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WAHNHAFTE STÖRUNGEN

Paranoia - späte Paraphrenie - paranoides Zustandsbild - nicht näher bezeichnete paranoide Psychose - sensitiver Beziehungswahn u.a.

Es gibt die Schizophrenie mit ihren Sinnestäuschungen, Wahnphänomen, Ich-Störungen und entsprechenden psychosozialen Konsequenzen. Und es gibt die sogenannten wahnhaften Störungen (früher z.B. Paranoia genannt), deren charakteristisches Merkmal ebenfalls der Wahn ist. Allerdings nicht so lange und vor allem nicht so bizarr und damit in vielfältiger Form beeinträchtigend. Doch auch hier fühlt sich der Betroffene verfolgt, vergiftet, infiziert, betrogen, gesellschaftlich erhoben oder von einem anderen geliebt - ohne reale Ursache.

Doch die Lebens- und Leistungsfähigkeit ist nicht so beeinträchtigt und das Verhalten nicht so auffällig wie ggf. bei einer Schizophrenie.

Nachfolgend deshalb eine kurze Übersicht zu den Themen Liebeswahn, Größenwahn, Eifersuchtswahn, Verfolgungswahn, körperbezogener Wahn u.a. mit der Frage: Wie kann man dieses Phänomen von anderen seelischen Störungen, insbesondere von der Schizophrenie unterscheiden und was lässt sich therapeutisch dagegen tun?

Die anhaltenden wahnhaften Störungen, früher zumeist als Paranoia, aber auch Paraphrenie, paranoides Zustandsbild, nicht näher bezeichnete paranoide Psychose oder auch sensitiver Beziehungswahn genannt, sind zwar eine relativ seltene, dann aber oft spektakuläre Erkrankung.

Meist werden sie mit einer Schizophrenie (siehe das entsprechende Kapitel) verwechselt. Doch die wahnhafte Störung ist keine schizophrene Psychose. Dies auseinanderzuhalten braucht aber selbst für den Fachmann, den Psychiater und Nervenarzt, viel Erfahrung. Und eine Reihe von charakteristischen Hinweisen: Beschwerdebild, Alter, Krankheitsverlauf usw. Im Einzelnen:

Was ist eine wahnhaft Störung?

Das charakteristische Merkmal einer wahnhaften Störung ist - wie der Name schon sagt - ein Wahn (Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel über den Wahn). Dieser Wahn darf nicht auf äußere Einflüsse zurückgehen, z.B. durch Rauschdrogen (sogenannter Intoxikations- oder Vergiftungswahn), durch höheres Lebensalter (Alterswahn, z.B. bei der Alzheimer´schen Demenz), durch Kopfunfall, Stoffwechselstörungen usw. Auch pflegt der Wahn bei einer wahnhaften Störung nicht so bizarr auszufallen wie bei den meisten schizophrenen Psychosen (siehe später).

Außer dem Wahn kann es noch zu weiteren seelischen Auffälligkeiten kommen, teils als krankheitstypisches Beschwerdebild, teils als psychosoziale Folgen des Wahns. Doch das beherrschende Symptom ist und bleibt der Wahn.

Wie häufig sind wahnhafte Störungen?

Wahnhafte Störungen sind relativ seltene Ereignisse. Das betrifft auch die stationäre Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik (1 bis 2% ?). Die Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung ist nicht abschätzbar. Möglicherweise liegt sie bei sogar nur 0,05 bis 0,1%. Wahnhafte Störungen sind also selten, aber nicht ohne ggf. spektakuläre Folgen. Das führt manchmal dazu, dass man ihre Häufigkeit falsch einschätzt, weil sie einem eher in Erinnerung bleiben.

Allerdings hängt dies auch mit dem jeweiligen kulturellen und religiösen Hintergrund zusammen. So haben einige Kulturen weitverbreitete und entsprechend akzeptierte Verhaltens- und Überzeugungsmuster, die in anderen Nationen eventuell als wahnhaft angesehen würden. Dies gilt auch für die Inhalte des Wahns (siehe später).

Wenn treffen wahnhafte Störungen?

Beide Geschlechter scheinen gleich häufig beeinträchtigt. Eine Ausnahme bildet ggf. der Eifersuchtswahn, bei dem Männer vermutlich häufiger betroffen sind.

Zur Frage der erblichen Belastung gibt es keine eindeutigen Erkenntnisse. In einigen Studien sind die Verwandten von Schizophrenie-Patienten überzufällig häufig betroffen, in anderen lässt sich das nicht nachweisen. Gewisse verwandtschaftliche Zusammenhänge scheint es aber bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen zu geben (z.B. paranoide (wahnhafte) und selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen?).

Wie äußert sich eine wahnhafte Störung?

Kennzeichnendes Merkmal ist also ein Wahn, der mittelfristig, d.h. ein bis drei Monate anhält, manchmal auch ein ganzes Leben beeinträchtigt (siehe später). Und der nicht so bizarr ausfällt wie bei den meisten schizophrenen Psychosen.

Bizarr, das heißt nicht nur aus der täglichen Erfahrung heraus nicht ableitbar, sondern völlig unverständlich bis verworren. Oder kurz: Selbst bei gutem Willen lässt sich kein Zugang zu diesem - vom Patienten beklagten - eigenartigen Phänomen finden. Dies ist typisch für die schizophrene Psychose.

Bei der wahnhaften Störung aber läuft es anders. Hier könnte der Liebes-, Eifersuchts- Größen- oder Verfolgungswahn zumindest theoretisch möglich sein, ist also irgendwie nachvollziehbar, im realen Leben nicht völlig auszuschließen. Oder kurz: Man greift sich nicht verwundert an den Kopf, wie bei einer Schizophrenie, man ist eher irritiert, besorgt, erschreckt, was es "auf dieser Welt nicht alles gibt". Beispiele: In einem entsprechenden Milieu verfolgt (Geheimdienste, Mafia) oder vergiftet (entsprechende Auseinandersetzungen) oder infiziert zu werden (Infektionsmöglichkeiten, die durchaus möglich sind). Oder geliebt, gehaßt oder betrogen zu werden usw.

Eine interessante, wenn auch bedenkliche Variante bietet übrigens das Internet. Hier müssen sich offenbar - in Zukunft mehr denn je - auch Gesunde fragen: Bin ich "geisteskrank" oder ist das nachprüfbare Realität (siehe Kasten)?

Das Wahnthema bei einer schizophrenen Psychose ist also nicht nachvollziehbar, zu bizarr, auch durch andere Eigenheiten des Betreffenden nicht glaubwürdig. Das Wahnthema bei einem Menschen mit wahnhafter Störung hingegen ist zumindest nicht auszuschließen, zumal der Betroffene auch nicht die gleiche Irritation oder Verwunderung auszulösen pflegt wie bei einem schizophren Erkrankten.

Überwachung durch das Internet - Wahn oder reale Zukunft?

Die romantische Frühzeit des Internet ist vorbei. Jetzt geht es auch dort zu wie im richtigen Leben: Kommerz und Sex. Und deshalb auch immer mehr Kriminalität: Terrorismus, Daten- und Indentitätsdiebstahl, elektronischer Bankraub, Fälschung, Einbrüche u.a.

Denn das Internet ist der größte Datenpool der Welt. In den 400 Millionen Servern und PC sind auch leicht zugängliche Daten gespeichert. Die Kriminalität wird also regelrecht provoziert. Der Datenschutz alter Manier ist so gut wie tot. Der ungeschützte User hinterlässt im Internet eine lesbare Fährte - ideal für alle, die sich zu bedienen trachten. Jedem Internet-Nutzer sollte klar sein: Er wird von diversen Servern in "Log-Dateien" erfasst. Immer dabei ist die IP-Adresse (Internet Protocol), die den Teilnehmer identifizieren hilft. Oft hält der Server auch fest, über welchen Link der Nutzer kommt. Er hinterlässt also eine breite Spur im Datendickicht. Zwar mag es mühsam sein, hier an die richtigen Informationen zu kommen, aber in Zukunft werden auch gestreute Daten so raffiniert verkettet, dass man erhält, was man braucht. Ob sich das eines Tages wirkungsvoll verhindern lassen wird, muss die Zukunft zeigen. Denn die technischen Möglichkeiten werden immer raffinierter, so, wie man sie sich früher kaum vorzustellen wagte. Was ist derzeit alles möglich?

· "Wanzen" sind heute Reiskorn-groß und passen in Steckdosen, Kugelschreiber, Handys, Scheckkarten und Münzen. Sprachgesteuert nehmen sie erst dann den Sendebetrieb auf, wenn gesprochen wird. Andere High-Tech-Wanzen senden verschlüsselt oder ändern laufend die Sendefrequenz (erschwertes Aufspüren).

· Lauschen an der Wand durch Körperschallmikrophone. Nach Filtern und Verstärken sind dahinter geführte Gespräche gut hörbar.

· Lauschen mit Laser: Dabei muss nur ein Laserstrahl auf eine Fensterscheibe gerichtet werden, hinter der gesprochen wird. Das reflektierte Licht wird in Sprache umgewandelt.

· Lauschen per Computer, da viele PC standardmäßig Mikrophone eingebaut haben, die unter bestimmten Voraussetzungen über Audio-Dateien aktiviert und zum Mithören gebracht werden können.

· Computerbildschirme geben Strahlung ab. Die kann man auch außerhalb des Raumes auffangen. Somit lässt sich jedes Wort, das man am PC schreibt, im Umkreis von etwas 100 m als Klartext mitlesen.

· Mobiltelefone sind ideale Geheimnis-Vemittler. Denn sie lassen sich mittels spezieller Laptop-Computer abhören. Sogar den Aufenthaltsort kann man auf einige 100 m eingrenzen.

· ISDN-Anlagen sind letztlich Computer. Über den Fernwartungszugang kann ein versierter Computerprofi eindringen und mithören.

· CCD-Videokameras haben winziger Objektive, die über ein Kabel mit der Elektronik verbunden sind - und überall einsetzbar (z.B. ferngesteuert mit drehbarer Autoantenne). Damit lässt sich das Opfer sogar automatisch überwachen.

Nach bild der wissenschaft 4/2001

Doch auch eine wahnhafte Störung hat ihren Preis, zuerst "innerlich", später auch nach außen.

Die psychosozialen Folgen sind unterschiedlich: Dies gilt vor allem für die am ehesten nachvollziehbaren Reaktionen, nämlich Lebensfreude, zwischenmenschliche Aktivität und Leistungsfähigkeit. Einige Betroffene erscheinen zwar relativ wenig beeinträchtigt, wenigstens nach außen hin. Bei anderen und vor allem im Verlaufe der wahnhaften Beeinträchtigung wird die "innere Belastung" schon auffälliger. Dann äußert sie sich meistens in den erwähnten zwischenmenschlichen Kontakten, in der nachlassenden berufliche Leistungsfähigkeit (besonders unter Stress oder wenn mehrere Belastungsfaktoren zusammenkommen), in Rückzug und schließlich Isolationsneigung.

Der nächste, dann allerdings schon auffälligere Schritt wären dann entsprechende Reaktionen wie die Arbeit kündigen, sich nicht mehr aus dem Hause wagen, und wenn, dann nur verkleidet oder nachts, sich bewaffnen, Behörden, Polizei und Gerichte anrufen u.a.

Jetzt können dann auch noch andere seelische Symptome hinzutreten, nämlich Angst, Depressivität, ggf. psychosomatisch interpretierbare Beschwerden (Herz, Kreislauf, Wirbelsäule, Gelenke, Magen-Darm usw.).

Doch die entscheidende Symptom-Basis ist und bleibt der Wahn, auf den alles zurückzugehen scheint, wenn man sich mit dem Betroffenen und seinen Befürchtungen näher beschäftigt.

Ein wichtiger Unterschied zu den schizophrenen Psychosen, wie er später noch erörtert wird (siehe Differentialdiagnose: was könnte es sonst noch sein?) ist vor allem das Fehlen von weiteren psychose-typischen Symptomen, wie sie bei einer Schizophrenie aufzutreten pflegen. Und dass sich Menschen mit einer wahnhaften Störung in der Regel besser zusammennehmen und unauffälliger erscheinen können wie schizophren Erkrankte. Dies gilt vor allem für ihre geistigen und willentlichen Fähigkeiten (z.B. scheinbar geistige Beeinträchtigung und die absonderliche Willensschwäche bei manchen Schizophrenen).

Oder kurz: Die psychosozialen und zwischenmenschlichen, insbesondere partnerschaftlichen und familiären Konsequenzen sind bei wahnhaften Störungen zwar recht früh gestört und damit auffällig. Die intellektuellen Funktionen und damit lange auch die berufliche Leistungsfähigkeit scheinen hingegen weniger beeinträchtigt (was besonders schizophren Erkrankten zum Problem wird).

Unterformen der wahnhaften Störungen

Welche sind nun die wichtigsten Unterformen einer wahnhaften Störung? Eine Auswahl in Stichworten:

· Liebeswahn

Beim Liebeswahn besteht das zentrale Wahnthema darin, von einer anderen Person geliebt zu werden - ohne dass diese (in der Regel) davon weiß. Meist handelt es sich um eine idealisierte, romantische Liebe oder seelische Verbundenheit; sexuelle Aspekte sind eher zweitrangig. Oft ist die Person, von der man sich geliebt wähnt, von höherem Rang, z.B. ein Vorgesetzter, aber auch eine Berühmtheit aus den Medien, also Film und Fernsehen sowie Sport, Kultur oder Politik. Es kann aber auch ein vollkommen Fremder sein. Probleme gibt es erst, wenn der Patient mit dem Betreffenden in (erzwungenen) Kontakt kommen will: Telefonanrufe, Briefe, Geschenke, Besuch, wenn nicht gar "Kontrolle", Überwachung oder Bespitzelung.

Beim Liebeswahn sind Frauen überrepräsentiert. Kommt es allerdings zu polizeilichen und schließlich juristischen Komplikationen (Nötigung, scheinbare Erpressung, aber auch der Versuch, vor "vermeintlichen Gefahren zu retten"), dann dominiert offenbar das männliche Geschlecht.

Weitere Einzelheiten siehe die Kapitel Wahn und Manie.

· Größenwahn

Beim Größenwahn besteht das zentrale Wahnthema in der Überzeugung, ein zwar großes, aber bisher leider übersehenes Talent zu haben, ein verkanntes Genie zu sein oder über Einsichten zu verfügen bzw. bedeutsame Entdeckungen gemacht zu haben, die unbedingt von der Welt, zumindest aber von der näheren Umgebung zur Kenntnis genommen werden sollten.

Manchmal besteht der Wahn auch darin, zu einer prominenten Person (wiederum vor allem Medien, Film und Fernsehen, Sport, Kultur oder Politik) in einer besonderen Beziehung zu stehen, wenn nicht gar selbst eine prominente Persönlichkeit zu sein.

Früher bestand der Größenwahn nicht selten aus religiösen Inhalten (z.B. eine besondere Botschaft von "oben" erhalten zu haben). Später ging dieses Phänomen zurück. Heute scheint dies wieder zuzunehmen.

· Eifersuchtswahn

Beim Eifersuchtswahn besteht das zentrale Wahnthema aus dem unerschütterlichen Glauben bzw. der Überzeugung, dass der (Ehe-)Partner untreu sei. Beweise gibt es nicht oder nur solche, die von niemand akzeptiert würden. Dafür reichlich falsche Schlussfolgerungen oder "Überführungen", die zwar zwanghaft gesammelt werden, aber keine Beweiskraft hätten (in Unordnung gebrachte Kleidung, Flecken auf dem Bettlaken usw.).

Der Partner, der sich keiner Schuld bewusst ist (oftmals sogar nach jahrzehntelanger Ehe in Treue und zudem im höheren Lebensalter) wird dann ggf. auf unangenehmste Weise beeinträchtigt: Klagen, Vorwürfe, Drohungen, Verleumdungen, Einschränkungen, Bespitzelungen, Verfolgungen u.a.

Interessanterweise wird dabei vor allem der Partner, nur selten aber der vermeintliche Nebenbuhler attackiert. Weitere Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über Eifersuchtswahn.

· Verfolgungswahn

Beim Verfolgungswahn besteht das zentrale Wahnthema in der Überzeugung, man habe sich gegen den Betreffenden verschworen, werde betrogen, verleumdet, belästigt, behindert, ausspioniert, verfolgt oder müsse gar um sein Leben fürchten. Ausgangspunkt ist oft eine (selbst unbedeutende) Ungerechtigkeit, die sich schließlich bis zu (endlosen) gerichtlichen Auseinandersetzungen hinziehen kann (früher als "Querulantentum" oder "querulatorische Paranoia" bezeichnet).

Am Schluss hat sich der Betreffende ggf. in ein Netz von zwischenmenschlichen, beruflichen, polizeilichen, juristischen u.a. Auseinandersetzungen verstrickt, so dass er zu nichts anderem mehr Kraft, Zeit und schließlich Interesse hat. Der Verfolgungswahn ist sein Lebensinhalt geworden. In solchen Fällen (bisweilen schon früher) und bei entsprechender Persönlichkeitsstruktur kann es auch zu aggressiven Durchbrüchen und Gewaltanwendungen kommen.

· Körperbezogener Wahn

Beim körperbezogenen Wahn bezieht sich der zentrale Wahn auf körperliche Funktionen und Empfindungen. Am häufigsten peinigt die unbegründete Angst bzw. Überzeugung, einen üblen Geruch zu verbreiten (z.B. Mund, Haut, Scheide, After) oder äußerlich bzw. innerlich Insekten oder Parasiten ausgeliefert zu sein. Oder dass bestimmte Körperteile (trotz aller Gegenbeweise) verunstaltet oder häßlich sind (Gesicht, Augen, Nase, Mund, Ohren, Hände) bzw. dass Teile des Körpers nicht mehr richtig arbeiten (Herz-Kreislauf, Magen-Darm). Einzelheiten siehe die speziellen Kapitel Dermatozoenwahn, Dysmorphophobie u.a.).

Neben diesen Unterformen gibt es noch zahlreiche weitere Wahninhalte. Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Kapitel über Schizophrenie und Wahn.

Verlauf wahnhafter Störungen

Wahnhafte Störungen können in jedem Lebensalter beginnen, haben aber ihren Schwerpunkt im mittleren oder späteren Erwachsenenalter. Der Inhalt des Wahns oder der Zeitpunkt seines Auftretens kann also mit jeder Lebenssituation des Betreffenden in Beziehung stehen.

Beispiele: Verfolgungswahn in Kriegs- und Krisenzeiten, während Revolutionen, Verfolgung, Flucht, politischen oder sonstigen Auseinandersetzungen u.a. Liebes- oder Eifersuchtswahn bei eher zufälligen Ereignissen.

Der Verlauf ist sehr unterschiedlich. In manchen Fällen eher kurzfristig (d.h. einige Monate), bisweilen einige Jahre, in tragischen Einzelfällen das ganze Leben, d.h. chronisch (insbesondere beim Verfolgungswahn). Häufig gibt es eine vollständige Genesung, aber auch die Gefahr späterer Rückfälle, je nach Auslösern, die vor allem von Außenstehenden im Allgemeinen schwer einschätzbar sind.

Die psychosozialen Folgen einer wahnhaften Störung

Die psychosozialen Folgen hängen vor allem davon ab, inwieweit ein solches, ja erst einmal "innerseelisches Wahnphänomen" nach außen dringt und damit entsprechende Konsequenzen nach sich zieht: partnerschaftlich, familiär, nachbarschaftlich, beruflich, gesellschaftlich usw. Und inwieweit sich die Persönlichkeit des Betreffenden verändert - für Außenstehende ja ohne Grund.

Am häufigsten ist eine missgestimmte, reizbare oder gar aggressive Stimmung, besonders beim Verfolgungs- und Eifersuchtswahn. Dort kann es dann auch einmal zu streitbarem Verhalten kommen, zu Wutanfällen und Gewalt mit verhängnisvollen Folgen. Erst einmal harmlos erscheinen Protestbriefe (Medien, Gerichte, amtliche Stellen bis hinauf zu den Ministerien) mit entsprechendem Teufelskreis. Die Auseinandersetzungen mit dem Verursacher wachsen in der Regel in jenem Maße, je ungeduldiger oder gar brüsker die entsprechend Attackierten reagieren (von völliger Reaktionslosigkeit ganz zu schweigen, was viele wahnhaft Gestörte am meisten in Zorn versetzt).

Selbst beim Liebeswahn kommt es mitunter zu Anzeigen, juristischen Androhungen und gerichtlichen Auseinandersetzungen. Beim Eifersuchtswahn ist die Partnerschaft gefährdet, wobei eine Ehe- oder Partnerschaftsberatung meist ins Leere läuft, wenn man den krankhaften Hintergrund nicht erkennt, respektiert und die richtigen therapeutischen Schritte veranlasst (wobei dies vom Betroffenen meist (lange) nicht akzeptiert wird).

Patienten mit körperbezogenem Wahn konsultieren einen Arzt nach dem anderen, wollen kosmetische Operationen und sind doch nie zufrieden, weil es sich ja um kein reales Defizit, sondern einen Wahn handelt. Hier sind die angesprochenen Ärzte in der Pflicht, das Richtige rechtzeitig zu erkennen und danach zu handeln.

Bisweilen kommt es auch zu Angst- und depressiven Zuständen. Auch eine krankhafte Hochstimmung ist mitunter registrierbar. Hier stellt sich dann die differentialdiagnostische Frage: wahnhafte Störung mit depressiver Reaktion oder Hochstimmung oder eigenständige wahnhafte Depression bzw. "überkochende" Manie (siehe unten). Das Gleiche gilt für zwanghafte Reaktionen (Zwangsstörungen oder Wahn mit zwanghafter Reaktion).

Was ist bei einer wahnhaften Störung auszuschließen?

In jeder medizinischen Disziplin, vor allem aber in der Psychiatrie mit ihren überwiegend seelischen Störungen muss man sich bei der Diagnose die Frage stellen: Was könnte es außerdem sein? Denn wenn man eine wahnhafte Störung diagnostiziert, ist zuerst eine ganze Reihe weiterer Überlegungen auszuschließen. Dazu einige Stichworte:

- Delir: Ein Delir oder Delirium ist eine Bewusstseinstrübung mit Erregungszuständen, Verwirrtheit, Sinnestäuschungen und Wahnideen. Das alkoholische Delir ist zwar am häufigsten, doch kann ein Delirium durch verschiedene Schadstoffe oder krankhafte Veränderungen im Gehirn auftreten. Doch durch die relativ charakteristische Zusammensetzung des Beschwerdebildes, den Verlauf und seine möglichen Ursachen kommt man in der Regel schnell auf die richtige Spur.

- Demenz: Die Demenz ist ein Sammelbegriff für den erworbenen Abbau intellektueller Funktionen oder Leistungen mit einer sich meist schleichend entwickelnden Wesensänderung: Nachlassen von Gedächtnis oder Erlebnisfähigkeit, Vergröberung entsprechender Charaktereigenschaften, Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Einengung des Interessenkreises, Gefühlslabilität, Kritikschwäche usw.

In diesem Zusammenhang kann es auch zu Wahnvorstellungen kommen (z.B. Alzheimer´sche Demenz): meist reizbar-misstrauisch bis aggressiv-feindselig, vor allem nach außen gerichtet. Beispiele: "Fremde Person im eigenen Zimmer oder Bett", "Diebstahl", "Untreue" usw. Doch auch hier pflegt die zutreffende Diagnose nicht allzu schwer zu sein.

- Psychotische Störung aufgrund einer Erkrankung oder krankmachenden Substanz: Das sind die bereits diskutierten Beispiele Delirium, Demenz, aber auch systemischer Lupus erythematodes (eine sogenannte Autoimmunerkrankung mit charakteristischen Veränderungen an Haut, Gelenken und inneren Organen) usw. Bei den substanz-bedingten psychotischen Störungen sind es beispielsweise Psychostimulanzien wie die Amphetamine, aber auch Kokain, LSD u.a. sowie eine Reihe von Arzneimitteln. Sie alle wirken aber nur solange wahnhaft, wie diese Substanzen eingenommen werden.

- Schizophrenie: Hier stellen sich die meisten Unterscheidungsprobleme, doch bei genauer Untersuchung nicht lange. Patienten mit auffälligen akustischen oder optischen, also Gehörs- und Gesichts-Sinnestäuschungen, mit skurrilen Wahnthemen und einer Reihe weiterer Auffälligkeiten, vor allem mittel- bis langfristig, pflegen in der Regel unter die Diagnose "schizophrene Psychose" zu fallen. Auf Dauer gesehen hat eine wahnhafte Störung auch mit weniger zwischenmenschlichen, beruflichen und psychosozialen Einbußen zu rechnen.

- Affektive Störungen wie Depression oder Manie:

- Bei der Depression dominieren Gemütsstörungen wie Herabgestimmtheit, Freudlosigkeit, Interesselosigkeit, Schwäche- bzw. Elendigkeitsgefühl, Mutlosigkeit, Verzagtheit, Minderwertigkeitsgefühle, Leere im Kopf, Entscheidungsunfähigkeit, Grübelneigung, Schuldgefühle u.a. Es gibt aber auch "wahnhafte Depressionen" mit psychotischen Symptomen. Allerdings entspricht der depressive Wahn der depressiven Herabgestimmtheit: depressiver Verarmungswahn, hypochondrischer Wahn, Versündigungswahn usw. Wichtig: Bei der Depression beschuldigt sich der Patient eher selber, bei anderen Wahnstörungen (und vor allem der Schizophrenie) mehr seine nähere und weitere Umgebung.

- Die Wahnbildungen manischer Patienten sind - im Gegensatz zu Schizophrenie und wahnhaften Störungen - meist flüchtig und ständig im Wechsel. Auch werden sie überwiegend spielerisch-scherzhaft vorgebracht und oft als "schemenhaft" beschrieben. Offenbar verhindern die rasche Ablenkbarkeit und Flüchtigkeit im Denken des Manikers die Ausbildung eines stabiles Wahnsystems. Geprägt wird der manische Wahn vor allem durch die gesteigerte Erlebnisfähigkeit und das überproportionale Selbstwertgefühl mit Neigung zu z.T. grotesker Selbstüberschätzung. Deshalb dominieren hier insbesondere Größenideen, die sich früher eher auf religiöse, heute überwiegend auf sexuelle, wirtschaftliche, künstlerische, finanzielle und politische Inhalte beziehen.

- Ein besonders Phänomen ist der manische Liebeswahn, ein meist spontanes und unkritisches Verliebtsein mit unrealistischer, fast traumhafter Verklärung von Partner und Situation. Das ist in jedem Alter möglich und kann - insbesondere beim weiblichen Geschlecht - zu mitunter tragischen Konsequenzen führen (z.B. Verleumdungen, Erpressung, Schwängerung, verzweifelte Abtreibungsversuche, ruinierter Ruf u.a.).

- Gemeinsame psychotische Störung/Folie à deux: Hier irritieren weniger ausgeprägte Wahnphänomene, eher ein charakteristisches Beziehungsgeflecht. Auf der einen Seite der eher dominierende wahn-induzierende, auf der anderen eher schwächere, abhängige Partner, der in den gemeinsamen Wahn hineingezogen wird (Einzelheiten siehe das Kapitel über die Gemeinsame psychotische Störung).

- Kurze/akute psychotische Störung: Wahnphänomene, ja Sinnestäuschungen und Wahrnehmungsstörungen sind möglich, aber sehr unterschiedlich ausgeprägt und kurz, d.h. von Tag zu Tag oder von Stunde zu Stunde wechselnd und in der Regel nicht länger als einige Wochen. Weitere Einzelheiten siehe das Kapitel über die akute psychotische Störung.

- Hypochondrie: Mitunter schwer zu trennen, doch pflegt der hypochondrische Patient nicht so extrem an seinen hypochondrischen, ggf. wahnhaften Befürchtungen festzuhalten wie bei einer wahnhaften Störung (Einzelheiten siehe das Kapitel Hypochondrie).

- Körperdysmorphe Störung/Dysmorphophobie: Von einem eingebildeten körperlichen Mangel (z.B. Nase, Ohren, Hände) beeinträchtigt, was bis zu immer wieder geforderten operativen Korrekturen führen kann, jedoch mit geringerer Intensität wie bei der wahnhaften Störung. Manchmal treten aber auch beide Phänomene zusammen auf (wahnhafte Störung und Dysmorphophobie - zu Letzterem Einzelheiten siehe diese).

- Zwangsstörung: Zwar zwanghaft und im Wesentlichen unkorrigierbar von den entsprechenden Vorstellungen, Impulsen oder Handlungen beeinträchtigt, doch geht die Realitätskontrolle in der Regel nicht verloren. In seltenen Fällen ist aber auch hier mit beidem zu rechnen (Einzelheiten siehe auch das Kapitel Zwangsstörungen).

- Paranoide Persönlichkeitsstörungen: Menschen mit paranoider Persönlichkeitsstörung sind empfindlich, insbesondere gegenüber Ablehnung und Misserfolg, deshalb auch leicht kränkbar und dann in beharrlicher Weise streitbar. Auf jeden Fall wirken sie humorlos und gemütsmäßig starr. Wenn ihnen etwas zu wider läuft, werten sie das leicht als absichtliche Anfeindungen und reagieren entsprechend. Doch liegen im Allgemeinen keine eindeutig abgrenzbaren und vor allem andauernden wahnhaften Überzeugungen vor (wenngleich mitunter auch beides möglich ist). Siehe auch das Kapitel Persönlichkeitsstörungen.

Was kann man gegen eine wahnhafte Störung tun?

Die Behandlung eines Wahns im Allgemeinen und einer wahnhaften Störung im Speziellen ist in der Regel kein Problem - wenn sie zustande kommt. Doch das ist selten. Selbst schizophren Erkrankte mit jahrelangem Leiden und schwersten psychosozialen Einbußen (Ausbildung, Partnerschaft, Familie, Beruf, gesellschaftliche Stellung, wirtschaftlicher Erfolg usw.) werden nur zum kleineren Teil behandelt, weil sie sich entweder einer Therapie völlig entziehen oder die notwendigen therapeutischen Maßnahmen nur unzureichend durchhalten. Schlimm ist also eine mangelnde Therapietreue im Allgemeinen bzw. Einnahmezuverlässigkeit der unerlässlichen Medikamente im Speziellen oder - noch verhängnisvoller - eine mangelnde oder gar nicht vorhandene Krankheitseinsicht.

Behandlungsgrundlage eines jeden Wahns ist und bleibt aber eine medikamentöse Therapie, und zwar mit antipsychotisch wirksamen Arzneimitteln. Und das sind die Neuroleptika (Einzelheiten siehe das ausführliche Kapitel über Neuroleptika). Welche der inzwischen zahlreichen Möglichkeiten hier genutzt werden sollen, hängt von Krankheitsbild, Therapeut und auch Patient ab. Das erstreckt sich von der älteren Neuroleptika-Generation, die zwar mehr Nebenwirkungen aufweist (dafür aber auch als Depot-Spritze mit ein- bis vierwöchiger Wirkung verfügbar ist) bis zu den modernen, sogenannten atypischen Neuroleptika mit weniger unangenehmen Begleiterscheinungen (aber bisher noch nicht als Depot-Spritze verfügbar). Der Erfolg dürfte in der Mehrzahl der Fälle befriedigend bis gut sein, allerdings wieder in Abhängigkeit von Krankheitsbild, Dauer des Leidens, von Persönlichkeit und Mitarbeit des Betroffenen.

Auch eine Elektrokrampftherapie (Durchflutungsbehandlung) kann zu einer bisweilen erstaunlichen Besserung des Leidens führen, am günstigsten aber in einer Serie von mindestens sechs bis acht Anwendungen. Diese Behandlungsform aber stößt auf noch weniger Vertrauen oder gar Verständnis.

Am ehesten scheint man sich in der Allgemeinheit für eine Psychotherapie zu erwärmen. Doch auch die kommt nur selten zustande, vor allem nicht mittel- bis langfristig. Eine Psychotherapie ohne medikamentöse Basis pflegt aber nur bedingt den erwünschten Erfolg zu haben. Immerhin ist der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient ein wichtiger Anfang. Und wenn der Therapeut die Familie miteinbezieht, deren Mitglieder ja schwer belastet sind und entsprechend sorgenvoll, ängstlich, gereizt oder aggressiv reagieren, dann pflegt eine solche psychotherapeutische oder psychagogische Betreuung (eine Mischung aus psychotherapeutischen und pädagogischen Bemühungen) schon manches zu erleichtern.

Am besten aber wirkt die Kombination: Pharmakotherapie - psychotherapeutische Betreuung - soziotherapeutische Korrekturen und Unterstützungsmaßnahmen für alle Beteiligten.

Literatur

Sehr spezielles wissenschaftliches Thema mit entsprechenden Publikationen und Fachbüchern, meist älteren Datums. Über die Schizophrenie gibt es inzwischen eine Reihe hilfreicher allgemeinverständlicher Beiträge und Sachbücher, über die wahnhaften Störungen hingegen (noch) nicht.

APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen - DSM-IV. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 1998.

Berner, P.: Das paranoische Syndrom. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1965

Berner, P.: Paranoide Syndrome. In: K.P. Kisker et al. (Hrsg.): Klinische Psychiatrie. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1972

Dietrich, H.: Querulanten. Enke-Verlag, Stuttgart 1973

Marneros, A.: Behandlung von Wahnsyndromen. In: H.-J. Möller (Hrsg.): Therapie psychiatrischer Erkrankungen. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2000

Walker, J.I. et al.: Paranoide Erkrankungen. In: H.-J. Freedman et al. (Hrsg.): Psychiatrie in Klinik und Praxis. Thieme-Verlag, Stuttgart 1984

WHO: Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto 1993

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