R. Mangold, P. Foderer, G. Bente (Hrsg.) :
LEHRBUCH DER MEDIENPSYCHOLOGIE
Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle, 2004. 830 S., zahlreiche Abb. und Tab., € 69,95. ISBN 3-8017-1489-6
Die Medien sind nicht nur allgegenwärtig, sie beherrschen auch unseren Alltag. Konkret: unser Denken, Fühlen, Planen, unsere Wünsche, Sorgen, Sympathien und Animositäten, kurz: unser Leben. Das wird zwar jeder kritisch denkende Mensch entrüstet zurückweisen, aber die Realität sieht anders aus. Wer sich über diese (auch subjektive) Entwicklung erhaben fühlt, liefert sich möglicherweise einem verhängnisvollen Irrtum aus und könnte noch manipulierbarer sein als die wachsende Zahl der resignierten Konsumenten, die sich zwar damit abgefunden haben, sich aber auch nichts vormachen.
Außerdem ist es eine „alte Geschichte“, die nur in den letzten Jahrzehnten an Fahrt gewonnen hat. Begonnen hat es mit dem Buchdruck (die ersten gedruckten Bibeln waren vor allem eine geistige, nicht nur eine religiöse Revolution), gefolgt von Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen, von Radio, Telefon und Fernsehen, zuletzt vom PC (dem „Hypermedium“) und seiner wachstumsgierigen Tochter, dem Internet. Die „Mediatisierung unserer Welt“ ist komplett. Das eröffnet Chancen und provoziert Risiken, auf jeden Fall stellt es wachsende Anforderungen an den Einzelnen dar.
Wie werden wir damit fertig? Als Erstes gilt es dieses Phänomen (oder Problem?) zu erkennen, dann aber - noch wichtiger - anzuerkennen, d. h. zu akzeptieren, in welchen Strudel nach unten oder Höhenflug nach oben wir dabei zu geraten drohen. Das aber setzt ein Grundwissen voraus, das uns wiederum von den Medien geboten (aufgedrückt?) wird. Oder mit anderen Worten: Hier klärt uns ein Medium in eigener Sache (und zwar in seinem Sinne) auf. Wo aber können wir uns kritisch informieren? Hier hilft die Psychologie, konkret: die Medienpsychologie, weiter. Sie beschäftigt sich mit menschlichem Erleben und Verhalten im Umgang mit den Medien. Das heißt mit den motivationalen Voraussetzungen, der Wahl zu bestimmten Medien und Inhalten, mit den kognitiven, emotionalen und verhaltensmäßigen Wirkungen bei Einzelnen und Gruppen, mit der Analyse von Wirkung, Nutzen und Schaden - und damit vielleicht auch mit der positiven Weiterentwicklung, wenn nicht gar Optimierung medialer Inhalte und Angebote.
Das aber wiederum setzt gerade bei den Medien ein interdisziplinäres Bemühen voraus, wozu die Psychologie besonders geeignet ist. Im vorliegenden Fall beginnt es mit den Ingenieurwissenschaften, der Informatik, geht über Publizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaften, zu Sprach- und Literaturwissenschaften bis hin zu Pädagogik, klinischer Psychologie und Psychiatrie.
Allerdings ist das noch längst kein einheitlicher Forschungs-Block, sondern erst langsam im Werden, gleichsam ein vielschichtiges Wissenschafts-(und damit Wissens-)Angebot, das erst einmal nur unter dem Leitbegriff „Medien“ zusammengeführt wird.
Und hier ist ein Lehrbuch wie das Vorliegende ein Segen. Während die Einzel-Angebote in Wort, Schrift und Bild der verschiedenen Disziplinen schon längst nicht mehr überblickbar sind, wird hier versucht, wenigstens einen Einblick zu schaffen, ein „erster Versuch der Kanonisierung medienpsychologischer Lehr- und Forschungsinhalte“, wie im Vorwort ausgeführt wird. Ein hoher Anspruch, aber auch ein gutes Fundament, vor allem angesichts der Heterogenität des Gebotenen: Geschichte, Medienkompetenz, -nutzung und -wirkung, kognitions-, emotions-, entwicklungs-, persönlichkeits- und sozial-psychologische Grundlagen. Dann die methodische Basis: Inhaltsanalyse, telemetrische Verfahren, Online-Researche, psychophysiologische Grundlagenforschung, Erfassung und Analyse des Blickverhaltens, Usability-Testing (an englischsprachige Fachbegriffe muss man sich gewöhnen, besonders in der Medienpsychologie!), laborexperimentelle, qualitative und wirkungs-analytische Methoden u. a. Und schließlich - hochinteressant die einzelnen Anwendungen und ihre Problemfelder - : Lesen, Musikhören, Radio- und Fernsehnutzung (einschließlich ihrer Wirkung), Nachrichten, Infotainment und Edutainment (s. o.), Unterhaltung, Pornographie (immer bedeutsamer werdend, keine Gruppe aussparend!), Medien und Gewalt (dito), Werbung, Mensch-Computer-Interaktion, computervermittelte Kommunikation, Computer- und Videospiele, interaktives Lernen mit Multimedia, E-Learning und netzbasierte Wissenskommunikation, sozio-emotionale Dimension des Internet u.a.m.
Das Buch ist - man ahnt es schon - eine schwere Kost. Aber es ist auch ein faszinierendes Werk, bei dem sich die Herausgeber viel Mühe gegeben haben, den Aufbau und die didaktische Aufbereitung zu vereinheitlichen. Ein eigener Marginaltext verhilft zur raschen Übersicht (kostet aber viel vergeudeten, weil ungenutzten Platz, das sollte man sich in einer Neuauflage gut überlegen). Hilfreich die vielen Kästen mit Verständnisfragen, weiterführender und Fach-Literatur. Am Schluss ein eindrucksvolles Autoren- und noch umfangreicheres Sach-Register. Und insgesamt ein guter Eindruck bei nebenbei günstigem Preis.
Es gibt nachdenkliche, es gibt böse Worte über die Medien. Beispiele: „Wir werden der Erfahrung und der Fähigkeit zur Stellungnahme beraubt“ (Günther Anders). Oder noch vernichtender: „Die Verschleimung unserer Medien nimmt täglich zu“ (Heinrich Böll). Da ist etwas dran. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung und nüchterne Information wird uns helfen, den Medien-Nutzen anzuheben und die Gefahren auf ein tragbares Niveau zu reduzieren. Die Medienpsychologen müssen uns dabei unterstützen. Zum Beispiel mit einem solchen Lehrbuch (VF).
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