Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Zur Psychologie der "Handy-Manie"Ein öffentliches Ärgernis mit psychologischen Vorteilen?
Amüsiert, verwundert, verärgert - so reagiert die Mehrzahl der Bevölkerung auf die explosionsartig wachsende Zahl von "Handy-Aktivisten" oder in vielen Fällen "Handy-Manikern". Das heißt, man reagiert eigentlich immer weniger, man stumpft ab, wird gleichgültig, das Handy im Betrieb gehört zum Alltag. Also summt, piepst, pfeift, dudelt es allenthalben - und dann greift der Besitzer beiderlei (!) Geschlechts zu seinem kleinem Kommunikations-Liebling, bekommt einen verklärten Gesichtsausdruck und quasselt lauthals und damit öffentlich wo immer er steht, geht oder sitzt in die Gegend. Und dass die Umgebung neugierig, meist aber gequält mithören (muss), das interessiert den "Täter" nicht, gleichgültig ob es Geschäftliches, Intimes, Nonsens oder das übliche Alltags-Gebabbel ist (letztes überwiegt bei weitem, hat man den Eindruck). Ist das alles aber nur negativ? Gibt es auch einen Vorteil, einen psychologischen und damit vielleicht sogar gesellschaftlichen? Die Sozialpsychologen, ja sogar die Psychiater beginnen offenbar umzudenken: die "Handy-Manie" als "tele-kommunikatorische Psychohygiene"? An zwei neue Aspekte der Alltagspsychologie muss man sich offenbar gewöhnen. Zum einen: Nicht jeder, der mit sich selber spricht hat eine Schizophrenie und reagiert auf seine akustischen Halluzinationen und 2. der Wunsch nach Intimität bei einem privaten Gespräch gehört der Vergangenheit an, man outet sich permanent, das Tor zum "narzisstischen Exhibitionisten" öffnet sich immer weiter. Was steckt dahinter? Gibt es überhaupt eine positive Seite? Und wie soll man sich verhalten? Zuerst aber einige historische und technische Hinweise. Kleine Geschichte des Handy's Der Dichter und Schriftsteller Erich Kästner hat es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts geahnt: "Während sie vergnügt auf der Straße herumspazieren, werden sich die Menschen der Zukunft miteinander verständigen, indem sie einfach in kleine tragbare Kästchen hineinsprechen". Diese Vision ist Realität geworden. Bei 50 Millionen piepst und vibriert es bereits öfters in Jacken- und Hosentaschen als in Wohnzimmern und Büros, denn die Zahl der in Deutschland betriebenen Mobiltelefone hat die Festnetzanschlüsse überflügelt. Dabei ist die Geschichte dieser ultraschlanken und fliegengewichtigen Funkzwerge noch nicht alt. Erstmals 1994 war die letzte Entwicklungsstufe erreicht. Damals kamen Geräte auf den Markt, die unter 200 Gramm wogen und endlich die Bezeichnung Handy (vom engl.: handlich) auch verdienten. Doch dem war eine jahrzehntelange Entwicklung vorangegangen: Das erste Mobilfunkgerät - 3 kg schwer - wurde für die US-Armee konstruiert. Ende der 70er Jahre entwickelte man dann in den USA Funktelefone für den breiten Markt. Im gleichen Jahrzehnt wurden in Europa Mobilfunknetze eingerichtet, z. B. das um die Jahrtausendwende stillgelegte C-Autotelefon-Netz. Die Entscheidung aber wurde aus der Not geboren, nämlich aus den weiträumigen und im Winter meist abgeschnittenen Regionen Skandinaviens mit seiner relativ geringen Bevölkerungsdichte. Dort dienten drahtlose Telefonnetze nicht nur als Jux und Tollerei, dort konnte es lebensrettend werden. Das ließ die nicht-kabelgestützten Netze lohnenswert erscheinen, der Startschuss war gesichert. So war es auch ein finnisches Unternehmen, das selbst heute noch in Europa den Standard bestimmt. Finnland wurde sogar mit Hilfe der Entwicklungsanstrengungen des landeseigenen Konzerns zur Handy-Nation Nr. 1. Im hohen Norden mag man auf manches verzichten müssen, die Handy-Dichte ("Kännys" genannt) ist dort mit Abstand am größten. Es geht weiter: Funkwellen-Briefe Wenn sich einmal etwas sinnvoll etabliert hat, ist der Fortschritt nicht aufzuhalten. Und so kommuniziert man heute nicht mehr verbal mit einer Hand am Ohr (so klein sind die Geräte inzwischen, dass man meint, hier habe einer Ohrenschmerzen), inzwischen werden damit auch Millionen "Briefe" verschickt. Begünstigt durch die revolutionäre Entwicklung immer winzigerer Mikrochips brach sich - wiederum aus dem Norden kommend - ein neue Kommunikationsvariante Bahn: die SMS, vom engl.: short message service, zu Deutsch: "Kurznachrichten-Dienst". Diese kurzen elektronischen Mitteilungen, die zwar nur eine begrenzte Zahl von Zeichen umfassen dürfen (aber wer braucht heute schon mehr...), dafür aber in Sekundenschnelle wie ein persönliches Telegramm von einem Handybesitzer zum anderen flitzen, haben sich zum beliebtesten Gerätefeature entwickelt. Wo immer man sitzt oder steht, wen man begrüßen, beflirten, informieren, belästigen oder bedrohen will (auch das gibt es inzwischen), die SMS ist eine Art E-Mail für jedermann, die völlig unabhängig vom ortsgebundenen Computer-Desktop versandt werden kann und wird. Noch ist es zwar umständlich, das Eintippen der Wörter über die Nummerntastatur des Handy. Und möglicherweise strapaziert es auch die Daumengelenke mehr, als den meisten gut tut (inzwischen gibt es analog dem "Tennis-Ellenbogen" auch schon den "Handy-Daumen"). Doch neuartige Worterkennungssoftware wird auch dieses Problem lösen. Da der Wortschatz des modernen Menschen ohnehin die untere Grenze anpeilt (auch die Orthographie ist ja inzwischen "Schnee von gestern", man mailt inzwischen mehr und mehr "lautmalerisch"), werden in Zukunft wenige Worterkennungsbegriffe für ganze Standardsätze ausreichen. Das heißt, das Gehirn schmilzt, aber die Technik boomt... Dafür ist man informiert, schneller als es Radio, Fernsehen und natürlich die Tageszeitung möglich machen. Für Sportergebnisse, Börsenkurse oder andere "elementare" Informationen des modernen Alltags ein Vorteil, der andernorts schon kräftig genutzt wird. In Deutschland sind es bisher eher Mini-Grußbotschaften, die durch die Netze gejagt werden (im Jahr 2000 mehr als 15 Milliarden, mehr als 4-mal so viel wie private Postsendungen). Die Kosten halten sich offenbar in Grenzen, was besonders die Jugend zum SMS-Gebrauch animiert. Der Vorteil bezieht sich nicht nur auf Liebesbotschaften, sondern - unerlaubterweise - auch auf Klassenarbeiten und sonstige Informationen, die man eigentlich im Kopf haben sollte. Es geht weiter SMS und E-Mail arbeiten inzwischen Hand in Hand. Das Versenden und Empfangen von kurzen E-Mails als SMS über das Handy ist für Profis längst kein Thema mehr. Und so genannte WAP-Handys erlauben heute schon den Empfang von ganzen Seiten aus dem World Wide Web auf dem Display des Handys. Eines Tages werden sie wohl irgendwie verschmelzen, die beiden Charakteristika unserer Zeit. Und danach muss natürlich Neues kommen - was, das lässt sich nur ahnen. Aber das war vor einigen Jahren für Internet, E-Mail, Handy & Co. ja ähnlich. Nachfolgend im Kasten stichwortartig einige technische Fortschritte wie sie derzeit (Stand: Herbst 2002) angeboten werden.
Was macht nun aus "alltagspsychologischer" Sicht das Handy so attraktiv? Dazu muss man sich ein wenig Zeit nehmen, um die Geschichte der Medien kurz zu analysieren (nach K. Gergen, F. Rötzer u.a.). Die Medien und ihr psychologischer Einfluss Früher gab es nur den Kontakt von Mensch zu Mensch. Das war das schlechteste nicht, um seelisch gesund zu bleiben. Wer heute den selbst alltäglichen Kontakt von Mensch zu Mensch sucht, wird nicht immer fündig, im Gegenteil: oft frustriert und nicht selten dem "zwischenmenschlichen Hungertod" ausgeliefert. Die ersten Medien im eigentlichen Sinne (vom lateinischen: medium = mittel-, Mittler), also das, was eine Verbindung oder Beziehung zwischen zwei oder mehreren Personen herstellt bzw. ermöglicht, waren der Brief (was in manchen Kreisen dazumal täglich geschah) und schließlich das Buch. Durch die Schrift kann man etwas vergegenwärtigen, was vergangen und etwas nahe bringen, was entfernt ist. Selbst wenn jemand weit weg ist, kann man nachlesen, was er denkt und fühlt. Und selbst wenn er tot ist, lebt er in seinen Schriften weiter. Doch die Schrift ist eine Technik, die auf relativ unbeholfene Weise Raum und Zeit überwindet, jedenfalls nach unserem heutigen Verständnis. Telefon, Fernsehen, Radio, Video, Telefax und die modernen Medien wie E-Mail und Internet setzen die Schrift fort - und gehen noch einen Schritt weiter: Jetzt sieht und hört man Bilder und Stimmen von Menschen, die gar nicht da sind. Die Medien des 20. Jahrhunderts veränderten unsere Realität und damit unsere Beziehungen. Wir leben zunehmend in einer Welt, die eigentlich "wo anders" ist. Das wäre noch zu tolerieren, aber viele blenden damit auch ihre unmittelbare Gegenwart aus, indem sie beispielsweise immer weniger mit den Anwesenden kommunizieren. Das hat seine eigenen Gefahren.
Denn Kommunizieren heißt vor allem mit den anderen sprechen. Dabei schafft die Sprache in jeder menschlichen Gemeinschaft die Grundlage, um sich in dieser Welt zu orientieren und entsprechend handeln zu können. In der Sprache gründen gesellschaftliche Traditionen und Regeln für das alltägliche Leben. Nur durch die Sprache können wir letztlich miteinander kommunizieren und alles koordinieren. Nur durch die Sprache lernen wir die Welt und damit uns selbst kennen, versichern die Psychologen, Psychiater und Medienwissenschaftler.
Monologische und dialogische Medien Die modernen Medien bringen uns also in eine kritische Situation. Allerdings nicht alle gleich. Was heißt das? Die Wissenschaft unterscheidet zwischen monologischen und dialogischen Medien. Radio, Film, Fernsehen oder Tonträger wie Kassette und CD sind monologisch: Sie liefern uns zwar Informationen von "draußen", aber ihre Botschaften sind unpersönlich, wir können kaum direkt reagieren oder gar widersprechen. Grundlegende Überzeugungen festigen oder ändern sich aber in der Regel nur durch einen Dialog zwischen mir und dem oder den anderen. Die Stimmen der monologischen Medien hingegen bleiben meist von meinem Leben einen Schritt entfernt (was soweit geht, dass sie mitunter zum "Hintergrundrauschen" degradiert werden, z. B. wenn man Radio oder gar Fernseher mitlaufen lässt, ohne sich für das Programm zu interessieren). Außerdem haben diese Medien durch den technischen Fortschritt auch noch die wenigstens eine Zeit lang verbindenden Gemeinsamkeiten außer Kraft gesetzt. Versammelte man sich früher vor dem Fernseher zu einer "Gemeinschaftsveranstaltung", hat heute - angesichts von Dutzenden von Programmen plus Video - jeder seinen eigenen Fernseher in seinem Zimmer. Das Gleiche gilt für Walkman und die Spartenkanäle im Radio. Als Konsumenten monologischer Kommunikationsmittel vereinzeln (und vereinsamen?) wir immer mehr.
Sind die dialogischen Medien vorteilhafter? Als dialogische Technologien gelten dagegen Telefon, Computer, Internet, E-Mail und Handy. Sie funktionieren "interaktiv" bzw. "zweiseitig". Besonders das Internet schafft neue Sinnbezüge, können wir doch durch Chatrooms und E-Mails weltweit Verbindung aufnehmen - persönlich. Doch auch dies hat seine Gefahren. Wenn man nur noch in seiner cyber community kommunikativen Austausch und Anregung sucht, verlieren Partner, Familie und Freunde langsam an Bedeutung. Noch düsterer wird es natürlich in einer moralisch abartigen Cyberwelt (z. B. Kinderpornographie).
Und es gibt noch ein zweites Problem durch die modernen Medien. Wir werden "flacher". Was heißt das? In aller Welt gelten tiefe Beziehungen als wertvoll - noch immer. Ein glückliches und erfülltes Leben ist ohne enge und tiefgehende Bande zu anderen kaum vorstellbar. Doch tiefe Beziehungen haben ihren Preis: Aufmerksamkeit, Anstrengung und Opfer. Wem diese Nähe gelingt, der hat meist kein Bedürfnis nach allzu vielen Bekanntschaften. Wer dagegen zahlreiche oberflächliche Kontakte pflegt, hat oft keine Kraft und keine Zeit mehr für Tiefe. Da die Medien das Spektrum tatsächlicher oder nur eingebildeter Beziehungen vergrößern, verringern sie automatisch deren Tiefe. Beispiel: Sportsendungen ersetzen die sportlichen Aktivitäten mit Sportsfreunden. Wer im Netz surft, kann jede Menge Bekanntschaften knüpfen - ob kürzer oder länger, vom oberflächlichen Kontakt "Chatroom" bis zur riskanten "Cyber-Affaire" - was gar nicht so selten vorkommt und offensichtlich zunimmt (bis hin zu der abnormen Möglichkeit, sich online gemeinsam zum Selbstmord zu verabreden). Denn für die Entwicklung einer persönlichen Identität sind unmittelbare zwischenmenschliche Beziehungen fundamental: Wer wir sind, erfahren wir immer nur in der wirklichen Begegnung mit anderen. In der Erfahrungs- und Beziehungswelt der Medien hingegen entwerfen wir - wie die Psychologen sagen - ein immer wieder neues und vor allem "abwesendes Selbst". Oder noch kürzer: Unsere Realität ist die Gegenwart des "Abwesenden". Je weiter wir in diese virtuellen Beziehungen eintauchen, desto brüchiger wird die persönliche Identität (virtuell, dem Vermögen, der Anlage, der Möglichkeit nach zwar vorhanden, aber nicht aktuell wirksam, letztlich also = scheinbar). Die Medien lassen also unsere persönliche Identität immer situationsabhängiger und zufälliger werden. Warum? Welten im Dauerwandel Die modernen Kommunikations- und Informationstechnologien haben auch eine Entwicklung gebahnt, die man als "Welten im Dauerwandel" bezeichnen kann. Wir werden ständig in Themen "reingesaugt", die nur die Medien bestimmen, und nicht unser Alltag. Der Alltag aber ist es, der unser Leben und unsere Persönlichkeit prägt, nicht Sport, Politik, Events und was uns auch immer täglich und fast zwangsweise serviert wird.
Die Medienwelten und ihre fließenden Bedeutungs- und Handlungsräume, die uns ständig übergestülpt werden, entfremden uns also von unserer eigenen Lebenswirklichkeit. Ähnlich wie unsere praktischen Fähigkeiten (wer kann sich heute noch in einer Notsituation selber versorgen) verkümmern langsam auch unsere kommunikativen, zwischenmenschlichen Kompetenzen. Die Funktion der modernen Medien, so vorteilhaft sie in vielen Fällen sind, ist also ein zwiespältiges Phänomen. Gilt dies für alle Kommunikationsmittel? Offenbar nur bedingt. Das Handy, das "tägliche Ärgernis", scheint hier vorteilhafter zu sein als bisher angenommen. Handy - Retter in der Beziehungs-Not? Bei der Analyse des Kulturwandels durch die Medien wurde das Telefon bisher nur selten genannt (ein gutes Beispiel ist die dürftige Zahl der Sinnsprüche über das Telefon - siehe später). Tatsächlich hat es eine besondere Stellung, die außerdem noch durch das Handy eine spezielle Funktion, wenn nicht gar Aufgabe entwickeln könnte - unerwartet und durchaus positiv. Als man das Telefon zu Beginn des 20. Jahrhunderts einführte, wurde es zum dialogischen Kommunikationsmittel schlechthin: Partner, Angehörige, Nachbarn und Kollegen konnten miteinander kommunizieren, auch wenn sie noch so ferne waren. Vor allem ist das Telefon im Gegensatz zu den "außenbestimmten" Medien-Inhalten durch Radio oder Fernsehen etwas "innengeleitetes". Der andere ist zwar abwesend, aber man muss sich ihm trotzdem unmittelbar widmen. Natürlich hat sich die Funktion des Telefons geändert, und zwar in dem Maße, wie es vom zwischenmenschlichen zum kommerziellen Medium und damit zum "Quälgeist" entartete. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Funktion des Anrufbeantworters: Ursprünglich dazu gedacht, die Nachricht unserer Lieben aufzuzeichnen, dient es heute meist als Filter für unerwünschte Anrufe. Ganz anders offenbar die kommunikativen Auswirkungen des Handy. Es fördert - so die Psychologen - in einer mobil und sich fremd gewordenen Welt die Beziehungen untereinander. Die ursprüngliche Mensch-zu-Mensch-Kommunikation des Telefons vor hundert Jahren scheint dadurch positiv wiederbelebbar. Natürlich wird auch das Handy kommerziell ge- und missbraucht. Aber irgendwie hat es (jedenfalls noch) eine persönliche Note. Es scheint den Sinn für Gemeinschaft, Identität und moralische Werte eher zu fördern als zu untergraben. Interessant auch die Beobachtung, dass Handy-Konsumenten während ihres Telefonats heiter, vergnügt, jedenfalls positiv gestimmt zu sein scheinen, mehr jedenfalls als der durchschnittliche Telefon-Benutzer. Natürlich hängt das damit zusammen, dass die Handys überwiegend noch privat eingesetzt werden (weshalb man auch sorgfältiger als sonst darauf achtet, wem man seine Nummer gibt). Und interessant schließlich ein weiteres Phänomen: Das Handy (und nicht das übliche Telefon) dokumentiert förmlich eine zwischenmenschliche Bindung zwischen Anrufer und Anrufendem. Die häufige Ablehnung eines Handy-Gesprächs durch die Umgebung bezieht sich nicht nur auf akustisch gestörte Fremde. Sie trifft auch Angehörige, Freunde und Bekannte. Warum? Das Handy-Gespräch schafft offenbar viel mehr eine "innere Sphäre" mit dem jeweiligen Telefon-Partner als jede andere Kommunikation. Das heißt aber auch, dass die Umgebung gleichsam ausgegrenzt wird. Und deshalb reagieren selbst Freunde mitunter empfindlich bis gereizt. Man steht zwar beisammen, fühlt sich aber von diesem Gespräch ausgeschlossen. Lautloses Handy-Telefonieren? Ob belästigt oder ausgeschlossen, demnächst könnte ein Handy auf den Markt kommen, bei dem man lautlos telefoniert, weil der kleine Apparat die Worte, die der Benutzer lautlos hineinspricht, von den Lippen abliest. Durch ein hochempfindlichen Sensor werden die von den Mundmuskeln ausgesendeten elektrischen Signale durch ein Sprachmodul in Sprache oder eine E-Mail umgewandelt. Die bisher eingesetzte Software kann bereits die Vokale erkennen, bei den Konsonanten gibt es offenbar noch Schwierigkeiten (P.M. 10/2002). Mit anderen Worten: Handy-Nutzer verbringen tele-kommunikatorisch mehr Zeit mit jenen Menschen, auf die es ihnen wirklich ankommt. Im Gegensatz zu den anderen Medien fördern deshalb Mobiltelefone die persönliche Identität stärker als alle anderen modernen Medien, behaupten die Psychologen und Medienwissenschaftler. Oder wissenschaftlich ausgedrückt: "Das Handy wirkt den kulturellen Veränderungen im Sinne einer "abwesenden Gegenwart der anderen" viel mehr entgegen als alle anderen Medien. Da es tiefgreifende Beziehungen, den Sinn für Gemeinschaft, Identität und moralische Werte fördert, sollten wir den Gebrauch von Mobiltelefonen begrüßen. Sie nähren die Hoffnung, dass sich traditionelle und psychisch wichtige Kommunikationsformen auch im Zeitalter der Medien halten, bewähren und entwickeln lassen" (K. Gergen). Oder kurz: In einer Zeit der Vereinsamung in der Masse ("Gedränge, aber kein Kontakt") könnte das Handy uns wieder einander näher bringen. Über eine technische Schiene, gewiss, aber immerhin wieder näher...
Literatur K. Gergen: Die Gegenwart des Abwesenden. Psychologie heute 8 (2000) 36 K. Gergen: Das überflutete Selbst. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg 1996 P. Waibel: Wir können nun mal nicht mehr wie in einem Dorf leben. Interview. Psychologie heute 6 (1999) 63 |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |