Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
KRANKHAFTE BRANDSTIFTUNGPyromanie, pathologisches (krankhaftes) Feuerlegen
Die krankhafte Brandstiftung ist ein ungewöhnliches, ja spektakuläres und vor allem folgenschweres Krankheitsbild, das aber bisher nicht allseits befriedigend und vor allem einheitlich klassifiziert werden konnte. Bedeutungsgleiche Begriffe: Pyromanie (Fachbegriff), krankhaftes Feuerlegen u. a. Definition Versuchte oder vollendete Brandstiftung an Häusern oder anderen Objekten ohne (scheinbar) verständliches Motiv. Krankheitsbild Vorkommen Verlauf Besondere Aspekte - Aus Lust und Genuß am Feuer und/oder der Bedeutung als Retter (s. o). Im Rahmen einer konkreten seelischen Störung wurden früher auch folgende Krankheitsbilder diskutiert, bei denen das pathologische Feuerlegen gelegentlich beobachtet wurde: antisoziale Persönlichkeitsstörung oder andere Störungen des Sozialverhaltens, Intoxikation (z. B. Rauschdrogen, vor allem aber Alkohol - s. später), ferner Demenz oder sonstige geistige Behinderung, Epilepsie, Schizophrenie oder schizomanisches Syndrom bei schizoaffektiver Psychose (Schizophrenie und Manie oder Depressionen treten gleichzeitig auf) aufgrund von imperativen Halluzinationen (z. B. befehlenden Stimmen), ferner bei entsprechenden Eingebungen und wahnhaften Verknüpfungen sowie bei manischen Episoden. Berühmt wurde die sexualpsychologische Erklärung der Pyromanie. Neuere empirische Daten Trotz moderner Ermittlungsmöglichkeiten bleibt der Großteil unaufgeklärt, nämlich fast zwei Drittel aller Brandstiftungen. Rund ein Viertel (in den USA noch mehr) entfallen auf strafunmündige Kinder, die also nicht vor Gericht kommen und deshalb auch nicht in die Statistik eingehen. Das gleiche gilt für Täter mit entsprechenden Motiven wie Versicherungsbetrug, Verdecken von Spuren und anderen Straftaten, von politischer Motivation u. a., die - zumindest in Mitteleuropa - in der Regel keiner psychiatrischen Begutachtung durch das Gericht zugeführt werden. Das besagt: Nur jede 10. Brandstiftung ergibt verwertbare Hinweise über Persönlichkeitsstruktur, Motivation usw. Von diesen rund 10 % erfaßten Tätern sind mehr als drei Viertel männlichen Geschlechts. In Wirklichkeit sind Frauen aber wahrscheinlich öfter betroffen. Das häufigste Motiv im Rahmen der erfaßten und forensisch (gerichts-psychiatrisch) begutachtbaren Brandstifter ist Frustration, also letztlich aggressive Beweggründe (jedoch selten Rache: meist kennt der Täter den Geschädigten gar nicht). An zweiter Stelle stehen Faszination, also Interesse, Neugierde oder Anziehung hinsichtlich Feuer und der damit zusammenhängenden Brand-Situation. Das entspricht in etwa der modernen Definition der Pyromanie (und hier finden sich auch die meisten Feuerwehrmitglieder bzw. -helfer und auch einige sexuelle Motivationen, jedoch deutlich seltener als in der neurosenpsychologischen Literatur angenommen). An dritter Stelle folgen die Kombination aus Frustration und Faszination, danach suizidale Motive und - am seltensten - wahninduzierte Brandlegungen. Bei den Diagnosen stehen an erster Stelle Persönlichkeitsstörungen in fast zwei Drittel aller Fälle. Dabei überwiegen die selbstunsicheren Persönlichkeitsstörungen, und zwar weit vor den antisozialen, paranoiden, den Borderline- und schizoiden Persönlichkeitsstörungen (s. diese). Etwa jeder 5. forensisch erfaßte Brandstifter ist geistig behindert. Eine Entwicklungskrise muß in jedem 10. Fall angenommen werden. Danach folgen die deutlich selteneren Diagnosen: wahnhafte Psychose, hirnorganisches Psychosyndrom, Demenz und Depression (s. diese). Im Gegensatz zu den Ausschlußkriterien der neuen Klassifikationen (akute Trunkenheit, chronischer Alkoholismus, Drogen- und Medikamenten-Intoxikation u. a.) ist der Alkoholmißbrauch bei der pathologischen Brandstiftung in Wirklichkeit das häufigste Phänomen dieses Fehlverhaltens. Drei Viertel der erfaßten Täter sind zum Zeitpunkt der Tat alkoholisiert, die Hälfte als alkoholkrank zu bezeichnen. Dies betrifft besonders selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen und hier besonders die Motiv-Kombination Frustration und Faszination. Der Alkoholismus ist vor allem ein Problem der älteren Brandstifter. Vier von zehn Tätern sind vorbestraft, fast die Hälfte lebt im Familienverbund, die meisten unverheiratet (oder kurz vorher geschieden). Zwei Drittel der Brandobjekte sind fremde Häuser, der Rest verteilt sich auf eigenes Wohnhaus und Arbeitsplatz (allerdings arbeitet die Hälfte der Brandstifter zum Zeitpunkt der Tat nicht mehr). Das Durchschnittsalter ist relativ jung, d. h. eine Brandstiftung erfolgt in der Regel in den ersten Lebensjahrzehnten. Die Mehrheit kommt vom Land. Drei Viertel setzen die Brände nachts (eher Erwachsene), ein Viertel bei Tag (eher Jugendliche). Psychologisch scheint bei der pathologischen Brandstiftung weniger eine Störung mit Verlust der Impulskontrolle vorzuliegen (in den modernen Klassifikationen wird die Brandstiftung unter diese Kategorie eingereiht), eher ein extrem spezialisiertes Fehlverhalten. Die meisten Täter sind sehr schüchtern und gehemmt. Deshalb greift die einseitige Betonung aggressiver Motive zu kurz. Das gleiche gilt für den angeblich hohen Anteil von sexuell motivierten Brandstiftern, einer Interpretation, die vor allem die deutschsprachige Psychiatrie in Anlehnung an Sigmund Freud charakterisiert. In Einzelfällen kann dies vorkommen, ist aber - zumindest für die erfaßten Pyromanen - kein statistisch relevantes Motiv. Zahlenmäßig aber deutlich ist die Erkenntnis: Mindestens 60 % aller überführten Brandstifter sind Kinder, weshalb man bei entsprechenden Brandfällen die kindliche Lust am Zündeln in seine Überlegungen einbeziehen sollte (nach Laubichler). Therapie: Literatur Meist wissenschaftliche Publikationen, kaum fundierte allgemeinverständliche Literatur, Fach- und Sachbücher. |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |