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Christina Maslach, M. P. Leiter:
DIE WAHRHEIT ÜBER BURNOUT
Stress am Arbeitsplatz und was Sie dagegen tun können
Springer-Verlag, Wien-New York 2001, 185 S., € 30,40. ISBN 3-211-83572-5

„Heutzutage nimmt Burnout unter den Arbeitskräften Nordamerikas fast seuchenartige Ausmaße an. Dies liegt nicht so sehr daran, dass mit uns etwas nicht mehr stimmt, sondern eher daran, dass es fundamentale Veränderungen am Arbeitsplatz und an der Arbeit unserer Berufe gegeben hat. Der heutige Arbeitsplatz ist meist ein kaltes, abweisendes, forderndes Umfeld, sowohl in wirtschaftlicher als auch in psychologischer Hinsicht. Die Menschen sind emotionell, physisch und geistig erschöpft. Die täglichen Anforderungen des Berufes, der Familie und alles, was damit zusammenhängt, schwächen ihre Energie und ihren Enthusiasmus. Die Freude am Erfolg und das Hochgefühl über die Erreichung eines Ziels sind immer schwerer zu wecken. Begeisterung und Einsatzbereitschaft in der Arbeit schwinden. Die Menschen werden zynisch, bleiben auf Distanz, versuchen, sich nicht zu sehr einzulassen.“ So beginnt das Buch über Die Wahrheit über Burnout – Stress am Arbeitsplatz und was Sie dagegen tun können. Und weiter:

„Wodurch wurde diese Krise ausgelöst? Weshalb wird Burnout ein immer gängigerer Begriff unseres beruflichen Vokabulars? Warum sind durchaus motivierte Arbeiter, Manager und Führungspersonen im Gemeinschaftsleben unfähig, dagegen etwas zu unternehmen? Die Wurzeln des Problems liegen in den wirtschaftlichen Trends, der Technologie und der Management-Philosophie.“

Das sind deutliche Worte, die gehen unter die Haut und sind „Balsam für die Seele“ vieler Betroffener. Und sie kommen nicht von irgendeinem „me-too-Autor“, denn immer häufiger irritieren die journalistischen Trittbrettfahrer, die heute über Borderline-Persönlichkeitsstörun­gen, morgen über Pflanzenheilmittel, übermorgen über Aufmerksamkeitsstörungen im Kindesalter und auf jeden Fall über Burnout schreiben, ohne entsprechende Ausbildung und alltags-relevante Erfahrung. Nein, sie kommen von zwei Experten aus den nativen Regionen des Burnout, nämlich Nordarmerika und Kanada. Dr. Christina Maslach ist Professorin für Psychologie an der Universität von Kalifornien, Berkeley. Dr. Michael P. Leiter ist Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät und Professor für Psychologie an der Acadia Universität, Nova Scotia, Kanada. Seit einem Vierteljahrhundert beschäftigen sie sich mit der „Volkskrankheit Burnout“, sind praktisch Wissenschaftler der ersten Stunde, was diese „Seuche epidemischen Ausmaßes unserer Zeit und Gesellschaft“ anbelangt. Und es fehlt ihnen nicht an Anschauungs-Material. Die USA sind uns immer voraus, auch im Negativen. Das hat nebenbei seine Vorteile, wenn wir sie nutzen. Ob das beim Burnout möglich ist, bleibt dahingestellt.

Doch die Autoren lassen nicht locker. Schon die Kapitel-Überschriften sprechen Bände: Defizit an Eigenwert (Eigenwert wird nur noch in Geld ausgedrückt), globale Wirtschaft (ins Ausland verlagert), Technologie (mehr Arbeit durch weniger Menschen), Neuverteilung der Macht (straffes Management der Human Resources), das Scheitern der Firmenzugehörigkeit (man kann sich nicht mehr mit „seiner“ Firma ideologisch identifizieren) u. a.

Und im Detail:

  • Wir fühlen uns überlastet (das augenscheinlichste Anzeichen für eine Diskrepanz zwischen Arbeitnehmer und Arbeit),
  • wir haben nicht genug Kontrolle über das, was wir tun (es liegen Welten zwischen der Möglichkeit, verantwortlich zu sein und der Einschränkung durch unumstößliche Richtlinien und straffe Überwachung),
  • wir werden für unsere Arbeit nicht belohnt (wenn wir keine Anerkennung bekommen, werden sowohl die Arbeit, die wir erledigen, als auch wir selbst als Arbeitnehmer abgewertet),
  • wir erleben einen Zusammenbruch der Gemeinschaft (Mangel an Gemeinschaft entsteht, wenn Menschen positive Kontakte zu anderen in ihrem Arbeitsumfeld verlieren),
  • wir werden nicht fair behandelt (Fairness am Arbeitsplatz bedeutet, dass man den Menschen gegenüber Respekt zeigt und ihr Selbstwertgefühl stärkt),
  • wir haben es mit widersprüchlichen Werten zu tun (ein Missverhältnis zwischen den Anforderungen der Arbeit und unseren persönlichen Prinzipien).

So stellt Burnout einen Verschleiß von Werten, Würde, Geist und Willen dar, kurz: einen Verschleiß der menschlichen Seele. Eine Krankheit, die sich nicht nur über einen längeren Zeitraum hinzieht, sondern auch einen Teufelskreis provoziert, aus dem es nur schwer ein Entrinnen gibt.

Die Folgen sind bekannt: Erschöpfung, Zynismus, Ineffizienz. Burnout hat einen hohen Preis, denn es verschleißt nicht nur die Seelen, es untergräbt die Gesundheit, die Fähigkeiten, den Lebensstil, die Leistungsfähigkeit. Die körperlichen Folgen ruinieren den Rest durch Kopfschmerzen, Magen-Darm-Erkrankungen, Bluthochdruck, Muskelverspannungen, chronische Müdigkeit. Und in seelischer Hinsicht Angstgefühle, Depressionen und Schlafsstörungen. Und am Schluss die totale Katastrophe, nämlich noch die Beziehungen zu Familie und Freunden. Und damit auch Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Autoren – man spürt die Erfahrung eines Vierteljahrhunderts – gehen dann ins Detail, was das Beschwerdebild des Burnout anbelangt (Einzelheiten siehe die Kapitel über Burnout und Erschöpfungsdepression). Und sie wiederholen noch einmal die wichtigsten Ursachen:

Arbeitsüberlastung, Einsparungen zur Produktivitätssteigerung, erschöpfende Arbeitszeit-Verlängerungen, immer komplexere Anforderungen, Mangel an Kontrolle, unzureichende Belohnung (im weitesten Sinne) – und damit der Verlust der Freude an der Arbeit, der Zusammenbruch der Gemeinschaft, die Spaltung persönlicher Beziehungen, die untergrabene Teamarbeit (jeder für sich allein und heimlich schon gegen alle anderen), das Fehlen von Fairness, die widersprüchlichen Werte in unserer Zeit und Gesellschaft, die Unfähigkeit, letztlich Wichtiges von sich aufdrängendem Unwichtigem zu trennen u. a.

Kann man etwas gegen Burnout unternehmen? Das kommt darauf an, von wem man eine Antwort verlangt. Hier gehen die Autoren mit den Arbeitgebern hart ins Gericht. Weshalb sie Burnout ignorieren, und zwar meist mit den immer gleichen Argumenten: „Es ist das Problem des Einzelnen“ bzw. „Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitgebers“ bzw. „Burnout hat keine wirkliche Auswirkung auf das Unternehmen“ bzw. „Das Unternehmen kann nicht viel dagegen tun“ u.a.m.

Können Unternehmen wirklich nichts tun? Ein Chef: „Ich habe mich nach zahlreichen Meetings und Geschäftsreisen zweifellos auch oft „ausgebrannt“ gefühlt. Aber man muss mit diesem Problem fertig werden. Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, einen anständigen Lohn zu zahlen und für ordentliche Arbeitsbedingungen zu sorgen. Es ist nicht seine Aufgabe, jeden glücklich zu machen“.

Nun, glücklich machen sollen sie nicht, die Arbeitgeber, aber sie sollten wenigstens einige Grundlagen der Arbeits-Psychologie und -Physiologie kennen – aus Eigennutz, um den wachsenden Schaden zu mildern, der auch sie eines Tages treffen wird. Und zwar sofort, anstatt sich erst später damit zu beschäftigen, wenn alle Dämme gebrochen sind (heimliche Arbeitgeber-Devise: „Wenn es nicht kaputt ist, dann muss ich es auch nicht reparieren“).

Was empfehlen die Autoren konkret, um Burnout aufzuhalten? Rein strategisch beginnt es mit einer Person, wird zum Gruppenprojekt, überträgt sich schließlich auf das ganze Unternehmen und bleibt als fortlaufender Prozess auch eine fortlaufende Aufgabe. Dazu gehören vor allem folgende Aspekte: Das Missverhältnis zwischen Arbeit und Mensch individuell angehen, der Versuch, den Arbeitsumfang zu verringern, zumindest aber etwas Kontrolle zu erlangen, desgleichen der Versuch, mehr Belohnung zu vermitteln (im weitesten Sinne!), um damit auch individuelle Initiativen innerhalb des Unternehmens zu stimulieren und vor allem dem Schwund der Identifikation entgegenzutreten. Letzteres ist ein viel größeres Problem, als man im Allgemeinen (in der dünnen Luft der Hierarchie-Spitze) realisiert. Das heißt: Herausfinden, was vorgeht, die richtigen Fragen stellen, die Ergebnisse objektiv (wenn auch schmerzlich) analysieren lassen – und damit brauchbare Ergebnisse erhalten und nicht nur Fassaden-Resultate mit Zustimmungs-Garantie. Danach selektiv die Unternehmenskultur verbessern: Management, Organisation, Humanität (Ethik – ein modernes Fremdwort).

Und schließlich etwas, was zwar jeder bemängelt, aber nur „rundherum“ beklagt: den Verlust der Menschlichkeit unter uns. Warum? In der heutigen Arbeitswelt sind wirtschaftliche Werte die primäre Triebkraft, alles andere ist ihnen untergeordnet, geißeln die Autoren. Obwohl sich die Betonung der wirtschaftlichen Werte auf die Menschen auswirkt, werden menschliche Anliegen nur noch dann direkt berücksichtigt, wenn sie wirtschaftlich einen Vorteil bringen. Konflikte am Arbeitsplatz, Arbeitsüberlastung oder andere Missverhältnisse zwischen Arbeit und Mensch werden nicht angesprochen, solange ihr Zusammenhang mit erhöhten Kosten oder verringerte Gewinne nicht ins Auge springen. Wird sich deshalb etwas tun? Oh ja, denn wenn einmal Burnout exakt berechenbar sein wird, dann lässt sich nicht mehr übersehen, wie kostspielig dieses Leidensbild ausfallen kann. Also (notgedrungen) „zurück zu den menschlichen Werten, auch und vor allem am Arbeitsplatz“. Und natürlich die Diskrepanzen zwischen Werten und Handlungen aufzeigen, akzeptieren, neutralisieren.

Das beginnt mit einer Definition der Werte. Danach muss der Prozess der Werte-Förderung initiiert und – was noch mühsamer ist – in Gang gehalten werden. Und die Ergebnisse gilt es weiterzuleiten und offen zu diskutieren. Beispiele: Unterscheiden sich die menschlichen Werte von den Prioritäten des Unternehmens oder gibt es gar direkte Konfliktpunkte zwischen ihnen? Wenn ja, müssen Veränderungen erörtert werden. Und schließlich eine präzise Feststellung jener Werte, über die ein eindeutiger Konsens im Unternehmen besteht. Dann gilt es die vereinbarten Werte gezielt einzusetzen und eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Und da Konflikte so oder so nicht ausbleiben, diese Werte-Konflikte offen legen, gemeinsam diskutieren und reduzieren. Das Ergebnis könnte eine neue Arbeitswelt auf dem Weg in eine bessere Zukunft sein.

Wie lauten die schlagwortartigen Empfehlungen der Autoren?

  • Ertragbare Arbeitsbelastung
  • Gefühle von Entscheidungsfreiheit und Kontrolle zulassen
  • Anerkennung und Belohnung
  • Gemeinschaftssinn
  • Fairness, Respekt und Gerechtigkeit
  • sinnvolle und wertvolle Arbeit

Natürlich ist dies leichter gesagt als getan. Und es hängt auch von einigen relevanten Aspekten ab wie die Art der Arbeit, der Charakter des Unternehmens und der Arbeitsgruppe sowie die externen Faktoren, die sich auf das Unternehmen auswirken. Keine Frage, einfach wird das nicht. Es braucht viel Geduld und den festen Willen, den Prozess (vom lateinischen procedere = vorwärts schreiten, aber auch Fortschritte machen, Erfolg haben) in Gang zu halten. Der Erfolg wird sich nur langsam einstellen, nie rasch (was ohnehin suspekt ist).

Doch – so die Autoren – „mit Geduld und Beharrlichkeit sowohl seitens des Einzelnen als auch des Unternehmens sind Fortschritte in Richtung einer gesünderen und menschlicheren Arbeitswelt der Zukunft möglich“. Manche unken, es sei schon zu spät. Doch es ist nie zu spät, nicht für den Einzelnen, nicht für ein ganzes Unternehmen. Es sind nur Einzelne, die in der Regel die Initiative ergreifen und trotz vielfältiger Widerstände, Belastungen oder gar Anfeindungen durchstehen.

Aber man sollte nicht auf solche Einzelkämpfer hoffen. Man sollte es selbst versuchen, um der gemeinsamen Sache willen (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).