Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS):
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Die Alters- und Geschlechtsverteilung Raucheranteil in Prozent nach Alter und Geschlecht 2003
Quelle: Statistisches Bundesamt, zitiert nach Jahrbuch Sucht 05 |
Demnach raucht schon jeder vierte Jugendliche bzw. Heranwachsende. In den so genannten „besten Jahren“ sind es 4 von 10 Männern und jede dritte Frau. Die Vernunft greift erst im Rückbildungsalter, hat aber selbst im höheren Lebensalter noch einen schweren Stand, besonders beim männlichen Geschlecht. Und bei der Frau generell – wie erwähnt: Hier lässt sich ein deutlicher Anstieg feststellen, wobei Raucherinnen in den alten Bundesländern zwar führen, in den neuen aber massiv zunehmen, und zwar vor allem in jungen Jahren.
Die Hälfte der Nichtraucher raucht trotzdem
Wer nicht raucht, lebt noch lange nicht wirklich nikotin-abstinent – eine alte Erkenntnis. Mehr als die Hälfte aller Nichtraucher geben an, dass sie unfreiwillig Tabak einatmen müssen (Passivrauch-Belastung). Am häufigsten am Arbeitsplatz (jeder Fünfte), gefolgt von Zuhause (mehr als jeder Zehnte) bzw. an anderen Orten (4 von 10). Die meisten fühlen sich belästigt, können aber kaum etwas dagegen tun. Raucher rauchen mit hartnäckiger Selbstverständlichkeit – auch zu Lasten anderer. Das Beispiel im Kasten mag zwar weit hergeholt sein, hat aber bei einigem Nachdenken trotzdem etwas für sich:
Das erzwungene Passiv-Rauchen von Nicht-Rauchern könnte laut Meinung erboster Betroffener mit der sicher befremdlichen Gewohnheit gleichgesetzt werden, jeden zweiten Schluck Bier, Wein oder Schnaps dem Gegenüber auf die Weste zu spucken…(Zitat). |
Wer will aufhören?
Es ist keine Frage: Wer einmal zum Raucher geworden ist, kommt nur schwer wieder raus. Rauchen macht seelisch und körperlich abhängig. Wer das bezweifelt, soll einfach einmal ein Tabak-Stopp mitmachen, entweder passiv oder gar aktiv. Praktisch jeder Raucher hat schon einmal versucht aufzuhören – meist vergeblich. Die häufigste „rauchfreie Zeit“ betrug einen Tag, selten mehr. Besonders „vernünftig“ scheinen die Skandinavier, aber auch Holländer, Engländer u. a. zu sein. In Deutschland ist der Wille zum Aufhören besonders gering und wird nur noch von den Portugiesen und Österreichern unterboten.
In Deutschland wurden 2003 1,6 Mrd. Arzneimittelpackungen über die Apotheken verkauft, mehr als ein Drittel davon ohne Rezept im Rahmen der Selbstmedikation. 5 bis 6% aller verordneten Arzneimittel besitzen ein eigenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential. Das größte Problem sind Schlaf- und Beruhigungsmittel aus der Familie der Benzodiazepine.
Deren Verordnung ist zwar deutlich zurückgegangen, reicht aber noch immer aus, um mehr als eine Million Abhängige von dieser Suchtform zu versorgen (die Gesamtzahl der Arzneimittelabhängigen wird auf 1,3 bis 1,4 Millionen geschätzt, wozu vor allem Schmerzmittel beitragen). Bei Letzteren spielen dann auch Schmerzmittelkombinationen mit Koffein eine Rolle. Hauptgrund sind Kopf-, aber in zunehmendem Maße auch Wirbelsäule-, Gelenk- und Muskelschmerzen.
Wenn die Indikation gerechtfertigt ist, wird es schwer, eine allseits tragbare Entscheidung zu fällen. Ein großer Teil dieser so genannten psychotropen Arzneimittel (mit Wirkung auf das Zentrale Nervensystem und damit Seelenleben einschließlich Suchtgefahr) wird aber nicht zur akuten Heilanzeige eingenommen, sondern langfristig, und das heißt letztlich zur Sucht-Unterhaltung, vor allem zur Vermeidung von Entzugserscheinungen. Man schätzt diesen Anteil auf ein Drittel.
Kennzeichnendes Merkmal einer Abhängigkeitsentwicklung ist die so genannte Toleranz-Erhöhung und damit notwendige Dosis-Steigerung. Und wenn man wieder heraus will die gefürchteten Abstinenz-Symptome (Entzugserscheinungen). Sie machen das eigentliche Problem aus (wie bei Alkohol, Tabak, den meisten Rauschdrogen u. a.). Aber auch jene Arzneimittel, die mit keiner (ernsten) Suchtgefahr verbunden sind, kann es beim schlagartigen Absetzen Schwierigkeiten geben (deshalb auch Absetz-Symptome genannt). Hier muss man langsam ausschleichen. Dazu gehören auch jene Medikamente, die inzwischen immer häufiger verordnet werden, nämlich die Antidepressiva (z. B. Depressionen, Angststörungen u. a.).
Zum Schluss die Frage: Werden die Psychostimulanzien (Weckmittel, meist vom Typ der Amphetamine) wieder zum Problem? Und zwar durch die Hintertür der Zappelphilipp-Behandlung (Stichwort: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung - AD(H)S)? Immerhin reicht die derzeitig verordnete Menge aus, um etwa 60.000 Kinder ganzjährig zu behandeln (nach G. Glaeske u. a.). Bisher sind allerdings keine Abhängigkeitsfälle bekannt geworden, wenn die Indikation stimmte und die ärztliche Betreuung garantiert ist. Dafür sorgt schon der BTM-Rezeptverordnungs-Zwang. Man muss aber wachen Sinnes abwarten. Neue, nicht BTM-rezeptverordnungspflichtige Substanzen warten auf ihre Chance.
Im Jahr 2003 stieg die Zahl der registrierten Rauschgiftdelikte auf 255.575. Das sind 4 % der Gesamt-Kriminalität. Auf den ersten Blick nicht viel, aber nach wie vor verheerend, was die Folgen und vor allem die betroffene Klientel anbelangt. Am stärksten sind die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin betroffen.
Amphetamine, Crack (Kokain-Base, die nach Verdampfen des Wassers (Pancake) in nussgroße Stücke gebrochen wird und beim Rauchen ein knisterndes Geräusch entwickelt, deshalb der Name) und Cannabis-Produkte (Haschisch und Marihuana) scheinen wieder an Bedeutung zu gewinnen. Der Konsum von Kokain stagniert, Heroin und Ecstasy gehen offenbar zurück. Bei Kokain ist allerdings zu bedenken, dass dafür Crack (s. o.) einspringt.
Die Zahl der jährlichen Rauschgifttoten betrug 2003 1.477: 84 % männlich, 16 % weiblich (und insgesamt 10 % Aussiedler!). Der Rückgang ist erfreulich, die absolute Zahl nach wie vor erschreckend. Immerhin scheinen die Präventionsmaßnahmen langsam zu greifen.
Zu den speziellen Aspekten aktueller Suchtgefahren gehören beispielsweise das
– Glücksspiel: Die Umsätze auf dem Glücksspiel-Markt steigen nach wie vor (der Staat kassiert dabei 4,41 Mrd. Euro pro Jahr, mehr als aus der Alkoholsteuer). Eine Aufweichung des staatlichen Glückspielmonopols ist erkennbar, die Suchtprävention gefährdet. Die Zahl der an „pathologischem Glücksspiel“ Erkrankten nimmt zu (Männer 2,7 %; Frauen 0,9 %). Die Geldspielautomaten-Abhängigen bilden mit Abstand die größte Gruppe, gefolgt von anderen Glücksspielformen, besonders aus dem Bereich der Spielbanken. Hier weitet sich vor allem das Problem der Verschuldung aus (nur jeder Vierte gibt keine Schuldenlast an). Die Möglichkeiten einer konkreten Behandlung wachsen, doch die Zahl der Rückfälle und damit Therapie-Abbrüche ist nach wie vor groß.
– Sucht und Straßenverkehr: Um gleich mit dem Erfreulichen zu beginnen: Die Zahl der bei Unfällen mit Personenschäden Beteiligten unter Alkoholeinfluss nimmt ab. Nach wie vor am häufigsten betroffen sind männliche Pkw-Fahrer zwischen 21 und 24 Jahren, gefolgt von den 18- bis 20-Jährigen und den 25- bis 34-Jährigen, oder kurz: Die Jungen machen die meisten Alkohol-Unfälle – und zwar Männer 8-mal so häufig wie Frauen.
Die Abendstunden sind am heftigsten betroffen, insbesondere die Wochenend-Nächte. Wer das nicht glaubt, mache einmal die Beobachter-Probe selber… (Kommentar der in dieser Hinsicht wohl am besten informierten Taxi-Fahrer in Nachtschicht: „Hier ist in den frühen Morgenstunden mehr los als tagsüber, aber wie“).
Während das Fahren unter Alkoholeinfluss relativ leicht bereits an dem typischen Atemgeruch erkannt werden kann, ist die Aufdeckung eines drogen- oder arzneimittel-beeinflussten Fahrers deutlich schwieriger. Hier muss man meist auf andere Erkennungs-Merkmale ausweichen (die Polizei kennt sie, dafür gibt es spezielle „Drogenerkennungs-Seminare im Straßenverkehr“). Schnelltest-Verfahren für Drogen gibt es leider zurzeit noch nicht. Durchaus erfolgreich sind aber Vortests mittels Speichel, Schweiß oder Urin, die allerdings durch eine Laboranalyse bestätigt werden müssen.
– Internet-Addiction – ein virtuelles Problem? Seit der Erfindung des Telefons ging der Einführung neuer Informations- und Kommunikations-Technologien die Warnung vor exzessiver Nutzung voraus (Stichwort: „Tätigkeitssüchte“). Der Begriff „Internet-Addiction“ entstammt zwar einer psychiatrischen Parodie, wurde aber rasch bittere Realität. Wie nachhaltig die mittel- oder gar langfristigen Folgen sind, steht noch aus – und damit eine eigene nosologische Klassifikation „Internetsucht“. Eine seelische Abhängigkeit scheint evident, sogar Toleranzentwicklung und damit Dosissteigerung (ständig länger am PC verbringen) sind kein Thema. Neuerdings spricht man sogar von körperlichen Abhängigkeitsfolgen.
Meist dürfte es sich aber um eine so genannte Ko-Morbidität handeln, d. h. hier pfropft sich die Internetsucht auf eine vorgeschädigte oder zumindest labile Persönlichkeitsstruktur auf.
Dass aber inzwischen sogar bestimmte Subtypen diskutiert werden, spricht für eine eher negative Entwicklung der exzessiven Nutzung von Online-Diensten. Beispiele mit (natürlich) englischen Fachbegriffen: addiction to online-sex, to online-gambling, to online-relationships, to web cruising and e-mail-checking, to multi-user dungeons u. a.
Was auch immer dabei herauskommen mag, eines ist für immer mehr Betroffene eine bittere Konsequenz: Rückzug und Isolationsgefahr in die eignen vier Wände mit allen Folgen. Also eine jener berüchtigten Abhängigkeitsformen, die man schon früher als „stille Sucht“ bezeichnete (hier meist für Medikamenten-Abhängige verwendet, die ihre Sucht am besten verbergen konnten).
– Kaufsucht war für Europa lange ein relativ neues Phänomen. Bezeichnet wird damit eine zumeist anfallsartig auftretende Kaufsucht von Konsumgütern, also einerseits eine stoffungebundene Sucht (im Sinne von kein Alkohol, Tabak, Medikament, Rauschdrogen u. a.), andererseits aber „werk-stoff-gebunden“.
Befriedigung lässt sich damit nur kurzfristig erreichen, meist werden die erworbenen Güter gar nicht benötigt und deshalb verschenkt, gehortet oder entsorgt. Problematisch wird es nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern wenn das exzessive Kaufverhalten die einzige Bewältigungsstrategie innerseelischer Probleme wird, die – auch hier, so sonderbar es sich anhört –, zu Rückzug und Isolation führt (wenngleich selbst im Trubel von Kaufhäusern, Boutiquen, Märkten u. a.). Auf jeden Fall finden sich gängige Suchtkriterien wie Kontrollverlust, „Dosissteigerung“ und schließlich Entzugserscheinungen mit der Unfähigkeit mittels normalen Kaufverhaltens durchzukommen.
Die Ursachen sind vielfältig und gehen von negativen Kindheitserfahrungen mit niedrigem Selbstwertgefühl bis hin zu gesellschaftlichen Einflüssen und der Abhängigkeit von werbestrategischer Überredung. In der Regel ist es ein entgleistes Selbstbelohnungs- bzw. Selbstbehandlungsverfahren.
Selten ist es nicht mehr. Man vermutet, dass sich etwa 7 % der deutschen Erwachsenen als stark kaufsuchtgefährdet einschätzen, zwei Drittel davon Frauen. Die seelischen und psychosozialen Folgen kann man sich denken, die wirtschaftlichen ohnehin (hohe Überschuldung). Zur ersten Hilfestellung gibt es immer mehr Selbsthilfegruppen, notfalls eine gezielte Psychotherapie.
Schlussfolgerung
Das Jahrbuch Sucht kommt – wie der Name sagt – jedes Jahr heraus. Die Zahlen mögen ernüchternd, die Statistiken ermüdend sein und sich vieles wiederholen (Trends deuten sich in der Regel hinter dem Koma an und sind meist wenig spektakulär). Trotzdem ist dieses Buch eine Fundgrube, dazu preiswert, aktuell und seriös erarbeitet. Außerdem für jeden, der Fakten als Argumentier-Hilfe braucht, um zu überzeugen, ein unverzichtbares Hilfsmittel. Empfehlenswert – jedes Jahr neu (VF).
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.