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M. Stöhr:
DIE WAHRHEIT ÜBER ANTI-AGING
Risiken erkennen - Chancen nutzen
Eichborn-Verlag, Frankfurt 2005, 272 S., € 22,90.
ISBN: 3-8218-5597-5

Über das Älterwerden und Alter ist in dieser Serie öfter zu lesen. Kein Wunder: Die erfreulich gestiegene Lebenserwartung macht das "dritte Lebensalter" langsam aber "unerbittlich" zum Thema Nummer 1 (inzwischen spricht man ja schon vom "vierten Lebensalter": etwa ab 75 aufwärts, nach oben offen...). Da sich deshalb Medien und Wirtschaft (bzw. umgekehrt!) vermehrt für die Älteren interessieren, schließlich wer-den dort die finanziellen Ressourcen der Zukunft gesehen, schiebt sich auch ein frü-her eher unbeachteter (ja fast schon verachteter) Zweig der Medizin in den Vorder-grund, zuerst leise, inzwischen immer lauter und heute fast schon dominierend: die Anti-Aging-Wissenschaft und in ihrem Gefolge die inzwischen mächtige Anti-Aging-Industrie. Viel Gewinn-Statistik dringt da nicht an die Öffentlichkeit, denn das meiste geht ja ohne ärztliche Verordnung und Rezept über den Ladentisch von Supermärk-ten, Drogerien, Reformhäusern und auch Apotheken. Doch dass andere Branchen von solchen Umsätzen und vor allem Gewinnen nur träumen können, das dämmert inzwischen jedem.

Nun wäre es aber nicht fair, die medizinischen Angebote im weitesten Sinne infrage zu stellen, die ein gesundes und langes Leben versprechen. Die Ärzteschaft ist da zwar noch überwiegend zurückhaltend, doch diese Einstellung weicht auf. Mehr und mehr bietet man inzwischen auch dort nicht gerade "Wundermittel" an, das ist unse-riös und kann sich gegen den Empfehlenden wenden, verneint aber auch nicht rundweg die Möglichkeiten, zumindest was die Klassiker des Anti-Aging-Marktes an-belangt, nämlich Vitamine und Mineralstoffe. Geteilt ist die ärztliche Meinung (über-wiegend noch immer) bei den teils auch äußert kostspieligen Hormonpräparaten und -therapien (z. B. Wachstumshormon, DHEA, Sexualhormone, Melatonin u. a.). Da ist die streng wissenschaftlich orientierte Medizin noch uneins, sind die Forschungen bei weitem noch nicht abgeschlossen, haben sich so manche frühere (lautstarke und selbstbewusste) Empfehlungen inzwischen als zumindest nicht unbedenklich her-ausgestellt. Kurz: Da herrschen noch kontroverse Ansichten und eine gewisse Zu-rückhaltung vor.

Wie aber soll sich nun der interessierte Laie fundiert informieren, wo bekommt er seriöse und vor allem kritische Hinweise her, die ihn die heutigen Möglichkeiten nutzen, die offensichtlichen Gefahren meiden und bei unklaren Situationen zumindest erst einmal abwarten lassen? Die Antwort lautet: Die Buch-Regale zu diesen Themen sind nicht nur voll, sie verlängern sich auch als laufende Buchrücken-Meter von Jahr zu Jahr. Da wird man wieder unsicher, wen wundert's, gerät ins Grübeln, ja mögli-cherweise in Gefahr, entweder gar nichts zu tun (obwohl es schon berechtigte Hilfen gäbe) oder zu jenen Angeboten zu greifen, die am lautstärksten offeriert werden bzw. im Bekanntenkreis "schon einmal Wunder gewirkt haben sollen".

Hier könnte sich also das Buch von Manfred Stöhr als hilfreich erweisen, denn der Autor ist nicht irgendwer, seine Ausbildung und Laufbahn bürgt für seriöse und vor allem kritische Empfehlungen. Professor Dr. med. Manfred Stöhr war bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2004 der Ärztliche Direktor der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie in Augsburg. Unter seinen Fachkollegen galt er als nüchterner, nur den beweisbaren Fakten aufgeschlossener Wissenschaftler, was er dann auch als Klinikarzt fortsetzte und in zahlreichen Fachbüchern veröffentlichte. Einige zählen sogar zu den Standardwerken der (z. B. peripheren) Neurologie.

Inzwischen ist er - wie erwähnt - pensioniert und wendet sich in dem "Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken" in Rossdorf u. a. der Anti-Aging-Welle, ihren Chancen und Risiken zu. Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht aus die-sem Buch, wie er es nebenbei auch in weiteren Artikeln (z. B. in der Fachzeitschrift Skeptiker 1/06) zur Diskussion stellt.

Warum Anti-Aging?

Warum sind die Menschen heute, so fragt er zu Beginn seiner diesbezüglichen Schriften, so versessen auf die Anti-Aging-Versprechen? Alt werden wollte noch je-der auf dieser Erde, das kann es nicht sein (und ist nebenbei heute realistischer als in jeder anderen Epoche). Ewige Jugend und Schönheit ist ebenfalls kein spezifi-scher Wunsch (und wird natürlich auch nicht so recht ernst genommen, wer das nicht begreift, macht sich nur lächerlich). Neu ist allerdings die Breitenwirkung und Durch-schlagskraft der heutigen Anti-Aging-Welle. Warum?

Zum einen leben die Menschen (der westlichen Welt) immer komfortabler und entwi-ckeln deshalb verständlicherweise eher den Wunsch, dieses Leben so lange wie möglich hinauszuziehen (im Gegensatz zu jenen Regionen, die von ständiger Armut, von Krieg, Hunger und Seuchen heimgesucht werden). Dazu kommt der weitgehen-de Verlust religiöser Dimensionen, wiederum vor allem in der westlichen Welt. Denn hier dominiert die metaphysische Auszehrung, konkret: eine Sinnlehre, die nur noch durch Spiel, Spaß und Wellness kompensiert zu werden scheint. Kein Wunder, dass parallel dazu auch ethische Prinzipien schwinden, mit allen Folgen. Und kein Wun-der, dass in einer solch riskanten Welt (ironische Definition: "fest verwurzelt im Bo-denlosen...") die Angst zunimmt, vor allem die Angst vor Krankheit und Tod (obgleich sich die Krankheiten noch nie so umfassend behandeln ließen wie heute und der Tod noch nie so weit hinausgeschoben werden konnte).

Diese Angst, so M. Stöhr, motivierte die Menschen früher zu entsprechenden Opfern, Stiftungen, z. B. den Bau von Kapellen, Kirchen und Klöstern, "während sie die heu-tigen Bürger in Praxen, Kliniken und in die Folterkammern der Fitness-Studios treibt und außerdem in die Fänge unzähliger medizinischer Heilspropheten mit oft obsku-ren (aber gewinnträchtigen) Mitteln zur Gesunderhaltung und Lebensverlängerung" animiert. Um was handelt es sich konkret?

Um möglichst alt zu werden und dabei halbwegs gesund zu bleiben (eine gewisse Bescheidenheit und Demut, was relativ verträgliche Beeinträchtigungen anbelangt, ist natürlich schon anzuraten), um also gesund zu bleiben und möglichst alt zu wer-den, braucht es im Grunde nicht viel, vor allem nichts Teures. Das Rezept ist ganz einfach, aber unbeliebt: gesunde Ernährung, gemäßigtes Bewegungstraining und eine gelassene Einstellung zum Altern. Das leuchtet zwar jedem ein, wer wagt hier zu widersprechen, ohne sich dem Vorwurf der selbstzerstörerischen Dummheit aus-zusetzen, aber praktiziert, vor allem konsequent und ausdauernd, wird es nicht. Und wenn, dann halten sich die Zahlen dieser Aktivisten im Promille-(Tausendstel-) Be-reich, wenn man sie allein für Deutschland mit 80 Millionen Mitbürgern vergleicht.

Die "sieben medizinischen Todsünden"

Früher sahen die meisten Ärzte ihre Aufgaben darin, Krankheiten zu erkennen und - wenn möglich - zu heilen. Demgegenüber wurde die wichtigste und vermutlich ef-fektivste ärztliche Aufgabe vernachlässigt, nämlich die Gesundheitserziehung mit dem Ziel der Krankheitsvorbeugung. Dazu gehört die Aufklärung über die sieben medizinischen Todsünden:

- übermäßige Nahrungszufuhr mit Tendenz zu allgemeiner Verfettung
- Missbrauch von Genussmitteln (Nikotin, Alkohol, Rauschdrogen)
- Bewegungsmangel
- Reizüberflutung
- Daueranspannung in Arbeit und Freizeit (Stress)
- Sonnenkult trotz UV- und Ozonbelastung
- mangelnde Verarbeitung von Konflikten und Frustrationen; statt dessen Verdrän-gung der Probleme und Flucht in Zerstreuungen.

Dagegen gelten als gesundheits-erhaltend und ggf. lebens-verlängernd:

- Bewegungs- und Sportförderung
- Ernährungsberatung und -erziehung schon in der Kindheit
- Schadstoff-Reduzierung in Wasser, Luft, Boden, Lebensmitteln, Kleidung, Mö-beln und Wohnräumen
- Verminderung der Lärmbelastung und der optischen Reizüberflutung
- Stressreduktion
- Sucht-Vorbeugung

Nach M. Stöhr, 2005

Vitamine, Mineralstoffe, Wachstumshormone, DHEA, Testosteron, Östrogene u. a.

Was aber boomt und beschert der entsprechenden Industrie milliardenschwere Ge-winne? Einige sind in ihrem (begrenzten) Rahmen durchaus seriös, andere locken mit hochgejubelten Halbwahrheiten oder gar falschen Versprechungen. Professor Dr. M. Stöhr gibt folgende komprimierte Übersicht:

- Vitamine sind für den Menschen lebensnotwendig. Es reicht aber für eine ausreichende Vitaminzufuhr der reichliche Genuss von Obst, Salat, Gemüse und die mäßige Zufuhr von Fisch, Fleisch, Eiern und Milchprodukten, zumal sich in der Nahrung zudem noch zahlreiche weitere, wenn auch wenig erforschte, aber für die Gesundheit offenbar wichtige phytochemische, also pflanzliche Substanzen befinden. Außerdem sollte man die fast schon übliche Naivität in ihre Grenzen verweisen, die versucht eine ungesunde Ernährungsweise (jeder weiß, was damit gemeint ist) durch Zufuhr eines Multivitamin-Präparates zu kompensieren.

Durchaus zusätzlich ergänzungsbedürftig ist natürlich der erhöhte Bedarf durch Schwangerschaft, im Wachstumsalter oder bei bestimmten Krankheiten bzw. Abma-gerungsdiäten, die zu einem Vitamin-Defizit führen können. Dazu gibt es eine Reihe von konkreten Empfehlungen, die jeder Arzt kennt und entsprechend behandelt (z. B. Vitamin B12 und D, Biotin, Pantothensäure, die Vitamine C und E u. a.). Wissen-schaftlich in der Diskussion steht das so genannte Coenzym Q10, das zum einen von vielen Anti-Aging-Anhängern in Mediziner-Kreisen empfohlen, von anderen hin-gegen abgelehnt wird, weil sein Nutzen nicht ausreichend belegt sei.

- Mineralstoffe, ab einem gewissen Tagesbedarf auch als Mengen- sowie Spurenelemente bezeichnet, sind ebenfalls für den menschlichen Organismus unentbehrlich, wenn auch in unterschiedlicher Dosis. Große Aufmerksamkeit hat dabei das Selen erreicht, das in der Tat in Süddeutschland aufgrund der dort vorherrschenden Bodenbeschaffenheit eher Mangelware ist, was sich dann wieder auf die entspre-chende Pflanzenwelt auswirkt. Selen ist ein wichtiges Spurenelement, unter anderem für den Schilddrüsen-Stoffwechsel und die Muskulatur und hat bei der Entstehung und Bekämpfung bestimmter Krebsarten einen nachgewiesenen Einfluss. Außerdem soll es einen gewissen Schutz gegenüber krebserregenden Stoffen bieten, das Im-munsystem stärken und das Risiko einer Herzerkrankung reduzieren. Auch sein Ein-fluss auf die Entgiftung von Schwermetallen, Drogen, Nikotin und Alkohol sei nicht zu unterschätzen. In so genannten Selen-Mangel-Gebieten sei daher eine Nahrungser-gänzung durch ein selen-haltiges Mineralstoffpräparat empfehlenswert, bestätigt Pro-fessor Stöhr.

Allerdings nicht in eigener Regie, sondern unter ärztlicher Kontrolle, denn bei der Substitution (Ersetzung, Ergänzung) von Spurenelementen, gerade bei Eisen-, Zink- Chrom- und Selen-Präparaten muss man auf die empfohlene Tagesdosis achten, sonst droht eine Vergiftung. Außerdem sind bei Einnahme verschiedener Präparate die gegenseitigen Beeinflussungen im Auge zu behalten.

Nachdem die Erwartungen in die Verjüngungs-Kraft der Vitamine und Mineralstoffe nach jahrzehntelangem Gebrauch einer etwas realistischeren Einschätzung gewi-chen sind, konzentriert sich nunmehr die Sehnsucht der Menschheit auf "Power"- und "Anti-Aging-Hormone" (M. Stöhr). Das geht bis zu einem "hormonellen Jung-brunnen", als Thema zwar uralt, inzwischen aber eben hormonell ausgerichtet (und nebenbei für die Hersteller wiederum überaus einträglich).

- Tatsächlich lässt die nach dem dritten Lebensjahrzehnt zurückgehende Produktion von Wachstumshormonen den nun einsetzenden Alterungsvorgängen nach und nach den Vortritt (allerdings nur einigen, nicht allen). Ein Beispiel ist die allseits registrierbare Minderung der Muskelmasse bei leider gleichzeitiger Zunahme an Fettmasse. Ist es also sinnvoll, hier mit Wachstumshormonen einzugreifen? Die Ant-wort von Professor Stöhr: "Der Einsatz von Wachstumshormon in der Anti-Aging-Medizin entbehrt bislang jeder wissenschaftlichen Grundlage". Dagegen sind die Ne-benwirkungen nicht zu unterschätzen.

Nun verbessert zwar das Wachstumshormon das Verhältnis von Muskel- und zu Fettmasse, der optische Eindruck ist also durchaus erfreulich. Doch die entscheiden-de Frage, ob damit auch die Muskelkraft zunehme oder sich gleichzeitig Knochen-brüche reduzieren ließen, muss verneint werden. Das lässt sich durch einfaches kör-perliches Training leichter erreichen (ist aber mühsam und deshalb unbeliebt). Au-ßerdem ist mit Spätfolgen zu rechnen, die man sich von seinem Arzt erklären lassen sollte und die im Einzelfall durchaus erschrecken lassen dürften (z. B. Vergrößerung und Vergröberung von Händen, Füßen und Gesicht, Brustbildung beim Mann, Ent-wicklung bösartiger Tumore nicht auszuschließen u. a.).

- In den USA wird vor allem DHEA propagiert. Was heißt das? Dehydroepi-androsteron ist eine Vorstufe von Testosteron, Östrogen, Progesteron und Corti-costeron, alles körpereigene Substanzen, die inzwischen jedem geläufig sind. DHEA nimmt bei beiden Geschlechtern in der zweiten Lebenshälfte ab (als "Adrenopause" bezeichnet). Wenn man es künstlich ersetzt, dann - so die Wunschvorstellung - lie-ßen sich körperliche und geistige Leistungsdefizite vermeiden, in der Sprache der Werbung sogar verbessern). Außerdem ließen sich damit eine Reihe von alters-typischen Krankheiten in den Griff bekommen (Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall, Alz-heimer u. a.).

Die Meinung der Wissenschaftler bleibt kontrovers, Positives wird derzeit geprüft, leere Versprechungen entlarvt. Offenbar spielt auch das Geschlecht eine Rolle. Am häufigsten eingesetzt wird es bisher bei älteren Menschen mit Einbußen von Stim-mung, Vitalität und Sexualität, wobei der Erfolg sich aber erst nach einigen Monaten einstellen soll. Auch wird noch über die bestmögliche Dosierung diskutiert. Die meis-ten Mediziner scheinen abzuwarten.

- Im Gegensatz zum DHEA ist die Funktion des männlichen Sexualhormons Testosteron allgemein bekannt. Beim alternden Mann lässt seine Produktion nach, was in Anlehnung an die Menopause der Frau auch als "Andropause" bezeichnet wird (wissenschaftlich: Alters-Hypogonadismus). Die Symptome sind bekannt: Nachlas-sen von Libido und Erektionsfähigkeit, aber auch Hauttrockenheit, Schweißausbrü-che, Schlafstörungen, Blutarmut, Osteoporose, verringerte Muskelmasse bei gleich-zeitiger Zunahme des Fettgewebes und in seelischer Hinsicht Antriebs- und Stimmungs-Einbußen.

Das alles lässt sich - mehr oder weniger - durch eine Hormon-Substitution bessern (Gegenanzeigen: Prostatakarzinom, Schlaf-Apnoe-Syndrom). Auch die Nebenwir-kungen sollten bedacht werden (z. B. Haarausfall, was zumindest in seelischer Hin-sicht die Stimmung auch nicht hebt). Auch kann man den Testosteron-Spiegel durch Eigen-Initiative zumindest befriedigend anheben. Dazu gehören die allgemein unbe-liebten "Zivilisations-Aufgaben" (nämlich gegen die wiederum allgemein bekannten Zivilisations-Krankheiten gerichtet): regelmäßige körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion, mäßiger Alkoholkonsum. Für Alternativ-Interessierte sollen auch Haferflocken, Ginseng und Rotklee-Gesamtextrakt nützlich sein (Letzteres hemmt dann vor allem die Östradiol-Produktion des Mannes, der ja bekanntlich auch eine geringe Dosis dieser weiblichen Sexualhormone produziert, die aber dann beim Rückgang des männliches Sexualhormons Testosteron indirekt zunehmen - mit allen Folgen).

Dagegen erhöhen Androgene und Androstendion, also männliche Geschlechtshor-mone den Testosteronspiegel nicht, im Gegenteil, sie fördern eher die weiblichen Sexualhormone und können außerdem das Risiko von Herz- und Gefäßkrankheiten, Bauchspeicheldrüsenkrebs und eine Vergrößerung der Brustdrüsen erhöhen. Der Eingriff in die menschliche Biologie ist viel komplexer und damit auch letztlich riskan-ter, als sich die meisten vorstellen - und vor allem die Werbung entsprechender Pro-dukte glauben machen will (bzw. muss).

Das betrifft letztlich auch die weiblichen Sexualhormone und ihren Rückgang ab den Wechseljahren. Diese sind aber keine Krankheit, wenn auch mitunter eine belasten-de Periode: Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Rückbildungen im Genitalbereich mit Scheidentrockenheit und in seelischer Hinsicht vor allem depressive Verstim-mungen. Deshalb greift man in dieser Phase auch gerne mit

- Östrogenen ein, was unter anderem auch das Osteoporose-Risiko sowie ggf. die Erkrankungshäufigkeit an Darmkrebs und Alzheimer-Demenz(?) zu reduzieren vermag. Auf der Negativ-Seite (und das gilt es in jedem Fall einzurechnen) steht dafür die Zunahme von Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall (allerdings nur bei einer über 5-jährigen Östrogen-Gabe und dann noch in Kombination mit Gestagenen, also Hormonen, die zur Vorbereitung und Erhaltung einer Schwangerschaft bedeutsam sind).

Die wichtigste "Heils-Erwartung" durch Substitution mit Sexualhormonen war aber das Versprechen, jung, aktiv, lebensfroh und attraktiv zu bleiben - und das ist bitter enttäuscht worden. Hitzewallungen und Schlafstörungen lassen sich in der Tat er-träglich machen, der Einfluss auf seelisches Befinden und Vitalität, insbesondere das Sexualleben hält sich aber in Grenzen.

Melantonin, Antioxidantien oder Radikalfänger u. a.

Wachsendes Interesse in der Allgemeinheit, nicht zuletzt durch Wissenschaft und danach industrie-entsprechenden Werbeaussagen erfreuen sich Melatonin sowie die Antioxidantien bzw. Radikalfänger. Um was handelt es sich?

- Dabei ist dem Melatonin ein besonders großes Aufsehen zuteil geworden, nicht zuletzt durch den verstärkten transatlantischen Verkehr mit seinen Störungen des so genannten zirkadianen Rhythmus, d. h der "inneren Uhr" und damit dem gefürchteten "Jetlag". Melatonin ist ein in der Zirbeldrüse des Gehirns gebildetes Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus regulieren soll. Seine Produktion wird in der Dunkelheit um das Zehnfache gesteigert (Höhepunkt gegen 2.00 Uhr morgens). Im Alter lässt die Melatonin-Produktion nach, was zumindest teilweise mit chronischen Schlafstörun-gen verbunden ist. Einige dieser Formen lassen sich deshalb auch durch Melatonin, gewissermaßen als körpereigenes Schlafmittel bessern.

Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Kenntnisse sind widersprüchlich, zum Teil erfreulich, zum Teil frustrierend. Trotzdem ist Melatonin eines der festen Zug-pferde der Anti-Aging-Medizin, und das noch mit breiter Heilanzeige, d. h. über die Schlaf-Anbahnung hinaus. Kurzfristig eingenommen scheint es problemlos zu sein, bei länger dauernder Gabe und vor allem in ungewöhnlich hoher Dosis ist mit be-stimmten Nebenwirkungen zu rechnen, z. B. Absinken der Körpertemperatur, Dämp-fung, Übelkeit, Unfruchtbarkeit durch Hemmung des Eisprungs, Kopfschmerzen, Juckreiz, beschleunigter Herzschlag, Magen-Darm-Beschwerden, Albträume sowie Depressionen. Außerdem hat es ganz bestimmte Gegenanzeigen (z. B. Gelenk-rheuma). Auch bei der Herstellung sind noch einige Fragen offen (z. B. besser tieri-sche oder synthetische Produkte?). In Deutschland wird Melatonin noch relativ streng kontrolliert, in anderen Nationen (z. B. den USA) ist es freiverkäuflich - mit allen Konsequenzen.

- Ein Begriff, der früher ratlos machte, heute aber weitgehend bekannt (und gefürchtet) ist, sind die Antioxidantien oder Radikalfänger. Denn beim Alterungspro-zess spielen Zellschäden eine große Rolle, und hier insbesondere Veränderungen der Erbsubstanz DNS durch freie Radikale. Sie entstehen als Nebenprodukte des Energie liefernden Zellstoffwechsels, hoch-reaktive Moleküle, die durch ein bestimm-tes Struktur-Defizit zu regelrechten Räubern werden. Dadurch können verschiedene biologische Funktionen gestört werden, was vor allem eine Schädigung des Erbgutes zur Folge hat.

Der Alterungsprozess ist das Forschungsziel der Zukunft. Vereinfacht gesprochen wird er vor allem durch Stress (Cortisol-Ausschüttung), ein Übermaß an Zucker (In-sulin-Ausschüttung) und eine damit verbundene Zunahme an freien Radikalen be-schleunigt ("oxidativer Stress") mit Schäden an den Zell-Membranen (-Wänden) und am genetischen Material. Deshalb erscheint es erst einmal logisch, so genannte An-tioxidantien einzusetzen. Zu solchen Antioxidantien oder Radikalfängern gehören die Vitamine C und E, Selen, Beta-Carotin sowie Zink. Das macht der Organismus zwar selber, aber vielleicht ist er auch froh über eine zusätzliche Unterstützung.

Auch hier ist die Wissenschaft uneins. Unterstützung ja, ein Zuviel aber auch nicht (und das ist immer die Gefahr der künstlichen Zufuhr im Sinne von "viel bringt viel"). Was nicht übertrieben werden kann, ist die Einnahme so genannter sekundärer Pflanzenstoffe als bioaktive Substanzen, auch "Phytochemikalien" genannt. Auch sie üben eine positiven Effekt auf den Organismus aus, auch antioxidativ, d. h. krebs-hemmend, den Cholesterinspiegel senkend, antimikrobiell (also gegen schädliche Mikro-Organismen wirksam) und gerinnungshemmend (siehe Herzinfarkt, Schlagan-fall u. a.). Man achte also auf jeden Fall auf ein reichhaltiges und abwechslungsrei-ches Gemüse-Angebot mit seinen vermutlich Zehntausenden natürlicher Bioaktivstoffe.

Weitere Anti-Aging-Produkte

Das wären die wichtigsten, derzeit am häufigsten in der Diskussion stehenden Anti-Aging-Substanzen. Es gibt aber auch noch weitere Produkte, die sich in dieser Hin-sicht artikulieren und profilieren, teils seit Jahrtausenden still und leise, teils durch Medien und Industrie-Werbung plötzlich ins grelle Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit gestellt. Und je greller dieses Scheinwerferlicht, desto mehr muss man aufpassen. Um was handelt es sich also laut Professor Dr. M. Stöhr?

- Ginkgo biloba wird seit vielen Jahren zur Behandlung von Durchblutungsstö-rungen empfohlen, wobei der Schwerpunkt natürlich auf den Gehirnfunktionen liegt. Aber auch Erektionsstörungen stehen zur Diskussion (sind aber offenbar bisher nicht befriedigend bewiesen).

- Haifisch-Knorpel wird zur unterstützenden Behandlung verschiedener Krebserkrankungen eingesetzt; auch hier ist die Beweislage wissenschaftlich gesehen bisher nicht befriedigend. Ja, es werden sogar Bedenken laut, dass die relativ groß-molekularen Proteine überhaupt im Darm resorbiert werden, und wenn, ob dann nicht die hohen Mengen an Calcium zu überhöhten Werten führen könnten.

- Große Hoffnung setzt man auf die Biguanide, die schon bisher gegen den Dia-betes eingesetzt wurden. Auch hier gilt es groß angelegte wissenschaftliche Lang-zeitstudien abzuwarten.

- Zu den "alle paar Jahre in Jubelbroschüren und sensationslüsternen Medien lan-cierten Modeprodukten, die durch die Leichtgläubigkeit vieler Menschen reißenden Absatz finden", gehören nach M. Stöhr z. B. Aloe vera, Apfelessig, Himalaja-Salz, Naturerde, Grassäfte u.a.m. Die Heilanzeigen für derartige Produkte sind meist e-benso diffus wie vielfältig und umfassen Symptome wie Antriebsschwäche, Schlaflo-sigkeit, Müdigkeit, "Immunschwäche", "Übersäuerung", "Verschlackung" u. a. Wobei die alte Regel gilt: Je mehr Indikationen, desto weniger ist mit einem gezielten und nachweisbaren Effekt zu rechnen. Beispiele: Apfelessigkapseln als Trendprodukt (aber immerhin seit fast zwei Jahrzehnten und durch mehrere Dutzend populärmedi-zinischer Bücher gestützt) hilft angeblich bei Übergewicht, Bronchitis und anderen Atemwegserkrankungen, bei Krampfadern, Warzen usw. Grapefruitkern-Extrakt wird angepriesen als "natürliches Antibiotikum" bei Grippe, Asthma, Allergien, aber auch Abszessen, Pilzerkrankungen, Gürtelrose, Psoriasis (Schuppenflechte) u. a.

Wie man Angst und Sehnsucht ausnützt

Kurz: Das Geschäft boomt und erweitert sich sogar auf z. T. für die Medizin ungewöhnliche Darreichungsformen wie Brot oder Pralinen.

Warum? Es ist die Angst vieler Menschen vor dem Alter und die Sehnsucht nach dem jugendlichen Aussehen, nach anhaltender Vitalität und Leistungsfähigkeit, so M. Stöhr. Und weiter: Häufig wird in den einschlägigen Werbekampagnen der entsprechenden Pharmafirmen zunächst in nahezu apokalyptisch anmutender Weise die Angst vor körperlichem Verfall geweckt, um anschließend die ersehnte Rettung zu präsentieren - natürlich in Form der angepriesenen Heil bringenden Produkte. Um die Furcht vor der Chemie zu mindern, müssen diese selbstverständlich mit den Att-ributen "Natur" oder "Bio" versehen sein, möglichst noch in doppelter Weise wie "Bio-logische Naturarznei".

Völlig verwirrend wird auch die von vielen Anbietern gepflegte Kombination verschie-dener Vitamine und Mineralstoffe mit zusätzlichen Wundermitteln ("endlich ist es me-dizinisch bewiesen..."). Befreit wird man - und das natürlich so ganz nebenbei - von Zivilisationskrankheiten jeglicher Art, vor allem ohne Diäten und Einschränkungen und die "unendliche Kraft und das Glücksgefühl registrierend, das durch ihren inzwi-schen gesunden Körper strömt".

Manchmal streift das Ganze die Grenze der Lächerlichkeit, aber die Menschen glau-ben es trotzdem, registriert Professor Dr. Stöhr: "Turbo-Frühstück", "Gute-Laune-Gericht", "ultimativer Aminosäuren-Power-Schub", "verdreifachte Denkgeschwindig-keit" usw. Die Strategie ist einfach, nämlich Zuckerbrot und Peitsche, entweder jung, gesund, schön und dynamisch bleiben oder werden oder dem körperlichen Verfall ausgeliefert sein. Und die hohen Preise? "Für Ihre Gesundheit sollte Ihnen kein Preis zu hoch sein, Sie investieren in das Wertvollste, was Sie besitzen" (oftmals auch die vertrauliche Du-Form nutzend).

Nun gab es schon immer leichtgläubige oder wundersüchtige Menschen und wer wäre nicht gerne gesund, voll jugendlicher Vitalität, schön und dynamisch im Bett, in der Freizeit und (notfalls) auch am Arbeitsplatz. Und wenn die hochgesteckten Er-wartungen enttäuscht werden, ist meist mit keinerlei Reaktionen der Betroffenen zu rechnen. Das Schamgefühl des geprellten Kunden ("Leichtgläubig, warum fällst Du auf so was herein?") sorgt für den Fortbestand von Angst, Dunkelheit und weltfrem-der Arglosigkeit: kritiklos, einfältig, naiv - ein ideales Opfer.

Daran wird sich nichts ändern, vermutet Professor Dr. M. Stöhr. Denn jetzt dominiert nicht nur die Furcht vor der Krankheit (hier hat die Medizin inzwischen einen großen, einen nachprüfbaren Schritt nach vorne getan), jetzt überschattet alles die Angst vor dem Altern. Dabei geht es doch um die alte Erkenntnis, den Jahren lieber mehr Le-ben als dem Leben mehr (ggf. dahinsiechende) Jahre zu geben. Und wenn auch das Altwerden und Jungbleiben einen unlösbaren Widerspruch darstellt, so gibt es doch vieles, was man in eigener Initiative zu einem halbwegs gesunden Altern beitragen kann (siehe Kasten) - allerdings zumeist mit einiger Willensanstrengung und Konse-quenz verbunden. Und da das natürlich Mühe macht, werden die leichtgläubigen und zahlungswilligen Opfer und ihre entsprechenden Verführer nicht weniger.

Für die, die es aber besser wissen wollen, sei u. a. das Buch von M. Stöhr über "Die Wahrheit über Anti-Aging - Risiken erkennen, Chancen nutzen" empfohlen (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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