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M. Burisch:
DAS BURNOUT-SYNDROM
Theorie der inneren Erschöpfung – zahlreiche Fallbeispiele – Hilfen zur Selbsthilfe
Springer-Medizin-Verlag, Heidelberg 2006. 3. überarbeitete Aufl., 305 S., € 27,95.
ISBN 3-540-23718-6

Es ist richtig: Die Neuauflage eines Klassikers, dazu noch die dritte, muss nicht zwingend besprochen werden. Die Experten und interessierten Laien kennen sie. Andererseits haben sich die Zeiten gewandelt: Die Halbwertszeit des Vergessens wird immer kürzer. Es ist erstaunlich, wie die Grundlagen von gestern (wohlgemerkt nicht vorgestern) einer neuen Generation nicht mehr gegenwärtig sind. Das hat auch etwas mit den modernen Bildungs-Methoden zu tun, die durch das Internet zwar eine unübertroffene Fülle bieten, den anregenden Griff ins Bücherregal aber „ersetzen“. Und dort stehen nicht selten die eigentlichen Schätze des Wissens – unbemerkt, vergessen.

Außerdem hat sich die Verlags-Strategie geändert. Es gab Zeiten, und die sind noch nicht so lange her, da haben Herausgeber, Autoren und Verlage auf den Druck eines fast schon fertigen (Lehrbuch-)Manuskriptes verzichtet, weil zur gleichen Zeit ein Werk gleichen Themas herauskam, das sich selbst für die bemühte Konkurrenz rasch als unübertrefflich herausstellte. Das kann sich heute kein Verlag mehr leisten und käme auch keinem Herausgeber oder Autor in den Sinn, sagen diejenigen, die es wissen müssen. Konsequenz: eine Flut von „me-too-Büchern“ (abgeleitet aus der Pharma-Terminologie: „me-too-Präparate“).

Gleichwohl drängt es uns, das Burnout-Buch von M. Burisch – nach 16 Jahren überarbeitet und ergänzt – noch einmal in Erinnerung zu rufen. Denn zielgerichtete Orientierung tut Not, vor allem beim schnell steigenden Angebots-Pegel der Burnout-Literatur aus jeglicher Hand. Wobei eingeräumt werden muss: Der einprägsame Text eines Nicht-Experten, der aber die auf den alltags-relevanten Kern reduzierten Erkenntnisse vielleicht auch noch unterhaltsam zu vermitteln versteht, kann mehr Nutzen stiften als die nicht nur dem Laien unverständliche, sondern auch noch schwer verdauliche Kost des hochkarätigen Forschers ohne die Gabe der unterhaltsamen Wissensvermittlung.

Über Letzteres ließ sich übrigens trefflich streiten, hätte man nicht im vorliegenden Falle beides: grundlegendes Fachwissen und die Gnade des einprägsamen Wissens-Transfers.

Professor Dr. Matthias Burisch vom Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg schrieb damals das wohl erste deutschsprachige Fachbuch über Burnout für vor allem zwei Kategorien von Lesern: 1. vom Ausbrennen direkt oder indirekt Betroffene und 2. interessierte Sozialwissenschaftler. Die einen sollten die notwendigen Möglichkeiten und Grenzen zur Er-Klärung ihrer bitteren Erfahrungen an die Hand bekommen, den anderen eine umfassende Theorie des Burnout-Syndroms vorgestellt werden (Letzteres sieht der Autor bis heute selbst-kritisch und wissenschafts-skeptisch). Da ihn das Thema in die angelsächsische, insbesondere US-amerikanische Literatur führte (und dort übrigens gefangen hielt, das gilt letztlich bis heute), übernahm er glücklicherweise auch den Stil vieler amerikanischer Autoren, deren Beiträge bekanntlich nicht „staub-trocken“, sondern oftmals sogar überaus amüsant zu lesen sind. (Das beginnt sich bei uns im Übrigen erst langsam einzubürgern, wahrscheinlich unter dem Druck der Drittmittel-Einwerbung; denn wenn man „vom Fabrikanten X eine größere Spende bekommen will, muss man ihm diese Notwendigkeit auch verständlich machen können“.) Außerdem kommt dem Autor hier der erwähnte selbst-kritische Humor zugute, was einerseits mit seiner Wesensart zusammenhängt, andererseits durch die angelsächsische Fachliteratur sicher noch verstärkt wurde (dort kann man sogar in Lehrbüchern zwischendurch einmal schmunzeln oder gar lauthals auflachen, was in der restlichen Welt vermutlich einem Sakrileg gleichkommt).

Aus der Vorbemerkung des Buches:

… Ich baue darauf, dass Leserinnen mir verzeihen werden, wenn ich davon absehe, ihre mir kostbare, aber doch auch ganz selbstverständliche Existenz nicht durch den vorschriftsmäßigen Plural (LeserInnen) unnötigerweise zu bestätigen. Ab einem gewissen Alter besteht die Gefahr, Abweichungen von der gewohnten Sprachpraxis als Verhunzung zu empfinden. Ich bekenne mich zu dieser Empfindung. Für diesbezügliche Gewissenserleichterung bin ich Robert Gernhardt dankbar, der uns daran erinnert hat, dass das große I bei Pluralen wie VerbrecherInnen, SpionInnen, LügnerInnen usw. auffallend wenig eingeklagt wird.

Was macht die 3. Auflage nun so attraktiv? Es ist vor allem die (für einen Psychologen, ähnliches gilt für Psychiater) erstaunlich verständliche Darstellungsweise, die aber nicht auf Kosten der wissenschaftlichen Seriosität und selbstkritischen Einstellung geht (wobei gerade beim Burnout-Syndrom die Gefahr besteht, „immer mehr Daten, aber kaum mehr Wissen“ anzusammeln). Und in der Tat, die Übersicht wird immer schwerer. Für 1989 lagen knapp 2.500 Veröffentlichungen zu diesem Thema vor, 1998 bereits mehr als 5.500 (davon über 900 Dissertationen!), inzwischen schätzt man mehr als 6.000. Die methodische Qualität der allermeisten Arbeiten aber ist mager, wie die Experten bekümmert konstatieren. Die akademische Psychologie habe ihre Berührungsscheu, was Burnout betrifft, ernsthaft nie wirklich abgelegt. Doch das Thema dominiert natürlich alle Medien und füllt auch Tagungen und Workshops diverser Professionen – inzwischen weltweit. Die Charakteristika wissenschaftlicher Etablierung allerdings lassen offenbar noch auf sich warten; Fachkongresse ja, Fachgesellschaften und -zeitschriften zum Thema bisher offenbar noch nicht, aber das soll sich ändern, hofft M. Burisch. Die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zumindest einmal den Begriff Burnout ausdrucken lassen, wenn auch unter „ferner liefen“ (Schlüssel: Z 73.0) und mit der dürren Erläuterung: „Zustand der totalen Erschöpfung“. Die Weihen des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen - DSM-IV-TR der Psychiatrischen Amerikanischen Vereinigung (APA) stehen allerdings noch aus. Wie bekannt: der Prophet im eigenen Land.

Dafür gilt das Buch „The Burnout Companion to Study and Practice” (1998) von W. Schaufeli und D. Enzmann noch immer als ergiebigste Übersichts-Quelle, wie M. Burisch hervorhebt. Allerdings auch mit Ernüchterungsfolgen, weil selbst auch dort deutlich wird: Der populäre Burnout-Mythos hat nur wenig mit fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun – leider. Das gilt auch für neuere Literatur-Übersichten und Interpretationen. Gleichwohl bestätigt der Autor: Burnout ist etwas eigenes, das unsere Aufmerksamkeit verdient. Nicht notwendig etwas Neues. Frühere Jahrzehnte haben dasselbe Phänomen mit anderen Namen belegt (bis hin zur Bibel: Elias-Müdigkeit). Und es wird offenbar tatsächlich häufiger – eine Erkenntnis, die jeder, der in einem helfenden Beruf tätig ist, bestätigen kann.

Wie häufig ist Burnout?

Wie häufig Burnout aber wirklich ist, bleibt im Dunkeln. Dass immer mehr davon geredet wird, auch in eigener Sache, bestätigt noch nicht die nüchterne Statistik. Zumindest war die Karriere des Begriffs Burnout von atemberaubendem Schwung. Ähnliches kennt man ja von den Begriffen „Komplexe“, „Managerkrankheit“ oder „Midlife Crisis“. Auch die Literaten ließen es deshalb an Spott nicht fehlen („seither arbeitet W. an seinem Burnout-Syndrom“).

Große Studien, die in bestimmten Zeitabständen immer wieder konstante Stichproben mit gebräuchlichem Burnout-Fragebogen erfassen, gibt es offenbar nicht. Dafür boomt der „Berufsstress“ (was sich ja mit Burnout durchaus überschneiden kann). Inzwischen sollen mehr als Dreiviertel aller amerikanischen Arbeitnehmer ihre Arbeit als „stressful“ empfinden, und das werde immer stärker. In Großbritannien steigt die Zahl stress-verursachter Krankheitstage signifikant an. Das Gleiche gilt für Fehlzeiten wegen „Nervosität, Schwäche und Kopfschmerz“. Arbeitsunfähig wegen psychischer Störung, das ist auch ein wachsendes Phänomen in Belgien, Deutschland und den Niederlanden, so entsprechende Studien.

Nun sind solche Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Man denke nur an die Faktoren: Arbeitsmarktlage, Rentengesetzgebung, Begutachtungsaspekte, diagnostische Gewohnheiten der Ärzteschaft u. a. Andererseits sind nicht nur die westlichen Nationen betroffen, sondern auch Länder wie Indien oder Brasilien, in denen sich ähnliches abzuzeichnen beginnt.

Wie bereits erwähnt, wird Burnout vor allem in den helfenden, erziehenden und Dienstleistungs-Berufen, im Management und unter „Kreativen“ diskutiert. Die Experten winken aber ab. Es gibt halt Sozialschichten, die sich auch besser artikulieren können – und das auch tun. Letztlich droht Burnout an jedem Arbeitsplatz, im Privatleben und sogar während der Arbeitslosigkeit.

Außerdem gebe es einen inhaltlichen Wandel: Die „klassischen“ Ausbrenner der 70er und 80er Jahre seien zwar an unrealistisch hohen altruistischen Zielsetzungen gescheitert, zumindest an der Oberfläche aber Idealisten gewesen. Derartige Individuen seien doch mittlerweile Ausnahmen.

Dagegen resultiere das Burnout von heute überwiegend durch den Druck, die eskalierenden Ansprüche anderer zu erfüllen. Oder durch die intensive Konkurrenz, besser als andere in der gleichen Organisation oder Firma zu sein. Oder vom Antrieb, immer mehr Geld zu „machen“. Und nicht zuletzt von dem Gefühl, es werde einem etwas vorenthalten, was man eigentlich verdient zu haben glaubt. Das ist nicht von der Hand zu weisen: Es grassiert auch ein Burnout-Virus…

Nun ist der Mensch aber eine anpassungsfähige Spezies. Vor 100 Jahren sprach man noch vom „rasendem Tempo der Neuzeit“, das die Nerven der Zeitgenossen heillos zerrütten werde, weil beispielsweise Automobile mit 20 km/h die Dorfhühner aufscheuchten (M. Burisch). Vielleicht wird die nächste Generation tatsächlich „Wissens-Basiertheit“ fast aller Berufe, globalen Konkurrenzdruck und Unberechenbarkeit der persönlichen Zukunft von Kindesbeinen an als den normalen Stand der Dinge kennen lernen. Was das dann für die Persönlichkeitsentwicklung bedeutet, ist eine andere Frage. Und was aus denen wird, die dabei nicht mithalten können, ebenfalls, mahnt der Autor. Ein Aspekt, der ggf. positiv registriert werden könnte, ist die Diskriminierungsgefahr, die den meisten Leiden mit seelischen oder psychosozialen Beeinträchtigungen und Folgen anzuhaften droht. Nicht beim Burnout. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Burnout wurde schon mehrfach von höchster Stelle (Politiker, Sportler) als Grund für den angekündigten Rückzug angegeben – offenbar mit viel Verständnis und günstigem Einfluss für die ansonsten drohende Stigmatisierungs-Neigung der Gesellschaft, was den seelischen Bereich anbelangt.

Die 3. Auflage von M. Burisch ist jedenfalls geeignet, hier auch in Zukunft zu klaren Verhältnissen beizutragen. Dies gilt vor allem für die Frage: Was kann man tun? Eine „wohlfeile Lebenshilfe“ ist jedenfalls nicht beabsichtigt, das überlässt der Autor mit Recht der anekdotischen Ratgeber-Literatur. Sein Buch will Burnout in erster Linie verstehbar machen. Wenn es Lösungsideen für den Einzelfall liefern könnte, wenn sich daraus Wegweiser für das eigene Entkommen aus der Burnout-Falle zimmern lassen würden, dann hätte er sein Ziel erreicht. Wovon er warnt, ist die naive Einstellung, hier eine individuelle Beratung (oder gar Therapie) geboten zu bekommen. Das wäre Etiketten-Schwindel und Scharlatanerie (was gerade auf diesem Gebiet einer wachsenden Zahl von Autoren, Journalisten und Verlegern das zwiespältige Zubrot der Verzweifelten liefert).

Prof. Dr. Matthias Burisch war schon immer Realist und ist es im Laufe seiner langen wissenschaftlichen Karriere nicht nur geblieben, im Gegenteil. Diese wohltuende Distanz durchzieht auch die 3. Auflage seines Buches und vermittelt jene Sicherheit, die dann auch für die notwendige Gelassenheit und die erdverwurzelte Suche nach den eigenen Ressourcen sorgen dürfte. Und zwar je früher, desto erfolgreicher. Denn was sagt der englische Titel und die deutsche Übersetzung ja dann doch schonungslos aus: Wer ausgebrannt ist, müsste eigentlich abreißen und neu bauen. Das geht in vielerlei Hinsicht, aber nicht beim Menschen… (VF).

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