Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Christina Maslach, M. P. Leiter:
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So stellt Burnout einen Verschleiß von Werten, Würde, Geist und Willen dar, kurz: einen Verschleiß der menschlichen Seele. Eine Krankheit, die sich nicht nur über einen längeren Zeitraum hinzieht, sondern auch einen Teufelskreis provoziert, aus dem es nur schwer ein Entrinnen gibt. |
Die Folgen sind bekannt: Erschöpfung, Zynismus, Ineffizienz. Burnout hat einen hohen Preis, denn es verschleißt nicht nur die Seelen, es untergräbt die Gesundheit, die Fähigkeiten, den Lebensstil, die Leistungsfähigkeit. Die körperlichen Folgen ruinieren den Rest durch Kopfschmerzen, Magen-Darm-Erkrankungen, Bluthochdruck, Muskelverspannungen, chronische Müdigkeit. Und in seelischer Hinsicht Angstgefühle, Depressionen und Schlafsstörungen. Und am Schluss die totale Katastrophe, nämlich noch die Beziehungen zu Familie und Freunden. Und damit auch Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Autoren – man spürt die Erfahrung eines Vierteljahrhunderts – gehen dann ins Detail, was das Beschwerdebild des Burnout anbelangt (Einzelheiten siehe die Kapitel über Burnout und Erschöpfungsdepression). Und sie wiederholen noch einmal die wichtigsten Ursachen:
Arbeitsüberlastung, Einsparungen zur Produktivitätssteigerung, erschöpfende Arbeitszeit-Verlängerungen, immer komplexere Anforderungen, Mangel an Kontrolle, unzureichende Belohnung (im weitesten Sinne) – und damit der Verlust der Freude an der Arbeit, der Zusammenbruch der Gemeinschaft, die Spaltung persönlicher Beziehungen, die untergrabene Teamarbeit (jeder für sich allein und heimlich schon gegen alle anderen), das Fehlen von Fairness, die widersprüchlichen Werte in unserer Zeit und Gesellschaft, die Unfähigkeit, letztlich Wichtiges von sich aufdrängendem Unwichtigem zu trennen u. a.
Kann man etwas gegen Burnout unternehmen? Das kommt darauf an, von wem man eine Antwort verlangt. Hier gehen die Autoren mit den Arbeitgebern hart ins Gericht. Weshalb sie Burnout ignorieren, und zwar meist mit den immer gleichen Argumenten: „Es ist das Problem des Einzelnen“ bzw. „Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitgebers“ bzw. „Burnout hat keine wirkliche Auswirkung auf das Unternehmen“ bzw. „Das Unternehmen kann nicht viel dagegen tun“ u.a.m.
Können Unternehmen wirklich nichts tun? Ein Chef: „Ich habe mich nach zahlreichen Meetings und Geschäftsreisen zweifellos auch oft „ausgebrannt“ gefühlt. Aber man muss mit diesem Problem fertig werden. Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, einen anständigen Lohn zu zahlen und für ordentliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Es ist nicht seine Aufgabe, jeden glücklich zu machen“.
Nun, glücklich machen sollen sie nicht, die Arbeitgeber, aber sie sollten wenigstens einige Grundlagen der Arbeits-Psychologie und -Physiologie kennen – aus Eigennutz, um den wachsenden Schaden zu mildern, der auch sie eines Tages treffen wird. Und zwar sofort, anstatt sich erst später damit zu beschäftigen, wenn alle Dämme gebrochen sind (heimliche Arbeitgeber-Devise: „Wenn es nicht kaputt ist, dann muss ich es auch nicht reparieren“).
Was empfehlen die Autoren konkret, um Burnout aufzuhalten? Rein strategisch beginnt es mit einer Person, wird zum Gruppenprojekt, überträgt sich schließlich auf das ganze Unternehmen und bleibt als fortlaufender Prozess auch eine fortlaufende Aufgabe. Dazu gehören vor allem folgende Aspekte: Das Missverhältnis zwischen Arbeit und Mensch individuell angehen, der Versuch, den Arbeitsumfang zu verringern, zumindest aber etwas Kontrolle zu erlangen, desgleichen der Versuch, mehr Belohnung zu vermitteln (im weitesten Sinne!), um damit auch individuelle Initiativen innerhalb des Unternehmens zu stimulieren und vor allem dem Schwund der Identifikation entgegenzutreten. Letzteres ist ein viel größeres Problem, als man im Allgemeinen (in der dünnen Luft der Hierarchie-Spitze) realisiert. Das heißt: Herausfinden, was vorgeht, die richtigen Fragen stellen, die Ergebnisse objektiv (wenn auch schmerzlich) analysieren lassen – und damit brauchbare Ergebnisse erhalten und nicht nur Fassaden-Resultate mit Zustimmungs-Garantie. Danach selektiv die Unternehmenskultur verbessern: Management, Organisation, Humanität (Ethik – ein modernes Fremdwort).
Und schließlich etwas, was zwar jeder bemängelt, aber nur „rundherum“ beklagt: den Verlust der Menschlichkeit unter uns. Warum? In der heutigen Arbeitswelt sind wirtschaftliche Werte die primäre Triebkraft, alles andere ist ihnen untergeordnet, geißeln die Autoren. Obwohl sich die Betonung der wirtschaftlichen Werte auf die Menschen auswirkt, werden menschliche Anliegen nur noch dann direkt berücksichtigt, wenn sie wirtschaftlich einen Vorteil bringen. Konflikte am Arbeitsplatz, Arbeitsüberlastung oder andere Missverhältnisse zwischen Arbeit und Mensch werden nicht angesprochen, solange ihr Zusammenhang mit erhöhten Kosten oder verringerte Gewinne nicht ins Auge springen. Wird sich deshalb etwas tun? Oh ja, denn wenn einmal Burnout exakt berechenbar sein wird, dann lässt sich nicht mehr übersehen, wie kostspielig dieses Leidensbild ausfallen kann. Also (notgedrungen) „zurück zu den menschlichen Werten, auch und vor allem am Arbeitsplatz“. Und natürlich die Diskrepanzen zwischen Werten und Handlungen aufzeigen, akzeptieren, neutralisieren.
Das beginnt mit einer Definition der Werte. Danach muss der Prozess der Werte-Förderung initiiert und – was noch mühsamer ist – in Gang gehalten werden. Und die Ergebnisse gilt es weiterzuleiten und offen zu diskutieren. Beispiele: Unterscheiden sich die menschlichen Werte von den Prioritäten des Unternehmens oder gibt es gar direkte Konfliktpunkte zwischen ihnen? Wenn ja, müssen Veränderungen erörtert werden. Und schließlich eine präzise Feststellung jener Werte, über die ein eindeutiger Konsens im Unternehmen besteht. Dann gilt es die vereinbarten Werte gezielt einzusetzen und eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Und da Konflikte so oder so nicht ausbleiben, diese Werte-Konflikte offen legen, gemeinsam diskutieren und reduzieren. Das Ergebnis könnte eine neue Arbeitswelt auf dem Weg in eine bessere Zukunft sein.
Wie lauten die schlagwortartigen Empfehlungen der Autoren?
Natürlich ist dies leichter gesagt als getan. Und es hängt auch von einigen relevanten Aspekten ab wie die Art der Arbeit, der Charakter des Unternehmens und der Arbeitsgruppe sowie die externen Faktoren, die sich auf das Unternehmen auswirken. Keine Frage, einfach wird das nicht. Es braucht viel Geduld und den festen Willen, den Prozess (vom lateinischen procedere = vorwärts schreiten, aber auch Fortschritte machen, Erfolg haben) in Gang zu halten. Der Erfolg wird sich nur langsam einstellen, nie rasch (was ohnehin suspekt ist).
Doch – so die Autoren – „mit Geduld und Beharrlichkeit sowohl seitens des Einzelnen als auch des Unternehmens sind Fortschritte in Richtung einer gesünderen und menschlicheren Arbeitswelt der Zukunft möglich“. Manche unken, es sei schon zu spät. Doch es ist nie zu spät, nicht für den Einzelnen, nicht für ein ganzes Unternehmen. Es sind nur Einzelne, die in der Regel die Initiative ergreifen und trotz vielfältiger Widerstände, Belastungen oder gar Anfeindungen durchstehen.
Aber man sollte nicht auf solche Einzelkämpfer hoffen. Man sollte es selbst versuchen, um der gemeinsamen Sache willen (VF).
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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