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GEMÜTSVERFLACHUNG, SCHWUNGLOSIGKEIT, WILLENSSCHWÄCHE UND SPRACHVERARMUNG

Die Negativ-Symptome einer Schizophrenie rechtzeitig erkennen und behandeln

Zu den eindrucksvollsten Symptomen einer Schizophrenie gehören Wahn, Sinnestäuschungen und psychotische Ich-Erlebnisstörungen. Doch die bilden sich relativ rasch wieder zurück und sind vor allem auch medikamentös gut beherrschbar. Problematischer sind die sogenannten Negativ- oder Minus-Symptome, die offenbar zunehmen: Mangel an Energie, Schwung und Ausdauer, eine eigenartige Aufmerksamkeitsstörung und Sprachverarmung sowie Gemütsverflachung u.a. Sie können den Betroffenen nicht nur erheblich beeinträchtigen, sie sorgen in seinem Umfeld auch für Irritation, Unmut, ja Ärger, weil man nicht weiß, dass es sich hier um eine krankhafte Reaktion und nicht nur um Desinteresse, Gleichgültigkeit, Arroganz oder gar Dummheit handelt.

Nachfolgend deshalb eine etwas ausführlichere Darstellung dieses schizophrenen Beschwerdebilds mit Gemütsverflachung, Schwunglosigkeit, Willensschwäche u.a.

Schizophrene Erkrankungen machen etwa 1 % der Bevölkerung aus. Das sind rund 1 Million Betroffene im deutschen Sprachraum, etwa 60 Millionen weltweit. In der Allgemeinheit wird dieses seelische Leiden zumeist mit "gespaltener Persönlichkeit", verschrobenem Verhalten und ggf. aggressiven Durchbrüchen in Verbindung gebracht. Bei etwas besserem Kenntnisstand auch mit Wahn, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen u.a.

Doch es gibt Krankheitszeichen, die viel nachhaltiger beeinflussen, obgleich sie kaum bekannt sind: die sogenannten Negativ- oder Minus-Symptome. Das sind zumeist keine spektakulären, sondern heimlich verunsichernde, vor allem nach außen diskriminierende Beeinträchtigungen, die einen Teufelskreis einleiten, der für Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis, berufliche Entwicklung und das persönliche Ansehen überaus folgenschwer ausgehen kann. Um was handelt es sich hier und vor allem: was kann man dagegen tun?

Sogenannte Positiv- und Negativ-Symptome - was ist das?

Die Psychiatrie unterteilt bei der Charakterisierung eines schizophrenen Beschwerdebildes in negative und positive Symptome, was allerdings nichts mit dem sonst üblichen Sprachgebrauch zu tun hat, denn negativ, d.h. belastend und ggf. diskriminierend sind alle beide, sofern man sie nicht rechtzeitig erkennt und gezielt behandelt.

Zu den sogenannten Positiv-Symptomen zählt man vor allem Wahn (z.B. Verfolgungs- oder Größenwahn), Sinnestäuschungen (Stimmen, Trugbilder u.a.) und psychotische Ich-Erlebnisstörungen (z.B. Gedankeneingebung oder -entzug, vor allem Beeinflussungserlebnisse, die als "von außen gemacht und gelenkt" erscheinen).

So beeinträchtigend solche krankhaften Phänomene auch erscheinen mögen, sie haben einen Vorteil: Wahn, Sinnestäuschungen usw. fallen rasch auf und werden damit relativ schnell diagnostiziert und im günstigen Falle auch behandelt. Außerdem bilden sie sich durch eine gezielte Pharmakotherapie mit antipsychotisch wirkenden Neuroleptika relativ rasch wieder zurück (auch wenn sie später immer wieder ausbrechen können). Diese Art von Symptomen kann zwar das Umfeld erheblich verunsichern oder gar verschrecken, hat aber günstigere Heilungsaussichten.

Anders die sogenannten Negativ- oder Minus-Symptome. Sie wirken auf den ersten Blick weniger auffällig, aber damit auch schwerer fassbar und letztlich auch verstehbar. Außerdem lassen sie sich durch die früher verfügbare ältere Generation der antipsychotisch wirksamen Neuroleptika weniger gut behandeln. Das hat sich inzwischen aber geändert (siehe später).

Wie äußern sich Negativ-Symptome?

Wie äußern sich nun solche meist schleichend beeinträchtigenden Negativ- oder Minus-Symptome einer Schizophrenie?

Zum Beispiel in einem zunehmenden und nicht nur wie bei Gesunden erschöpfungsbedingten Mangel an Energie, Schwung und Ausdauer. Hier irritiert eher eine eigenartige und durchgehende Antriebsminderung, ja Antriebslosigkeit bis Apathie (gefühllos, teilnahmslos). Und das meist verbunden mit einer Einengung des Interessenspektrums, ja mit Interessenschwund und damit nach außen Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit, Unbeteiligtheit, ja kränkender "Kaltherzigkeit". Manchmal fehlt auch einfach der Wille, wenn auch nicht aus Mangel an willentlicher Entschlusskraft, sondern aus krankhafter Willenlosigkeit.

Ähnlich geht es mit einer sonderbaren Aufmerksamkeitsstörung, d.h. der Unfähigkeit des Patienten, in allen Lebensbezügen aufmerksam, konzentriert und damit aktiv zu sein.

Große Probleme bereitet den schizophren Erkrankten auch eine Art Sprachverarmung, d.h. er weiß nichts zu reden, und das trotz guter Intelligenz und Ausbildung. In einem solchen Falle verarmt oder versiegt natürlich jedes Gespräch rasch, weil der Patient wortkarg, einsilbig, ja fad, leer und öd wirkt, wenn nicht gar gleichgültig oder arrogant. Doch das alles ist er nicht, im Gegenteil. Er registriert mit wachsender Verzweiflung, dass er nicht einmal zu einem halbwegs "ordentlichen Miteinander" fähig ist und deshalb bald ausgegrenzt, wenn nicht isoliert sein wird. Dabei macht ihm zusätzlich eine andere Beeinträchtigung zu schaffen: Er braucht nämlich länger als ein durchschnittlicher Gesunder, bis er auf eine gestellte Frage adäquat antworten kann. Dergestalt beeinträchtigt zieht er sich dann lieber gleich von selber zurück, bevor ihn immer die gleichen schmerzlichen Konsequenzen seiner Umgebung treffen.

Denn der Schizophrene kann niemand erklären, was sich hier in ihm abspielt, weiß er es doch selber nicht. Auf jeden Fall ist es keine Frage der Intelligenz ("Dummheit"), der Gleichgültigkeit oder gar Arroganz, sondern eine in der Gehirnfunktion verankerte Denk- und Ausdrucksstörung, die aber verheerende Folgen zu haben pflegt.

Manchmal droht im Rahmen solcher Negativ-Symptome auch eine sogenannte Affektverflachung. Das ist eine Verarmung der Gemütskräfte oder konkret: eine Einbuße von Stimmung, Befindlichkeit, Zumutesein usw. Was besonders leidet, ist die im Alltag übliche und für jedermann problemlos verfügbare Variationsmöglichkeit der Gemütsreaktionen, je nach Stimmung bzw. äußeren Gegebenheiten. Bei Schizophrenen mit Negativ-Symptomatik fällt dagegen eine verringerte affektive Reaktionsfähigkeit auf, oder kurz: Der Betroffene kann auf die Ereignisse in seinem Umfeld nicht mehr gefühlsmäßig adäquat reagieren. Auch hier wirkt er rasch uninteressiert, unbeteiligt, ungerührt, unterkühlt, "wurstig", gleichgültig, gelangweilt, blasiert, ja arrogant, dabei leichtfertig, oberflächlich, seicht, lässig bis gemütsmäßig flach, wenn nicht gar am Schluss regelrecht "versandet".

Natürlich spürt der Kranke auch dies - und kann nichts dagegen tun. Ein gesunder Mensch kann gar nicht erfassen, was es heißt, gemütsmäßig nicht mehr reagieren zu können, wie "man" es erwartet. Der Schizophrene sitzt wie unter einer Glasglocke gefangen, man sieht ihn, aber er reagiert nicht wie andere - und befremdet dadurch eine ahnungslose Umgebung, die ihn langsam aber sicher auszugrenzen beginnt.

Kein Wunder, dass Patienten mit solcher Negativ-Symptomatik sich immer mehr zurückziehen und in einen Teufelskreis von Kontaktunfähigkeit geraten, der sie schließlich in die Isolation treibt.

Negativ-Symptome gibt es nicht nur bei den Schizophrenien

Auch wenn bisher vor allem von schizophrenen Psychosen ("Geisteskrankheiten") die Rede war, so gibt es die Negativ- oder Minus-Symptomatik auch bei anderen seelischen Störungen. Dazu gehören Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, sogenannte somatoforme Störungen (früher als psychosomatische Störungen bezeichnet), ferner Persönlichkeitsstörungen, organische Psychosyndrome (körperliche Leiden, die zur Beeinträchtigung der Gehirnfunktion und damit ihrerseits zu seelischen Störungen führen) u.a. Doch am häufigsten sind sie bei schizophrenen Erkrankungen - und leider auch am beharrlichsten. Bei Depressionen oder Angststörungen beispielsweise, die ja nach einiger Zeit wieder zurückzugehen pflegen, sind sie nur vorübergehender Natur, und damit auch nicht so langfristig belastend bis diskriminierend.

Auch gilt es bei den schizophrenen Negativ-Symptomen zu bedenken, dass ein Teil "von innen", also über bestimmte Störungen der Gehirnfunktionen läuft, ein anderer Teil hingegen die individuelle Reaktion auf das Leiden ist, also ein Teufelskreis.

Was kann man dagegen tun?

Was kann man nun gegen solche Negativ-Symptome tun? Als erstes gilt die alte Regel: eine rechtzeitige Diagnose ist die halbe Therapie. Leider entwickeln sich gerade verminderte Aufmerksamkeit, Interessenschwund, Mangel an Schwung, Energie und Ausdauer sowie willentlicher Entschlusskraft, die Unfähigkeit, Freude zu empfinden, Sprachverarmung, Gemütsverflachung und Kontaktstörungen in der Regel schleichend und damit lange Zeit unerkannt. Vor allem werden sie endlos lange durch andere Belastungen erklärt, obgleich man hätte schon vorher ahnen können, dass dies alles vorgeschobene Gründe sind, nur weil man dem "schrecklichen Verdacht einer Psychose nicht ins Auge schauen will" (Zitat).

Deshalb kann es nie falsch sein, beim leisesten Verdacht seinen Hausarzt zu konsultieren, der seinerseits - wenn er gut beraten ist - einen Psychiater oder Nervenarzt heranzieht. Ob der nun gleich eine konkrete Diagnose stellt, hängt vom Einzelfall ab. Auf jeden Fall aber ist der Patient erst einmal in fachkundigen Händen, was auch bei einer mittelfristigen Beobachtungszeit kein Fehler sein muss.

Problematisch ist vor allem die ängstliche Vermeidung von Haus- und Facharzt, nachvollziehbar zwar, aber ggf. verhängnisvoll. Es müssen auch nicht immer gleich handfeste Beeinträchtigungen sein, die zum Arzt führen. Gerade im seelischen Bereich sind es oft diffuse, vage, wandernde, auf jeden Fall schwer zu schildernde Beeinträchtigungen, die die Betroffenen und ihre Angehörigen verunsichern. Die Diagnose ist die Aufgabe des Arztes, nicht des Kranken. Und ein guter Arzt wird seinen Patienten auch nicht lächerlich machen - versteckt oder offen -, sondern gemeinsam mit den Angehörigen nach einer Lösung suchen. Aber das ist nur möglich, wenn er auch gefragt wird. Und die meisten dieser Patienten fragen eben nicht - und das Schicksal nimmt seinen Lauf, unnötigerweise.

Denn bei den Psychosen, also "Geisteskrankheiten" durch Schizophrenie oder andere, das Gehirn beeinträchtigenden Leiden, gibt es seit etwa vier Jahrzehnten wirkungsvolle Arzneimittel, die schon erwähnten antipsychotischen Neuroleptika. Sie haben gewiss ihre Grenzen und vor allem ihre Nebenwirkungen, besonders wenn die Dosis für den Patienten zu hoch angesetzt ist (hier sind nämlich von Patient zu Patient große Empfindlichkeitsunterschiede zu berücksichtigen, die man erst nach und nach herausbekommt). Auf jeden Fall sollte man sich nicht mit alten Schlagwörtern von "Pillenkeule" und "chemischer Zwangsjacke" zufrieden geben, was auch früher nicht stimmte (zum Beispiel konnten die psychiatrischen Kliniken nach Einführung dieser Neuroleptika mehr als die Hälfte ihrer schizophrenen Patienten nach Hause, in ambulante Betreuung entlassen).

Außerdem gibt es eine neue Generation von Neuroleptika, die weniger Nebenwirkungen haben und vor allem die bisher schwer behandelbaren Negativ-Symptome besser in den Griff bekommen. Doch auch hier gilt: Je früher genutzt, desto eindrucksvoller der Erfolg.

Natürlich gibt es auch nicht-medikamentöse Therapieverfahren, die gerne als Ersatz für Neuroleptika ins Gespräch gebracht werden. Sie sind tatsächlich nützlich und im Einzelfall sogar unerlässlich, doch die Behandlungsbasis sind in der Regel Neuroleptika. Die besten Therapieergebnisse erhält man deshalb durch einen sogenannten Gesamt-Behandlungsplan, der alle Möglichkeiten nutzt. Und wenn man Geduld, Ausdauer, eine hilfreiche Umgebung, sowie belastbare Angehörige hat. Vor allem wenn man seine Arzneimittel zuverlässig einnimmt. Doch gerade das scheint die größte Rückfallgefahr zu sein.

Dass ein schizophren Erkrankter immer mal wieder "auf dünnem Eis steht", d.h. rückfallgefährdet ist, dass ist kein Grund zur Sorge. Das gilt für alle Leiden, ob seelisch, körperlich oder beides. Nur hat eben die psychische Störung Schizophrenie auch eine psychosoziale Komponente, d.h. zwischenmenschliche, berufliche und gesellschaftliche Folgen, die über die jeweilige Krankheitsepisode hinaus Probleme aufwerfen können. Es ist eben nicht dasselbe, ob man ein Herzleiden, eine Zuckerkrankheit, Verschleißerscheinungen von Wirbelsäule und Gelenken oder eine seelische Störung, insbesondere eine schizophrene Psychose hat.

Deshalb ist es gerade bei dieser Art von Krankheit so wichtig, in regelmäßiger fachärztlicher Betreuung zu bleiben und vor allem die dafür zuständigen Medikamente, nämlich die Neuroleptika zuverlässig einzunehmen.

Wer sich dazu entschlossen hat, der hat inzwischen selbst bei den gefürchteten Negativ-Symptomen so günstige Heilungsaussichten wie niemals zuvor (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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