W. Ehlers, A. Holder (Hrsg.):
PSYCHOANALYTISCHE VERFAHREN
Basiswissen Psychoanalyse
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2009. 352 S., € 37,90.-.
ISBN 978-3-608-94404-4
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Die Psychoanalyse gehört zu den am meisten diskutierten Behandlungsverfahren, und zwar nicht nur in Psychiatrie und Medizinischer Psychologie, auch in der Medizin generell und sogar in der Gesellschaft allgemein. Das können nicht viele Therapien von sich behaupten. Es kann aber auch Nachteile haben, wie gerade die Psychoanalyse früher wie heute gelegentlich erleben bzw. ertragen muss.
Das liegt natürlich nicht zuletzt an ihrer therapeutischen Zielgruppe, aber auch an der schweren Durchschaubarkeit ihrer Theorien, Methoden und Fachbegriffe. Was man nicht versteht, reizt leicht zum selbst-stabilisierenden In-Frage-Stellen oder gar lächerlich machen.
Dabei dürfte es nur wenige Behandlungsverfahren geben, die auf eine schier unübersehbare Zahl von Fach-Publikationen und Fach-Büchern zurückblicken kann (dabei erstaunlich wenig allgemeinverständliche Artikel und damit konkret hilfreiche Sachbücher). Allerdings könnten sich auch die meisten Behandlungsverfahren und ihre Gründer glücklich schätzen, wenn sie auf ein solches Echo gestoßen wären – inzwischen über 100 Jahre.
Die von Sigmund Freud (ursprünglich neurologisch interessiert und sogar pharmakologisch tätig) begründete medizinisch-psychologische Disziplin hat drei Grundlagen: 1. Das Verfahren zur Untersuchung seelischer Vorgänge, die dem Betreffenden verborgen sind, seelisch, körperlich und psychosozial aber beispielsweise negative Auswirkungen haben. 2. Die Behandlungsmethode, die vor allem die ins Unbewusste verdrängten Erlebnisse und Konflikte wieder ins Bewusstsein heben soll und dadurch adäquat verarbeiten will (Anmerkung: niemals vom Unterbewusstsein sprechen, das ist zwar häufig, aber falsch und deckt eine peinliche Kenntnislücke auf, es muss das Unbewusste heißen, auch wenn es sich weniger gut aussprechen lässt). Und 3. das Lehrgebäude mit eine Reihe von (neurosen)-psychologischen Einsichten, die schließlich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammengewachsen sind. Und die dominierte zeitweise geradezu die Seelenheilkunde (heute Psychiatrie genannt) und Seelenkunde (die Psychologie). Diese Vormachtsstellung, die natürlich auch viele Neider auf den Plan gerufen hat, beginnt aber zu bröckeln. Ja, selbst in Regionen, in denen sie früher unangefochten war (z. B. dem US-amerikanischen und kanadischen Einflussbereich) wird sie regelrecht verdrängt.
Das kann man beklagen, aber auch als Chance interpretieren, denn es ändern sich die Menschen und ihre Nöte, damit die gesellschaftlichen Strukturen und somit die Anforderungen an eine erfolgreiche Behandlungstechnik.
Dieser Aufgabe stellt sich beispielsweise im Verlag Klett-Cotta die auf 6 Bände angelegte Reihe „Basiswissen Psychoanalyse“. Der 1. Band ist bereits erschienen: Psychologische Grundlagen, Entwicklung und Neurobiologie (2007). Die Bände 3 bis 6 werden sich auf Psychoanalytische Krankheitslehre, Psychosomatik und Pharmakotherapie, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie und -Analyse, Psychoanalytische Diagnostik (Prävention, Versorgung, Rehabilitation) sowie Psychoanalytische Settings für Paar, Familie, Gruppe und Institution konzentrieren. Der hier besprochene Band 2 widmet sich den Psychoanalytischen Verfahren. Namhafte Experten auf diesem Gebiet (Psychologen, Psychiater, ja sogar Soziologen, Diplom-Mathematiker, Philosophen u. a., alle psychotherapeutisch bzw. auf die Psychoanalyse spezialisiert tätig) vermitteln einen interessanten Einblick. Das reicht von der Geschichte der psychoanalytischen Technik über Grundbegriffe der klassischen und gegenwärtigen Psychoanalyse (sehr verständlich und damit auch für Laien weitgehend nutzbar geschrieben) bis zu den Theorien der Objektbeziehung mit Entstehung und Bedeutung des Konzepts bestimmter Schulen und schließlich zur Entwicklung von Übertragung und Gegenübertragung, der pathologischen Organisation der Persönlichkeit u. a.
Umfang- und inhaltsreich die Kapitel über Theorie und Fallkonzeption selbstpsychologischer Behandlungstechnik, die Evolution des Wissens in der Technik-Debatte der Psychoanalyse und die Methoden tiefenpsychologisch fundierter (psychodynamischer) Psychotherapie. Sehr aufmerksam werden auch die kritischen Leser die anschließenden Kapitel über „Zurück in der Vergangenheit?“, d. h. von der Beschwörung zur Hypnose, Suggestion und Entspannung und die Dokumentation, Forschung, Evaluation und Qualitätssicherung studieren. Wie zu erwarten ein umfangreiches (aber nicht krampfhaft anglo-amerikanisch orientiertes) Literaturverzeichnis, ein für Studienzwecke nützliches Personenregister (jedoch ein etwas schmal ausgefallenes Sachregister: „Schaufenster“ eines jeden Buches!) und dafür ein Register der zitierten Schriften von Sigmund Freud.
Die ganze Reihe „Basiswissen Psychoanalyse“ ist ein Gewinn, zumal sie auch (selbst-)kritisch und damit konstruktiv auf gesellschaftliche und somit neurosen-psychologische und psychopathologische Entwicklungen einzugehen vermag. Die beiden vorliegenden Bände sind auch ein diesbezügliches Versprechen für die in Arbeit Befindlichen. Man darf gespannt sein und besitzt damit auch eine solide theoretische Grundlage, vor allem aber ein effektives therapeutisches Grundgerüst für die psychotherapeutische Arbeit im Alltag, die nach wie vor die wichtigste Aufgabe bleibt (VF).
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