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MANIE (1)

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Die krankhafte Hochstimmung mit Folgen (1)

Wenn die Manie, die krankhafte Hochstimmung, so verhängnisvolle psychosoziale und finanzielle Folgen hat, warum wird sie dann so selten diagnostiziert? Und vor allem: Warum tut man so wenig dagegen? Diese unter andere Fragen stellen vor allem verzweifelte Angehörige, aber auch Freunde, Nachbarn, Arbeitskollegen - und die Betroffenen selber, wenn sie am Ende ihrer manischen Hochstimmung auf einen "Scherbenhaufen" bzw. eine "breite Schneise der partnerschaftlichen, familiären, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwüstung" zurückschauen.

Die Antwort in Stichworten: Die Manie ist das Gegenstück zur Depression, meist im Wechsel als manisch-depressive Erkrankung. Schon die Depression kommt viel zu selten in ärztliche Behandlung. Die Manie oft erst dann, wenn der partnerschaftliche, familiäre, nachbarschaftliche, finanzielle und berufliche Schaden inzwischen so groß geworden ist, dass es sich nicht mehr umgehen lässt. Oder bei wiederholten Rückfällen, die zum psychosozialen Ruin führen können. Ansonsten darf man nicht vergessen: Warum sollte sich jemand in Therapie begeben, möglichst noch mit dämpfenden Arzneimitteln, wo es ihm doch derzeit so gut geht wie noch nie - zumindest aus seiner subjektiven, wenn auch krankhaft veränderten Sicht? Endlich hat er Erfolg und Glück, auf allen Ebenen. Warum soll er sich das jetzt eindämmen oder gar zerstören lassen?

Im Wartesaal des Glücks, da gibt es viele Leute (alter Schlagertext).

Und doch gilt es die Manie so frühzeitig wie möglich als krankhafte Hochstimmung zu erkennen und gezielt zu behandeln. Denn es drohen nicht nur die bekannten psychosozialen, sondern auch biologische Folgen, nämlich der Umschlag in eine Depression. Und die kann noch quälender sein als alle anderen Einbußen.

Die wichtigsten Symptome einer Manie

Welches sind also die wichtigsten Krankheitszeichen einer Manie? Am häufigsten Rededrang, gesteigerte Aktivität und gehobene Stimmung. Wichtig: Die positive Stimmung ist ansteckend. Typisch auch ein verringertes Schlafbedürfnis (der Depressive kann nicht schlafen, der Maniker braucht nicht zu schlafen) und eine schier unbegrenzt erscheinende Leistungsfähigkeit. Der Unterschied zum "normalen Arbeitssüchtigen" ("Workaholic"): Die manische Arbeitswut ist phasisch, d. h. zeitlich begrenzt. Danach folgt entweder ein Leistungstief oder gar eine depressive Episode mit völligem Leistungseinbruch. Der Workalkoholic arbeitet durch, die "Rechnung" ist irgendwann einmal zu bezahlen - wenn überhaupt.

Charakteristisch bei der Manie ist auch der ungebremste Bewegungsdrang, und zwar im Denken (bis zur Sprunghaftigkeit), im Reden (bis zur Redeflut), in der Motorik (ständig in Bewegung, kann nicht ruhig sitzenbleiben), in der Kontaktgier (bis zur peinlichen Distanzlosigkeit), in der Reiselust (dauernd unterwegs: "wurde manchmal an mehreren Stellen gleichzeitig gesehen ...") usw.

Typisch für den manischen Antriebsüberschuss ist auch die Unfähigkeit, Begonnenes zu vollenden, die vermehrte Ablenkbarkeit und die Unfähigkeit, die aufdringliche, fordernde und damit belästigende Art selber zu erkennen und vor allem zu steuern.

Was die manische Enthemmung anbelangt, so lässt sie sich auf einen Satz reduzieren:

Der Maniker tut, was sich andere nicht trauen.

Das äußert sich im zwischenmenschlichen (z. B. Sexualität), im wirtschaftlichen (Kaufrausch mit Schulden), aber auch in vielerlei psychosozialen Aspekten: lautes Auftreten zu jeder Tages- und vor allem Nachtzeit, rücksichtsloses Reden, Musizieren, Musikhören, in überraschenden und nicht selten unerwünschten Besuchen, in "guten Taten" (oft auch noch gegen den Willen der Betroffenen), in rauschenden (und sündhaft teuren) Festen, in distanzlosen Einmischungen, in Nonsens, Albernheiten und "Kinderstreichen" usw.

Und das alles bei ansonsten eher zurückhaltenden, freundlichen, beflissenen Mitmenschen in jeglicher Position, von denen höchstens auffällt, dass sie kein sehr ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben und die normalerweise eher aggressions-gehemmt sind und zur Verleugnung von Konflikten neigen. (Allerdings gibt es auch Maniker, die außerhalb ihrer Hochstimmungs-Episoden "immer etwas über den Strich" scheinen, sogenannte Hyperthymiker; aber das ist eher die Ausnahme als die Regel.)

Was kann man tun?

Leichtere manische Zustände (submanisch, maniform), die nicht allzuviel Porzellan zerschlagen, können sogar ein zwischenmenschlicher und leistungsmäßiger Pluspunkt sein. Man vermutet, dass nicht wenige "unsterbliche Kunstwerke" unter diesen Bedingungen entstanden sind (siehe auch der Beitrag über Genie und seelische Störung). Wenn allerdings die partnerschaftlichen, familiären, gesellschaftlichen, beruflichen und finanziellen Konsequenzen die tragbaren Grenzen überschreiten, dann muss man eingreifen. Das aber ist bekanntlich schwer:

Die Therapie einer Manie ist kein Problem - sofern sie zustande kommt.

Medikamentös stehen antipsychotische hochpotente sowie eher dämpfende mittel- und niederpotente Neuroleptika zur Verfügung, die allerdings von den Betroffenen ungern akzeptiert werden ("wie wenn man einen Deckel auf einen Topf kochenden Wassers preßt, anstatt die glühende Herdplatte abzustellen"). Etwas verträglicher sind die sogenannten Phasenprophylaktika, vor allem die Lithiumsalze und die antiepileptisch und antimanisch zugleich wirksamen Substanzen Carbamazepin und Valproinsäure. Die können sowohl im Akutfall als auch als Langzeit-Rückfallschutz genutzt werden. Vorsicht aber beim Absetzen dieser Medikamente; dann ist ein Rückfall programmiert, und später "greifen" sie auch nicht mehr so gut wie vorher (weitere Einzelheiten siehe auch der spezielle Beitrag über die Diagnose und Therapie der schizoaffektiven Störungen, einer Leidenskombination aus Schizophrenie, Depression und Manie).

Einer besonderen Bedeutung kommt die sogenannte "manische Aussage" zu, die es rechtzeitig zu erkennen und vor allem zu respektieren gilt (siehe auch der entsprechende Beitrag über die manische Aussage). Maniker reden viel, laut, ungebremst und ggf. distanzlos - und schließlich hört niemand mehr zu. Und doch wiederholt sich in ihrer Redeflut immer wieder das Gleiche, nämlich ihre persönlichen Probleme, Kümmernisse, Sorgen, Kränkungen, Demütigungen usw. Wer sich die Mühe macht, hier genau hinzuhören, wird schließlich auch den entscheidenden Einstieg in die psychagogische Führung eines Manikers finden. Damit ist die Manie mit ihren Folgen noch lange nicht abgeklungen, aber der Betroffene wird bisweilen etwas lenkbarer (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Was sollte vorwarnen?


Bericht einer manischen Patientin:

- Der Antrieb ist enorm gesteigert, aber man ist positiv getrieben.

- Das Schlafbedürfnis ist fast verschwunden, und dennoch ist man ständig gut drauf.

- Die blendende Laune wird zum Dauerzustand, man lacht laut, gerne und viel, erzählt pausenlos Witze und kommt immer an.

- Man hat das Gefühl, alle Zusammenhänge zu verstehen, alles zu durchschauen.

- Man ist im Reden und darstellerisch unglaublich gewandt, kann alles so hindrehen, wie man es braucht.

- Man tut Dinge, die man nie gelernt hat oder eigentlich gar nicht kann, aber letztlich gar nicht mal so schlecht.

- Man ist sexuell aktiv, überaktiv, sofort Mittelpunkt, hat jeden sofort "an der Angel".

- Man ist äußerlich ein erfreuliches Ereignis: Die Augen glänzen, der Mund ist meist offen und lacht, die Haut ist glatt und seidig, keine Pickel, keine Runzeln.

- Man hat ein unglaubliches Feingefühl für seinen Körper.

- Man fühlt sich total in die Natur und die Welt integriert.

- Man ist auf schnellebig geschaltet, alles ist sofort Schnee von gestern.

(Aus: V. Faust: Manie, Enke-Verlag, Stuttgart 1997)

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).