J. Drews (Hrsg.):
DICHTER BESCHIMPFEN DICHTER
Die endgültige Sammlung literarischer Kollegenschelten
Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt 2006. 270 S., € 9,90
ISBN 978-3-86150-580-8
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Wen gelegentlich – natürlich unberechtigt – Selbstzweifel beschleichen, ganz zu schweigen von jenen, die tief-wurzelnde Minderwertigkeitsgefühle plagen, dem sei ein kleines „Erbauungs-Büchlein“ empfohlen, wie man früher eine solche Lektüre nannte. Um es gleich vorwegzunehmen: Keines jener zahllosen, unsäglich, weil unnötigen Sach- und Fachbücher zur seelischen Stabilisierung, psychosozialen Schadens-Begrenzung, zur Linderung psychosomatisch interpretierbarer Beschwerden und schon gar nicht um einen für 20,- Euro groß, stark, schön und erfolgreich zu machen. Auch nicht aus der inzwischen beliebten Feder von Managern, die durch das Alter weise und ihre Karriere reich und plötzlich mild, gut und nachdenklich geworden sind, ganz zu schweigen von ihren vorzeitig gegroundeten und deshalb zynischen Kollegen. Nein, die Hilfe kommt von einer völlig anderen Seite, an die man eigentlich (bisher?) nicht gedacht hat. Um was handelt es sich?
Ob mit oder ohne Zweifel, die Spitze der „Achtungs-Pyramide“ nehmen zwar erstaunlich anhaltend bestimmte Berufe ein, die aber trotz allem ihre Schwierigkeiten haben (z. B. Ärzte, Pfarrer, das Ende halten beharrlich Politiker und Journalisten). Aber auf einer höheren Ebene sind und bleiben es die „Heroen des Geistes“, berufs-unabhängig. Und da findet man – ungerecht vielleicht, aber so ist es eben – kaum Naturwissenschaftler (es sei denn, sie erreichen am Ende ihres Lebens mit populärwissenschaftlichen Schriften einen größeren Interessenten-Kreis), kaum Architekten (obgleich man vielleicht ihre Produkte bestaunt, aber dann doch nicht weiß, wer sie gebaut hat), kaum wissenschaftlich tätige Mediziner (die erwähnte Spitzen-Position der Ärzte spielt in einer anderen „Liga“, nämlich der des „väterlichen Hausarztes“); vielleicht noch hier und dort Schauspieler (obgleich deren Halbwertszeit bekanntlich kurz ist, das wussten schon unsere Vorfahren: „dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze…“).
Nein, gemeint sind die großen Künstler, die imponieren uns immer noch am meisten. Dabei teilen sich – je nach Interessenlage – Maler und Bildhauer sowie Musiker den zweiten Platz, so scheint es, wenn man sich einmal herumhört. Den ersten aber halten uneingeschränkt die Dichter im weitesten Sinne (wahrscheinlich auch hier mit Schwerpunkten, je nach Literatur-Gattung).
In der Tat: Dichter müsste man sein. Es gibt zwar auch den Salon-Wunsch: „Man müsste Klavier spielen können“, doch Dichter ist mehr, zeitlos, die erwähnte Spitze der Respekts-Pyramide.
Ohne jetzt auf einzelne Gegen-Argumente eingehen zu wollen (denn darüber ließ sich trefflich streiten), sind und bleiben die Großen der schreibenden Zunft das unerreichbare Wunsch-Ziel von vielen. Das war so, das ist so, das wird wohl trotz aller Unken-Rufe so bleiben. Dichter, Schriftsteller, Poet, Essayist, Literat, Prosaist, Epiker, Romancier, Novellist, Lyriker, Dramatiker, Feuilletonist, Theater-, Drehbuch-, Skript-Autor u. a. Kurz: ein schreibender Kreativer oder kreativer Schreibender.
Dabei fallen einem natürlich sofort die Namen seiner Favoriten ein. Gelegentlich auch die, die der Gnade der eigenen Zustimmung nicht teilhaftig geworden sind, die „Schreiberlinge“. Aber im Allgemeinen sind sie eben das höchste der „geistigen Gefühle“.
Und jetzt kommt es. Hier bietet sich eine psychotherapeutische Hilfestellung an, wenn man wieder mal gerade keinen Grund hat, über sich selber begeistert zu sein. Es ist ein kleines Buch, fern ab jeglicher seelenheilkundlicher Ambitionen: 270 Seiten. Und wie soll der Titel der „poetischen Psychotherapie“ lauten? Ganz einfach und vor allem moralisch schön tief hängend: „Dichter beschimpfen Dichter“, ein Alphabet harter Urteile aus Kollegen-Mund.
Nun ist ja Neid, Missgunst und Häme, wenn nicht gar Beschimpfung ein Kennzeichen menschlicher Wesensart (es soll sogar ethnische Schwerpunkte geben). Doch hier geht es darum, dass sich die Großen des Geistes wechselseitig selber vom Olymp stoßen. Und dies selbstverständlich nicht nur so, wie es wir durchschnittliche Erdenbürger zustande bringen, nein: Das ist Boshaftigkeit in höchster Vollendung, vor allem stilistisch ein Gift-Genuss von einmaliger Dichte und Nachhaltigkeit (z. B. Lichtenberg gegen Klopstock: „… mit größerer Majestät hat noch nie ein Verstand stille gestanden“). Und es hängt natürlich auch mit der Lust zusammen, als „unbegnadeter“ Konsument gleichsam im Sinne einer „ausgleichenden Ungerechtigkeit“ heimlich händereibend-voyeuristisch dabei sein zu dürfen, wenn die Olympier aufeinander losschlagen, ausgerechnet diejenigen, die doch „irgendwie“ fürs Gute, Schöne und Wahre stehen (sollten).
Eigentlich – so der Herausgeber Jörg Drews in seinem Nachwort – dürften sie sich nicht so selbstverständlich gemein, verlogen und rücksichtslos aufführen wie etwa Politiker, von denen wir es per Beruf und Begriff schon gar nicht mehr anders erwarten. Aggressivität aber erscheint nirgends voraussetzungslos, taucht auch kaum je total isoliert und begründungslos auf, selbst wenn der Spaß an den bis zur Gemeinheit reichenden Boshaftigkeiten nicht wegzudenken ist. Also ein Schlachtfest „Dichter gegen Dichter“. Doch der Genuss an diesem Schlagabtausch weicht nach und nach einer gewissen Nachdenklichkeit. Zum einen verrät diese Aggressivität grundsätzlich etwas über die Produktionsbedingungen der Schriftsteller, über psychologische Konditionen, über die – wenn man es ganz hochgestochen haben will – kreativitäts-psychologischen Voraussetzungen der Autoren. Und zum anderen sind die wenigsten Beschimpfungen nur plumper Ausdruck puren Neids, ungerecht und unzutreffend. Zieht man ein Element des Groben und Überdrehten ab, so sind fast alle (der hier gesammelten) Attacken auch lesbar als Bausteine für eine literatur-kritische Position, eine Art literatur-ästhetisches Argument, so J. Drews sinngemäß.
Das unter den Dichtern – so wenig wie unter allen anderen Berufsgruppen, hier vielleicht aber ganz besonders –, keine „reine Nächstenliebe herrscht“, wussten schon ihre antiken Vertreter (z. B. Herodot). Dass sich Dichter untereinander sympathisch finden, scheint nicht die Regel zu sein. Das Pantheon, der Dichter-Olymp, die Ruhmeshalle täuscht. Denn so wie „ein Baum den anderen erstickt“ (G. C. Lichtenberg), so ist „ein Gedicht der Feind des andern“ (B. Brecht). Und das ist auch gut so. Denn wen literarische Stile, Intentionen, Werke noch ernsthaft etwas wollen, muss zwischen ihnen Krieg walten; Pluralismus herrscht höchstens nolens volens auf dem Markt, und die Autoren müssen sich damit abfinden (Arno Schmidt: „Ich bin gegen jeglichen Monotheismus; auch in der Literatur“). Im Bewusstsein der Dichter aber gibt es keine friedliche Koexistenz der Dichtarten; da schließt eine Dichtungskonzeption die andere absolut aus, folgert der Herausgeber in Anlehnung an den Philosophen Th. W. Adorno. Und er fährt fort: „Und das nicht, weil Künstler noch schlechtere Menschen wären als die anderen Menschen, die ja schon schlecht genug sind. Sondern die Dichter und Schriftsteller brauchen wohl die möglichst ungestörte Überzeugung, eigentlich ganz alleine was zu taugen, um sich nicht aufs schwerste in Zweifel gestürzt und in ihrer Produktion beeinträchtigt zu sehen“.
Und weiter: „Literarische Kreativität ist offenbar eine immer gefährdete Sache oder doch eine, von der ein Autor immer denkt, sie sei gefährdet, könne versiegen, müsse gepäppelt werden. Man betrachte sich nur die geradezu tickhaften Zurüstungen, die magischen Rituale, die abergläubischen Umstände, die die meisten Autoren arrangieren, um günstige Produktionsverhältnisse zu schaffen.“ Und seine ernüchternde Schlussfolgerung: „Ich kenne nur ganz wenige Autoren, die fröhlich schreiben“. Denn der Akt des Schreibens ist meist ein so schmerzhafter, auch ambivalenter, körperlich keineswegs nur lustvoller Akt, dass er sich nicht von selber ergibt, sondern durch Abwertung anderer Werke aufgewertet, gerechtfertigt, glorifiziert werden muss. Der kritik-erfahrene, weil auch in jeder Hinsicht schwer einzuordnete Arno Schmidt bringt die Kollegen-Schelten klarsichtig auf den Punkt: „Es geht im Grund doch lediglich darum, sich selbst in jenen Zustand schöpferischer Arroganz zu versetzen, ohne den nichts Namhaftes gelingen kann“.
Und J. Drews fährt fort: „Im Übrigen können wir alle nur wenig Tadel vertragen, aber unendlich viel Lob, und wenn wir jemanden loben, der zugleich von einem anderen gelobt wird, der unser Konkurrent ist, so wird das Lob gleich gestrichen: Da wird blitzschnell aus einem Freund der Freund meines Feindes, und der kann nur mein Feind sein, bestenfalls eine Nicht-Person.“
In diesem Zusammenhang kommt der Herausgeber auch auf den Punkt, nämlich die uns interessierende psychohygienische Funktion dieses Büchleins, in dem er schreibt: „Tendenziell sind die gesammelten Beschimpfungen ihrem Duktus nach weniger argumentativ als vielmehr auf die giftige bis deftige Pointe hin formuliert; sie sprechen beifallheischende Apodiktik, sind darauf aus, als scharfzüngige Häme Schadenfreude zu mobilisieren.“ Soweit gut, schließlich kennen wir die Definition der „Schadenfreude“, wo aber liegt der Gewinn für uns „kleine Erdkrusten-Bewohner“?
Dazu weiter Jörg Drews in Anlehnung an einige kalt-schnäuzige Kommentare offenbar desillusionierter Geistesgrößen: Das ist keine Denunziation des Mitgefühls, sondern macht nur darauf aufmerksam, dass das Erlernen von Mitleid, Mitgefühl u. ä. eine Kulturleistung ist, die immer gefährdet bleibt. Und da wir alle und gerade auch die Dichter nicht ewig edel, hilfreich und gut sein können und obendrein ein Quantum an Aggressivität die Voraussetzung kulturschöpferischer Leistung ist (wie der große Gesellschafts-Kritiker Karl Kraus programatisch nicht einfach was „bringen“, sondern was „umbringen“ wollte), haben die Beschimpfungen anderer Autoren und unsere Lese-Lust daran auch etwas Psychohygienisches, die Funktion der Triebabfuhr auf vergleichsweise harmlose Art.
Langer Rede kurzer Sinn – und geradezu beschämend schlicht formuliert: Man kaufe sich dieses Büchlein (preiswert!), lese jeden Tag ein paar Verrisse (da kommt keiner ungeschoren davon), findet das alles degoutant (das haben doch die Großen nicht nötig) – und fühle sich irgendwie wohler, leichter, weniger minderwertig. Experten können darüber endlos diskutieren. Der Durchschnittsbürger sagt wohlweislich nichts, denkt aber: Das macht mich irgendwie freier… (VF). |