Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
INTERNET-ABHÄNGIGKEITEs gibt nicht nur Betroffene, es gibt bereits erste Spezial-Behandlungs-Angebote Ob die Diagnose "Internet-Abhängigkeit" berechtigt ist, bleibt zwar umstritten, doch die Gefahr scheint nicht von der Hand zu weisen. Es gibt sogar schon konkrete Diagnose-Kriterien für ein Internet-Abhängigkeits-Syndrom (IAS). Und es etabliert sich zunehmend eine Internet-Abhängigkeits-Therapie bis hin zu Spezial-Ambulanzen an psychiatrischen Universitätskliniken. Jede Zeit hat ihre Krankheit: Lues und Tbc, Gicht und Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Bulimie und Anorexie, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit. Alle hatten und haben auch ihren sozioökonomischen Nährboden. Nun leben wir im Zeitalter der Information. Das Internet ist das wichtigste Informationsmedium geworden. Jedes geistig und wirtschaftlich aktive Individuum dieser Erde kann mit dem anderen kommunizieren, in minutenschnellem und beliebigem Umfang. Was dem einen ein Horror, fasziniert den anderen.
Doch Vorsicht: dosis facit venenum, sagte schon Paracelsus, des Mittelalters berühmtester Arzt. Die Dosis entscheidet darüber, ob etwas Heilmittel bleibt oder zum Gift wird. So auch beim Internet. In Analogie zum krankhaften Glücksspiel und zur Computerleidenschaft gibt es inzwischen sehr wohl Kriterien, die auf eine Online-Sucht schließen lassen. Ist das alles neu? Ist das Grund zur Sorge? Schließlich kann man von allem abhängig werden: Alkohol, Nikotin, Rauschdrogen, Essen, Spielen, Kaufen, Bodybuilding, Sex u.a. Internet-Abhängigkeit im Kommen Weltweit gibt es inzwischen Hunderte von Millionen Internet-Anwendern. Die Zahl wächst explosionsartig. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 30 Jahren. Die durchschnittliche Nutzungszeit beträgt in der Woche rund 35 Minuten. Das ist noch kein Problem. Inzwischen aber gibt es offensichtlich auch Internet-Suchtkranke. Allerdings hat man das lange Zeit nicht ernst genommen. Die erste Beschreibung einer solchen "Internet Addiction Disorder" wurde zunächst als Witz verstanden. Dann aber wurde es Ernst. In den USA gibt es die ersten Center for On-Line-Addiction. Und es gibt sogar sogenannte Cyber-Psychologen. Und natürlich eine wachsende Zahl an Informations-, Kongress- und Buchangeboten zum Thema.
Um das Ganze wissenschaftlich zu fundieren, hat man inzwischen - analog zum pathologischen Glücksspiel - konkrete DSM-IV-Kriterien erarbeitet (das DSM-IV = Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen in IV. Auflage ist die "psychiatrische Bibel" der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) und damit zunehmend weltweit). Einzelheiten siehe Kasten.
Wen und wie trifft es? Bisher gibt es zum Thema Internet-Abhängigkeit nur wenig konkretes Wissen. Manches wird nicht nur inhaltlich, sondern auch formal angezweifelt, wie das zu Beginn eines Leidens immer der Fall ist. Für den Alltag gilt es aber folgendes zu beachten: Im Vordergrund der Betroffenen stehen soziale Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder mit den Ehepartnern. Besonders gefährdet sind sogenannte MUDS (Multi User Dungeons). Das sind virtuelle (also nicht reale) Schauplätze, wo die Teilnehmer Einfluss auf ihre Umgebung nehmen können, kurz: das Eintauchen in eine Phantasiewelt mit Ausblenden des Alltags. Gefährlich sind auch Internet-Diskussionsgruppen und das fanatische Internet-Surfen.
Internet-Abhängigkeit - neuropathologisch erklärbar? Natürlich kann man nicht nur Behauptungen aufstellen, man muss sie auch beweisen. Deshalb gibt es inzwischen eine wachsende Zahl neuropsychologischer, neurochemischer und neuropathologischer Untersuchungen und damit Erkenntnisse. Und tatsächlich scheint es Hinweise dafür zu geben, dass das Internet-Surfen - ähnlich wie beim Videospiel - zu einer Ausschüttung bestimmter Botenstoffe in konkreten Regionen des Gehirns führt und damit eine Abhängigkeitsgefahr bahnt. Weitere Untersuchungen müssen hier Klärung bringen. Therapeutische Angebote Es braucht seine Zeit, bis sich die Wissenschaft einigt. Das war noch bei jedem "modernen Leiden" so. Das wird auch in Zukunft nicht anders sein. Falsch ist es nicht, denn nur durch sorgfältige Prüfung lassen sich Irrtümer und auch Missbrauch vermeiden. Trotzdem gibt es natürlich schon Betroffene, und zwar behandlungsbedürftige. Ihnen stehen nicht allzuviel Spezialisten gegenüber. In einigen Fällen aber gibt es das bereits. Wer sich vom Internet abhängig fühlt, kann sich online via E-Mail melden und seine Beschwerden schildern. Dann wird geprüft, ob sich die körperlichen oder psychischen Entzugssymptome (s. Kasten) tatsächlich darauf zurückführen lassen.
Die Therapie ist überwiegend psychotherapeutisch. Es gibt aber auch schon Hinweise, z.B. dass bestimmte Antidepressiva (SSRI) hilfreich sein könnten. (Prof. Dr. med. Volker Faust). |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |