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H. Berth, F. Balck, E. Brähler (Hrsg.):
MEDIZINISCHE PSYCHOLOGIE UND MEDIZINISCHE SOZIOLOGIE VON A BIS Z
Hogrefe-Verlag, Göttingen u. a. 2008. 602 S., zahlreiche Abb. und Tab., € 49,95
ISBN: 978-3-8017-1789-6

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Wie sich die Zeiten ändern, sagt man. Und meint sein näheres und weiteres Umfeld, die Gesellschaft – und letztlich sich selber. Und dies in einer Geschwindigkeit, die den einen ratlos, den anderen (bewusst?) gleichgültig macht, jeden aber letztlich nicht unbehelligt lässt. Das schlägt sich auch in Gesundheit und insbesondere Gesundheits-Verhalten nieder. Was sich hier im letzten Jahrhundert verändert hat, mag Geschichte sein; was sich jedoch in den letzten Jahrzehnten oder gar Jahren verändert hat und in den kommenden verändern wird, das betrifft uns alle. Besonders aber Ärzte und Psychologen in Klinik und Praxis, Soziologen, Sozialarbeiter, Gesundheitswissenschaftler, Pflegekräfte u.a.m. Denn wir wissen aus entsprechenden Prognosen: Die Zukunft stellt uns vor wachsende psychosoziale Probleme, oder schlicht gesprochen: sie gehört der Seele, leider eben auch der kranken Seele.

Dem sollte man schon in der Ausbildung der für diesen Problemkreis zuständigen Berufsgruppen Rechnung tragen. Und das sind neben der Psychiatrie mit ihren Unterteilungen (zunehmend die beiden Alters-Pole: Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Gerontopsychiatrie) die Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, seit rund 40 Jahren verpflichtender Lehrstoff an den entsprechenden Ausbildungs-Institutionen (nebenbei während der Teilung schon in beiden deutschen Staaten).

An Interesse und damit entsprechenden Lehrbüchern hat es seit jeher nicht gemangelt; ein Teil wurde auch in dieser Serie besprochen. Jetzt liegt ein neues Lehrbuch vor, die Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie von A bis Z. Eine interessante Konzeption, lexikalisch aufgebaut, aber weitaus umfangreicher, z. T. auch deutlich über den verpflichtenden Gegenstandkatalog der Lehre hinausgehend. Man kann es also als Lehrbuch und als Lexikon nutzen, wobei ein umfangsreiches Stich- und Sachwortverzeichnis und zahlreiche Querverweise weiterhelfen. Die Texte sind nach einem einheitlichen Aufbau strukturiert. Das erleichtert die rasche Information. Die weiterführende Literatur beschränkt sich auf das notwendige, ergänzt durch Internet-Verweise.

76 Experten garantieren einen umfassenden Überblick (jeder Herausgeber eines eigenen Sammelbands mag sich mit eigenen, gemischten Gefühlen daran erinnern, was es bedeutet, ein solches Opus in die Gänge zu bringen und „irgendwann auch einmal abzuschießen“). Die Lesbarkeit (um es bodenständig auszudrücken) ist bei so viel Fachleuten naturgemäß unterschiedlich, von flüssig und auch für interessierte Laien verstehbar bis zu „einem wissenschaftlichen Duktus verpflichtet“, aber insgesamt den Zielgruppen angepasst. Die 122 Schlüsselbegriffe reichen von Abwehrmechanismen bis zur Zahnmedizin.

Insgesamt eine erfreuliche Ergänzung auf einem zwar schon reichlich ausgestatteten Markt der Spezialliteratur, der aber jederzeit für das Bessere empfänglich ist. Empfehlenswert.

Nachfolgend als Beispiel ein interessanter Schlüsselbegriff in Kurzform, die so genannte Laien-Ätiologie betreffend:

Laien-Ätiologie

Unter Laien-Ätiologie (auch Laien-Theorien genannt) versteht man die Alltags-Vorstellungen über „Krankheit“ und vor allem zugrunde liegende Krankheits-Ursachen.

Dem kann sich letztlich kein Mensch entziehen. Da es also praktisch alle betrifft, weichen solche Vorstellungen oft erheblich vom fachlichen Krankheits-Begriff und professionellen Krankheits-Bild ab, man kann es sich denken. Einige sind durchaus stichhaltig, andere schon sehr nebulös, wenn nicht gar riskant bis gefährlich. Also sollte man sich um ein repräsentatives Meinungsbild bemühen. Das ist geschehen, wenn natürlich auf eine bestimmte Fragestellung begrenzt, nämlich:

Für wie wichtig werden bestimmte gesundheitsfördernde Maßnahmen in der Normal-Bevölkerung erachtet – und werden sie auch durchgeführt? (R. Jacob u. Mitarb.: Laienvorstellungen von Krankheit und Therapie. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie 7 (1999) 105). Im Einzelnen:

Gesundheitsfördernde Maßnahmen und ihre Umsetzung

„Gesunde Ernährung und ausreichender Schlaf“ sind die Grundlage, das akzeptiert so gut wie jeder (97 bis 93% der Befragten). Dabei die Überraschung: 8 von 10 glauben sich tatsächlich gesund zu ernähren und Dreiviertel attestierten sich ein ausreichendes Schlafquantum. Beides lässt – nebenbei bemerkt – am Realitätssinn der Bevölkerung schon zweifeln, wenn man die Klagen der Ernährungs- und Schlaf-Experten in Rechnung stellt.

Etwas realistischer ist die Frage nach Verzicht auf Genussmittel wie Alkohol und Zigaretten. 81% halten es für wichtig, die Hälfte aber tut es aber nur; hier schimmert wenigstens etwas mehr Einsicht durch.

Auch regelmäßiges Blutdruckmessen wir als nicht unwichtig erachtet (jeder Zweite), wobei sich immerhin jeder Vierte dazu aufrafft (selber oder durch Arztbesuch).

Und wie steht es mit Aufbau- und Stärkungsmitteln, also Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen u. a., für die allenthalben geworben wird? Jeder Zweite stimmt dem zu, 37% sind aktiv dabei.

Werden auch geistige Entspannungsübungen diskutiert, z. B. Yoga? 4 von 10 halten sie für wichtig, aber nur etwa jeder Zehnte praktiziert sie. Offenbar zu mühsam, obwohl es von jeder Volkshochschule mehrfach angeboten wird.

Und zuletzt zwei interessante Fragestellungen:

Wie steht es mit dem „gesundheitsfördernden Gebet“? Jeder Dritte bejaht es, und praktiziert es. Das ist ein interessanter Aspekt; hier scheint sich etwas zu entwickeln, was früher hilfreich und in späterer „aufgeklärter“ Zeit wieder verloren gegangen ist. Einzelheiten dazu siehe auch der ausführliche Beitrag in dieser Serie über Religiosität, Spiritualität, Gebet und psychische Gesundheit.

Da ist übrigens der Weg nicht mehr weit zur „Nutzung übernatürlicher Kräfte“, was immer man sich darunter vorzustellen hat. Dazu bekennt sich jeder Zehnte, setzt es aber nur in jedem zwanzigsten Falle um.

In der gleichen Studie wurden noch Fragen gestellt, die die Medizinische Psychologie und Soziologie seit jeher beschäftigen: Vor welchen Krankheiten hat man die meiste Angst – und ist das realistisch?

Dabei bestätigt sich die bekannte Diskrepanz: Einerseits gibt es konstante Angst-Themen (z. B. Krebs: 42%), andererseits medien-geleitete Befürchtungen, z. B. vor Rinder-Wahnsinn und AIDS, die zwar nicht unproblematisch, aber statistisch selten sind. Sie nehmen jedoch so viel Raum in der Allgemeinheit ein wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die dafür real zu den Haupt-Todesursachen zählen, ohne eine so breite öffentliche Beachtung zu erfahren.

Wie erklären sich die Laien ihre Krankheiten?

Zur Frage, wie sich die Allgemeinheit ihre Krankheiten erklärt, gibt es verschiedene Modelle, eines ist das Common-Sens-Modell (H. Leventhal u. Mitarb., 1980), bei dem fünf Kategorien der Krankheits-Repräsentationen diskutiert werden: 1. Identität/Symptomatik der Krankheit, 2. angenommene Verursachung, 3. angenommener Zeitverlauf, 4. vermutete Konsequenzen und 5. Behandlungs- und Kontrollmöglichkeiten.

Von Bedeutung sind vor allem die vermuteten Konsequenzen einer Erkrankung, was höchst unterschiedliche Auswirkungen auf Lebensführung und Lebensplanung hat. Überhaupt können die angeführten Krankheits-Repräsentationen folgenreiche Quellen für Missverständnisse in der Arzt-Patient-Beziehung sein.

So hängt eine korrekte Identifizierung der Krankheitszeichen mit der Prognose (den Heilungsaussichten) zusammen, beispielsweise wenn erste(!) Symptome fehl gedeutet und damit eine angemessene Behandlung unterlassen wird.

Bei der Verursachung sind es vor allem die Aspekte selbst- oder fremd-gesteuert. Das führt nicht nur zu ganz unterschiedlichen psychischen Belastungen, sondern auch zu konkreten Konsequenzen – oder auch nicht. Wer glaubt, keine eigene Kontrolle über das Krankheits- und Behandlungsgeschehen zu haben, hat in der Regel eine deutlich schlechtere Prognose, weil er nicht ausreichend mitmacht. Und beim Zeitverlauf geht es vor allem um die Frage: Erkrankung abgeklungen, chronisch oder rezidivierend (droht also immer wieder)?

Schlussfolgerung: Der Arzt muss sich darüber im Klaren sein, dass sein Krankheitsverständnis mit den Krankheitsvorstellungen seiner Patienten übereinstimmt. Das Laienmodell ist vor allem dann wichtig, wenn es der Krankheit einen Sinn geben kann und damit konstruktive Perspektiven für die Behandlungsphase und vor allem danach eröffnet. Lässt sich das hingegen nicht registrieren, muss es gezielt aufgearbeitet werden. Deshalb ist der Umgang mit subjektiven Krankheits-Theorien viel wichtiger, als die Ärzteschaft im Allgemeinen zugestehen mag (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).