil die Patienten nicht gleich mit „Dankbarkeit und Verständnis" reagieren, wird ihre ablehnende Haltung mitunter - bewusst oder unbewusst - als Provokation interpretiert und sie geraten rasch in Gefahr, als „unzugängliche, wenn nicht gar böswillige Asoziale" abqualifiziert zu werden. Das dürfte dann den psychologischen Zugang noch mehr erschweren. Daher gilt es die bisher erarbeiteten Erkenntnisse zu nutzen: Ein Zugang zum inneren Erleben dieser Menschen kann nur durch eine verständnisvolle Beschäftigung mit ihrer äußeren Situation hergestellt werden. Wenn man sich nur auf die „amtlich angeordnete Entrümpelung konzentriert, geraten die meisten in Angst und Panik über den „Verlust", den man ihnen antut. Alle Hilfswilligen und Mitmenschen „guten Willens" haben damit erst einmal einen schweren Stand. Vor allem kann die spätere Aufnahme einer therapeutischen Beziehung dadurch schon im Ansatz zerstört werden. Deshalb gilt es nach Ansicht der Experten den Patienten (und nicht „Asozialen") auch besser vor Kündigung und Zwangsräumung zu schützen. Da der Betroffene selber dazu keinen Beitrag leisten will oder kann, muss ggf. eine Betreuung bezüglich Wohnungsangelegenheiten diskutiert werden. Und da man um eine Entmüllung meist nicht herum kommt und aus den erwähnten psychologischen Gründen mit entsprechenden Reaktionen zu rechnen ist, selbst bei geduldiger Vorarbeit, kann auch eine stationäre Einweisung in eine Fachklinik notwendig werden. Dies vor allem bei starker Erregung (Angst- und Panikreaktionen) und bei drohender Selbstgefährdung (Selbsttötungsabsichten) oder Fremdgefährdung (aggressive Durchbrüche). In der Klinik selber kann dann auch der Einsatz von Psychopharmaka, z. B. von antipsychotischen Neuroleptika, gelegentlich auch von Antidepressiva und Benzodiazepin-Tranquilizern notwendig werden, um einen besseren Zugang zu dem Kranken zu bekommen.
Das macht die Situation zwar nicht einfacher (es droht ein z. T. heftiger Widerstand gegen die Behandlung im Allgemeinen und eine „Zwangs-Medikation" im Speziellen). Dafür eröffnet sich vielleicht die Chance für einen echten Neuanfang. Leider reicht die Krankenhaus-Zeit dafür in der Regel nicht aus (Stichwort: aus Belegungs- oder Krankenkassen-Sicht nur kurzzeitige Krisenintervention möglich), so dass nach der (zu frühen) Entlassung schon deshalb eine ambulante Weiterbetreuung unumgänglich wäre. Dass auch dies seine Grenzen hat, weiß jeder, der sich mit einer solchen Situation schon einmal befassen musste, also die Sozialen Dienste, der Hausarzt oder andere Einrichtungen mit Betreuungsfunktion, die in der Regel nicht zu beneiden sind. Denn hier ist in der Tat ein voller Einsatz gefordert. Man stelle sich einfach die Reaktion eines gesunden Mitmenschen vor, der aus der Klinik zurückkehrt und eine völlig ausgeräumte Wohnung findet. Und das nun unter den abnormen, aber für solche Patienten psychologisch nachvollziehbaren Bedingungen eines Vermüllungs-Syndroms. Das heißt: Die plötzliche „Leere" der Wohnung wird - wie erwähnt - nicht selten als regelrechte Katastrophe erlebt. In seinem Zorn und seiner Verzweiflung kann dann der Patient die - in der Klinik zugestandene - ambulante Nachbetreuung plötzlich ablehnen. Vor allem beginnt er erneut rastlos zu sammeln und sich der Umwelt wieder zu verschließen. Deshalb empfehlen viele Experten eine längerfristige fachklinische Behandlung. Denn die Konfrontation mit der richterlich angeordneten Entmüllung stößt den Patienten zwar in unsere Normalität zurück. Die ist für ihn aber lediglich eine „Realität", die er ja längst im wahrsten Sinne des Wortes vergraben hat. Der radikale Säuberungs-Eingriff muss deshalb traumatisch (seelisch verwundend) erlebt werden. Der Patient steht schutzlos einer neuen Wirklichkeit gegenüber, mit der er früher schon nicht fertig wurde und die er jetzt doppelt nicht in den Griff zu bekommen droht (nach P. Dettmering). Bei einer Krisenintervention ist zwar die akute Eigen- und Fremdgefährdung durch die Wohnsituation überbrückt, aber das innere Chaos und die damit verbundene Selbstgefährdung noch lange nicht. Deshalb kann es notwendig werden, die amtliche Betreuung (Pflegschaft) auf den Wirkungskreis der Heilbehandlung und der Aufenthaltsbestimmung auszudehnen. Langfristige Heilungsaussichten ungewiss Die Prognose, also die Heilungsaussichten sind daher vor allem mittel- und langfristig ungewiss. Eine Chance ergibt sich aus der alten Erkenntnis: je früher, desto besser. Wird also eine seelische und psychosoziale Dekompensation mit beginnender Vermüllungstendenz frühzeitig erkannt, ist die Chance, die psychodynamischen Hintergründe aufzuarbeiten größer als bei einem fortgeschrittenem Vermüllungsgrad. Deshalb gilt es vor allem die Öffentlichkeit über die symbolische Bedeutung des Mülls und auch über die eventuellen Auswahlkriterien (z. B. Leergut, Behälter, Kartons, Zeitungen, Essensreste, Kleidung) aufzuklären. Die „Messies" (siehe oben) sind daher als ein für die Medien interessantes Parallel-Phänomen eine gute publizistische Unterstützung (auch Internet-Adressen). Damit rücken vielleicht eines Tages mehr Verständnis und damit konkrete Hilfen für eine Gruppe von Betroffenen in erreichbare Nähe, die bisher aus Mangel an Wissen lediglich als „obskure Randgruppe" abqualifiziert wurden. LITERATUR Ein altes Phänomen mit gesellschaftlichem, vor allem aber persönlich tragischem Hintergrund, für das sich aber in der Allgemeinheit niemand zuständig fühlt (wenn er nicht gerade „dienstlich“ muss). Deshalb gibt es darüber wenig wissenschaftliche Untersuchungen und außer spektakulären Einzelfällen auch kaum allgemeinverständliche Hinweise. Grundlage vorliegender Ausführungen ist das Buch Dettmering, P., R. Pastenaci: Das Vermüllungssyndrom. Therapie und Praxis. Verlag Dietmar Klotz, Eschborn 2001 Ferner die Fachzeitschriftenbeiträge Dettmering, P: Das „Vermüllungssyndrom“ - ein bisher unbekanntes Krankheitsbild. Öff. Gesundheitswesen 47 (1985) 17 Guindon, H.: „Vermüllungssyndrom“. Inauguraldissertation (gute Übersicht über die vorwiegend englischsprachige Weltliteratur zu diesem Thema). Univ. Erlangen-Nürnberg 1996 Klosterkötter, J u. Mitarb.: Das Diogenes-Syndrom. Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 53 (1985) 427 Labhardt, F.: Der allgemeine Umgang mit Zwangskranken in Praxis und Klinik. Praxis der Psychotherapie XVIII (1973) 25 Renelt, H.: Das Vermüllungssyndrom im Alter. Krankenhauspsychiatrie 10, Sonderheft 2 (1999) 93 In allen diesen Beiträgen auch weiterführende Literaturhinweise, insbesondere englischsprachige. Unter Mitarbeit von Dr. J. Tenter und Dipl.-Psychologe M. Müller-Mohnssen. |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |