Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
FREUDE ALS SYMPTOMFreudlosigkeit - überschießende Freude Freude gehört zum Alltag, wenngleich viel zu selten. Doch tiefe Freudlosigkeit kann auch ein Symptom sein und dann auf bestimmte Krankheiten hinweisen, vor allem Depressionen. Dort ist die Freudlosigkeit sogar eines der wichtigsten Symptome, wenn auch andere charakteristische Krankheitszeichen dazukommen. Wahrscheinlich empfindet es so mancher als überzogen, unangemessen oder gar unerträglich, dass sich die Psychiatrie auch noch in Gemütsregungen einmischt, die nun wirklich nichts Negatives oder gar Krankhaftes an sich haben dürften (wenn man einmal von der Schadenfreude absieht, die aber ebenfalls als normal-psychologisches Phänomen im Alltag gilt). Und trotzdem ist die Freude zur Beurteilung der seelischen Gesundheitslage ein wichtiger Faktor, und zwar in beide Richtungen: Dass die Fähigkeit, zuwenig oder gar keine Freude mehr empfinden zu können, nicht nur nicht wünschenswert, sondern ggf. auch nicht normal ist, leuchtet noch am ehesten ein. Dass aber eine Zuviel an Freude ebenfalls ein Krankheitszeichen sein kann, das dürfte so manchem neu sein. Nachfolgend deshalb eine kurzgefasste Übersicht zum Thema "Freude als Symptom" und als diagnostischer Hinweis. Angenehme ZustandsgefühleDie Freude gehört zu den angenehmen Zustandsgefühlen, wie dies in der Psychopathologie, der Lehre vom Beschwerdebild seelischer Erkrankungen bezeichnet wird. Angenehme Zustandsgefühle sind beispielsweise Frohmut, Beglücktheit, Heiterkeit, Wohlbehagen, Beschwingtheit, Frische, Spannkraft, Schwung, Zuversicht - und eben die Freude. Sie ist allerdings schwerer zu erfassen als allgemein angenommen, im Positiven wie im Negativen. Im Einzelnen: · Freudlosigkeit als Symptom Freudlosigkeit ist einerseits eine häufige Befindlichkeitsstörung oder Befindensschwankung im Alltag jedes gesunden Menschen. Andererseits ist die Freudlosigkeit auch ein wichtiges Krankheitszeichen, auch wenn es selbst schwer Betroffenen gar nicht so richtig klar zu sein scheint. Dies betrifft besonders die Depressionen. So ist ein Depressiver nicht nur außerstande, sich unbekümmert zu freuen, sondern leidet auch unter der mangelnde Fähigkeit oder gar völligen, durch nichts korrigierbaren Unfähigkeit, auf eine freundliche Umgebung oder ein freudiges Ereignis überhaupt emotional zu reagieren, d.h. gefühlsmäßig anzusprechen und innerlich mitzuschwingen. Das Extrem ist dann die Unfähigkeit, überhaupt etwas zu empfinden, die sogenannte "gefühlte Gefühllosigkeit". In diesem Zustand können Depressive sogar weder trauern im eigentlichen Sinne noch weinen. So etwas nennt man eine "tränenlose Trauer", die sich durch so manche erschütternde Äußerlichkeit zeigt (siehe das entsprechende Kapitel über Depressionen), z.B. matte, glanzlose (weil tränenlose), bisweilen fast tot wirkende Augen des Schwermütigen. Die Freudlosigkeit tritt häufig zusammen mit bestimmten Depressions-Symptomen auf: lustlos, genussunfähig, ferner herabgestimmt, bedrückt, resigniert, dazu mutlos, verzagt, energielos, rasch erschöpfbar, interesselos, überempfindlich, ggf. allgemeines Elendigkeitsgefühl usw. Bisweilen ist die Freudlosigkeit aber nicht ganz einfach von Langeweile oder Überdruss abzugrenzen. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist jedoch folgendes: Eine nicht-krankhafte Freudlosigkeit durch andere Ursachen kann durch eine "frohe Botschaft" (Partnerschaft, Familie, Finanzen, berufliche Position usw.) rasch und spürbar gemildert, aufgelöst oder ins erleichterte Gegenteil verkehrt werden. Eine krankhafte Freudlosigkeit (z.B. bei einer Depression) ist dadurch nicht aufhellbar. Beispiel: "Gratuliere, Sie haben eine enorme Summe gewonnen". Antwort des Depressiven: "Das glaube ich nicht und wenn, bin ich es nicht wert. Gebt es denen, die bedürftig sind in diesem Jammertal. Mir kann doch keiner mehr helfen, schon gar nicht mit Geld". Wo kommt krankhafte Freudlosigkeit vor?Freudlosigkeit findet sich aber nicht nur bei allen Formen der Depression (vor allem der sogenannten endogenen), sondern auch im Rahmen eines depressiven Beschwerdebildes bei schizophrener oder schizoaffektiver Psychose, bei den meisten Suchtkrankheiten (weshalb Alkohol sowie euphorisierende Rauschdrogen und Medikamente mit ihrem kurzfristigen Glücks- und Wohlgefühl immer wieder als Selbstbehandlungsversuch eingesetzt werden), bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen, z.B. selbstunsicheren, stimmungslabilen, asthenischen (kraftlosen), ggf. paranoiden (wahnhaften) Formen usw. Einzelheiten zu diesen Krankheitsbildern siehe die entsprechenden Kapitel. Therapie der FreudlosigkeitDie krankhafte Freudlosigkeit, und wohlgemerkt nur diese, also eine pathologische Freudlosigkeit während eines entsprechenden Krankheitsbildes (siehe oben) wird behandelt durch - Psychotherapie: Behandlung mit seelischen Mitteln, je nach Krankheitsbild ggf. unterschiedliche Therapieansätze, - mit soziotherapeutischen Hilfen und Korrekturen: zwischenmenschlich, beruflich, - mit physiotherapeutischen Maßnahmen: wobei die tägliche körperliche Aktivität, z.B. der tägliche "Gesundmarsch bei Tageslicht" eine viel größere langfristige Bedeutung hat, als man gemeinhin annimmt und - eine gezielte Pharmakotherapie, das heißt beispielsweise Antidepressiva bei Depressionen, Neuroleptika bei schizophren oder schizoaffektiven Psychosen usw. · Überschießende Freude als Symptom Schon bei der negativen Begriffsbestimmung (siehe oben) wird klar, dass das affektive Phänomen "Freude" im Grunde ein unscharfer Sammelbegriff für verschiedene Gefühle ist. Für den Alltag und auch zur Diagnose-Stellung ist jedoch das Wichtigste das Daran-Denken, um beispielsweise eine beginnende Depression durch rechtzeitigen therapeutischen Einsatz zu mildern und abzukürzen. Das Gleiche gilt - so sonderbar es sich anhört - für das positive Extrem der Freude, die pathologische (krankhafte) Freude. Dabei handelt es sich nicht um den noch normalen Überschwang, wie er uns manchmal vergönnt ist, sondern um das manische Syndrom, das in der Regel noch schwerer rechtzeitig zu erkennen und vor allem als Krankheit anzuerkennen ist als der Beginn einer Depression. Kennzeichnende Merkmale der Manie sind neben krankhaft gesteigerter Aktivität und Rededrang, einschließlich "Telefonsucht", vor allem die euphorische (d.h. inhalts- bzw. motivlos gehobene) Stimmung mit überströmender und insbesondere mitreißender (!) Heiterkeit und sogar Glückseligkeit. Bei einer solchen manischen Affektstörung ist die Stimmung meist gehoben, unbeschwert, übermütig, heiter, fröhlich, beschwingt, "sonnig", wagemutig, unverwüstlich, optimistisch, ausgelassen, enthusiastisch. Der Betroffene ist voller Wohlbehagen und strahlender Laune, witzig, spritzig, schalkhaft, schlagfertig, siegesbewusst, "mit goldenem Humor" - kurz: "glücklich, freudig und froh". Manchmal entsteht eine regelrechte "ekstatische Seelenstimmung". Oft fällt auch ein ausgeprägt humoristischer Zug auf mit der Neigung, allen Dingen und Ereignissen die scherzhafte, positive Seite abzugewinnen, einschließlich einer durchaus originellen und in der Regel gutmütigen Spottlust. Charakteristisches Merkmal einer Manie: Die positive Stimmung ist ansteckend. Allerdings kann diese beneidenswerte Verfassung auch rasch und unbegründet in eine Miss-Stimmung umschlagen, bis hin zur gereizten oder aggressiven, ja tobsüchtigen Manie. Wo kann eine krankhafte Freude vorkommen?Meist handelt es sich um das erwähnte manische Syndrom (Krankheitsbild) im Rahmen einer reinen Manie, d.h. ausschließlich Hochstimmung auf krankhafter Grundlage. Dann kommt es vor bei der manisch-depressiven Erkrankung, d.h. einer krankhaften Hochstimmung, die sich meist mit depressiven Zuständen unregelmäßig abwechselt. Schließlich ist es möglich bei einer schizoaffektiven Psychose, bei der manische und/oder depressive Zustände zusammen mit schizophrenen Krankheitszeichen auftreten. Gelegentlich findet sich eine Hochstimmung auch bei schizophrenen Psychosen, dann allerdings nicht so unbeschwert fröhlich und schon gar nicht so heiter ansteckend wie bei der reinen Manie. Schließlich gibt es eine manische (oder meist maniforme oder submanische, d.h. leichtere manische Hochstimmung) auch bei bestimmten Schädel-Hirn-Traumen oder anderen hirnorganischen Störungen (siehe das entsprechende Kapitel). Das Gleiche gilt für Suchtkrankheiten in toxisch-euphorisiertem Zustand (Hochstimmung durch chemische Einflüsse im weitesten Sinne bis hin zur Vergiftungsfolge). Beispiele: Alkoholisierung, bestimmte Rauschdrogen wie Haschisch/Marihuana, LSD, Kokain, Opiate, Designerdrogen usw. Auch medikamentös möglich, z.B. Psychostimulanzien, Benzodiazepin-Tranquilizer, Schilddrüsenhormone, Glucocorticoide, Corticosteroide, ACTH u.a. Im Rahmen der Persönlichkeitsstörungen sind es vor allem hyperthyme Persönlichkeiten. Das sind Menschen mit fröhlicher Grundstimmung, lebhaftem Temperament und ausgeprägter Aktivität, die allerdings nicht nur zeitweise, wie bei den manischen Episoden, sondern durchgehend heiter, gesellig, mitunter auch etwas umtriebig-oberflächlich auftreten. Einzelheiten siehe die jeweiligen Stichworte, vor allem das ausführliche Manie-Kapitel. Hinweise zur Biographie der FreudeDass die Freude in ihren Extremformen zuwenig diagnostische Aufmerksamkeit auslöst, ist eine alte Erkenntnis. Genauso wenig wird aber bisher die Erkenntnis genutzt, dass man schon in der Erhebung der Vorgeschichte (Fachausdruck: Anamnese) darauf achten sollte, nicht nur die negativen, d.h. fehlenden Freuden im Leben, sondern auch die positiven anzusprechen. Selbstverständlich kommt ein Patient nur dann zu seinem Arzt oder Psychologen, wenn er unüberwindbare Probleme oder Sorgen hat, wenn er unter Funktionsstörungen oder Krankheiten leidet. Die Erhebung der Krankheits-Vorgeschichte und der psychische Befund konzentrieren sich dabei zumeist (aber nicht notwendigerweise - siehe unten) auf die negativen, belastenden Erlebnisse, also gleichsam eine Biographie des Leids. Neuerdings wird jedoch von Psychiatern und Psychologen immer wieder darauf hingewiesen, dass man damit einen wesentlichen Teil des Lebens unnötig ausklammert, nämlich die Biographie der Freude. Denn es gilt ja auch bei einem schweren Schicksal den Betroffenen zu der Erkenntnis zu führen, dass selbst ein Leben voller Probleme nicht ohne stille und offene Freuden war und ist. Und dass man solche Oasen der Freude als Quelle der Kraft nicht brach liegen lassen sollte. LiteraturIn der allgemein zugänglichen Literatur wahrscheinlich mehr, wenn auch vereinzelte Hinweise als in der psychiatrischen und psychologischen Fachliteratur. Grundlage vorliegender Ausführungen sind: Faust, V.: Seelische Störungen heute. Verlag C.H. Beck, München 2001 Faust, V.: Depressionsfibel. G. Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-Lübeck-Ulm 1997 Faust, V.: Schwermut. Depressionen erkennen und verstehen, betreuen, behandeln und verhindern. S. Hirzel-Verlag, Stuttgart-Leipzig 1999 Faust, V.: Manie. Eine allgemeinverständliche Einführung in Diagnose, Therapie und Prophylaxe der krankhaften Hochstimmung. Enke-Verlag, Stuttgart 1997 Faust, V. (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. G. Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996 Kast, V.: Freude - Inspiration - Hoffnung. Walter-Verlag, Olten und Freiburg 1991 Scharfetter, C.: Allgemeine Psychopathologie. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1996 |
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |