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Adelheit Kuhlmey, Doris Schaeffer (Hrsg.):
ALTER, GESUNDHEIT UND KRANKHEIT
Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern 2008. 436 S., 36 Abb., 31 Tab. € 49,95.
ISBN: 978-3-456-84573-9

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Alter, Gesundheit und Krankheit – ein Thema, das jeden interessiert bzw. eines Tages interessieren wird, weltweit. Laut UN-Expertenbericht 2005 sind bereits 600 Millionen Menschen über 60, 2050 sollen es 2 Milliarden sein. Deutschland weist den dritthöchsten Anteil an über 60-Jährigen auf: 20,5 Millionen, ein Fünftel, in absehbarer Zeit auf ein Drittel steigend.

Und ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert: Mit Blick auf das höchste Durchschnittsalter der Bevölkerung nimmt Deutschland weltweit bereits Platz 4 ein. Mit anderen Worten: Hier ist es besonders die Gruppe der Hochaltrigen, die überaus schnell wächst, im letzten halben Jahrhundert um beinahe 300%.

Das ist die Statistik. Dahinter steht die gesellschaftliche und vor allem individuelle Realität. Und die stellt Fragen: Wie äußern sich Gewinn und Verlust an Lebenszeit unter Gesundheits-Aspekten? Heißt mehr Lebensjahre auch gesunde Lebensjahre? Wie wird sich das wirtschaftlich, konkret auf die Alterssicherung auswirken?

Die Antworten sind teils absehbar, teils hochzurechnen, teils Vermutungen, wenn nicht gar Visionen. Eines scheint sicher und jetzt schon objektivierbar: Die Zahl an älteren Menschen, deren Alter relativ(!) beschwerdefrei und „gesund“ verläuft, nimmt ebenfalls zu (allerdings den ironischen Satz berücksichtigend: „Gesund ist schlecht untersucht…“). Das gilt vor allem für das „junge“ Alter. Im höheren und höchsten Lebensalter wird es natürlich enger, aber unter dem Schirm wohl einmaliger Gesundheitsfürsorge, wenngleich finanziell fast nicht mehr steuerbar.

Was wird uns an unsere Endlichkeit erinnern? Vor allem chronische Leiden, die derzeit in Europa Dreiviertel der Krankheitslast ausmachen und für fast 90% der Todesfälle verantwortlich sind. Und die Neigung zur Multimorbidität: wenn eine Krankheit zur anderen kommt, und zwar nicht nur körperlich, auch seelisch. Letzteres wird gerne unterschätzt (bzw. lediglich auf das Thema „Alzheimer“ reduziert), dürfte aber die gesundheitliche Zukunft dominieren (nebenbei nicht nur im höheren Lebensalter, auch in den „besten Jahren“ und immer häufiger in Jugend oder gar schon Kindheit).

Die Folgen sind nicht nur (chronische) Krankheiten, sondern auch psychophysische „Gesundheitseinbußen“ und damit Funktionsverluste. Hier kommt eines zum anderen (Fachbegriff: synergetisch, diesmal in negativer Hinsicht). Und die Konsequenzen: angewiesen auf Fremdhilfe, verschiedene Leistungen des Versorgungssystems, Pflegebedürftigkeit. Und damit spannt sich der demografische Wandel vom Individuellen über das Gesellschaftliche bis ins Wirtschaftliche hinein (Stichwort: Gesundheits- und Versorgungsleistungen).

Das führt natürlich zu Diskussionen, Prognosen, politischen Entscheidungen. Man denke nur an die Anti-Aging-Debatten (mit ökonomischen Hintergedanken, versteht sich). Dabei geht es vor allem um die Anpassung einer alters-gewandelten Gesellschaft. Und hier findet sich ein eigenartiges Paradox: Zum einen der medizinische und psychosoziale Fortschritt, der eine lange Lebenszeit auch lebenswert macht – bei uns. Zum anderen aber die eigenartige Empfindung, der alte Mensch sei letztlich eine Bedrohung und Last – auch bei uns, obgleich es einmal jeden trifft. Dabei geht es eigentlich nur um das Erkennen, Respektieren und konsequente Umsetzen von naturgegebenen Anpassungs-Prozessen. Oder kurz: Diskutieren ja, aber Umsetzen endlich auch ja.

Aber wie? Die Wissenschaft (bzw. die dafür zuständigen wissenschaftlichen Fach­bereiche) waren nicht untätig, laufen auf manchen Ebenen sogar auf Hochtouren – werden aber kaum beachtet, bestenfalls „mit spitzen Fingern“ angefasst. Dabei läuft die Uhr. Also sollte man sich endlich ihrer Erkenntnisse bedienen. An Publikationen mangelt es nicht (nur an Publizität).

Eine dieser fundierten Hilfen ist der vorliegende Sammelband mit 27 Beiträgen von Experten aus Politologie, Medizinsoziologie, Medizingeschichte, Sozialpolitik, Psychologie, Ethik, Rehabilitation, Psychiatrie, Neurologie, Gerontologie, Geriatrie, Gerontopsychiatrie, innerer Medizin, medizinischer Soziologie, Pflege- und Armutsforschung, Sozial- und Gesundheitswissenschaft, Palliativ Care, Organisations-Ethik, präventiver Gesundheitsförderung, Pharmakologie, Neuropsychologie, Psychosomatik, Pflegewissenschaft, Versorgungsforschung, Mi­grations-Forschung, Ernährungswissenschaft, Persönlichkeits-Forschung, Aus-, Fort- und Weiterbildung in den Gesundheitsberufen, Entwicklungspsychologie, Selbsthilfe- und Selbstorganisations-Forschung, Seniorenpolitik u.a.m.

Dieses ungeahnt breite Spektrum dokumentiert vor allem eines: Alter ist nicht nur Altern, sondern das ganze Leben in jeglicher Facette; und da dürfte in Zukunft noch einiges hinzukommen (wobei der Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, mit einer Reihe von Angeboten zu den Gesundheitswissenschaften eine sachkundige und immer breiter werdende Hilfestellungen vermittelt).

Das beweist auch der erstaunliche Umfang der einzelnen Kapitel-Themen: psychologische Veränderungen, sozialwissenschaftliche und gesundheitspolitische Aspekte des Alter(n)s, körperliche und seelische Störungen, Funktionseinschränkungen und Pflegebedürftigkeit, soziale Ungleichheiten, Gesundheit und Krankheit älterer Erwerbstätiger, unterschieden nach Geschlecht und Herkunft, nach spezifischen Bevölkerungsgruppen u.a.; ferner ökologische Bedingungen, neue technische Entwicklungen und Gesundheitsförderung, Prävention und Erhalt der Selbstständigkeit, die spezifische Prävention bei Hochbetagten, dazu offizielle und informelle Netze und Selbsthilfe-Möglichkeiten, ambulante und stationäre Versorgungs-Angebote, das dichte Netz der Rehabilitation, Möglichkeiten und Grenzen palliativer Hilfen, schließlich historische, ethische und berufliche Aspekte bezüglich Qualifizierung, aber auch Belastung usf.

Ein gutes Sachwortregister macht diesen Sammelband zum soliden Nachschlagewerk. Die Literatur ist „bodenständig“, d. h. überwiegend „alltags-relevant“. Ein gutes Angebot, das trotz großer Konkurrenz ein Standardwerk seines Themen-Spektrums werden kann (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).