Frank Schneider (Hrsg.):
KLINIKMANUAL PSYCHIATRIE, PSYCHOSOMATIK UND PSYCHOTHERAPIE
Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2008. 478 S., 16 Abb., 126 Tab., € 29,95
ISBN: 978-3-540-78466-1
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Kein medizinisches Fach bietet so viele Lehrbücher wie die Psychiatrie. Diese Feststellung wird mit jeder Neuerscheinung unleugbarer. Man nähert sich der Zahl 40 (wohl gemerkt: nur Lehr-Bücher, keine sonstigen Fachbücher, Lexika, Handbücher u. a.).
Die Gründe sind bekannt bzw. werden immer augenscheinlicher: seelische Störungen nehmen zu, überholen nach und nach immer mehr der bisher führenden Organleiden – und werden vor allem volkswirtschaftlich zum Problem. Und das ist jener Faktor, der auch emotional unbeeindruckbare Charaktere inzwischen ins volkswirtschaftliche „Grübeln“ geraten lässt.
Um aber das Problem nicht ins Uferlose schießen zu lassen, baut man – unter Verkennung der bitteren Realität – immer mehr administrative Schranken auf. So werden praktisch alle medizinischen Disziplinen, vor allem aber die psychiatrischen Kliniker und niedergelassenen Fachärzte durch immer mehr Bürokratie an ihrer eigentlichen Arbeit am Patienten gehindert. So wachsen nicht nur die wissenschaftlichen Erkenntnisse und damit Aufgaben, es wächst auch ein vermeidbarer Dokumentations-, Antrags- und sogar Rechtfertigungs-Ballast, der nicht nur ermüdet oder gar lähmt, sondern eben auch Zeit und Kraft kostet, die dem Kranken gelten sollte.
Da man aber stets auf dem neuesten Stand sein muss, d. h. ständig nachschlagen, suchen, studieren, umsetzen und damit treffend diagnostizieren und gezielt behandeln, diese Zeit und Kraft aber fehlt, gerät die Medizin im Allgemeinen und die Psychiatrie im Besonderen in eine verhängnisvolle Gefahrenzone (die dann zu allem auch noch juristisch geahndet werden kann).
Wie das einmal enden soll, ist die eine Frage. Was man bis dahin ggf. tun könnte, eine andere, in gewissen Grenzen hoffnungsvollere. Was die Aus-, Weiter- und Fortbildung anbelangt, die jedem Arzt (inzwischen verpflichtend) auferlegt wird, so ist es vor allem die Fachliteratur, die hier zumindest begrenzt hilfreich einspringen kann. Das können Referate, Kurse, Seminare, Hospitationen u. a. sein, da können die elektronischen Medien ihren Beitrag leisten (verantwortungsvoll und professionell angeboten sicher eine fundierte Offerte, in Zukunft möglicherweise sogar dominierend), es sind und bleiben aber bis heute vor allem die Fach- und in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die Lehrbücher. Und davon gibt es im Bereich der alten Seelenheilkunde und modernen Psychiatrie inzwischen mehr als vermutet. Das ist einerseits nicht unbedingt zwingend, andererseits aber auch die Chance neue (oder alte, aber modern und aktuell aufgearbeitete) Informationswege zu beschreiten.
Das Klinikmanual Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Springer-Verlag Heidelberg aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen gehört dazu. Solche Intensiv-Lektüren (was sich natürlich auch im Layout und damit in der Lesbarkeit niederschlägt, aber Kompromisse muss man immer machen) gab es schon früher. Doch Inhalt und Umfang nehmen – notgedrungen – zu. Was man heute alles wissen sollte, müsste einen älteren Nervenarzt in Rente nicht nur erstaunen, sondern ggf. sogar verwirren und mutlos machen (bzw. sich im Ruhestand erleichtert zurücklehnen lassen). Aber es hilft nichts, da muss man durch. Da man derlei aber nicht mehr von vorne bis hinten durchstudieren kann, schon gar nicht im erwähnten Alltag von Klinik und Praxis, bleiben vor allem die Manuale, insbesondere im „Kitteltaschen-Format“, die man notfalls mit sich herumtragen, zumindest aber sofort aus der Handbibliothek herausgreifen kann.
Und so etwas ist das neue Klinikmanual: 478 Seiten, 16 Abbildungen, 126 Tabellen, ein Buch von Praktikern für Praktiker, die häufigsten und wichtigsten Probleme im stationären Alltag und in der ambulanten Krankenversorgung von den Grundlagen über die Diagnostik bis zur Therapie einschließlich Notfälle und forensische Fragen. Dazu der Versuch, die verschiedenen Klassifikations-Systeme nutzbar zu verbinden, aus der Vielzahl der Medikamente (Psychopharmaka und andere psychotrope Arzneimittel) das Wichtigste herauszuarbeiten (Indikationen, Dosierungen, Neben- und Wechselwirkungen u. a.), auch die nicht-medikamentösen Möglichkeiten berücksichtigend und vor allem die einzelnen Krankheitsbilder kurz und prägnant darstellend. Die Literatur bleibt nicht nur englisch-sprachig hängen, sondern bietet dankenswerterweise auch Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Das Stichwort- und gesonderte Psychopharmaka-Verzeichnis sind ausreichend ergiebig.
Insgesamt eine gute, empfehlenswerte, ja notwendige (und dabei preiswerte) Anlage, für die man sich entscheiden sollte, selbst wenn man bereits einige der fast 40 psychiatrischen Lehrbücher im Schrank hat (VF).
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