Start Psychiatrie heute Seelisch Kranke Impressum

U. Koch, J. Weis (Hrsg.):
PSYCHOONKOLOGIE
Eine Disziplin in der Entwicklung
Hogrefe-Verlag, Göttingen 2009. 309 S., Euro 39,95.
ISBN 978-3-8017-2088-9

Download als PDF

Krebs – bei allen Lebewesen möglich, einschließlich Fauna und Flora – wohl seit es Leben auf dieser Erde gibt. Die moderne Gesellschaft nennt sie eine Geisel der Menschheit, dabei war sie noch nie so gut diagnostizierbar, behandelbar und sogar präventiv erfolgreich. Doch die Zahl der Betroffenen nimmt zu, nicht zuletzt durch Bedingungen, an denen wir selber beteiligt zu sein scheinen (in einigen Fällen undiskutabel nachweisbar und trotzdem nicht auszumerzen).

So erkranken in Deutschland ca. 425.000 Menschen an Krebs. Beim weiblichen Geschlecht dominiert die Brustkrebserkrankung (jährlich ca. 55.100 Neuerkrankungen), bei den Männern das Prostata-Karzinom (48.000 Neuerkrankungen pro Jahr). Damit sind die Tumor-Erkrankungen nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache für beide Geschlechter – Tendenz steigend, und zwar weltweit. Dass eine Krebs-Erkrankung nicht ohne Folgen bleiben kann, seelisch und damit psychosozial, ist kein Geheimnis. Hier setzt die relativ neue Disziplin der Psychoonkologie an, ein interdisziplinäres Fachgebiet, in dem also mehrere Fachbereiche beteiligt sind. Ihre Aufgabe ist es, die psychosozialen Aspekte in der Prävention, Diagnostik, Behandlung, Rehabilitation und Nachsorge sowie den gesamten Verlauf bis hin zur Phase einer fortschreitenden Krebserkrankung zu untersuchen; und ihre Erkenntnisse in der Versorgung und Betreuung von Patienten und Angehörigen umzusetzen. Das gelingt immer besser, die wissenschaftliche Produktivität der Psychoonkologie spricht für sich. Die Deutschen liegen zwar in diesem Punkt noch etwas zurück, wie ihre eigenen Experten selbstkritisch einräumen, aber holen auch kräftig auf. Das bezeugen immer mehr renommierte universitäre und außer-universitäre Forschergruppen, die auf hohem methodischem und inhaltlichem Niveau psychoonkologische Forschung betreiben und in internationalen Kooperationskontakten stehen. Damit hat die Psychoonkologie innerhalb des Gesamtgebietes der Onkologie einen erheblichen Schub bekommen, was nicht immer so war. Dazu haben vor allem nationale und internationale Fachgesellschaften beigetragen wie die Arbeitsgemeinschaft Psychoonkologie der Deutschen Krebsgesellschaft (PSO), die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie (dapo), die International Psycho-Oncology Society (IPOS) u. a.

Dennoch beklagen die deutschen Experten ein immer noch krasses Missverhältnis zwischen dem inzwischen verfügbaren psychoonkologischen Erkenntnisstand und seiner Umsetzung in der Versorgungs-Realität. Dies betrifft vor allem das Akutkrankenhaus (teils ausbildungsmäßig, aber auch was die finanzielle Vergütung anbelangt). Und selbst die psychosozialen Krebs-Beratungsstellen sind nicht flächendeckend und konzentrieren sich bisher auf größere Städte. Niedergelassene Psychotherapeuten, die sich auf die Betreuung von Krebspatienten spezialisiert haben, sind ohnehin (noch) selten.

Hier hat die Fachliteratur noch eine große Aufgabe vor sich, kann aber auch auf eine solide Vorarbeit verweisen. Die Zahl der Publikationen und Fachbücher steigt, das Gleiche gilt für ein fundiertes allgemeinverständliches Sachbuch-Angebot, von den zahllosen populär-medizinischen Beiträgen in den Medien ganz zu schweigen. Krebs weckt Interesse – notgedrungen (s. o.).

Ein erfreulicher Baustein dieser Reihe ist das vorliegende Fachbuch, der Band 22 in der Reihe „Jahrbuch der Medizinischen Psychologie“, der ein schon früheres Werk in dieser Serie ergänzt, nämlich die „Psychosoziale Onkologie“ aus dem Jahr 1989.

Das Buch ist in vier Themenblöcke unterteilt. Im ersten geht es um die psychischen Belastungen bei Krebs-Patienten und ihren Familien. Das bezieht sich zum einen auf bestimmte Krebsarten (z. B. Prostata und Darm), zum anderen auf das Schicksal von Kindern und Partnern Krebskranker, die Lebensqualität generell und die Belastungsverarbeitung im Speziellen (z. B. im höheren Lebensalter). Interessant auch die geschlechtsspezifischen Erkenntnisse dazu, insbesondere der zweite Themenbereich „der Patient als Partner“. Die nachfolgenden Beiträge über „psychoonkologische Interventionen“ beginnen mit einem umfassenden Überblick über die bisher publizierten Ergebnisse, um dann konkrete Maßnahmen zu beleuchten. Beispiele: psycho-edukative Gruppentherapie, Kommunikation mit onkologischen Patienten sowie spezifische Krebs-Leiden und ihre Folgen (z. B. Kehlkopf-Entfernung). Der letzte Bereich ist den zukünftigen Forschungs-Perspektiven gewidmet, vor allem der Versorgungs-Forschung, ein Thema, das früher in praktisch allen seelischen und psychosozialen Ebenen (sträflich!) vernachlässigt wurde, heute aber endlich die notwendige Beachtung erfährt.

Das empfehlenswerte Fachbuch hat ein ausführliches Literaturverzeichnis, in dem auch deutschsprachige Publikationen nicht zu kurz kommen, führt sehr ausführlich die beteiligten AutorenInnen auf – verfügt aber über kein Sachwortverzeichnis. Das mag zwar irgendeinen Grund haben, der aber den informations-willigen Leser trotzdem nicht erfreuen kann. Bücher kämpfen gegen ein immer treff-sicherer werdendes und vor allem blitzschnell verfügbares Internet-Angebot, bei nebenbei (wachsender) Qualität. Da darf man nicht jene „Werkzeuge“ aus der Hand geben, die dieses Rennen wenigstens bisher noch halbwegs offen halten, vor allem auf einem Gebiet, dem die Zukunft zu gehören droht (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).