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KATASTROPHENREAKTIONEN

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Natur- und technische Katastrophen und ihre Folgen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung

Katastrophen begleiten den Menschen seit sich diese Erde dreht. Früher nur Natur-, heute auch immer mehr technische Katastrophen. Das Seebeben in Südostasien mit nachfolgender Flutwelle hat uns wieder einmal die Hilflosigkeit des Menschen vor Augen geführt. Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zum Thema Natur- und technische Katastrophen und ihre seelische Folgen mit dem Schwerpunkt auf posttraumatische Belastungsstörungen, wie man dieses Leiden heute nennt.

Naturkatastrophen sind so alt wie die Menschheit. Zwar hinterlassen sie in der Regel den größeren Eindruck, werden aber inzwischen von technischen Katastrophen durch Industrie, Verkehr und im Zivilleben zahlenmäßig bei weitem überflügelt (ironisch gemeinte, in Wahrheit aber bittere Redewendung: "Was möglich ist, kommt vor...").

Die seelischen, psychosozialen und körperlichen Folgen für die Betroffenen sind unterschiedlich, meist aber viel ausgeprägter als in der Regel bekannt wird. Dies betrifft vor allem die mittelfristigen bis Langzeit-Konsequenzen.

Die psychiatrische Katastrophenforschung und Notfall-Psychologie stecken noch in den Anfängen. Die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse aber lassen befürchten, dass mindestens jeder 5. Betroffene mit Angstzuständen, depressiven Verstimmungen, psychosomatisch interpretierbaren körperlichen Beschwerden oder gar einer konkreten posttraumatischen Belastungsstörung nach einer Natur- oder von Menschenhand ausgelösten Katastrophe rechnen muss. Dies scheint sogar die untere Grenze zu sein, denn die Variationsbreite entsprechenden Leids liegt bei 20 bis 50% und mehr, wobei einige dieser Symptome Jahre oder gar jahrzehntelang peinigen können, bisweilen ein Leben lang.

Was ist eine Katastrophe?

Eine einheitliche und allgemein verbindliche Definition von Katastrophe gibt es nicht. Im Wesentlichen werden drei Kriterien herangezogen: 1. Die Anzahl der Todesopfer (oder der in Todesgefahr Schwebenden), 2. die Anzahl der Verletzten (eventuell auch der "Betroffenen") und 3. die Sachwertverluste (meist in Geldeinheiten gemessen).

Diese drei Kriterien werden allerdings beliebig und mit unterschiedlichem Zahlenmaterial ausgestattet, womit sich auch die Definition von Katastrophe ändert. Nicht viel besser steht es mit jenen Definitionen, die andere Schwerpunkte setzen: "einschneidende Störung des normalen Tagesgeschehens", "Ereignis, das von der unmittelbaren Gefahr weitverbreiterter oder schwerer Verletzung, Verlust von Leben oder Besitz als Ergebnis einer natürlichen oder von Menschen hervorgerufenen Ursache gekennzeichnet ist"; "... eine verheerende Situation, in der Muster alltagspraktischen Handelns plötzlich unterbrochen werden, die Menschen in Hilflosigkeit und Leiden versinken und daher Schutz, Nahrung, Kleidung, Obdach, medizinische und soziale Versorgung und andere lebensnotwendige Dinge brauchen" bzw. schlicht und einfach: "Unfall von großem Ausmaß".

Naturkatastrophen werden wenigstens gemäß ihrer Ursachen in drei Haupt-Kategorien eingeteilt, und zwar

1. Prozesse der Erdkruste, durch die Erdbeben, Vulkane und Tsunamis ausgelöst werden.

2. Prozesse an der Erdoberfläche, durch die Lawinen und Massenbewegungen wie Erdrutsche, Bergstürze u. a. ausgelöst werden.

3. Schwankungen der Atmosphäre und im Wasserhaushalt, die Stürme aller Art, Dürre und Hitzewellen (Waldbrände), Kältewellen, Hochwasser und Hagel verursachen.

Nach J. Nussbaumer, 1996

Was droht?

Die nach einer Naturkatastrophe am häufigsten berichteten Krankheitszeichen bei Erwachsenen sind körperliche Beschwerden, depressive und Angststörungen sowie posttraumatische Belastungsreaktionen. Natürlich handelt es sich hier (Fachausdruck: Katastrophen-Syndrom) um kein einheitliches Krankheitsbild, sondern um ein kompliziertes Zusammenspiel unabhängiger Störungen auf körperlichem, psychosomatischem (unverarbeitete seelische Belastungen äußern sich körperlich), kognitivem (geistig-intellektuellem), affektivem (gemütsmäßigem) und schließlich zwischenmenschlichem und beruflichem Gebiet.

Die meisten Untersuchungsergebnisse liegen vor nach Erdbeben, Überflutungen, Hurrikans, Vulkanausbrüchen, Schnee- und Schlammlawinen, Wirbelstürmen sowie Massenvergiftungen mit Nahrungsmitteln (z. B. toxisches Rapsöl), nach Buschfeuern, Schneestürmen u. a. (die gleichen seelischen und psychosozialen Folgeerscheinungen treten aber auch nach technischen Katastrophen auf).

Was kann der Mensch dafür, wenn die Erde bebt?

"Natürlich nichts. Aber für die Hunderttausende von Toten sind in erster Linie die Besiedelungspolitik und die Landnutzung verantwortlich. Wir bauen zu dicht an gefährliche Areale, nehmen falsche Baumaterialen und vernachlässigen Warnsysteme. Wir gehen mit der Natur radikal falsch um. Und ohne die radikale Armut wären manche Gebiete nicht derart unterentwickelt und von effizienter Hilfe abgeschnitten. Das ist die Katastrophe, nicht die Verschiebung der Erdplatten" (W. Dombrowsky, Leiter der Katastrophen-Forschungsstelle (KFS) Kiel in einem Interview des Migros-Magazin 2 vom 11.01.2005).

Mit was ist konkret zu rechnen? Hier hat sich vor allem ein kurz-, mittel- oder langfristiges Leiden entwickelt, das man mit dem Fachbegriff der posttraumatischen Belastungsstörung umschreibt. Nachfolgend eine Kurzfassung in Stichworten:

Das Beschwerdebild der posttraumatischen Belastungsstörung

o Ständiges, fast zwanghaftes, überwältigendes, jedenfalls nicht abschüttelbares Wiedererinnern mit ängstlicher Erregung, Anspannung, mit Albträumen, starker Furcht oder gar Panikanfällen

o Gelegentliches Gefühl, als ob sich das belastende Ereignis gerade wiederholt hätte - mit allen (früheren) Reaktionen. Manchmal nur auf Grund eines belanglosen Auslöse-Reizes aus der Umgebung oder durch reine Vorstellung, bisweilen auch plötzlich und ohne nachvollziehbare Ursache ("Flash-back")

o Verlust an Lebensfreude, Interesse, Aktivität, Initiative, Kreativität, Schwung, Dynamik usw.

o Zunahme von Resignation, unbestimmter Angstbereitschaft, Unlust und Gleichgültigkeit bis zur Teilnahmslosigkeit

o Affektlabilität (gemütsmäßig instabil), resigniert bis deprimiert, manchmal immer wiederkehrende depressive Zustände oder gar eine unterschwellige schwermütige Dauerverstimmung

o Schuldgefühle und schamhafte Rückzugsneigung (s. u.)

o Nachlassende Schwingungsfähigkeit im Gemütsleben. Zunehmende Unfähigkeit, die früheren Gefühle zu empfinden und zu äußern ("psychische Abgestumpftheit", emotionale Ertaubung"). Dadurch Eindruck der Ablösung oder Entfremdung von den anderen. Zuletzt resigniert, hoffnungslos, ja wie betäubt, mit dem Extrem einer dauernden Gefühlsabstumpfung

o Meiden von Aktivitäten und Situationen, sogar Vermeidung aller Gedanken und Gefühle, die an das erlittene Ereignis erinnern könnten, selbst im weitesten Sinne. Schließlich Furcht vor entsprechenden Stichworten. Trotzdem Unfähigkeit, sich von Ursache, Schrecknissen und Ängsten willentlich zu distanzieren oder gar zu befreien

o Schwindende Anteilnahme an aktuellen Ereignissen bzw. an der Umwelt schlechthin, damit Rückzugs- und Isolationsgefahr

o Durch die emotionale Ertaubung und damit reduzierte Fähigkeit Gefühle zu äußern: Einbußen im Intim- und Sexualbereich, beginnend mit der Unfähigkeit, Zärtlichkeit zu empfinden oder zu geben und endend mit Libido- und Potenzstörungen

o Vegetative Übererregbarkeit mit übersteigerter Wachsamkeit, Anspannung, dadurch zunehmend nervös, fahrig und vermehrt schreckhaft

o Ein- und Durchschlafstörungen sowie Früherwachen. Im Schlaf immer wieder aufdringliche, belastende Träume, in denen das Erlebnis nachgespielt wird (s. o.)

o Störungen des Essverhaltens: entweder Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust oder (Kohlenhydrat-)Heißhunger auf Teigwaren, Süßigkeiten u. a., manchmal auch absonderliche Essgelüste

o Psychosomatisch interpretierbare körperliche Beschwerden ohne organische Ursache, nicht selten wandernd: z. B. Herz, Kreislauf, Magen-Darm, Atmung, Wirbelsäule und Gelenke, Kopf (Kopfdruck oder -schmerzen) u. a.

o Bisweilen dramatische Ausbrüche von Angst oder Aggressionen, ausgelöst durch entsprechende Erinnerungen (z. B. Jahrestagreaktionen) oder ähnliche Situationen. Verstärkung der Beschwerden, die dem Ereignis auch nur von Ferne gleichen oder es symbolisieren könnten: bestimmte Witterungslagen oder Naturereignisse (Hitze, Schnee, Wasser), Uniformen, Böllerschüsse, Umzüge, Stacheldraht-Einfriedungen, kasernenähnliche Gebäude, Baracken, Wald, enge Räume und dunkle Ecken, Aufzüge, Fahrzeuge usw.

o Zwangsgedanken, ggf. Zwangshandlungen

o Merk- und Konzentrationsstörungen, die zuletzt fast organisch anmuten (z. B. wie nach einem Kopfunfall oder wie bei einer Hirngefäßverkalkung), dadurch zunehmende Leistungsminderung

o Versuch, die psychische Notlage gegenüber den Mitmenschen zu verbergen. In bestimmten Situationen allerdings (z. B. Gedenktage, symbolische Geschehnisse - s. o.) kommt es manchmal zu heftigen, anklagenden, wütenden, aber auch resignierten Reaktionen, ggf. auch zu Selbsttötungsgedanken (z. B. wegen Schuldgefühlen als Überlebender)

o Bisweilen eigentümliche Phänomene, besonders nach plötzlichen Todeskonfrontationen, die mit "Todesnähe-Erfahrungen" (Nahtod-Erlebnisse), Empfindungen der "Außer-Körperlichkeit", "Rückblick- oder Panorama-Erlebnisse" usw. umschrieben werden

o Gefahr von Missbrauch und schließlich Abhängigkeit durch missglückte Selbstbehandlungsversuche mit Alkohol, Medikamenten (meist Beruhigungs-, Schlaf- und Schmerzmittel), Rauschdrogen, Tabakwaren u. a.

o Versuch, das Beschwerdebild mit "untauglichen Bewältigungsstrategien" sonstiger Art zu überspielen (Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft, Berufsalltag, Freizeit, Sport u. a., dabei nur ein Beispiel: unverantwortliches Fahrverhalten um sich zu beweisen, dass man "kein Angsthase" ist) u. a.

Gibt es einen Unterschied zwischen Natur- und technischen Katastrophen?

Offenbar gibt es tatsächlich einen Unterschied zwischen Natur- und technischen Katastrophen sowie andere durch menschliche Einwirkung hervorgerufene Extrembelastungen:

1. Zum einen der eher chronische Verlauf seelischer Gesundheitsprobleme bei technischen Katastrophen, vor allem durch

2. die Furcht, sich durch solche seelische und/oder körperliche Folgen eine längerfristige oder lebenslange Krankheit zuzuziehen. Dies bezieht sich vor allem auf Kernreaktoren, wobei noch viele Jahre danach insbesondere Frauen (Mütter) entsprechende Sorgen quälen.

Was disponiert überhaupt zu einer Katastrophenreaktion?

Es sind drei Risikofaktoren, die die Folgen besonders beschwerlich machen, nämlich weibliches Geschlecht, vorbestehende seelische Störungen sowie frühere traumatische (seelisch verwundende) Erfahrungen.

- Frauen reagieren offensichtlich empfindlicher auf Katastrophen-Ereignisse als Männer. Auch finden sich beim weiblichen Geschlecht mehr konkrete Symptome (Depression und Angstzustände), bei Männern offenbar häufiger entgleisungsgefährliche Selbstbehandlungsversuche mit nachfolgender Suchtgefahr, meist durch Alkohol.

- Dass seelische Störungen in der Vorgeschichte eine spätere Traumatisierung noch folgenschwerer machen, ist nachvollziehbar. In einigen Untersuchungen ließ sich nachweisen, dass die psychische Gesundheit oder Krankheit vor dem Ereignis für die Langzeit-Konsequenzen bedeutsamer war/ist als die Intensität des Katastrophen-Ereignisses selber. Das heißt, selbst extreme Belastungen werden besser verkraftet, wenn der Betreffende zuvor über eine stabile psychische Gesundheit verfügte. Musste er sich allerdings schon früher mit entsprechenden seelischen, psychosomatischen und psychosozialen Beeinträchtigungen abquälen, reichen schon leichtere Unannehmlichkeiten, und der Betreffende droht jetzt ausgeprägter oder gar endgültig zu dekompensieren.

- Das Gleiche gilt für frühere Konfrontationenmit traumatischen Lebensereignissen : "einmal verwundet, immer verwundbar". Auch ein dauerhaft hohes Belastungsniveau zum Zeitpunkt der Katastrophe hat ähnliche negative Auswirkungen. Hier geht es letztlich um die Summe oder noch besser die Potenzierung solcher Belastungsfaktoren. Oder einfacher formuliert: Gab oder gibt es ausreichend lange dazwischen geschaltete Erholungsmöglichkeiten - oder eben nicht. Dabei ist noch zu bedenken, dass solche Regenerationspausen im Einzelfall viel mehr Zeit beanspruchen, als man bisher annahm ("eine seelische Wunde heilt viel langsamer als eine körperliche").

Die Behauptung, frühere Belastungen könnten sogar ein protektiver, also die innere Stabilität erhöhender Faktor sein (Theorie der Immunisierung gegen Belastungen) war und ist umstritten. Mehrere Belastungen hintereinander werden eher zum folgenschweren Vulnerabilitätsfaktor (vom lateinischen: vulnus = Verletzung, Wunde, Schaden) als zum stabilisierenden "Trainings-Gewinn" ("zu viel ist zu viel").

Risikofaktoren bei Kindern

Die Frage, ob Kinder stärker oder weniger betroffen sind als Erwachsene, wird kontrovers diskutiert. Die einen meinen aufgrund ihrer Untersuchungen behaupten zu können: je jünger, desto nachhaltiger die Langzeit-Konsequenzen. Doch entsprechende Erkenntnisse nach Hurrikans oder Großbränden sprechen sowohl dafür als auch dagegen. Manche Experten glauben, dass die seelischen und psychosozialen Folgeschäden mit zunehmendem Alter wachsen, d.h. je älter, desto nachhaltiger (nicht zuletzt weil die Katastrophe in ihrem Ausmaß dann auch besser überschaut werden kann).

Unbestritten gilt es aber die auch für Erwachsene bekannte Belastungskomponente zu berücksichtigen, die besagt: Je mehr bestimmte seelische, psychosomatische, psychosoziale und körperliche Gesundheitsprobleme bereits vor dem Ereignis bestanden, desto nachhaltiger reagieren auch Kinder auf entsprechende Traumatisierungen. Und wichtig, eine dritte Erkenntnis: Je beeinträchtigter der Gesundheitszustand der Eltern vor der z. B. gemeinsam erlebten Katastrophe, desto empfindlicher trifft es auch deren Kinder. Nicht uninteressant die Hypothese, dass es insbesondere die Reaktionen der Mutter sind, die die seelischen und psychosozialen Folgen für das Kind entscheidend (mit-)bestimmen. Auf jeden Fall wird dadurch klar, dass die Erwachsenen auch im persönlichen Sinne eine besondere Verantwortung für die mitbetroffenen Kinder tragen.

Was grundsätzlich eine Rolle spielt, auch im Kindesalter, ist die Nähe zum Ereignis: je dichter (z. B. je näher dem so genannten Epizentrum eines Erdbebens), desto heftiger die Reaktion.

Risikofaktoren während der Katastrophe

Zu den entscheidenden Risikofaktoren während der Katastrophe gehören zum einen die Exponiertheit (inwieweit bin ich dem Ereignis mehr oder weniger hilflos ausgeliefert), zum anderen der Tod einer nahe stehenden Person oder eines engen Freundes sowie die körperliche Bedrohung und der subjektive Kontrollverlust ("ich kann nichts dagegen tun"). Dazu die Unvorhersehbarkeit und damit ständige Bedrohung bzw. Furcht vor ähnlichen Ereignissen in der Zukunft. Der wahrscheinlich stärkste und nachhaltigste Belastungsfaktor ist allerdings der Tod von Angehörigen und Freunden (insbesondere nicht auf deren Hilferufe reagieren zu können).

Risikofaktoren nach der Katastrophe

Risiko- oder besser Hilfsfaktoren nach der Katastrophe, also in der Erholungsphase, machen sich vor allem an den Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung durch das Umfeld bzw. einer gezielten Intervention durch Fachleute fest. Doch auch hier scheinen Art, Zeitpunkt, Dauer und zusätzliche Aspekte eine große Rolle zu spielen, vor allem die Art der Katastrophe und unterschiedliche bevölkerungstypische Faktoren. Ähnliches scheint für das Geschlecht sowie für das Alter zu gelten, doch fehlt es hier noch an fundierten Erfahrungen.

Wenn ein Leiden zum anderen kommt

Ein besonderes Problem ist die so genannte Ko-Morbidität, also das gleichzeitige oder relativ rasch hintereinander folgende Auftreten mehrerer Störungen oder gar Krankheiten. So kann beispielsweise eine posttraumatische Belastungsstörung durch eine Naturkatastrophe durch eine Angstkrankheit, eine Depression, einen Suchtmittel-Missbrauch oder körperliche Störungen verstärkt, vor allem aber chronisch werden. Diese zunehmende Ko-Morbidität ist offensichtlich ein Problem unserer Zeit und Gesellschaft (oder sie wird erst jetzt als solche registriert, beforscht und adäquat diagnostiziert und behandelt).

Die Folgen von Evakuierung und Umsiedlung

Besonders nach entsprechenden Natur-, aber auch langfristig gefährlichen technischen Katastrophen (Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, in technischer Hinsicht vor allem Reaktorunfälle) ist eine notfallmäßige Evakuierung und später mittelfristige Umsiedlung oft nicht zu vermeiden. Konkret heißt dies, dass Mitbürger von heute plötzlich zu Flüchtlingen von morgen werden können, in manchen Regionen dieser Erde zusammengepfercht und ohne angemessene sanitäre Einrichtungen und Ernährung, wenn nicht gar mit entsprechenden Sicherheitsmängeln. Und wenn die Betroffenen noch aus "verseuchten Gebieten" kommen (was nicht nur Radioaktivität, sondern vor allem infektiöse Krankheiten anbelangt), dann tritt zur allgemeinen Not noch eine soziale Stigmatisierung, wenn nicht gar Diskriminierung hinzu.

Was ist zu tun?

Die technischen Unterstützungsmöglichkeiten wurden - zumindest in der westlichen Welt - in den letzten Jahrzehnten erfreulich perfektioniert. Bei den seelischen und psychosozialen Hilfsmaßnahmen stehen wir noch am Anfang. Dabei war früher die irrige Ansicht verhängnisvoll, dass die psychischen und psychosozialen Auswirkungen letztlich zu vernachlässigen, zumindest aber kurzlebig seien ("der Mensch ist zäh"). Das hat sich als wohlfeiler Trugschluss herausgestellt, ja, als grausamer Irrtum für zahlreiche Betroffene, die sich zu allem Leid hin auch noch nicht ernst genommen, vielleicht sogar diskriminiert sahen. Wenn heute gelegentlich darauf hingewiesen wird, dass man früher offensichtlich mehr auszuhalten und durchzustehen in der Lage, also der Mensch leidensfähiger und robuster war, dann muss man dies heute korrigieren:

Gelitten wurde früher wie heute gleich, nur weiß man inzwischen mehr darüber.

Zu den wichtigsten Interventions-Strategien nach Natur- und technischen Katastrophen gehören deshalb vor allem folgende Faktoren:

Aufklärung der Öffentlichkeit, entsprechende Ausbildungsmaßnahmen in den Kommunen, Krisenberatung, ambulante Versorgung des Einzelnen und der Familie, Beratung zu Fragen der Rehabilitation und Rückfallverhütung sowie wirtschaftliche, finanzielle und versicherungsrechtliche Informationen. Dabei geht es hauptsächlich um Hilfe durch Selbsthilfe. Die Katastrophen-Opfer müssen langfristig ihre unmittelbaren Bedürfnisse ohne fremde Unterstützung befriedigen können (und dürfen).

Weitere Informationen in dem ausführlichen Kapitel Naturkatastrophen und seelische Folgen im Rahmen der Internetserie Psychiatrie heute (Prof. Dr. med. Volker Faust).

http://www.volker-faust.de/psychiatrie

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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