Start Psychiatrie heute Seelisch Kranke Impressum

ÜBER DEN KRANKHAFTEN UND HEILSAMEN UMGANG MIT BÜCHERN

Download als PDF-Datei

Bibliophilie - Bibliomanie - Bibliokleptomanie - Biblioklasie - Bibliopho-bie - Bibliomantie - Bücherwahn - Bücherverbot - Bücherverbrennung - Heilkraft des Lesens - Bibliotherapie u. a.

Das Lesen gehört nach wie vor zum unverzichtbaren Lebenselixier für viele Menschen in unserer Zeit und Gesellschaft. Schließlich - so die Spötter - müsse man ja auch Sportnachrichten, Fernsehprogramme, Rechnungen und Gebrauchsanweisungen lesen lernen. Und auch die Flut von Zeitschriften und Magazinen für alles und jedes ist nur durch Lesen zu bewältigen.

Die Position des ältesten Mediums, des Buches, wurde allerdings vor einigen Jahrzehnten plötzlich fragwürdig, unsicher, zumindest instabil. In letzter Zeit (oder unbeachtet auch schon früher?) scheint sich allerdings eine Trendwende abzuzeichnen. Das Buch gewinnt wieder an Aktualität, jedenfalls wenn man Produktions- und Verkaufs-Statistiken glauben will. Das ist erfreulich und wird zur seelischen, psychosozialen und sogar psychosomatisch gebahnten kör-perlichen Gesundheit vieler Menschen beitragen. Denn das Buch hat auch ei-ne heilende Wirkung.

Daneben gibt es aber auch einen grenzwertigen bis krankhaften Umgang mit Büchern. Dazu gehören Biblioklasie, Bibliokleptomanie, Bibliomanie, Bibliophobie u. a. Was versteckt sich hinter diesen Fachbegriffen, d. h. was spielt sich hier Krankhaftes ab?

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zu diesem Thema ein-schließlich kleiner Übersichten zu historischen Aspekten, zu Bücherverbot oder gar -verbrennung, aber auch zur Heilkraft des Lesens bis zur Bibliotherapie.



Bücher, Bücher, Bücher! Man sollte es nicht für möglich halten: Noch nie wur-den so viele Bücher geschrieben, gedruckt und angeboten, und dies in einer Zeit, in der die größten "Feinde" des informativen, besinnlichen oder gar ge-nüsslichen Lesens, nämlich PC, Internet und Fernsehen ebenfalls ihren Konsum-Höhepunkt erreicht haben.

Da erscheint es sinnvoll, einige Anmerkungen zur "Psychopathologie des Le-sens" zu machen, oder konkret: Was gibt es an grenzwertigem oder gar krankhaftem Verhalten Büchern gegenüber. Nun gibt es nicht nur den bekann-ten informativen, sondern auch heilsamen, ja therapeutischen Aspekt des Lesens?

Das Lesen ist nach wie vor "in"

Es ist richtig: Die Experten, insbesondere die Kinder- und Jugendpsychiater, die Psychologen, Heilpädagogen, die Lehrer u. a. warnen nicht umsonst vor PC und TV. Oder um es auf einen vielleicht zugespitzten, aber nicht überseh-baren Punkt zu bringen: "... macht dick, dumm, depressiv und gewalttätig". Das betrifft offenbar eine wachsende Zahl von Kindern und Jugendlichen, zieht sich dann ins Erwachsenenalter hinein und prägt unsere Zeit und Gesell-schaft - nachhaltig, und zwar negativ bis verhängnisvoll.

Medienkonsum macht dick, dumm, krank und depressiv

Erwachsene schauen pro Tag mehr als 3 Stunden fern - Ältere und Arbeitslose noch mehr. Doch auch Jugendliche, ja Kinder stehen ihnen offenbar nicht mehr nach. Inzwischen verbringen wir 10-mal mehr Zeit vor dem Bildschirm als mit körperlicher Bewegung an frischer Luft. Das kann nicht ohne Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit bleiben, was bei Erwachsenen in ihre eigene Verantwortung fällt. Es kann aber auch nicht ohne Einfluss auf die körperliche und geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bleiben - und das ist ein ernstes pädagogisches Defizit, an dem sich die Erzieher an den zu Erziehenden schuldig machen. Wir kennen zwar die Argumente, die zur Entlastung beitragen sollen, aber das zählt nicht. Was zählt, ist die pädagogische Aufgabe und das Endergebnis - und beides liegt im Argen.

Tatsächlich weiß man inzwischen aus entsprechenden Untersuchungen mit Tausenden von Kindern, vor allem aus den in dieser negativen Hinsicht führenden USA, dass ein Übermaß an Medien-Konsum nicht nur dick, dumm und krank, sondern auch depressiv macht. Oder konkret: Je mehr Zeit vor dem Fernseher oder der Playstation verbracht wird, desto schlechter sind die Noten. Noten aber, so wird man sagen, sind nur ein Teil der "Lebens-Ausbildung". Was zählt, ist das, was am Schluss herauskommt, und das hat nur selten etwas mit den früheren Schulnoten zu tun.

Richtig, darüber kann man diskutieren. Doch das Ergebnis im vorliegenden Falle bleibt gleich bzw. gleich katastrophal: Je mehr die im Verlaufe ihres ers-ten Lebensdrittels untersuchten Kinder und späteren Erwachsenen ferngese-hen haben, umso niedriger fällt später ihr Bildungsniveau aus. Besonderes deutlich wird es bei Kindern mit mittlerem Intelligenzniveau. Dabei scheinen sich folgende Erkenntnisse abzuzeichnen:

- Der gering Begabte hat so oder so oftmals keinen Abschluss, d. h. mit oder ohne Fernsehkonsum im Übermaß.

- Der Hochbegabte bringt es in der Regel weiter, d. h. Fachhochschule, Uni-versität, gute Ausbildungs-Voraussetzungen und ordentlicher Abschluss mit entsprechenden Chancen für die Zukunft. Auch hier offensichtlich mit oder oh-ne viel Fernsehkonsum.

- Die "breite Masse in der Mitte" hingegen scheint die größten Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Hier hängt es offenbar wesentlich davon ab, wie viel ferngesehen wird - und was am Schluss dabei herauskommt, nach oben mit weniger, nach unten mit zuviel Fernsehkonsum.

Die Ursachen sind bekannt und lassen sich vor allem neurophysiologisch be-legen: Im Gehirn prägt sich besonders gut ein, was über die verschiedenen Sinne hereingelangt, d. h. Hören und Sehen, aber auch Riechen, Schmecken und Fühlen. Je mehr ein kleines Kind solche Erfahrungen machen kann und darf, desto mehr und deutlichere Spuren bilden sich im Gehirn aus.

Die Welt des Fernsehens ist aber arm, verglichen mit der realen Welt draußen. Es fehlen die entscheidenden Nerven-Bahnungen. Und damit die Grundlage der geistigen Entwicklung, einer gezielten Ausbildung, eines gelungenen Ab-schlusses und einer erfolgreichen Laufbahn.

Andererseits gibt es wieder Phänomene, und als solche muss man sie wahr-haftig bezeichnen, die aufhorchen lassen, verwundern, Hoffnung suggerieren. Die Rede ist vom "Harry Potter-Phänomen", also gleichsam einer überraschen-den Lesefreude, die manchmal bis zur Lese-Gier (und Ungeduld bis zum nächsten Band) ausufern kann (man kann die Autorin beneiden, aber auch bemitleiden, auf ihren Schultern lastet eine große Verantwortung...)

.

Für so manchen Großen des Geistes waren in der Tat Bücher "seine einzigen Gefährten in Kindheit und Jugend". Das muss nicht unbedingt das Optimum der Sozialisation sein (moderner Fachbegriff für das verordnete Hineinwachsen und sich damit Einordnen in die gesellschaftliche Struktur der jeweiligen Zeit). Als maßgeblicher Teil dieser Entwicklung aber ist es durchaus von Vorteil. Dazu eine Reihe von Aphorismen im Kasten, die - wie alle Sinnsprüche - "in Tinte geronnene Lebensweisheiten" darstellen.

Das Buch im Spiegel der Sprichwörter*

Alle guten Worte dieser Welt stehen in Büchern (chinesisches Sprichwort).

Arbeit als Betäubungsmittel gegen Einsamkeit, Bücher als Ersatz für Men-schen (Dag Hammarskjöld).

Auch das schlechteste Buch hat seine gute Seite: die letzte (John Osborne).

Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor (Voltaire).

Bücher denken für mich (Charles Lamb).

Bücher sind beleidigt, wenn man sie verleiht. Deshalb kehren verliehene Bü-cher nicht mehr zurück (Oskar Kokoschka).

Bücher und Freunde soll man wenige und gute haben (Sprichwort aus Spanien).

Das ist ein Vorteil des Schriftstellers: Wenn man etwas loswerden will, schreibt man ein Buch (Peter Bamm).

Denn was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tra-gen (Johann Wolfgang von Goethe).

Der Umgang mit Büchern führt zum Wahnsinn (Erasmus von Rotterdam).

Die Buchdruckerkunst ist die Artillerie des Denkens (Antoine Comte de Rivarol).

Ein Buch ist immer ein verhindertes Gespräch (Hans Urs von Balthasar).

Ein klassisches Werk ist ein Buch, das die Leute loben, aber nie lesen (Ernest Hemingway).

Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken und einige wenige kauen und verdauen (Francis Bacon).

Es werden viele Bücher geschrieben, aber sehr wenige mit der aufrichtigen Absicht, Gutes damit zu stiften (Jean-Jacques Rousseau).

Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht damit man etwas lerne, sondern damit man wisse, dass der Verfasser etwas gewusst hat (Johann Wolfgang von Goethe).

Hast Du drei Tage kein Buch gelesen, werden Deine Worte seicht (chinesi-sches Sprichwort).

Jedes meiner Bücher war das Fruchtbarmachen einer Unsicherheit (André Gide).

Man druckt viele neue Bücher; man würde gut tun, wenn man einige alte Bü-cher von neuem druckte (Hippolyte Taine).

Man verlangt ohne Unterlass nach neuen Büchern, dabei liegen in denen, die wir schon haben, unermessliche Schätze der Wissenschaft und Heiterkeit, die uns unbekannt sind, weil wir versäumt haben, ihnen nachzugehen. Es ist der Nachteil der neuen Bücher, dass sie uns hindern, die alten zu lesen (Joseph Joubert).

Mit Büchern habe ich das meiste Gespräch (Seneca).

Nicht jedes Buch ist seinem Klappentext gewachsen (Peter Schifferli).

Weder Christus, noch Buddha, noch Sokrates haben ein Buch beschrieben, denn das hieße, das Leben gegen einen logischen Prozess vertauschen (Wil-liam Butler Yeats).

Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das al-lemal im Buch? (Georg Christoph Lichtenberg).

Die Bibliotheken füllen sich an mit Büchern, die Geister aber werden immer ärmer an Bildung (Geronimo Cardano).

Die eigentliche Universität unserer Tage ist eine Büchersammlung (Thomas Carlyle).

Eine ausgewählte Büchersammlung ist und bleibt der Brautschatz des Geistes und des Gemütes (Karl Julius Weber).

Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (arabische Weisheit).

Bücher sind stumme Lehrmeister (Aulus Gellius).

Die nützlichsten Bücher sind diejenigen, welchen den Leser zu ihrer Ergänzung auffordern (Voltaire).

Die besten Bücher sind die, von denen jeder Leser meint, sie selbst geschrie-ben zu haben (Blaise Pascal).

Es kommt darauf an, einem Buch im richtigen Augenblick zu begegnen (Hans Derendinger).

Bücher zu verbieten ist dasselbe wie Bücher verbrennen (Vaclav Havel).

Bücher sind Beichten (Ruppert Schitzbach).

Manche Bücher haben den Informationswert eines ungedeckten Schecks (Helmar Nahr).

Bücher wechseln mit dem Älterwerden ihren Inhalt (Fritz Vahle).

Ein Buch ist ein aufgeschobener Selbstmord (E. M. Cioran).

In einem guten Buch stehen mehr Wahrheiten, als sein Verfasser hineinzu-schreiben meinte (Marie von Ebner-Eschenbach).

Bücher haben dieselben Feinde wie der Mensch: das Feuer, die Feuchtigkeit, Tiere, die Zeit und - den eigenen Inhalt (Paul Valéry).

An der Privatbibliothek lässt sich ablesen, wann ihr Besitzer aufgehört hat, sein Geltungsbedürfnis mit Neuerscheinungen und Bestsellern abzusichern (Oliver Hassencamp).

Es wäre gut, Bücher zu kaufen, wenn man die Zeit, sie zu lesen, mitkaufen könnte (Arthur Schopenhauer).

Gute Bücher sind Zeitgewinn, schlechte Bücher Zeitverderber, gehaltlose Bü-cher sind Zeitverlust (Rosette Niederer).

Ein Buch ist wie ein Blumenbeet, das keinen Herbst kennt (Anonym).

* Auswahl mit Schwerpunkt auf psychopathologischen und therapeutischen Aspekten

Auf jeden Fall haben die meisten Menschen, die später auf das Lesen oder auf das lesende Studium zeitlebens angewiesen sind, ein besonderes Verhältnis zu Büchern, trotz Internet, E-Mail, SMS, kurz: elektronischer Daten- und Wissensvermittlung. Man frage einmal nach der Wahl bevorzugter Kinderbücher und wird erstaunliche Schwerpunkte finden (die sich nicht nur um Karl May drehen).

Und wenn man sagt, dass die Entwicklung der Persönlichkeit, also jener indi-viduellen Mischung aus Charakter, Temperament, Intellekt und körperlicher Ausstattung, gleichsam die Summe aller seelischen und psychosozialen Ei-genschaften und Verhaltensbereitschaften, die die unverwechselbare Individu-alität verleihen, wenn also diese Entwicklung der Persönlichkeit nicht zuletzt vom Umfeld abhängt, in dem man sich seit frühester Kindheit bewegt, dann spielt auch hier das Buch eine große Rolle - noch immer.

Die Wahl der Kinderbücher ist es, die die heranwachsende Generation mit ihrem Charakter, ihrer Phantasie und Bildung, in ihren Meinungen, Interessen und ihrem Geschmack prägt, fassen die Experten diese Entwicklung treffend zusammen (siehe Literaturverzeichnis). Manchmal sei es auch wichtig, wer diese Bücher geschenkt und wer sie besonders eindrucksvoll vorgetragen hat. Hier liegen übrigens noch immer die realen Chancen von Großmutter und pensioniertem Großvater, sofern sie sie zu nutzen verstehen, nicht nur im ei-genen, sondern auch im Interesse ihrer Enkel. (Und der unbestreitbare Vorteil von Vorlesungs-Angeboten, wie sie immer häufiger von manchen Institutionen, z. B. Rotary u. a. angeboten werden, vor allem in Schulen, die besonders Kin-der aus der Grundschicht aufweisen, deren Eltern weder Zeit, noch Lust und oftmals auch nicht die Fähigkeiten haben, das geistig anregende Vorlesen zu nutzen.)

Interessanterweise sind es nicht nur bibliophile Erwachsene (siehe später), die oft großen Wert darauf legen, dass ihre Kinder- und vor allem Bilderbücher aus früher Zeit mit besonderer Sorgfalt restauriert werden (um sie nicht einmal den Enkeln zu vererben, sondern als eigene, gleichsam spirituelle Schätze verfügbar zu halten, wenn auch oft verschämt und damit versteckt).

Bezeichnenderweise fragen Kinder- und Psychiater sowie Psychologen, Heilpädagogen u. a. in ihrer Anamnese (Erhebung der Vorgeschichte mit seelischem Befund) gerne nach bevorzugter (und abgelehnter) Lektüre (es gibt sogar entsprechende Tests, z. B. den früher nicht selten verwendeten "Bücher-Katalog-Test" nach Teirich und Tramer zur charakterologischen Beurteilung).

Und auch später hat jeder seine Lieblingsbücher, die allerdings dann rascher wechseln, je nach Angebot, Zeitbedarf, Laune und vor allem Verlags-Kunden-Lenkung mit Hilfe der Medien. Das hat Vor- und Nachteile, die hier nicht weiter erörtert werden sollen: z. B. im positiven Sinne ein "wenigstens leidlicher Durchblick im Dschungel der Bücherflut" und im negativen die "intellektuelle Bedarfs-Lenkung durch Literatur-Päpste beiderlei Geschlechts". Die Vorteile scheinen uns aber zu überwiegen, zumal die demonstrierten Eitelkeiten in der verschiedenen Medien-Beiträgen mehr amüsieren, als verwirren oder gar behindern.

Im höheren, im "dritten Lebensalter" gewinnt das Buch wieder seinen eigenen Stellenwert, erneut im Guten wie im Schlechten. Der Vorteil ist der nun inzwi-schen ausgeprägte individuelle Geschmack, der sich selbst durch ausgeklü-gelte Public-Relations-Maßnahmen nicht mehr groß verunsichern, verzetteln und verleiten lässt. Der Nachteil sind die nachlassenden Kräfte, insbesondere die Seh-Kraft, aber auch die schwindenden geistig-körperlichen Reserven. Und sogar eine gewisse Affekt-Labilität (sensibel bis rührselig), manchmal auch eine etwas verhärtete Kritik-Neigung, angeschoben durch die altersbe-dingte Beschönigung der "guten alten Zeit". Im Übrigen ist auch hier die Tech-nik nicht nur von Nachteil, wie beispielsweise die akustische Buchform als Hörbuch und die elektronische als E-Book beweisen. Alles eine Frage der Auswahl und Dosis.

Nachfolgend nun aber eine kurze Übersicht zum Thema "grenzwertiger, krank-hafter und heilsamer Umgang mit Büchern". Im Kasten nebenbei eine kleine Geschichte des Buches.

ZUR GESCHICHTE DES BUCHES

Begriff: Das Wort Buch hat mancherlei Wurzeln und bedeutet ursprünglich wohl Runen-Zeichen oder Buchstabe, dann vermutlich Schriftstück und schließ-lich alle Arten gehefteter oder gebundener Papierlagen.

Definition: Ein Buch ist eine in einem Umschlag oder Einband durch Bindung zusammengefasste, meist größere Anzahl von bedruckten, beschriebenen oder leeren Blättern (laut UNESCO-Definition mindestens 49) von nicht periodischer Erscheinungsweise. Seiner Funktion nach ist das Buch die grafische Materialisierung geistig-immaterieller Inhalte zum Zweck ihrer Erhaltung, Überlieferung und Verbreitung in der Gesellschaft (zitiert nach Zeit-Lexikon, siehe Literaturverzeichnis).

Historische Aspekte: Vorformen des heutigen Buches waren die getrockneten oder gebrannten Tontafeln der Babylonier und Assyrer (etwa 3.000 v. Chr.); ferner die zusammengeschnürten Palmblätter der Inder, die mit Bändern zusammengehaltenen Bambus- oder Holzstreifen der Chinesen (ab 1.300 v. Chr.), schließlich die heute am ehesten bekannten Papyrusrollen der Ägypter und Griechen sowie die zweiteiligen Wachsschreibtafeln der römischen Antike und des Mittelalters.

Die größte Bedeutung hatten früher Papyrus und Pergament.

- Aus dem Mark der dreikantigen Stängel der in den Nilsümpfen Ägyptens wachsenden Papyruspflanze wurden dünne Streifen geschnitten und neben- und übereinander gepresst und damit geklebt, was ein einseitig, aber gut beschreibbares Blatt ergab. Mehrere Blätter wurden dann zu den bekannten Papyrusrollen, die in Ägypten sogar fabrikmäßig hergestellt und damit weit verbreitet werden konnten.

- Pergament dagegen (nach der Stadt Pergamon in Kleinasien) ist ein zä-her, schmiegsamer Stoff aus Kalbs-, Schafs- oder Ziegenhäuten, geweicht, in Kalkwasser gelagert, gesäubert, in einen Rahmen gespannt und damit ge-dehnt und so lange bearbeitet, bis es beschreibbar wurde. Bis zum Mittelalter die wichtigste Schreibunterlagen (und auch heute noch gelegentlich als Ein-band wertvoller Bücher genutzt). Dann aber kam das

- Papier: Die Papiermacherkunst wurde von den Chinesen im 1. Jahrhundert v. Chr. erfunden. Papier breitete sich in den folgenden Jahrhunderten in ganz Ostasien und Kleinasien aus, war bereits im 11. und 12. Jahrhundert in Spa-nien und Italien bekannt und wurde Ende des 14. Jahrhunderts in Deutschland bereits fabrikmäßig (Papiermühle) hergestellt. Der Rohstoff ist heute vor allem Holz (und damit wirtschaftlich aus verschiedenen Gründen interessant).

Schon mit der Verwendung des Pergaments setzte sich die heute noch gängi-ge flache, viereckige Buchform durch, damals aus gefalteten Pergamentblät-tern. Da Pergament sehr kostbar, gleichzeitig aber auch sehr haltbar war, wur-de es häufig mehrfach beschrieben. Dabei musste man die erste Schrift mit Schwamm oder Messer entfernen, was heute dazu führt, dass man auf einem Pergament u. U. mehrere Texte fotomechanisch rekonstruieren kann. Solche mehrfach beschriebenen Pergament-Handschriften nennt man Palimpsest*.

Buchherstellung: Begonnen hat es also mit den Handschriften der Mönche in den Kloster-Schreibstuben, ausgeschmückt mit Buchmalereien und kostbaren Einbanddecken. Dann kamen das Papier und die Erfindung des Buchdrucks (1450). Während die ersten bedruckten Bücher noch die Handschriften nach-zuahmen suchten, entwickelte sich in den kommenden Jahrzehnten eine ei-gene Buchherstellung, die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts unverändert blieb. Setzmaschinen ermöglichten jetzt eine Massen-Produktion, die erst im 20. Jahrhundert durch Offsetdruck, Foto- und Lichtsatz abgelöst wurde, inzwi-schen ergänzt durch das elektronische E-Book und die akustische Form des Hörbuchs.

* Palimpsest, ein Fachbegriff, der auch - originellerweise und deshalb in diesem Rahmen kurz skiz-ziert -, in die Psychiatrie Eingang fand. Früher im übertragenen Sinne für die sich langsam verwi-schenden Inschriften auf Gefängniswänden u. a., was Einblick in die Persönlichkeitsstruktur oder Not-situation des Gefangenen geben konnte ("Kerker-Palimpseste"). Später auch für das Verblassen älte-rer Erinnerungen und die Häufung amnestischer (erinnerungsloser) Zustände unter Alkoholeinwirkung bei beginnendem hirnorganischem Krankheitsprozess. Ein wohllautender Begriff, der "gut im Munde liegt", hat also im Laufe der Geschichte reale Chancen, mehrfach genutzt zu werden.

Grenzwertiger bis krankhafter Umgang mit Büchern

Zu dem grenzwertigen bis krankhaften Umgang mit Büchern gehören die Bib-liophilie, die Bibliomanie, die Bibliokleptomanie, die Biblioklasie und - eher passiv - die Bibliophobie. Im Einzelnen:

  • Die Bibliophilie (vom Griechischen: biblion = Buch bzw. konkret Bibel und philos = liebend, Freund) ist eine Form der Sammelsucht, konkret das überzo-gene, ja unmäßige Sammeln von Büchern. Hier werden nicht nur viel Zeit und auch Geld investiert, diese "Büchernarrheit", wie es früher hieß, kann auch das ganze Leben prägen - und zwar nicht nur positiv, wie das suchtartige Sam-meln nahe legt.

Im Allgemeinen aber kann man davon ausgehen, dass Bibliophile die gesam-melten Bücher zumindest überfliegen, wenn nicht gar lesen. Sie wissen, was sie hier - wenn auch nach allgemeiner Einschätzung übertrieben - anhäufen.

Bibliophile sind übrigens nicht nur vom Inhalt allein fasziniert, häufig sind es auch das Erscheinungsjahr, der Einband, das Papier, die Drucktechnik, die Illustrationen, kurz der Zustand einer Ausgabe. Manchmal auch eine persönli-che Widmung oder ein bedeutender Namenszug.

C. Donalies zitierte einen "Bücherjäger", der meinte, dafür müsse man "die Spürnase des Jagdhundes, die Entschlossenheit des Fanatikers, die Schlau-heit des Fuchses, die Brutalität des gereizten Löwen, die beständige Geduld der Ameise und den Charme der Kleopatra" besitzen - und nicht zuletzt das Konto eines Fußballstars, wie er selber hinzufügte.

  • Die Bibliomanie ist hier schon einen psychopathologischen Schritt weiter, wie der griechische Begriff mania = Raserei, Wut, Wahnsinn, aber auch Be-geisterung, Außer-sich-Sein, also Ekstase und Entrückung nahe legt. Hier handelt es sich also um eine krankhafte Form des Büchersammelns, um eine Büchersammel-Wut, wenn nicht gar um einen "Bücher-Wahn".

Im Gegensatz zur Bibliophilie werden dabei außer Büchern auch Zeitungen, Zeitschriften, Magazine, Illustrierten und Broschüren ohne Markt- oder Selten-heitswert gesammelt. So etwas wird dann auch nicht gelesen, katalogisiert oder in einer Bibliothek eingeordnet, wie es bei Bibliophilien erwartet werden kann, sondern auf Tischen, Stühlen, auf dem Fußboden, im Keller, auf dem Dachboden, kurz: überall angehäuft.

Hier spricht man dann auch nicht nur von einem Sammeltrieb, sondern von einer Sammelsucht, die am Schluss in einem Vermüllungs-Syndrom enden kann. Einzelheiten dazu siehe das spezielle Kapitel über das Vermüllungs-Syndrom.

In der medizinischen Fachliteratur wird bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf die Bibliomanie hingewiesen, besonders im französischen Schrifttum (aus dem auch der Begriff stammt). Selten muss es nicht gewesen sein, denn die Bibliomanie fand Eingang in Allgemein- und Fachwörterbücher sowie Enzyklo-pädien. Die häufigsten Charakterisierungen lauten "Maßlosigkeit, Nichtsnutzig-keit und krankhafte Neigung zum Büchersammeln". Es gab aber auch leiden-schaftliche Verteidigungen, besonders im angelsächsischen Raum ("Dibdin's Syndrome"). Psychiatrisch war es wohl als Erstes der französische Nervenarzt Professor Dr. Philippe Pinel, der die Bibliomanie zu den Monomanien zählte, also das Besessensein von einer einzigen überwertigen Idee oder einem ent-sprechendem Verlangen. Dabei ging er vor allem auf psychologische Aspekte ein (während man noch 1900 vereinzelt auch den biologischen Infektionsweg per "bacillus librorum" diskutierte - ernsthaft...).

Die Bibliomanie in der Literatur - eine Auswahl

Seneca: Über die Gemütsruhe...
Francesco Petrarca: Heilmittel gegen Glück und Unglück, 1366
Sebastian Brant: Narrenschiff, 1494
Charles Nodier: Der Bibliomane, 1831
Gustave Flaubert: Bücherwahn, 1836
Julius Eduard Hitzig, Georg Wilhelm Heinrich Häring: Der Neue Pitaval, 1842
Charles Asseline: Die Hölle des Bibliomanen, 1866
Adolf Streckfuß: Der tolle Hans, 1871
Anatole France : Die Schuld des Professors Bonnard, 1881
Helene Homeyer: Bericht über das Leben des Pfarrers und Magisters Tinius, Mörders aus Büchersammelwut, 1932
Mircea Eliades : Das verlöschende Licht, 1934
Elias Canetti: Die Blendung, 1936
Paul Gurk: Magister Tinius. Ein Drama des Gewissens, 1946
Arno Schmidt: Das steinerne Herz, 1956
Hermann Burger: Der Büchernarr, 1970
Elias Canetti: Der Papiersäufer, 1974
Umberto Eco: Der Name der Rose, 1980
Arturo Pérez-Reverte: Der Club Dumas, 1993
Klaas Huizing: Der Buchtrinker, 1994

nach Stefanie Stockhorst, 2005

Heute rechnet man die Bibliomanie zu den Suchterkrankungen, wobei zwar kein "Bazillus" wohl aber neben psychosozialen Hintergründen auch biologi-sche Ursachen diskutiert werden.

Dabei werden bei der "bibliomanische Suchterkrankung" folgende Symptome erörtert (nach Stefanie Stockhorst im Lexikon "Literatur und Medizin"):

1. Die kontinuierliche Dosissteigerung mit Ausfällen im Bereich des Wählens und Wertens beim Bucherwerb.

2. Der Verlust der rationalen Kontrolle über die benötigte und realistisch nutzbare Menge an Büchern.

3. Der Verzicht auf Nahrungsaufnahme und Schlaf aufgrund der einseitigen Bücherfixierung (so dass bibliomanische Figuren in der Literatur entsprechend als blass, rastlos und abgemagert beschrieben werden - s. u.).

4. Die Fortsetzung des Suchtverhaltens trotz negativer Folgen gesundheitlicher, sozialer und finanzieller Art.

5. Ggf. die Beschaffungskriminalität, um Bücher oder die dazu erforderlichen Geldmittel zu erlangen.

In manchen Formen von Bibliomanie werden auch bestimmte Sammlungskri-terien verfolgt, d. h. Bücher nach bestimmten Formaten, Materialien, Epochen, Gegenständen, Druckorten, Vorbesitzern. Typisch ist auch die Anschaffung mehrerer Exemplare desselben Buches.

SAMMELTRIEB - SAMMELSUCHT - VERMÜLLUNGS-SYNDROM

- Der Sammeltrieb ist die krankhafte Neigung, Gegenstände ohne Rücksicht auf ihre Brauchbarkeit einzusammeln und in den Taschen oder an besonderen Orten aufzuheben. So etwas findet man beispielsweise bei der Alzheimer'scher Demenz, der Pick'schen Krankheit (siehe diese), gelegentlich auch bei Depressionen im Rückbildungsalter (früher Involutionsdepressionen genannt). Die Betroffenen vergessen ihre Sammel-Objekte gewöhnlich nach dem Sammeln und vermissen sie auch nicht, wenn sie ihnen fortgenommen werden.

Eine spezifische Form des Sammeltriebs findet sich bei Kleptomanie und Feti-schismus (siehe die speziellen Kapitel). Hier werden ggf. sogar große Sammlungen oft gleichartiger Gegenstände angelegt, die aber für die Betreffenden vor allem einen emotionalen (gemütsmäßig verankerten), symbolischen und insbesondere erotischen Wert besitzen. Beispiele: Regenschirme, Taschentü-cher, Unterwäsche, Strümpfe, Schuhe, Stiefel u. a.

- Bei der Sammelsucht handelt es sich um eine passionierte (leidenschaft-lich betriebene) Neigung, bestimmte Gegenstände zu sammeln, die jedoch in einem ganz bestimmten ästhetischen, wissenschaftlichen oder auch in irgend-einer Form spezifischen (für Außenstehende ggf. absonderlichen) Zusammen-hang stehen. Die Sammelsucht kann allerdings so beherrschend werden, dass ihr alle anderen Interessen, ja Aufgaben und Pflichten untergeordnet, ja geop-fert werden (Partnerschaft, Familie, Beruf, Finanzen).

- Manche Sammelsüchtigen werden sogar juristisch auffällig. Dies betrifft vor allem die Bibliomanie mit Diebstahl in Bibliotheken oder Buchhandlungen. Sammelwütige allerdings häufen nicht nur an, sie vergessen auch das meiste oder geraten damit rasch in die Gefahr eines Vermüllungs-Syndroms. Psychodynamische Grundlage ist der Wunsch nach Besitz und systematischer Ordnung. Oder tiefenpsychologisch ausgedrückt: Orale und/oder anale Charak-terzüge, die sich darin äußern, nach Gewinn zu streben und den Besitz (sys-tematisiert) auch zu halten. Über die kuriose, wenn auch tragische Möglichkeit, seinem Leben durch ein "Bücher-Vermüllungs-Syndrom" ein Ende zu setzen, siehe der eigene Kasten.

Gerade was die Bibliomanie anbelangt, so gibt es dazu eine Reihe von Be-spielen die bis in das Mittelalter zurückgehen (z. B. Sebastian Brant: "Das Nar-renschiff", 1494). Oder - einige Jahrhunderte später - der Leipziger Pfarrer Tinius, der 1813 verhaftet wurde, da er mehrere Menschen nur wegen Büchern umgebracht hatte. In seinem Besitz sollen 60.000 Exemplare gewesen sein, nach anderen Angaben wenigstens 17.000, auf jeden Fall mehr als so manche öffentliche Bibliothek zur Verfügung hat (zitiert nach C. Donalies).

  • Bibliokleptomanie: Die Kleptomanie ist das triebhafte Stehlen von Gegenständen, die in der Regel weder ihres Geldwertes noch zum persönlichen Gebraucht erstrebt werden. Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel. Bei der Bibliokleptomanie kann es sich um ein einseitiges kleptomanisches Verhalten handeln, ein zwanghaftes und impulsives Stehlen, das nur Bücher im Visier hat.

In etwas "verdünnter" Form ist es aber leider auch bei so manchen, ansonsten ehrlichen Bibliophilen verbreitet, besonders wenn sie dem Drang nicht wider-stehen können, ihre Sammlung zu vervollständigen. Bei solchen Menschen stellt sich eine regelrechte Dauer-Verstimmung ein, wenn sich in einer Serie ihrer Sammel-Leidenschaft eine Lücke nicht schließen lässt. Dann "brechen mitunter alle Dämme" - und so mancher Betroffener realisiert auch nach der Konfrontation mit seiner Tat noch immer nicht, dass er zum Dieb geworden ist.

Die Mehrzahl der Verursacher einer gerade heute ständig wachsenden Schwund-Ziffer von Büchern in öffentlichen Bibliotheken und Buchhandlungen dürften aber ganz banale Diebe sein, denen es im allgemeinen moralischen Niedergang in unserer Zeit und Gesellschaft nicht einmal größere Skrupel ver-ursacht, wenn sie sich an öffentlichem (Bibliotheken) oder privatem (Buch-handlungen) Eigentum vergreifen.

Das läuft in etwa parallel mit den zunehmenden Verkehrs-Delikten mit Fahrer-flucht, die erstaunlicherweise nicht nur bestimmte Schichten, Altersstufen und ausschließlich Männer trifft, sondern alle Bereiche zunehmend gleich erfasst. Dabei ist vor allem eines besonders bemerkenswert (und langfristig verhäng-nisvoll): kaum oder keine langfristigen Schuldgefühle mehr.

Professor als Bücherdieb

Bonn (ddp) - Ein Professor für Literaturgeschichte muss sich seit gestern wegen Diebstahls wertvoller Bücher vor dem Bonner Amtsgericht antworten. Der Angeklagte soll mindestens acht historische Bücher aus dem Bestand der Bonner Universitätsbibliothek entwendet haben. Zunächst wurden die Bände regulär entliehen. Anstatt die Originale zurückzugeben, soll der 50-jährige Hochschullehrer aber wertlose alte Bücher von Flohmärkten abgegeben haben, auf die lediglich die Umschlagseiten der Originale fotokopiert wurden.

SZ 9/06 vom 12.01.06

  • Biblioklasie: Darunter versteht man das zwanghafte Zerstören von Bü-chern (vom Griechischen: klaein = brechen, zerbrechen, abbrechen). Dabei dürfte es sich in der Mehrzahl der Fälle um ein nun wirklich krankhaftes Ge-schehen handeln, am ehesten im Sinne einer Psychose (Geisteskrankheit) wie der schizophrenen Psychose.

Einzelheiten dazu siehe das ausführliche Kapitel über die Schizophrenie und ihres krankhaft bedingten aggressiven Potentials aus allerdings - das sei hier ausdrücklich betont - nicht freiem, gesundem, sondern krankhaft gesteuertem Antrieb heraus (der nebenbei nicht nur Bücher, sondern auch Statuen, Bilder u. a. betreffen kann). Auf jeden Fall hat die Biblioklasie als krankhaft-zwanghafte Zerstörung von Büchern nichts mit der politisch oder wirtschaftlich motivierten Zerstörung von Buchbeständen zu tun (z. B. Buchverbrennungen - siehe später).

"Bücherwahn"

Der "Bücherwahn" ist ein beliebtes Thema der schöngeistigen Literatur mit ei-nem wohl fließenden Übergang von der Bibliophilie (Bücherliebe) zur Biblio-manie (Bücherwahn). Oder wie es so treffend im "Wörterbuch des Buches" heißt: "Der Bibliophile ist der Herr, der Bibliomane der Knecht seiner Bücher".

C. Nodier (19. Jahrhundert, zeitweise Custos der Arsenal-Bibliothek in Paris) berichtete von einem damals bekannten Büchernarr, einem Notar und Bürger-meister. Dieser Bibliomane brachte es in 6 Häusern zu mehreren 100.000 Bü-chern, die 1828 in einer 115 Tage währenden Auktion einen Preissturz in den Antiquariaten verursachten.

Eindrucksvoll ist auch die Erzählung "Bücherwahn" von G. Flaubert, die dieser 1836 mit noch nicht einmal 15 Jahren schrieb: das "Ungeheuer von Barcelo-na". Es handelte sich um einen Antiquar mit Raritätensucht, Vollständigkeits-wahn und von Bücherhamstermanie befallen, der die Käufer von dem Erwerb seltener Stücke bei Auktionen und anderen Gelegenheiten abzuhalten suchte. Wenn dies nicht gelang, war deren Tod beschlossene Sache. Dieser kranke Buchhändler hatte nur einen einzigen Gedanken ..., eine einzige Liebe, eine einzige Leidenschaft: die Bücher! Und diese Liebe, diese Leidenschaft ver-brannten sein Innerstes, verdarben sein Leben, verschlangen sein Dasein ... Die fieberglühenden Nächte verbrachte er inmitten seiner Bücher. Zwischen den Reihen und Stapeln lief er einher, erklomm die Galerien seiner Bibliothek in grenzenloser Verzückung; da hielt er still, sein Haar hing wirr, im starren Auge blinkte ein Licht; zitternde Hände betasteten das Holz am Regal; sie wa-ren heiß und feucht. Er nahm ein Buch, blätterte, befühlte das Papier, prüfte die Vergoldung, den Einband, die Druckerschwärze, den Falz und die Anord-nungen der Zeichnungen ... verharrte ganze Stunden in der Betrachtung von Titel und Format, grenzenlos war sein Verlangen". Für ein Buch war er bereit, "Hab und Gut zu verkaufen", ja Morde auszuführen. Er wurde schließlich ge-fasst und zum Tode verurteilt (zitiert nach C. Donalies).

Bei diesen Zeilen wird übrigens klar, wo der Unterschied zwischen dem nüchtern beschreibenden Arzt oder Psychologen, meist handelt es sich ja um Psychiater und der Faszination liegt, die von einem begabten, wenngleich noch jungen Schriftsteller wie Flaubert ausgeht. Bei einer solch belletristischen Schilderung (im wahrsten Sinne des Wortes) sieht zumindest der fantasiebegabte Leser (und diese sind meist fantasiebegabt, im Gegensatz zum TV-Konsumenten...) förmlich die Hauptfigur bzw. das Opfer dieses "Bücher-Dramas" vor sich. So etwas bleibt haften, eine lehrbuchmäßige Schilderung nur selten.

Dagegen ist das gerne zitierte Beispiel des "Don Quixote" von Cervantes (1605) kein zutreffender Bücherwahn. Von dem berühmten spanischen Adeli-gen wissen wir ja, dass dieser durch das Lesen von Ritterromanen die Verwal-tung seiner Güter vergaß und sogar Felder verkaufte, um sich noch mehr Bü-cher von Rittertaten anzuschaffen. "Kurz, er verstrickte sicht in seinem Lesen so, dass er die Nächte damit zubrachte, weiter und weiter, und die Tage, sich tiefer und tiefer hineinzulesen und es kam vom wenigen Schlafen und vielen Lesen, dass sein Gehirn ausgetrocknet wurde, wodurch er den Verstand verlor. Er erfüllte nun seine Fantasie mit solchen Dingen, wie er sie in seinem Büchern fand...".

In diesem Falle sind die Bücher nicht das zwanghafte und manische Zentrum des krankhaften Geschehens, sondern lediglich die Hilfsmittel der wahnhaften Entwicklung, also kein "Bücherwahn", sondern ein "Ritter-Wahn".

  • Bibliophobie: Das ist die krankhafte Abneigung gegen Bücher (vom Grie-chischen: phobos = Flucht, Furcht, Scheu, Angst). Was diese Abneigung, die sogar krankhaft furchtsame Züge annehmen kann, ausgelöst hat, das gehört ggf. in den Arbeitsbereich der tiefenpsychologisch-analytisch arbeitenden Psy-chotherapeuten.

Sie berichten beispielsweise von früheren Traumatisierungen ihrer Patienten, also seelischen Verwundungen, verbunden mit Demütigungen u. ä., z. B. durch einen Elternteil, einen Lehrer, Vorgesetzten usw., die den Betreffenden ihre begrenzten Fähigkeiten vorwarfen und die dringliche Nutzung von Lehrbüchern empfahlen.

Zum anderen kann es sich aber auch um eine spezifische Phobie (Zwangsbe-fürchtung) im Rahmen einer Angststörung handeln. Möglich ist auch ein aus-lösendes klaustrophobisches Erlebnis, beispielsweise in den Räumen einer Bibliothek mit hohen, beängstigenden Regalen voller "drohender" Bücher, spä-ter in Albträumen panisch fortgesetzt.

Gar nicht so selten ist auch die Beschmutzungs-Furcht eines Zwangskranken durch Bücher. Hier handelt es sich vor allem um besonders verstaubte, ver-gilbte, in den Augen des Betreffenden mit Bakterien und Bazillen verseuchte Bücher, wenn nicht gar mit Milben und Staubläusen, die sich in alten Folianten tummeln, möglicherweise sogar noch gejagt von so genannten Bücher-Skorpionen (was es tatsächlich gibt, ein allerdings nur 4 mm langer Pseudo-Skorpion namens Chilifer Cancroides).

Eine krankhafte Abneigung gegen Bücher kann natürlich auch eine psychoti-sche Ursache im Rahmen einer Schizophrenie oder wahnhaften Störung haben.

  • Eine unsympathische Mischung aus Bibliokleptomanie und Biblioklasie ist zumindest die Unart, aus Büchern Abbildungen und einzelne Seiten herauszutrennen, für den Besitzer (in den Bibliotheken die Allgemeinheit) eine erhebliche Wertminderung und für den Juristen eine kriminelle Handlung. Das hört sich zwar jetzt überzogen an, mag sogar manchem Akademiker in un-rühmlicher Erinnerung bleiben, wenn er an "seine" Universitäts-, Instituts- oder Klinik-Bibliothek zurückdenkt, wird aber rasch deutlich, wenn man an die Schändung von jahrhundertealten und nicht mehr ersetzbaren Inkunabeln (Wiegendrucken) aus dem Mittelalter denkt.

Tod durch eigene Bücherstapel

Als man die Tür zu seiner großen Wohnung aufbrach, prallten alle Beteiligten - die alarmierten Geschwister, Polizei und Feuerwehr, Hausmeister und Nach-barn - entsetzt zurück: es gab nur Zeitschriften- und Bücher-Stapel in allen 7 Räumen, an jedem Platz einschließlich Bad und Toilette, bis zur Decke. Aller-dings herrschte in diesem Chaos eine sonderbare Ordnung: Die Stapel waren exakt aufeinandergeschichtet und zum Teil sorgfältig verschnürt. Der Woh-nungs-Inhaber, 67, pensionierte Geschäftsführer eines erfolgreichen Unter-nehmens, musste einen Schwächeanfall erlitten und sich gegen einen instabi-len Bücherstapel gelehnt haben. Dieser stürzte zusammen, löste eine Ketten-reaktion aus und brachte dem Opfer so schwere Kopfverletzungen bei, dass es - unversorgt - daran verstarb.

Nach Auskunft der Geschwister fiel ihr Bruder schon zu Hause wegen seiner ständigen Sammelwut auf, die ihn permanent mit dem "übertrieben auf Sau-berkeit achtenden Vater" aneinanderbrachte, wobei ihm nur die Mutter (mit ähnlichen Problemen) die Stange hielt. Erfolgreich im Beruf und ledig geblie-ben wusste niemand etwas über sein Zuhause, in das er nie einlud, auch wenn er sich ansonsten als großzügig erwies.

Ein modernes Antiquariat kaufte die 7 Lastwagen-Ladungen auf und lobte "die sorgfältige Lagerung ganzer Zeitschriften- und Buch-Reihen ohne Lücken, exakt verschnürt und meist nicht aufgeschlagen, oft noch in der Hülle verschweißt".

Die Geschwister erinnerten sich nachträglich, dass einem Vorfahren der Mutter ähnliches passiert sei; genaues aber könne man nicht sagen, nur dass auch dieser nach außen unauffällig und durchaus erfolgreich im Beruf gewesen sein soll (und natürlich auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen und räumlichen Lagerungs-Möglichkeiten seines späteren - genetisch belasteten - Nachfahren gehabt haben dürfte).

  • Zuletzt sei noch zusammenfassend auf einige Fachbegriffe hingewiesen, die man nur noch selten hört. Dazu gehört zum einen das Bibliotaph, ein Büchergrab, bei dem der Betreffende seine Bücher an geheimen Stellen aufbewahrt und sie niemals verleiht.

Oder das eher originelle Wort Bibliophage (griech.: phagein = essen, fressen, verzehren), also ein "Bücherfresser", Synonym für einen leidenschaftlichen Leser.

Vor allem früher in Mode war die Bibliomantie (griech.-lat.: Seher- bzw. Wahrsagekunst), d. h. das Wahrsagen aus der Textstelle eines Buches, die man zufällig aufgeschlagen hat oder das Deuten mit dem Finger oder einem Stäbchen auf einen beliebigen Abschnitt oder ein Wort. Mit Vorliebe wurden im Altertum und Mittelalter dafür die Bücher des Alten Testaments sowie Astrologische Werke, Orakelsammlungen (so genannte Losbücher) und angeblich göttlich inspirierte Dichtungen benutzt (der Gebrauch der heiligen Schrift zur Wahrsagerei war allerdings verboten und wurde mit Exkommunikation bestraft.)

ANHANG 1: VERBOTENE BÜCHER UND BÜCHERVERBRENNUNG

Ein natürlich nicht mit dem Buch an sich, sondern mit seinem durch die jewei-ligen Machthaber bedrohlichen Inhalt zusammenhängendes Phänomen sind Bücherverbot und Bücherverbrennung. Beides - und das spricht für den Menschen als vernunftbegabtes Wesen -, waren und sind nutzlos und werden es auch in Zukunft bleiben.

  • Das Bücherverbot war ein im katholischen Kirchenrecht bis 1966 beste-hendes allgemeines Verbot, nämlich Schriften zu veröffentlichen oder zu ver-treiben, die gegen die katholische Glaubens- und Sittenlehre gerichtet waren. Durch den so genannten Index war auch die Möglichkeit von Einzelverboten durch den Apostolischen Stuhl gegeben. Das hieß für gläubige Katholiken die bindende Verpflichtung, diese Schriften weder zu lesen noch aufzubewahren. Dieses Verbot gibt es heute als solches nicht mehr, in der Form der Gewis-senspflicht hingegen weiterhin, d. h. keine Bücher oder sonstigen Drucker-zeugnisse zu lesen, wenn sie den "eigenen" Glauben gefährden oder das sitt-liche Leben unterminieren.

Derlei hat natürlich seinen eigenen Geschmack und kann sich aus mancherlei Gründen gegen die Urheber bzw. die dahinterstehende Institution richten. Deshalb ist darüber nicht mehr allzu viel zu hören.

Natürlich gilt dies nicht nur für die (katholische) Kirche, sondern auch für politi-sche Systeme, die sich ihrer "Untertanen" (in diesem Sinne im wahrsten Sinne des Wortes) nicht sicher sein konnten. Die DDR beispielsweise war auch in Bücherfragen sehr widersprüchlich, wie C. Donalies anmerkte: Auf der einen Seite wurden überdurchschnittlich viele Bücher preiswert gedruckt, gekauft, verschenkt und gelesen. Auf der anderen Seite gab es "unerklärliche Marktlü-cken", ja Bücherverbote und verschiedentlich Beschlagnahmungen bei Postsendungen und Grenzübertritten, die jedoch allmählich abnahmen, weil sich der DDR-Bürger ohnehin über den nicht oder nur schwer abschottbaren Rundfunk und schließlich das Fernsehen ausreichend orientieren konnte.

Ein besonderes, ja extremes Phänomen in diesem Sinne waren die

  • Bücherverbrennungen: Da denkt ein jeder zuerst an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 vor der Berliner Staatsoper. Das ist richtig, beschämend und für alles was danach folgte kennzeichnend - aber war natürlich nicht neu. Die Verbrennung missliebiger Bücher aus religiösen oder politischen Gründen, teils von einer unsicheren Obrigkeit angeordnet, teils aus Protest gegen sie, um auf Unterdrückungsmaßnahmen aufmerksam zu machen (auch dies gibt es nämlich, da wird die moralische Verwerflichkeit schon viel schwieriger eindeutig zuordenbar), die Verbrennung missliebiger Bücher also gab es schon vor mehr als 2.000 Jahren, nämlich 213 v. Chr. im alten China. Später auch in der Antike.

"Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen!" (Heinrich Heine, 1797 - 1856).

Im Mittelalter und während der Glaubensspaltung wurden durch die Inquisiti-ons-Behörden viele "ketzerische" Bücher verbrannt, zum Teil zusammen mit ihren Autoren. (Selbst Martin Luther verbrannte demonstrativ in Wittenberg die päpstliche Bann-Androhungsbulle und ein Exemplar des Corpus Juris Canonici.) Auch die Täufer in Münster ließen alle ihnen missliebige Bücher verbren-nen.

Ähnliches geschah mit den Werken von J. Milton 1660 nach Wiederherstellung der Monarchie in England. Das Gleiche auf dem Wartburgfests 1817, wo die Burschenschaften 28 nach ihrer Ansicht reaktionäre Schriften vernichteten. Die Nationalsozialisten inszenierten 1933 mit Hilfe der "Deutschen Studenten-schaft" auf dem Berliner Opernplatz und in anderen Universitätsstädten die demonstrative Verbrennung von Werken jüdischer sowie von als marxistisch oder pazifistisch angesehenen Autoren. Das war der Beginn von Verfolgung und Vertreibung zahlloser Repräsentanten deutschsprachiger Kultur.

Auch in der DDR gab es die erwähnten Bücherverbote und Beschlagnahmungen. Nach der Wende aber auch in vielen Bibliotheken und Bücherlagern Zwangsräumungen bei Beständen, die in der DDR-Zeit gedruckt worden waren:

"Es wurde ausgesondert, verschleudert, einiges landete sogar im Altpapier oder auf Müllhalden, auch wenn es Klassiker-Ausgaben waren. So eine breit gestreute Aktion gegen Bücher hat es meines Wissens zu DDR-Zeiten nie gegeben" (C. Donalies).

Das besagt mit einem Satz - und der ist dann wenigstens tröstlich: Auf lange Sicht ist das Buch mächtiger als alle Despoten und Regime zusammen...!

ANHANG 2: BÜCHER ALS HEILMITTEL

Die Heilkraft des Lesens

Die Bibliotherapie, also Bücher als Heilmittel bzw. die Heilkraft des Lesens ist - wie das meiste um uns herum - eine alte Empfehlung. Sie wurde schon von dem griechischen Philosophen Aristoteles beschrieben und später auch von römischen und arabischen Ärzten weitergegeben. Die Trostbüchlein und Trostbriefe des Altertums und des Mittelalters sowie die Erbauungslektüre gel-ten als Vorläufer der modernen Bibliotherapie. Diese entwickelte sich mit dem Beginn der modernen Psychiatrie im 18. und 19. Jahrhundert weiter, weshalb jetzt auch gezielt Krankenhaus-Bibliotheken eingerichtet wurden.

Kleine Geschichte der Bibliotherapie

Lesen und Schreiben als Behandlungsmaßnahme gehören seit der Antike zur Diätetik, also der Lehre vom gesunden Leben mit den praktischen Zielsetzungen der Gesunderhaltung, Krankheitsvorbeugung und Krankheitsbehandlung. Die Diätetik umfasst traditionell sechs "nicht-natürliche Dinge", die es über die gegebene Natur des Menschen hinaus zu kultivieren gilt: Licht, Luft und Ört-lichkeit, Bewegung und Ruhe, Essen und Trinken, Schlafen und Wachen, Füllung und Entleerung (einschließlich Sexualität und Badekultur) sowie die Gemütsbewegungen (Affekte).

Lesen und Schreiben werden vor allem dem Bereich der Gefühle zugeordnet. Tragödien sollen nach Aristoteles den Menschen von Leidenschaften befreien oder diese reinigen können. Hildegard von Bingen gewann mit der Niederschrift ihrer Visionen neue Lebenskraft im Umgang mit ihren psychosomatisch interpretierbaren Leiden. Die arabischen Hospitäler boten neben Medikamen-ten und Operationen immer auch Lektüren an, vor allem den Koran.

Im 19. Jahrhundert geht es mit dieser kunst-therapeutischen Tradition zu Ende. Heilung erwartet man jetzt insbesondere von den somatischen (Körper-) Therapien. Die Krankheit wird als ein rein biologisches Phänomen verstanden und damit wird die Diätetik (s. o.) auf die reine Diät reduziert.

Erst im 20. Jahrhundert gewinnt wieder die Kunsttherapie an Bedeutung und damit zunehmend auch die Bibliotherapie. Der Begriff "Bibliotherapy" wird erstmals 1916 im angelsächsischen Bereich geprägt.

Nach D. v. Engelhardt, 2005

Der modernen Bibliotherapie ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht es darum, für und mit dem Kranken gezielt Texte auszuwählen, die ihn trösten, beruhigen, stabilisieren oder Informationen im Sinne einer Lebenshilfe vermit-teln. Dies hilft nicht nur regenerativ im Bezug auf Linderung oder gar Heilung, sondern kann auch die Persönlichkeitsentwicklung fördern, also therapeuti-sche und edukative (erzieherische) Ziele wahrnehmen. Oder kurz:

Bücher als gedruckte Heilmittel

Nicht zu verwechseln ist die Bibliotherapie mit dem Bibliodrama, das man als eine Art Psychodrama mit biblischem Bezug bezeichnen kann. Das Psycho-drama ist die spontane szenische Darstellung von Lebenssituationen, Phanta-sien, Träumen und Zukunftsentwürfen, eine Art Theater-Gruppentherapie. Beim Bibliodrama wird ein Bibel-Text vorgelesen, gemeinsam diskutiert und dann in einer Art "Erzähl-Geschehen" von der Gruppe nachgespielt ("im Tun der Schrift einen Weg zum tieferen Glauben wahrnehmen").

Wie aber geht man bei der Bibliotherapie konkret vor?

Formen, Methoden, Techniken, Medien und Heilanzeigen der Bibliotherapie

Die therapeutische Arbeit mit Texten - bekannt unter verschiedenen Bezeich-nungen wie Bibliotherapie, Poesietherapie, Literatherapie, psycho poetry - lässt sich wie folgt unterteilen:

- Beim rezeptiven Vorgehen werden dem Patienten ausgewählte Texte vor-gelesen, zusammen gelesen oder von ihm gelesen. Die Auswahl trifft der The-rapeut im Hinblick auf das Problem oder die Erkrankung des Betreffenden. Die wichtigsten therapeutisch wirksamen Aspekte sind Identifikation (also das ge-fühlsmäßige Sich-Gleichsetzen mit anderen bzw. die Übernahme ihrer Nor-men), ferner Problemlösung und Suggestion (Beeinflussung von Willen, Ein-stellung u. a.), die dann im Weiteren gemeinsam ergänzt und vertieft werden können.

- Beim produktiven Vorgehen werden die Patienten ermutigt, selbst Texte zu schreiben, in freier oder gebundener Form. Stichwort ist die "Bewältigung (der eigenen Probleme) in der Gestaltung", was nachher im Einzel- oder Gruppen-gespräch vertieft werden kann.

- Beim dynamischen Vorgehen werden die beiden Methoden verbunden. Hier versucht man bereits von Anfang an eine intensivierte psychotherapeuti-sche Bearbeitung im tiefenpsychologischen Sinne.

In allen Fällen ist das Buch das Medium des Kontaktes, über das kommuni-ziert wird. Die Texte erleichtern die Aufarbeitung der verdrängten zwischen-menschlichen Belastungen aus früherer oder aktueller Zeit. Konkret: Der Pati-ent liest seinen spezifischen Text dem Therapeuten oder der Gruppe vor, was meist unter großer affektiver (gemütsmäßiger) Beteiligung geschieht, trifft Ver-bindungen zu seinen eigenen Problemen - vergangen, gegenwärtig oder zu-künftig - und entwickelt Einsicht und strukturelle Vorschläge in eigener Sache, gefördert durch die vorsichtigen Deutungen des Therapeuten oder die Eigen-Erfahrungen und Empfehlungen der Gruppe. Eine Neu-Orientierung im Alltag bahnt sich an.

Die Bibliotherapie in der Literatur - ein Auszug

Heute sind Bücher vor allem ein psychotherapeutisches Instrument, wenn man so will eine Art gedruckte Selbstbehandlungs-Hilfe. Das war zwar schon früher nicht anders, doch damals glaubte man sogar körperliche Krankheiten damit lindern zu können. Wenn man den Umweg über die Selbstheilungs-Kräfte im Auge gehabt haben sollte, dann war auch dies nicht falsch. Manchmal aber kann man natürlich ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

Montesquieu beispielsweise empfahl in seinen Persischen Briefen Romane, Lebenserinnerungen und Lobreden als Abführ- und Brechmittel, philosophi-sche und theologische Schriften gegen Krätze, Grind, Liebeskrankheit und Schlaflosigkeit.

Wieland hielt seinen Roman Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva für ein Heilmittel gegen Hypochondrie, Milz-Krankheiten, Hysterie und Gicht.

Nach Jean Pauls Dr. Katzenberger's Badenreise (1809) können Lustspiele Lungengeschwüre, die englische Krankheit (Syphilis), Ekel oder Rheumatis-mus überwinden helfen. Vorsicht ist geboten vor Trauerspielen, hier drohen eher Leberverstopfung, Gelbsucht, Lungenerkrankungen und Darmkrämpfe...

In Samuel Warrens Erzählung Cancer (1830) liest die Patientin Liebesbriefe ihres Mannes, um die furchtbaren Amputationsschmerzen zu betäuben.

Und nicht nur das Lesen, auch das Schreiben wurde schon früh empfohlen, und zwar von Großen ihrer Zunft: Rilke, Goethe, Balzac und Proust verstanden ihr Schreiben als Selbstbehandlung, was sich unschwer in zahlreichen Selbsterfahrungshinweisen ausmachen lässt (klassisches Beispiel: Die Leiden des jungen Werther (1774) von J. W. v. Goethe). Nach Kafka, dem solche Gefühle erfahrungsgemäß nicht fremd waren, soll das Buch eine "Axt" sein für das "gefrorene Meer in uns". Und Joseph Conrad postuliert in seinem Der Nigger von der "Narzissus" sogar ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Menschen, und zwar nicht nur der Lebenden untereinander, sondern auch der Lebenden mit den Verstorbenen und der Lebenden mit den noch Ungeborenen.

Nach D. v. Engelhardt

Das Buch als Medium stellt Informationen aus dem gesellschaftlichen Bereich, aus dem Erfahrungsschatz der Menschheit und der Wissenschaft zur Verfügung. Hilfreich im weiteren Sinne sind dann neben dem Psychotherapeut-Patient-Gespräch auch Wandzeitungen, Kollektivgedichte usw., wenn eine Gruppe einbezogen wurde. Dann können die Texte auch durch Rollenspiele, Pantomime u. a. noch verdichtet und damit geklärt und hilfreich genutzt werden. Das erweist sich besonders in den Dialogen als aufschlussreich. Erweitert wird das Ganze noch durch Tagebücher und Briefe, durch Malen usw.

Die Indikationen (Heilanzeigen) und Anwendungsbereiche dürfen aber nicht unkritisch überdehnt werden. Zu achten ist auf das individuelle Fassungs- und Verarbeitungsvermögen, die intellektuelle Ausgangslage, ja sogar auf Alter und Geschlecht. Und natürlich auf das Krankheitsbild. Hier haben Bücher als Heilmittel vor allem ein furchtbares Feld bei depressiv-ängstlichen Überforde-rungs-, Krisen- und Erschöpfungsreaktionen, bei neurotischen Entwicklungen, beim Burnout (erschöpft, verbittert, ausgebrannt) u. a.

Eine spezifische Vorgehensweise erfordert die Klientel in Alten- und Pflege-heimen sowie in der Sterbebgleitung. Bei Letzterem ist es vor allem das Schreiben von (Abschieds-)Briefen, Vermächtnissen für Hinterbliebene, das Verschenken von Gedichten oder liebgewordenen Büchern.

Kaum genutzt, aber überaus zweckmäßig wäre die Bibliotherapie auch in Allgemeinkrankenhäusern, besonders bei Patienten mit chronischen Krankheiten ohne Aussicht auf völlige Genesung. Sogar in Vollzugsanstalten wurde die Bibliotherapie erfolgreich bei Strafgefangenen und sozialen Randgruppen eingesetzt.

Vorsicht geboten ist allerdings bei Psychosen (Geisteskrankheiten) wie der schizophrenen Psychose (wahnhafte Reaktionen?), bei schweren Depressionen (also alles durch die "schwarze Brille" sehen sowie nicht selten eine vorü-bergehende, aber schmerzlich empfundene depressive "Pseudo-Demenz") sowie bei manchen Persönlichkeitsstörungen, bei denen es zur unveränderbaren Wesensstruktur gehört, alles im eigenen Sinne umzudeuten, ohne die Hilfe einer selbstkritischen Introspektion bauen zu können ("Innenschau").

Manchmal kann nämlich auch die Hemmschwelle für destruktive Eigenschaf-ten und Persönlichkeits-Konzepte gesenkt werden, wie die Experten zu be-denken geben (Beispiele: "Das Schweigen der Lämmer" oder "Hannibal"). Das ist nebenbei nichts Neues.

Die wohl größte "Katastrophe" in diesem Sinne geht auch auf Deutschlands "größten" Dichter zurück, nämlich Johann Wolfgang von Goethe, der mit seinem "Werther" (1774) die Basis für zahlreiche Suizide und noch mehr Suizid-versuche junger Menschen im gleichen "Lebensschmerz" dieser Zeit zu ver-antworten hatte (Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel). Goethe sel-ber reagierte auf entsprechende Vorwürfe bis ins hohe Alter abweisend, ja unwirsch. Ihm hatte seine aktive Poesie-Therapie offenbar geholfen.

Wie später übrigens noch zahlreichen anderen Autoren, z. B. Graham Greene, der gestand: "Zuweilen frage ich mich, wie alle, die nicht schreiben, komponie-ren oder malen, es zuwege bringen, dem Wahnsinn, der Melancholie und dem panischen Schrecken des menschlichen Daseins zu entfliehen" (zitiert nach C. Donalies).

LITERATUR

Andriessen, H., N Derksen: Lebendige Glaubensvermittlung im Bibliodrama. Grünewald-Verlag, Mainz 1991

Althaus, B.: Das Buch-Wörterbuch. Nachschlagewerk für Büchermacher und Bücherliebhaber. area verlag, Erftstadt 2004

Battegay, R. u. Mitarb. (Hrsg.): Handwörterbuch der Psychiatrie. Enke-Verlag, Stuttgart 1992

Bausinger, H.: Deutsch für Deutsche. Fischer-Verlag, Frankfurt 1984

Die Bibel - Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Herder-Verlag, Freiburg 1980

Bühler, K.: Sprachtheorie. G. Fischer-Verlag, Jena 1934

Bußmann, H.: Lexikon der Sprachwissenschaft. Gröner-Verlag, Stuttgart 1990

Crystal, D.: Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Campus-Verlag, Frankfurt 1995

Crystal, D.: Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Verlag Zweitausend-eins, Frankfurt 2005

Conrad, R. (Hrsg.): Lexikon sprachwissenschaftlicher Termini. VEB Biblio-graphisches Institut, Leipzig 1988

Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. dtv, München 1991

DIE ZEIT: Das Lexikon in 20 Bänden. Band 2. Zeit-Verlag Gerd Bucerius, Hamburg 2005

Dickhaut, K.: Sammler und Jäger - zur Pathogenese der Bücherlust und Charles Nodiers modernem Umgang mit den historischen Denkmustern. In: Britta Hermann, Barbara Thums (Hrsg): Ästhetische Erfindung der Moder-ne? Perspektiven und Modelle 1750-1850. Königshausen u. Neumann-Verlag, Würzburg 2003

Donalies, C.: Bibliophilie, Bibliomanie und Bibliotherapie. Teil 1 und 2. NeuroTransmitter 7 und 8/9 (2005) 88 bzw. 94

Dornseiff, F.: Der deutsche Wortschatz nach Sprachgruppen. Verlag Wal-ter de Gruyter, Berlin 1959

Duden: Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Duden-Verlag, Mannheim 1998

Eggers, H.: Deutsche Sprache im 20. Jahrhundert. Piper-Verlag, München 1973

Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1995

Fishman, J.: Soziologie der Sprache. Hueber-Verlag, München 1975

Fluck, H.-R.: Fachsprachen. Francke-Verlag, Basel 1996

Frenzel, E.: Stoffe der Weltliteratur. Gröner-Verlag, Stuttgart 1998

Frewer, A., S.Stockhorst: Bibliomanie als Krankheit und Kulturphänomen. Pathographische Fallstudien zur Rezeption von Magister Johann Georg Tinius (1768-1846). KulturPoetik 3 (2003) 246

Früh, W.: Lesen, verstehen, urteilen. Untersuchungen über den Zusam-menhang von Textgestaltung und Textwirkung. Alber-Verlag, Freiburg 1980

Funke, F.: Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches. Saur-Verlag, München 1998

Göpfert, H. G. u. Mitarb. (Hrsg.): Lesen und Leben. Buchhändlervereinigung, Frankfurt 1975

Glück, H. (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache. Metzler-Verlag, Stuttgart 2000

Greiner, U.: Leseverführer. Eine Gebrauchsanweisung zum Lesen schöner Literatur. Verlag C.H. Beck, München 2005

Haarmann, H.: Kleines Lexikon der Sprachen. Beck-Verlag, München 2002

Harenberg: Lexikon der Sprichwörter & Zitate. Verlag Harenberg, Dortmund 1997

Harenberg: Lexikon der Weltliteratur. Harenberg-Lexikon-Verlag, Dortmund 1995

Herder, J. G.: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Hanser-Verlag, München-Wien 1978

Hiller, H.: Wörterbuch des Buches. Klostermann-Verlag, Frankfurt 2002

Hofstätter, B. R.: Einführung in die Sozialpsychologie. Gröner-Verlag, Stuttgart 1973

Hörmann, H.: Psychologie der Sprache. Springer-Verlag, Berlin 1967

Jagow, B. v., F. Steger: Literatur und Medizin. Ein Lexikon. Verlag Vanden-hoeck & Ruprecht, Göttingen 2005

Karenberg, A.: Amor, Äskulap & Co. Klassische Mythologien in der Sprache der modernen Medizin. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2005

Kayser, W.: Das sprachliche Kunstwerk. Francke-Verlag, Bern-München 1973

Kindlers Neues Literaturlexikon. Kindler-Verlag, München 1988

Killy, W.: Literaturlexikon: Autoren und Werke deutscher Sprache. Direct-media Publishing (CD-Rom), Berlin 2005

Klein, H.: DuMonts Sachwörterbuch der Drucktechnik und grafischen Kunst. DuMont-Verlag, Köln 1976

Kluge, F.: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 1989

Knaurs Lexikon der Weltliteratur. Bechtermünz-Verlag, Augsburg 1999

Kraus, K.: Die Sprache. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1969

Lämmert, E.: Bauformen des Erzählens. Metzler-Verlag, Stuttgart 1988

Lewandowsky, Th.: Linguistisches Wörterbuch. Verlag Quelle und Meyer, Heidelberg 1980

Lexikon für Theologie und Kirche. Herder-Verlag, Freiburg 1993 - 2001

Manguel, A.: Eine Geschichte des Lebens. Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg, 2000

Mentzos, St., A. Münch (Hrsg.): Psychose und Literatur. Verlag Vanden-hoeck & Ruprecht, Göttingen 2004

Muller, C.: Einführung in die Sprachstatistik. Akademie-Verlag, Berlin 1972

Muschg, A.: Literatur als Therapie? Ein Exkurs über das Heilsame und das Unheilbare. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1981

Paul. H.: Deutsches Wörterbuch. Niemeyer-Verlag, Halle 1966

Peters, U. H.: Wörterbuch der Psychiatrie, Psychotherapie und Medizinischen Psychologie. Verlag Urban & Schwarzenberg, München-Wien 2005

Petzold, H. u. Mitarb. (Hrsg.): Poesie- und Musiktherapie. Junfermann-Verlag, Paderborn 1983

Petzold, H., I. Orth: Poesie und Therapie. Junfermann-Verlag, Paderborn 1990

Pfeifer, W. u. Mitarb. (Hrsg.): Etymologisches Wörterbuch der Deutschen. Akademie-Verlag, Berlin 1993

Polinz, P. v.: Geschichte der deutschen Sprache. Verlag Walter de Gruyter, Berlin-New York 1978

Reiners, L.: Stilkunst. Beck-Verlag, München 1943

Reiners, L.: Stilfibel. DTV, München 1971

Reiners, L.: Stilkunst. Beck-Verlag, München 1976

Ruoff, A.: Häufigkeitswörterbuch gesprochener Sprache. Niemeyer-Verlag, Tübingen 1990

Sandig, B.: Stilistik der deutschen Sprache. Verlag Walter de Gruyter, Ber-lin-New York 1986

Sapir, E.: Die Sprache. Hueber-Verlag, München 1972

Seibicke, W.: Duden. Wie schreibt man gutes Deutsch? Eine Stilfibel. Bib-liographisches Institut, Mannheim 1969

Seidler, H.: Allgemeine Stilistik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1963

Seiffert, H.: Stil heute. Eine Einführung in die Stilistik. Beck-Verlag, Mün-chen 1977

Schneider, W.: Deutsch für Profis. Mosaik bei Goldmann, München 2001

Schneider, W.: Deutsch fürs Leben. Was die Schule zu lehren vergaß. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1994

Stanzl, F., K.: Theorie des Erzählens. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1989

Steinberg, S. H.: Die schwarze Kunst: 500 Jahre Buchwesen. Prestel-Verlag, München 1988

Taschenbuch-Redaktion Herderbücherei (Hrsg.): Heilkraft des Lesens. Ver-lag Herder, Freiburg 1982

Thalmayr, A.: Heraus mit der Sprache. Carl Hanser-Verlag, München-Wien 2005

Wilpert, G. v.: Sachwörterbuch der Literatur. Gröner-Verlag, Stuttgart 1989

Zifreund, W. (Hrsg.): Therapien im Zusammenspiel der Künste. Attempto-Verlag, Tübingen 1996

Internet-Adressen Literatur (auch für offiziell nicht mehr lieferbare Bücher):

http://www.buchhandel.de

http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2gerlw/ressourc/liste.html

http://gutenberg.spiegel.de

http://darkwing.uoregon.edu/~rbear/ren.htm

http://www.digitale-bibliothek.de

http://www.perlentaucher.de

Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher (ZVAB): http://www.zvab.com

(nach U. Greiner u. a.)

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).