Pschyrembel
wörterbuch sexualität
Verlag Walter de Gruyter, Berlin-New York 2003. 617 S., zahlreiche Abb. und Tab., € 29,95 ISBN 3-11-016965-7
Es gibt zahlreiche Wörterbücher der Medizin, aber nur einen Pschyrembel, inzwischen in 259. Auflage. So etwas dürfte seinesgleichen suchen – weltweit. Professor Dr. W. Pschyrembel war ursprünglich Gynäkologe, bevor er sich seinem Lebenswerk widmete, dem Klinischen Wörterbuch. Anfangs war er wohl überwiegend Alleinautor, heute sind es Dutzende von Experten und mehrere Wörterbücher (z. B. Therapeutisches Wörterbuch, Wörterbuch Therapie in Gynäkologie und Geburtshilfe, Wörterbuch Diabetologie u. a.).
Eher unbekannt – jedenfalls bis jetzt, aber das dürfte sich ändern – ist das Wörterbuch Sexualität (bearbeitet von Dr. Dr. St. Dressler und Dr. C. Zink, Berlin sowie zahlreichen Experten aus dem Bereich Medizin, Theologie, Psychologie, Rechtswissenschaft usw.).
Nun mangelt es nicht an Wörterbüchern der Sexualmedizin (beispielsweise aus dem gleichen Verlag: Handwörterbuch der Sexualwissenschaft von 1926 bis heute), wobei auch „Wörterbücher der anderen Art„ durchaus seriös und informativ gestaltet werden, man denke nur an Das intime Lexikon des Piper-Verlags, München-Zürich 2001 u. a.
Das hier besprochene Wörterbuch geht auf eine Tagung im Institut für Sexualwissenschaft der Charité (Universitätsklinikum Berlin) zurück. Strategische Planungen und ein Vergleich mit den vorhandenen Nachschlagewerken zu Liebe, Erotik und Sexualwissenschaft ließen es sinnvoll erscheinen, ein so komplexes Thema lexikographisch als Ganzes zu planen, und nicht einzelne Experten zu Wort kommen zu lassen. Das verspricht eine ausgewogenere Darstellung und wohl auch mehr Distanz, Breite und Objektivität. Denn ins Auge gefasst war nicht so sehr die (Über-)Spezialisierung, mehr die praktische Alltagsnutzbarkeit (wie sie auf obiger Tagung gefordert und inauguriert wurde).
Und ein zweiter Vorteil scheint uns in der Tat verwirklicht, nebenbei eine folgenreiche Crux spezialisierter Wörterbücher – die Sprache bzw. die Verständlichkeit. Den Herausgebern war eine einfache und verständliche, von Wortwiederholungen freie Sprache wichtig, wobei sie den Nachteil in Kauf nahmen, durchgehend „sexuell korrekt zu formulieren„. Dies betrifft vor allem das Problem der „männersprachlich orientierten Sätze„, das gerecht zu umgehen zu mitunter mühseligen Redundanzen führt.
Ansonsten kann man darauf vertrauen, dass eine Wörterbuch-Redaktion mit der Erfahrung von mehr als 250 Auflagen in der „Mutter-Ausgabe„ so perfekt arbeitet wie es die ständig wechselnden Bedingungen nahe legen. Und das gilt auch und insbesondere für dieses sexologisches Wörterbuch mit über 6.000 Stichwörtern und mehr als 300 Abbildungen und Tabellen zu Biologie, Biochemie, medizinischen Grundlagen, Psychologie und Psychotherapie, zu Geschlechterforschung, Soziologie, Kultur-, und Religions-, und Rechtswissenschaft, zu Sexualpolitik, Prävention und Therapie. Gerade die Sexualität prägt und durchdringt ja das Leben wie kaum ein anderer Bereich, was in einem solchen Wörterbuch dazu zwingt, viele Wissensgebiete miteinander zu verknüpfen, einschließlich Geschichte, aktuelle Diskussionen und sich neu abzeichnende Entwicklungen.
Dieser Wörterbuch, kaum erschienen, dürfte schon in Bearbeitung zur nächsten, ergänzten, erweiterten, korrigierten Auflage begriffen sein. Denn – wie die Herausgeber in ihrem Vorwort betonen –, es herrscht gerade im sexuellen Verständnis und Wissen eine stete Vorläufigkeit. Oder wie der Sexualforscher William Simon es ausdrückte: „Nach all den Jahren bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es keine dauerhaften, bedeutenden Wahrheiten für Sexualität gibt: Das Dauerhafte ist selten bedeutend, und was uns bedeutend erscheint, ist selten von Dauer„.
Wie wahr. Und wie gut, dass man unter diesen Umständen ein so solid aufgemachtes, allgemein verständliches, umfassendes, also kurz: empfehlenswertes Wörterbuch zur „Sexualität heute„ zur Verfügung hat (VF).
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