Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Körperliche Aktivität zur seelischen StabilisierungBefindlichkeits-Störungen - Alzheimer-Demenz - depressive Zustände - Panikstörungen - Agoraphobie - schizophrene Psychosen - Suchterkrankungen - u.a.
Der Mensch ist eine „sparsame Maschine“; er braucht relativ wenig Nahrung (auf jeden Fall weniger, als wir ihm täglich zuführen), ein gleichbleibendes (und leider ebenfalls oft und vor allem im Alter unterschätztes) Maß an Flüssigkeit - und relativ viel Bewegung. Letzteres bekommt er am wenigsten, das Bewegungsdefizit in unserer Zeit und Gesellschaft ist erschreckend, die Konsequenzen entsprechend bedrohlich. Dabei sagte schon Hippokrates, der bekannteste antike Arzt vor mehr als 2000 Jahren: „Alle Teile des Körpers, die eine Funktion haben, werden gesund und gut entwickelt und altern langsamer, wenn sie in Maßen gebraucht und durch gewohnte Arbeit geübt werden. Wenn sie hingegen nicht gebraucht werden und träge sind, werden sie anfällig für Krankheiten, bleiben minderwüchsig und altern vorzeitig“. Daran hat sich bis heute nichts geändert - außer dass die Bewegungsarmut des größten Teils der Bevölkerung durch die nicht mehr notwendige körperliche Alltags-Arbeit immer ernstere körperliche, ja seelische und nicht zuletzt psychosoziale Folgen nach sich zieht. Schon vor Jahren stellten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltverband für Sportmedizin (FIMS) fest, dass körperliche Inaktivität einer jener Risikofaktoren sei, der am häufigsten einen vorzeitigen Tod begünstige (1994). Die Todesfälle in Verbindung mit Bewegungsmangel seien etwa in der gleichen Größenordnung zu sehen wie jene, die durch Zigarettenrauchen verursacht werden. Tägliche Bewegung sollte deshalb ein zentraler Faktor eines gesunden Lebensstils sein. Kinder und Jugendliche sollten täglich an Spiel oder organisierten Sportprogrammen teilnehmen können, um daraus eine lebenslange Gewohnheit zu entwickeln. Alle Erwachsenen sollten wenigstens 30 Minuten täglich eine mäßige körperliche Belastung (z. B. schnelles Gehen, Wandern, Treppensteigen) auf sich nehmen. Aus anstrengenderen Aktivitäten (z. B. langsamer Dauerlauf, Radfahren, Schwimmen) könnten zusätzliche gesundheitliche Vorteile resultieren (zit. nach Reimers und Broocks, 2003). Tatsächlich gilt der vorbeugende und therapeutische Effekt körperlicher Aktivität in Form von Sport und sonstigen Bewegungsübungen nicht nur für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegsleiden, degenerative Verschleißerscheinungen des Haltungs- und Bewegungsapparates, sondern auch für psychosomatisch interpretierbare Befindensschwankungen oder andere seelische Störungen, insbesondere im Gemütsbereich (also Depressionen, Angststörungen u.a.). So fühlt sich schon der gesunde Sporttreibende in der Regel nach seiner Aktivität wohler, ruhiger, zugleich aber auch dynamischer. Die Stimmung ist gehoben, Erregungszustände lassen nach, Ärger, Kummer und Frustrationen gehen zurück. Doch dies betrifft nicht nur den Gesunden. Auch die meisten psychischen Störungen oder Krankheiten sprechen positiv auf körperlich aktivierende Maßnahmen an. Dies wird in psychiatrischen Kliniken schon seit langem systematisch genutzt: Morgengymnastik, Bewegungstherapie, Schwimmen, Wandern, Radfahren, Trimmen, Bewegungsspiele, Reittherapie, Musik-Rhythmik, Tanz usw. (Einzelheiten zu den entsprechenden Heilanzeigen siehe später). Zwar kommen die einzelnen Studien - je nach Ausgangslage - zu mitunter unterschiedlichen Ergebnissen. Doch scheinen sich folgende Erkenntnis zu bestätigen:
Nachteile körperlicher Aktivitäten im seelischen Bereich Allerdings wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass bei einem zu exzessiv betriebenen Ausdauertraining ein gewisses Abhängigkeitsrisiko droht. Dies einerseits biologisch (Endorphine?), andererseits psychologisch (seinen realen Problemen davonlaufen?). Gerade Laufen (und hier insbesondere Jogging) könne auch zum Ersatz für fehlende Lebensinhalte werden. Sport in überzogenem Maße führe zudem zu einer übertriebenen Fixierung auf Fitness und den eigenen Körper. Wieweit dies zutrifft, bleibt bisher offen (sicher große individuelle Ermessensspielräume). Es gibt aber in der Tat Kontraindikationen (Gegenanzeigen), was Sport bei seelischen Störungen anbelangt: Dies betrifft vor allem die Magersüchtigen mit ihrer typischen Hyperaktivität. Tatsächlich betreiben viele kachektische (extrem abgemagerte) Anorexie-Patienten (wobei besonders das weibliche Geschlecht betroffen ist) Sport in einem Ausmaße, wie er nicht mehr angebracht und auch gesund sein kann. Der einseitige Grund: weitere Kalorien verbrennen um noch magerer zu werden oder das (Unter-)Gewicht zumindest zu halten. Charakteristisch ist im Übrigen auch der durch den Hungerzustand ausgelöste Bewegungsdrang, ein weiterer bedenklicher Faktor. Offensichtlich macht das Laufen aufgrund gehirnbedingter hungerdämpfender und euphorisierender Effekte (inhaltsloses Glücksgefühl) den kachektischen Zustand erträglicher. So wirkt der Sport also in negativer Weise stabilisierend auf einen ohnehin durch eigenes Zutun bedenklichen Krankheitszustand. Denn Hyperaktivität und Mangelernährung scheinen sich gegenseitig zu verstärken und damit die Entwicklung einer Anorexia nervosa zu begünstigen. Es gibt aber auch Stimmen, die ein kontrolliertes und gezieltes Bewegungsprogramm selbst in der Behandlung von Ess-Störungen mit Untergewicht sinnvoll finden (verbesserte Körperwahrnehmung, Genießen der eigenen Körperlichkeit, Akzeptieren weiblicher Attribute). Ähnliche Diskussionen gibt es bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen, bei denen vereinzelt exzessives körperliches Training beobachtet wird, das fast an autoaggressive Handlungen erinnert (blutig gelaufene Füße). Auch hier kann aber eine sinnvolle körperliche Aktivität zur Reduktion der inneren Anspannung beitragen. Die wichtigsten psychiatrischen Heilanzeigen körperlicher Aktivität Zu den wichtigsten Indikationen (Heilanzeigen) körperlicher Aktivität im psychiatrischen Bereich gehören (nach Reimers und Broocks, 2003):
Zwar gibt es für die meisten dieser Krankheitsbilder bisher keine kontrollierten Studien, doch ist eine bewegungstherapeutische Intervention grundsätzlich günstig, wie man aus Untersuchungen über Panikattacken und Agoraphobie weiß. Dies bezieht sich vor allem auf die Abnahme innerer Anspannung und die Besserung der Grundstimmung. Hier könnte dann nicht nur das Ausdauer-, sondern auch ggf. sogar ein Kraft-Training Berücksichtigung finden. Schlussfolgerung Alles Wichtige ist schon gesagt. Es leuchtet auch jedem ein. Wer Gegen-Argumente vorbringt, den schaue man sich genau an. Er möge in seinen speziellen Einwänden Recht haben - aber um welchen Preis. Deshalb schließt dieser Beitrag auch mit einer treffenden Empfehlung aus der Fabel Reineke Fuchs von J. W. v. Goethe:
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |