Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNGEN NACH EXTREM-BELASTUNG (2)Mit Kriegsfolgen, Hunger, Vertreibung oder Naturkatastrophen ernsteren Ausmaßes müssen wir uns in unserer engeren Region nur noch selten auseinandersetzen. Etwas anderes ist es bereits einige hundert Kilometer von uns entfernt. Doch auch in Mitteleuropa geht es nicht ohne entsprechende Belastungen ab: sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Überfall, Entführung sowie technische Katastrophen, vor allem im Verkehr. Die Folge ist eine "Schockreaktion", wie man in der Allgemeinheit sagt, medizinisch als posttraumatische Belastungsreaktion bezeichnet. Was zählt zu den Extrembelastungen? Eine Extrembelastung kann sich in zwei Verlaufsformen äußern: 1. posttraumatische Belastungsreaktion: kurz- bis mittelfristige Folgen 2. posttraumatische Belastungsstörung: längerfristige bis chronische Entwicklung Was kann zu einer Extrembelastung führen? - Individuelle Gewalteinwirkung: Überfall (Raubüberfall, Straßenüberfall), Entführung/Geiselnahme, Folterung, Terroranschlag, Kriegsgefangenschaft, Konzentrationslager, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, andere Gewalttaten, selbst ein schwerer Unfall usw. - Augenzeugen von Gewalteinwirkung: wie oben angeführt, z.B. Überfall, Krieg, Katastrophe, Unfall u.a. - Kollektive Gewalt: kriegerische Auseinandersetzungen, heute vor allem Bürgerkriege, Vertreibung, Flucht usw. - Naturkatastrophen: Erdbeben (wirkt besonders verunsichernd, da sich das scheinbar festeste und sicherste: der Erdboden, als unzuverlässig erweist), ferner Vulkanausbrüche, Großbrände, Blitzschlag, Überschwemmungen (z.B. Dammbrüche), Lawinen, Gebirgsunfälle usw. - Technische Katastrophen: Verkehrsunfälle im Straßen-, Schiffs- und Bahnverkehr, Nuklearunfälle, Chemie- und Elektrounfälle u.a. - Schwere körperliche und seelische Belastungen: Verbrennungen, Herzinfarkt, Herzstillstand, Hirnschlag, Schock, schwerste Schmerzzustände, Verätzungen, Verstümmelungen, ggf. schon die Diagnose/Mitteilung eines belastenden Ereignisses, einer schweren Erkrankung. Dies auch bei anderen (vor allem nahestehenden) Personen: Krankheit, Tod, Gewalttat, Katastrophe. Manchmal auch der unerwartete Anblick eines toten Körpers oder Körperteils. Wichtig zu wissen: Es sind keine Schwächlinge, die mit "ihrer" Extrembelastung nicht sofort fertig werden, ihre Zeit brauchen, bis sie sie verarbeitet haben, am besten und schnellsten natürlich mit ärztlicher oder psychologisch geschulter Hilfe. Manche Menschen sind feinfühliger und empfindsamer als andere, was eine durchaus wertvolle Eigenschaft ist, nur in dieser Hinsicht natürlich eine zusätzliche Belastung. Bei anderen kommt zum neuen "Schock-Erlebnis" ein altes Trauma (Fachausdruck für körperliche, in dieser Hinsicht seelische Verwundung), das noch nicht verarbeitet werden konnte. Und nun verstärkt das eine auch noch das andere. In nicht wenigen Fällen ist das Ereignis aber auch so unfassbar, schrecklich, grausam und damit endlos "nachhängend", dass es auch den robustesten Naturen nicht gelingt, einfach zur Tagesordnung überzugehen - wie lange, hängt vom Einzelnen ab. Das betrifft vor allem die Angehörigen von Not- und Rettungsdiensten (Polizei, Feuerwehr, Sanitäter, Notärzte, aber auch die Ärzte, Schwestern und Pfleger in entsprechenden Klinikabteilungen usw.). Manchmal erscheinen solche Erlebnisse nach außen hin kaum beeinträchtigend, sind für den Betroffenen jedoch aufgrund seiner individuellen Vorgeschichte, seiner persönlichen Einstellung, bestimmter nachhängender Erlebnisse dennoch von hohem Belastungsgrad. Das pflegt dann noch härter zu sein, weil man auf keinerlei Verständnis einer natürlich ahnungslosen Umgebung bauen kann. Man ist und bleibt allein und damit überfordert. Auf jeden Fall gilt es zu bedenken: Posttraumatische Belastungsreaktionen (kurzfristige Reaktionen) oder gar posttraumatische Belastungsstörungen (längerfristige Folgen) sind häufig und scheinen zuzunehmen, auch wenn das in der Allgemeinheit kaum bekannt ist und damit nur selten als Grund akzeptiert wird. Und doch muss man langsam an die innerseelische Aufarbeitung denken. Wer das nicht tut, dem drohen auf Dauer seelische, psychosoziale oder psychosomatische Langzeit-Störungen (psychosomatisch: körperliche Störungen ohne organische Grundlage, meist durch unverarbeitete seelische Probleme). Hilfsmöglichkeiten? Die Hilfsmöglichkeiten nach solchen Extrembelastungen sind meist unbefriedigend. Das liegt nicht am unzureichenden Angebot oder mangelnden Verständnis, sondern am geringen Informationsstand - jedenfalls bisher. Das beginnt mit der näheren und weiteren Umgebung (Partner, Familie, Arbeitskollegen) und geht über die Vorgesetzten bis zu Freundeskreis, Nachbarschaft usw. Der wichtigste Grund - das sei immer und immer wiederholt - aber ist die Unfähigkeit aller Beteiligten, sich so etwas überhaupt vorzustellen, geschweige denn hilfreich einzuspringen. Auch sind die für eine solche Aufgabe spezialisierten ärztlichen und psychologischen Therapieangebote noch kaum verfügbar (von einigen Zentren mit ständig steigender Wartezeit abgesehen). Kurz: Es gilt durch gezielte Informationen und die Vermittlung von Grundkenntnissen wenigstens das Verständnis zu stärken und eine Art "erste Hilfe auf seelischer Ebene" zu fördern. Posttraumatische Belastungsstörung: konkretes Beispiel aus unserer Zeit
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |