Heike Akli, Barbara Bojack, Erdmute Meyer zu Bexten (Hrsg.):
ERKRANKUNGEN IM STRAFVOLLZUG
Psychopathologie und Straftäterbehandlung
Verlag für Polizeiwissenschaft – Prof. Dr. Clemens Lorei, Frankfurt 2009. 171 S., € 19,80.
ISBN 978-3-86676-068-4
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Was spielt sich eigentlich hinter Gefängnismauern ab, wird sich so mancher fragen. Aber nur kurz, beispielsweise wenn er gerade an einer Vollzugsanstalt vorbei kommt. Und vielleicht weiter: Was sind das eigentlich für Menschen? Sind die wie „wir“? Oder anders? Wahrscheinlich schon – aber dann: wie anders? Vielleicht fragt man sich noch: Haben die Familie, zumindest Eltern, Geschwister, vielleicht auch Freunde, wenngleich nicht viele oder – siehe schlechtes Umfeld – problematische, die an ihrem Ende nicht unerheblich beteiligt sind? Und wenn es einem gerade selber nicht gut geht, kommt vielleicht auch die Frage auf: Sind die auch mal krank? Körperlich, wahrscheinlich ähnlich wie „draußen“, schließlich werden sie auch gut versorgt, nicht zuletzt medizinisch.
Aber dann ggf. auch eine kritische Frage, weil sie u. U. auch mit dem jeweiligen Schicksal des Inhaftierten in Verbindung stehen könnte: Wie häufig sind psychische Erkrankungen bei Strafgefangenen? Und vor allem: Welche seelischen Leiden spielen hier vorzugsweise eine Rolle?
Das sind allerdings Fragen, die den Mitbürger selten tangieren. Das ist sogar in gewisser Hinsicht verständlich. Schließlich berührt es den eigenen Alltag kaum und fachlich ist es zudem sehr weit hergeholt. Wenn man allerdings die Meldungen in den Medien analysiert, und das ist praktisch täglich der Fall, dann kann einen eine solche Frage schon beschäftigen, nämlich: Seelische Erkrankungen im Strafvollzug sind ja in der Regel auch seelische Erkrankungen vor der kriminellen Tat, Verurteilung und damit Strafvollzug. Also die dann eher beunruhigende Überlegung: Gibt es seelische Störungen, die ggf. eine kriminelle Entgleisung bahnen könnten, wenn sich alle unglückseligen Aspekte negativ vereinigen?
Das ist das Arbeitsgebiet der forensischen Psychiatrie und darüber gibt es inzwischen eine Fülle von Untersuchungen, Fachartikeln und Büchern. Die nehmen übrigens zu, so wie Teile der Kriminalität ebenfalls ständig wachsen. Einzelheiten dazu also die entsprechende Fachliteratur.
Nun aber zurück zu der erwähnten Überlegung: Welche seelischen Erkrankungen finden sich hinter den Mauern einer Vollzugsanstalt, im Strafvollzug, fachlich gesprochen: Psychopathologie der Straftäter? Die Antwort können nur die zuständigen Experten geben und die stellen fest: Psychische Erkrankungen sind bei Strafgefangenen häufiger als in der Allgemeinbevölkerung vertreten. So geht man davon aus, dass bei vier bis sieben Prozent der Gefangenen eine Schizophrenie, bei zehn Prozent eine schwere Depression und bei 65% eine Persönlichkeitsstörung vorliegen. Das ist natürlich noch nicht alles. Wer nur die Überschriften dieser Serie überfliegt, weiß, was in der alten Seelenheilkunde und heutigen Psychiatrie auch im Strafvollzug alles möglich ist, einschließlich Selbstgefährdung bis zum Suizid.
Auch hier gibt es übrigens inzwischen eine wachsende Fachliteratur, der man allerdings eine allgemein-verständliche Aufarbeitung wünscht. Schließlich sind es nicht nur die dafür zuständigen (und auch zeitlich oftmals überforderten) Experten, die einen in Not geratenen psychisch kranken Strafgefangenen zumindest einmal anhören müssen, es gibt auch willige, gemütsmäßig belastbare und fachlich fähige Laien, aus jeglicher Berufssparte, die hier unterstützend tätig sein könnten.
Dafür aber braucht es eine gewisse Kenntnis-Grundlage. Die bezieht ihren Wissensstand zum Teil aus allgemeiner und – wie erwähnt – hoffentlich allgemein-verständlicher Sachliteratur in puncto „kranke Seele“, würde sich aber oftmals auch leichter tun, auf spezielle Informationen zurückgreifen zu können, wie sie im Justizvollzug, Straf- und Maßregelvollzug, kurz: vor, während und im Gefängnis als menschliches Problem auftauchen.
Eine solche Hilfe, sicherlich erst einmal fachlich angelegt, aber auch allgemein-verständlich nutzbar, ist vorliegender Sammelband über Erkrankungen im Strafvollzug. Die Beiträge ausgewiesener Experten erstrecken sich von psychopathologischen (psychiatrische Krankheitslehre) und damit diagnostischen Erkenntnissen über therapeutische Möglichkeiten und Grenzen, einschließlich spezifischer Aspekte wie Drogenabhängigkeit, Suizidgefahr, Sexualdelinquenz, Schwerbehinderung u. a. Sicherlich ein letztlich fach-spezifisches Angebot, doch wenn man die einzelnen Kapitel auch nur durchblättert, um an bestimmten Passagen hängen zu bleiben, so wird doch eines deutlich:
Auch der Straftäter, der uns Angst macht, ggf. in Hilflosigkeit und ohnmächtigen Zorn versetzt, ist letztlich ein Mitmensch, der sich sein Leben wohl auch anders vorgestellt hat. Und wenn es sich um eine seelische Krankheit handelt, dann kommen hier ganz bestimmte Konstellationen zum Tragen, die schon den dafür Zuständigen, sprich Polizisten, Juristen, Forensiker, Vollzugsbeamten, Sozialarbeitern u. a. manches Kopfzerbrechen bereitet haben, was Schuldfähigkeit und Verurteilung anbelangt.
Auch für die Allgemeinheit, die sich solchen, mitunter unbefriedigenden Aufgaben nicht stellen muss, ist aber eines sicher von Nutzen und hilft vieles wieder zu Recht zu rücken: die Erkenntnis, dass es auch psychisch Leidende hinter Gefängnismauern gibt. Welche Konsequenzen sich daraus ziehen lassen, von der subjektiven Einstellung bis zu ggf. späteren resozialisierenden bzw. in diesem Punkt rehabilitativen Unterstützungs-Maßnahmen, mag von der jeweiligen Konstellation abhängen. Mit einem Mehr an fachlichem Wissen über psychische Erkrankungen im Strafvollzug aber dürfte es leichter werden – für beide Seiten. Dieser Sammelband hilft dabei (VF).
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