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M. Spitzer, W. Bertram (Hrsg.):
BRAINTERTAINMENT
Expeditionen in die Welt von Geist & Gehirn
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2006, € 29,95

Humor - wer möchte ihn nicht besitzen. Tatsächlich, er erscheint nötiger denn je in unserer Zeit und Gesellschaft. Das beweist inzwischen das große Interesse am Lachen, was aber nicht unbedingt mit Humor verknüpft sein muss (siehe das entsprechende Kapitel in dieser Serie). Außerdem leben wir in einer klagsamen Periode, und das auf hohem wirtschaftlichen Niveau ("lerne klagen ohne zu leiden ...").

Wie auch immer: Humor ist und bleibt "der Schwimmgürtel auf dem Strome des Lebens" (Wilhelm Raabe) bzw. "der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt" (Joachim Ringelnatz). Und deshalb ist er unverzichtbar und war schon früh das Ziel philosophischer Überlegungen und schließlich konkreter wissenschaftlicher Untersuchungen.

So hat das Wort Humor "einen weiten Weg hinter sich gebracht, von der ursprünglichen lateinischen Bedeutung "Flüssigkeit" bis zu dem, was heutzutage z. B. ein Fernsehzuschauer darunter versteht".

So beginnt Dr. Barbara Wild, Privat-Dozentin an der Psychiatrischen Universitätsklinik Tübingen ihren Beitrag in dem interessanten Sammelband "Braintertainment" aus dem Schattauer-Verlag über "Humor - ernst genommen". Und sie fährt fort: "Während früher im Rahmen der Ästhetik Humor nur eine Lebenseinstellung bezeichnete, nämlich auch widrigen Dingen mit einem Lächeln zu begegnen, ist heute damit auch das gemeint, was uns zum Lächeln bringt sowie die Fähigkeit, Witziges zu produzieren." Denn Humor ist eine speziell menschliche Fähigkeit und für das soziale Zusammenleben überaus wichtig.

Also haben sich neben Philosophen, Schriftstellern, Anthropologen, Psychologen u. a. auch die Psychiater damit beschäftigt und hier insbesondere jene, die die neurophysiologischen Vorgänge im Nervensystem von Gesunden und Kranken beforschen.

Neurophysiologische Erforschung des Humors

Das ist zwar naheliegend, aber überaus schwierig. Der Grund ist einfach. Humor und vor allem das damit verbundene Lächeln oder Lachen ist etwas Eruptives, etwas mehr oder weniger plötzlich und unkontrollierbar Ausbrechendes. Das ist das Problem, besonders wenn man es im reproduzierbaren Experiment auslösen und messen soll. Und dann noch im Bereich der zerebralen neuronalen Abläufe, d. h. der Nervenverbände im Gehirn.

Trotzdem hat man dies schon vor mehr als 30 Jahren versucht, vor allem durch die Linguisten, also in diesem Fall Sprachforscher mit neurophysiologischen Interessen und Arbeitsweisen. Dabei interessierte vor allem das Stirnhirn, der Bereich zwischen Augenbrauen und Haaransatz unter der Schädeldecke. Früher hat man dem Stirnhirn wenig Bedeutung zugemessen. Unfallverletzungen und vor allem Kriegsfolgen aber belehrten eines besseren. Stirnhirn-Verletzte veränderten sich vor allem gemüts- und charaktermäßig (Einzelheiten siehe das Kapitel "Gehirnschädigungen und seelische Folgen" in dieser Serie). Dabei konzentrierte sich das Forschungsinteresse vor allem auf die linke Hirnhälfte, weil Schädigungen in diesem Bereich, z. B. durch Schlaganfälle, auffälligere Störungen nach sich ziehen, vor allem in der Sprache.

Und so entwickelte man auch eine Testbatterie im Sinne eines Humor-Tests und fand, dass es vor allem Stirnhirn-Schäden rechts sind, die hierbei eine Rolle spielen. Das entsprach der Vermutung, dass die emotionale (gemütsmäßige) Verarbeitung überwiegend rechts stattfindet, während die linke Seite eher für das rationale (vernunft-geleitete) Denken zuständig ist.

Diese Erkenntnisse ließen sich zwar später bestätigen, doch erwies sich gerade der untersuchte Humor bzw. das Humor-Verständnis als viel komplexer, nicht so eindeutig lokalisierbar. Die Idee von der "humorvollen rechten Gehirnhälfte" musste neu überdacht werden. Dies wurde möglich mit der so genannten funktionellen Bildgebung, also - wenn man so will - den heutigen "Super-Stereo-Röntgenaufnahmen" (bildhaft gesprochen) mit einem so tiefen und plastischen Einblick in die Gehirnstrukturen, wie man sich das früher kaum vorzustellen hoffte.

Dabei unterschied man nebenbei auch verschiedene Arten von Stimulationen, also nicht nur witzige und nicht-witzige Vorgaben, sondern auch phonologische und semantische Variationen (phonologisch = die Stimm-, Sprech- und Sprachheilkunde betreffend; semantisch oder semiotisch = die Lehre vom Bedeutungsinhalt einzelner Wörter einschließlich bestimmter Krankheitszeichen).

So fand man, dass es offenbar eine ganz bestimmte Region im Gehirn ist, die sich durch Witze stimulieren ließ, nämlich links-temporo-occipital, grob lokalisiert als Schläfen-Region nebst Hinterhaupt. Daneben meldete sich aber dann doch wieder die alte Erkenntnis mit der links-frontalen Region, d. h. der linken Stirnhirn-Seite in der Nähe des so genannten motorischen Sprachzentrums, also jener Stelle, die für das Aussprechen der Gedanken in sinnvollen Worten zuständig ist. Dabei gab es dann noch Lokalisations-Varianten, die für die affektive (gemütsmäßige) Reaktion zuständig zu sein scheinen.

Diese affektive Komponente der Erheiterung ist natürlich von besonderem Interesse. Offenbar schiebt sich hier das so genannte "mesolimbische Belohnungssystem" in den Vordergrund, ein Netz aus Nervenzellen im Bereich des Mittelhirns (Fachbegriffe: ventrales Striatum, Nucleus accumbens, ventrale tegmentale Area und Amygdala - schon allein dadurch sieht man, wie kompliziert unser Gehirn aufgebaut ist, hoffentlich ...).

Die Bedeutung des Lächelns

Nun sind Wissenschaftler kritisch, selbst untereinander, müssen es sein und fordern deshalb auch die Berücksichtigung aller jener Lebens-Umstände, -einflüsse und damit auch -reaktionen, die uns im Alltag selbstverständlich sind. Oder kurz: Wurde bei diesen Untersuchungen auch die Funktion des Lächelns berücksichtigt? Offenbar nicht, d. h. es ging hier um die innere Einschätzung der "Witzigkeit", während die äußere, die mimische Reaktion, also das Lächeln gesondert untersucht werden musste.

Dabei stellte sich heraus, dass es Regionen gibt, die mehr bei der reinen Wahrnehmung des dargebotenen Witzigen reagieren und solche, die auch mit einem Lächeln antworten, also einer aktiven und von außen registrierbaren Reaktion. Einzelheiten würden hier zu weit führen, doch es finden sich nicht nur "alte Bekannte", wie die temporo-occipitale und die linke Stirnhirn-Region, sondern auch noch andere Bereiche, die zumindest "mitziehen", wenn es sich um Heiteres handelt. Das soll aber hier nicht weiter vertieft werden, denn außer der Amygdala meldet sich hier auch noch der Gyrus parahippocampalis und der Thalamus (und das ist dann doch ein wenig viel an Fachbegriffen, auch wenn es erneut darauf hinweist: Das menschliche Gehirn ist schon ein einmaliges Phänomen).

Wie das Gehirn Humor "verarbeitet"

Trotz aller Komplexität gibt es doch erstaunliche Übereinstimmungen, was den Humor und seine organische Ausgangslage anbelangt. Dabei scheint es aber nicht das "Humor-Gebiet" zu geben wie ursprünglich vermutet, sondern mehrere Beteiligungen. Das ist auch nötig, denn der Humor ist ungleich vielschichtiger als man gemeinhin annimmt. Um ihn zu erkennen, zu durchschauen, seine einzelnen Anteile einzuordnen und dann doch wieder zu einem Ganzen, einer emotionalen Reaktion zusammen zu fügen, das bedarf mehrerer Hilfestellungen, und damit auch mehrerer Gehirn-Areale mit ihren spezifischen Aufgaben.

So gibt es beispielsweise ein (zumindest) zwei-stufiges Modell der Humor-Perzeption (Aufnahme). Danach muss erst einmal in einem Witz die Inkongruenz wahrgenommen werden, d. h. da stimmt irgendetwas nicht überein, da deckt sich etwas nicht, da ist ein Haken, aber was für einer? Schließlich geht der Witz ja auch auf eine Pointe aus, einen Knalleffekt, wenn man so will. Einem Witz kann man offensichtlich nicht mit logischen Überlegungen beikommen, er verblüfft ja oftmals regelrecht durch seine Unlogik.

Eine gezielte, bewusst eingesetzte Unlogik zu erkennen ist aber fast noch schwieriger als einen logischen Ablauf zu durchschauen. Ein Witz ist gleichsam die logische Fortführung eines bewusst unlogischen Ablaufs. Und das braucht offensichtlich mehrere Schritte bzw. mehrere spezialisierte Gehirn-Areale: Zum Beispiel die hintere Schläfenlappen-Rinde und das linksseitige Stirnhirn. Und wenn das Ganze schließlich noch in ein Lächeln oder gar Lachen münden soll, dann wird der mediale basale Temporallappen (mittlere untere Schläfenlappen des Gehirns) und das so genannte mesolimbische Belohnungszentrum aktiviert (das limbische System ist - grob gesprochen - ein vielschichtiger Gehirnteil zwischen Hirnstamm und Hirnrinde, der u. a. die Gemütslage und das Triebverhalten regelt und mit vielfältigen Organfunktionen verknüpft).

Lächeln aus verschiedenen Hirnregionen

Doch zurück zum Lächeln oder Lachen als augenscheinlich sichtbarer Reaktion auf etwas Positives, Heiteres, Witziges. Offenbar ahnte man schon vor über 150 Jahren, was später wissenschaftlich bestätigt werden konnte (vor allem durch verletzungsbedingte Einbußen durch Unfall oder Krieg): Es existieren zwei Systeme der lächelnden oder lachenden Mimik, und zwar einerseits eine willkürliche mimische Gebärdensprache und andererseits eine spontane gemütsmäßige Mimik. Diese haben unterschiedliche Lokalisationen, und zwar im Hirnstamm vorn (willkürlich) und hinten (mehr gemütsmäßig ausgelöst).

Störungen der emotionalen Mimik einschließlich Lächeln findet man häufig bei Patienten mit Parkinson'scher Erkrankung. Und umgekehrt kann man durch technische Stimulation bestimmter Gehirnregionen Lächeln und Lachen künstlich auslösen (Lachen kann auch Symptom eines epileptischen Anfalls sein, nicht selten bei Tumoren in entsprechenden Gehirnregionen).

Interessanterweise gibt es ja auch Menschen, die lächeln oder lachen, ohne dies zu wollen. So etwas nennt man - leider nicht sehr freundlich formuliert - "emotionale Inkontinenz". Das sind meistens Störungen im vorderen Hirnstamm, manchmal auch im Stirnhirn. Bei Schädigungen des rechten Stirnhirns fallen vor allem unpassende emotionale Äußerungen auf. Das legt die Vermutung nahe, dass der rechte Stirnlappen zwar nicht für die Erkennung von Humor zuständig ist (siehe oben), wohl aber für die Reaktion darauf. Dieser rechte Stirnhirn-Teil ist deshalb eher hemmend, was die Spontan-(!)Mimik anbelangt. Das echte, ungekünstelte, von innen heraus förmlich durchbrechende Lächeln ist also offenbar nur dann möglich, wenn die Kontrolle des rechten Stirnhirns nachlässt bzw. gezielt de-aktiviert (ausgeschaltet) wird.

Das belegt auch die Vermutung, dass es offenbar zwei unterschiedliche Systeme gibt, nämlich 1. für echtes und 2. für willkürliches (also auch gekünsteltes) Lächeln. Beide unterscheiden sich ja auch im Ausmaß der beteiligten Gesichts-Muskulatur. Zum echten Lächeln (zu Ehren des französischen Neurologen, der dieses Phänomen zum ersten Mal vor über 150 Jahren beschrieb, auch Duchenne-Lächeln genannt) gehört nicht nur das Hochziehen der Mundwinkel, sondern auch eine Verengung der Lidspalte. Unechtes Lächeln ist vor allem auf den Mund konzentriert. Das alles wird also von ganz unterschiedlichen Gehirn-Regionen gesteuert.

Das führt schließlich zu der Frage: Warum ist echtes Lachen und Lächeln ansteckend, selbst wenn es nur von Bildern ausgeht? Hier spielen so genannte Spiegel-Neurone eine Rolle. Das sind Nervenzellen, die sowohl bei der Beobachtung einer Bewegung als auch bei deren eigener Ausführung aktiviert werden. Wahrscheinlich - so Frau Dr. Mild in ihren Ausführungen abschließend - erkennen wir Gefühle eines Gegenüber, indem wir sie selber zumindest ein wenig spüren.

Es ist alles nicht so einfach, denn der Sinn für Humor wächst erst im Laufe des Lebens

Auf jeden Fall wissen wir aber dank moderner Untersuchungstechniken inzwischen recht genau, welche Gehirn-Gebiete bei der Verarbeitung eines Witzes und beim Lächeln aktiv sind. Dabei bleibt aber noch eine Reihe von Fragen offen (z. B. ist Lachen einfach ein stärkeres Lächeln?), was dann eine neue wissenschaftliche Disziplin auf den Plan ruft, nämlich die Entwicklungs-Psychologie und -Psychiatrie.

So lachen Babys und Kleinkinder durchaus über Slapstick-Comic, doch der Geschmack für komplexeren Humor wächst erst in den ersten zehn Lebensjahren. Was sind das also dann für zerebrale Reifungsvorgänge, wenn sich der Sinn für Humor erst im Laufe der Zeit ändert?

Und vor allem die uns alle bedrängende Frage: Worin besteht der neurophysiologische Unterschied zwischen heiteren Gemütern und humorlosen Personen? Denn, so der berühmte Schauspieler mit Herz Heinz Rühmann: "Man kann Humor nicht auftragen wie auf einem Servierteller. Der Ton macht die Musik - und der Resonanzboden muss das Herz sein" (VF).

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