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Klimakterium und psychosoziale Folgen

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Wechseljahre – Klimakterium – Menopause – Perimenopause

Anhang: Wechseljahre des Mannes?

 

Etwa jede zehnte Frau steht in den Wechseljahren. Dreiviertel davon sind während dieser Menopause seelischen, psychosozialen und körperlichen Befindensschwan­kungen oder Beschwerden unterschiedlicher Intensität ausgesetzt: Hitzewallungen, kalte Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Kopf- und Gelenkschmerzen, Herzklop­fen, Schwindelgefühle, Atemenge, traurige Verstimmungen, vermehrte Ängstlichkeit, innerlich unruhig, nervös und gespannt, ja reizbar bis aggressiv. Dazu Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, rasche körperliche, aber auch seelische Erschöpfbarkeit, länger anhaltende Mattigkeit, Libidostörungen u. a.

 

Die Ursachen sind vor allem biologischer Natur: nachlassende Funktion der Eier­stöcke, damit Mangel an bestimmten Sexualhormonen. Aber auch psychosozial be­gründet, vor allem in den westlichen Nationen (es gibt asiatische, afrikanische und arabische Kulturen, in denen psychosoziale Beeinträchtigungen in den Wechsel­jahren keine solche Rolle spielen!).

 

Welches sind die wichtigsten Ursachen und Auslöser? Was kann man medikamen­tös, vor allem aber was kann man psychologisch tun, insbesondere vorbeugend?

 

Nachfolgend eine etwas ausführlichere Übersicht zum Thema Klimakterium und psychosoziale Folgen mit den Möglichkeiten und Grenzen einer weitgehend nicht-medikamentös gestützten seelisch-körperlichen Stabilisierung (mit einem Anhang über die Wechseljahre des Mannes).

 

 

Erwähne Fachbegriffe:

 

Wechseljahre – Klimakterium – Menopause – Monatsblutung – „Mitte des Lebens“ – Perimenopause – Postmenopause – Menarche – Climacterium virile – Andropause des Mannes – partielles Androgendefizit des alternden Mannes (PADAM) – aging male – klimakterisches Beschwerdebild – Leeres-Nest-Syndrom – Fertilitäts-Einbu­ßen – Libido-Verlust – midlife crisis – sexuelle Aktivität – Potenz – Trennung – Scheidung – Verwitwung – Einsamkeit – Involutionsdepression – Depression im Rückbildungsalter – klimakterische Depression – Jammerdepression – Nerven­schwäche – perimenopausales dysphorisches Syndrom – depressive Erkrankung in der Perimenopause – hyperästhetisch-emotionaler Schwächezustand – Gemüts­labilität – Affektlabilität – Affektinkontinenz – Angstzustände – Merk- und Konzentra­tionsstörungen – Interesselosigkeit – rasche Erschöpfbarkeit – Schlafstörungen – prämenstruelles Syndrom – postpartale Dysphorie – Maternity Blues – Postpartum-Blues – perimenopausale Depression – Hitzewallungen – Kälteschauer – „Becken­schmerz“ – Hormonsturz – Kontrazeptiva – „Pille“ – Hormon-Substitutionstherapie – Östrogen-Substitutionstherapie – Androgene – Testosteron-Substitution – Psycho­pharmaka – Antidepressiva – Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) – nicht-medikamentöse Behandlungsvorschläge – transkulturelle Aspekte der westlichen Frau u.a.m.

 

Etwa jede zehnte Frau steht in den so genannten Wechseljahren. Mehr als Drei­viertel davon ist in diesem Zeitraum zwischen etwa 45 und 55 vielschichtigen seeli­schen, psychosozialen und körperlichen Befindensschwankungen oder Beschwerden unterschiedlicher Intensität ausgesetzt (Menopausen-Syndrom). Etwa jede zweite Betroffene sucht deshalb einen Arzt auf. Man schätzt, dass nur etwa jede fünfte Frau ohne jegliche Beeinträchtigungen durch diese Umstellungsphase kommt.

 

Um was handelt es sich hier? Und vor allem: was kann man tun, insbesondere ohne Sexualhormone, die in letzter Zeit auch noch in ein kritisches Licht geraten sind?

 

 

Begriff, Definition und klassifikation

 

Der Begriff Klimakterium (allgemeine Bezeichnung: Wechseljahre) hat einen etwas eigenartigen wortgeschichtlichen Ursprung (aus dem Griechischen im Sinne von „breite oberste Stufe der Bockleiter“). Das Klimakterium bezeichnet eine normale Entwicklungsperiode des Menschen (und zwar weiblichen und männlichen Ge­schlechts) in einer individuell unterschiedlich langen Zeitspanne von etwa 5 bis 7 Jahren, bei der Frau vor der letzten Regelblutung, der Menopause. Bedeutungs­gleich deshalb auch der Begriff Perimenopause (übersetzt soviel wie „zeitlich um die Menopause herum“).

 

Danach beginnt die so genannte Postmenopause, also ein individuell unterschiedlich langer Zeitabschnitt nach der oftmals schwierigen Menopause. Die Postmenopause geht schließlich mehr oder weniger spürbar in das Senium über. Unter Senium ver­steht man das zeitlich sehr individuell, d. h. variabel einsetzende „Greisenalter“ mit seinen eigenen körperlichen, seelischen und geistigen Einschränkungen.

 

Klassifikatorisch ist Klimakterium keine eigenständige Einheit (wie beispielsweise Depressionen, Angststörungen u. a.). D. h. es ist auch keine eigene psychiatrische Diagnose, gleichsam nur die Beschreibung einer Befindlichkeit oder Störung, selbst wenn sie Krankheitswert erreichen sollte. Deshalb gibt es auch keine klassifikatori­sche Einteilung in den weltweit tonangebenden Klassifikationssystemen der Welt­gesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10 sowie der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) mit ihrem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen – DSM-IV-TR.

 

Wenn das Leidensbild allerdings in einer zusätzlichen krankhaften Form „entgleist“, z. B. in Richtung Angststörung, Depression, Sexualstörung, Somatisierung („Ver­körperlichung“, körperbedingte Störung), dann wird es unter den Fachbegriffen der jeweiligen Haupterkrankung diagnostiziert.

 

Wissenschaftliche Kurzfassung: Das Klimakterium ist ein physiologischer (normaler) Lebensabschnitt, dessen Beginn durch die Menopause definiert wird. Bei der Meno­pause handelt es sich um die letzte spontane Perioden-Blutung, nach der mindes­tens ein Jahr lang keine weitere Menstruation mehr erfolgt. Das durchschnittliche Menopausen-Alter liegt in Mitteleuropa bei 51 Jahren (vier bis fünf Jahre vor der Menopause setzt die Prä-Menopause ein). Der Zeitraum ab einem Jahr nach der Menopause bis zum Senium wird als Post-Menopause bezeichnet. Die Übergangs­phase zwischen Prä-Menopause und Post-Menopause bzw. zwei Jahre vor bis ein Jahr nach der Menopause wird als Peri-Menopause definiert (Runnebaum u. Mitarb., 1994).

 

 

Häufigkeit klimakterischer Beschwerden

 

Über die Häufigkeit klimakterischer Beschwerden gibt es unterschiedliche Angaben, je nach Art der Erfassung (mehr gynäkologisch, mehr psychiatrisch orientiert) und vor allem je nach Schweregrad. Der kann zwischen „leicht“ über „erträglich“ bis „ausge­prägt“ oder gar „quälend“ variieren.

 

Gesamthaft gesehen trifft es - wie eingangs erwähnt - etwa Dreiviertel aller Frauen in den Wechseljahren, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität.

 

Welche Symptome belasten nun am häufigsten?

 

 

Das Beschwerdebild des Klimakteriums

 

Das Beschwerdebild des Klimakteriums teilt sich aus wissenschaftlicher Sicht in das

-    vegetative Menopausen-Syndrom

-    psychische Menopausen-Syndrom.

 

-         Unter dem vegetativen Menopausen-Syndrom, also den rein körperlichen Be­einträchtigungen stehen an erster Stelle Hitzewallungen und kalte Schweißausbrü­che (Fachbegriff: vasomotorische Störungen). Beide äußern sich meistens nachts und verstärken durch die dadurch drohenden Schlafstörungen (Schlafentzug) das gesamte Leidensbild (zumal Schlafstörungen das weibliche Geschlecht ab dieser Zeit ohnehin häufiger betreffen als sonst üblich).

 

Neben Hitzewallungen und Schweißausbrüchen belasten vor allem noch Kopf- und Gelenkschmerzen, Schwindelgefühle, Erröten, Erblassen, Missempfindungen, Herz­klopfen bzw. Herzjagen, Atemenge, Kopf- und Gelenkschmerzen u. a.

 

Am unangenehmsten und häufigsten sind offenbar Hitzewallungen, unter denen etwa 8 von 10 Frauen während der Wechseljahre zu leiden haben - und zwar länger als ein Jahr, jede vierte Betroffene sogar 5 Jahre und mehr.

 

Als Auslöser der Hitzewallungen, die zwischen einer halben und drei Minuten variie­ren und bis zu zwei Dutzend Mal und mehr pro Tag bzw. Nacht auftreten können (!) gelten neben der vegetativen (körperlichen) Ausgangslage vor allem seelische, psychosoziale und körperliche Belastungen, insbesondere Aufregungen, aber auch Kaffee, Alkohol, Nikotin u. a. Der erwähnte Teufelskreis zwischen Hitzewallungen und Schlafstörungen, die sich gegenseitig aufschaukeln können, äußert sich vor allem in zusätzlichen Erschöpfungsreaktionen, in Reizbarkeit und Stimmungslabilität (s. u.).

 

Alle diese Symptome sind im Übrigen nicht nur ungeprüft den Wechseljahren anzu­lasten, sondern in hartnäckigen und längere Zeit belastenden Fällen sowohl internis­tisch als auch psychiatrisch abzuklären. Der Internist denkt dabei beispielsweise an eine Hyperthyreose (Überfunktion der Schilddrüse), der Psychiater an eine Panik­attacke, die sich ja meist körperlich äußert, weshalb sie in der Regel „nur“ kardio­logisch und nicht auch psychiatrisch abgeklärt wird. Einzelheiten dazu siehe die ent­sprechenden Kapitel (z. B. Angststörungen).

 

-         Neben den in der Tat mitunter überaus lästigen körperlichen Symptomen gilt es aber in vielen Fällen auch seelische, ja sogar kognitive (intellektuell-geistige) Beeinträchtigungen durchzustehen.

 

Das sind zum einen eine ausgeprägte Gemütslabilität (Fachausdruck: affektlabil bis affektinkontinent) mit vermehrter Weinerlichkeit, ferner länger anhaltende traurige Verstimmungen, verstärkte Ängstlichkeit bis längere Angstzustände und zum ande­ren - zahlenmäßig wahrscheinlich am häufigsten - eine vermehrte innere Unruhe, Anspannung, Nervosität, ja Reizbarkeit bis (unterschwellige) Aggressivität. Und das Ganze im Rahmen einer hartnäckigen und vor allem unerklärlichen Müdigkeit, Mat­tigkeit, auf jeden Fall aber Antriebsarmut bis regelrechten Lethargie.

 

Sehr beeinträchtigend sind auch Interesse- und Freudlosigkeit sowie Merk- und Kon­zentrationsstörungen bis hin zur peinlichen Vergesslichkeit. Und eine rasche körper­liche, aber auch seelische Erschöpfbarkeit bzw. zermürbende Initiativelosigkeit.

 

Auch in sexueller Hinsicht gibt es Probleme: vor allem eine nachlassende Libido (sexuelle Lust) und damit auch Aktivität. Verstärkt wird dies nicht zuletzt durch den Schwund der Blasen- und Vaginal(Scheiden)-Schleimhaut sowie der Vulva (äußere weibliche Geschlechtsorgane) einschließlich nachlassender Durchfeuchtung bei sexueller Erregung, was beispielsweise Schmerzen beim Verkehr nach sich ziehen kann.

 

Zur Frage: Was sind während dieser Zeit rein alters-abhängige Symptome (schließ­lich ist das ein Aspekt, den man nicht verdrängen sollte, auch der reine Alterungs­prozess hat seinen Preis), was sind menopausen-abhängige Krankheitszeichen und vor allem solche durch Östrogenmangel bedingte Merkmale, nachfolgend eine kurze tabellarische Übersicht:

 

 

 

Merkmale des Klimakteriums

 

   -  Alters-abhängige Merkmale: Rückenschmerzen, subjektive Missempfindungen (Parästhesien), depressive Verstimmungen, kognitive (geistige) Einbußen, Libido­verlust.

 

   -  Menopausen-abhängige Merkmale: Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Tro­ckenheit der Scheidenschleimhaut, Spannungskopfschmerz, Stress-Inkontinenz (Einnässen unter psychosozialem Druck).

 

   -  Östrogenmangel-bedingte Merkmale: Osteoporose, Migräne, Schwindel, häufi­ges Wasserlassen, Schlafstörungen, Appetitsteigerung mit nachfolgendem Über­gewicht, Interesselosigkeit, Reizbarkeit, mangelndes Selbstvertrauen u. a.

 

Aus D. L. Schloth & U. Ehlert, 2001, modifiziert

 

 

Psychosoziale Belastungen

 

Das Menopausen-Syndrom gilt als so genannte „Multi-System-Erkrankung“, also ein Leidensabschnitt, der mehrere Ursachen auf verschiedenen Ebenen hat. Über die eindeutige Hauptursache, nämlich die biologischen, d. h. hormonellen Veränderun­gen siehe die entsprechende Fachliteratur.

 

Nicht zu unterschätzen sind allerdings auch die so genannten Veränderungen im sozialen Umfeld, also häufig einschneidende, wenn nicht gar lebens-entscheidende Ereignisse in der „Mitte des Lebens“ zwischen 45 und 55.

 

Da gilt es beispielsweise folgende Belastungen zu beachten, die zwar fast alle vor­hersehbar, in der Mehrzahl sogar erwünscht sind, aber eben trotzdem das Leben nachhaltig verändern können. Im Einzelnen:

 

-         Nach und nach verlassen auch die jüngsten Kinder das Haus („Leeres-Nest-Syndrom“, englischer Fachausdruck: empty-nest-Syndrom).

-         Entfremdung vom Partner, in letzter Zeit vielleicht sogar zunehmende Trennungs- und Scheidungsüberlegungen.

-         Beginnende Pflegebedürftigkeit der eigenen Eltern mit stress-intensiven, oft lang­fristigen Aufgaben, die - üblicherweise - in keiner Weise gewürdigt werden.

-         Oder der Tod der Eltern (eine Zäsur im Leben, die ebenfalls absehbar, für viele Frauen aber zumindest in Bezug auf einen der beiden Elternteile mit besonderer Bindung sehr schmerzvoll sein kann).

-         Verlust der Fertilität (Fruchtbarkeit).

-         Subjektive (objektiv ja meist gar nicht vorliegende bzw. beweisbare) Meinung, man habe an Attraktivität eingebüßt.

-         Rückgang der Libido (sexuelle Aktivität).

-         Umstrukturierung im Berufsleben (von der „reinen“ Hausfrau oder Hausfrau-Halbtagsaufgabe ggf. zurück in die volle Berufstätigkeit, oder jetzt ausschließlich „zu Hause“).

-         Zunehmende Gedanken an die „Endlichkeit der eigenen Existenz“

-         und anderes mehr.

 

Als psychosoziale Risikofaktoren gelten Trennung, Scheidung, Verwitwung, sons­tige Ursachen eines Partnerverlusts, Auszug der Kinder – kurz: Einsamkeit.

 

Auch scheinen Frauen mit geringerer Schulbildung (und damit ohne entsprechende Ausweich- oder Ausgleichmöglichkeiten) stärker gefährdet zu sein.

 

 

Neben dem Bildungsniveau und dem sozio-ökonomischen Status (gesellschaftlich-wirtschaftlich-finanziell) sind es nach Ansicht der Ärzte und Psychologen vor allem zwei Aspekte, die den Umgang mit den Wechseljahren beeinflussen (nach Mechthild Neises, zit. nach Psychologie Heute 9/2003):

 

    Die Einstellung zum Alter

 

-         Ein Drittel aller Frauen wird „in Würde“ alt, wie dies ein wenig beschönigend heißt. Sie akzeptieren die mit dem Älterwerden einhergehenden körperlichen Veränderun­gen und versuchen die Folgen durch gesundheitsbewusstes Verhalten zum mildern. So sind sie beispielsweise körperlich aktiv, rauchen nicht, ernähren sich vernünftig usw. Damit bleibt ihr Körpergefühl trotz der Wechseljahre weitgehend positiv.

 

„Es gefällt keiner Frau, wenn die Schwerkraft einsetzt - egal, ob sie in der Öffentlich­keit steht oder als Hausfrau arbeitet. Um mit 40 noch gut auszusehen, muss man bereits mit 30 aktiv werden: Sport treiben, ausreichend schlafen, viel lachen und vor allem ein aktives und ausgefülltes Leben führen. Eine Frau, die Zeit hat, ihre Falten zu zählen, führt meistens ein unausgefülltes Leben“ (Silvia Affolter, Miss Schweiz 1984, heute Geschäftsführerin, aus „Brückenbauer“ 23 (2003) 83).

 

-         Ein weiteres Drittel der Frauen über 50 ignoriert jedoch das Älterwerden. Diese Frauen leben weder besonders gesundheitsbewusst, noch machen sie sich allzu viele Gedanken um ihre Gesundheit - und damit um die Wechseljahre und ihre Fol­gen.

 

-         Das letzte Drittel hingegen beunruhigt, ja quält eine ausgeprägte Furcht vor Krankheit und insbesondere körperlichem Verfall. Diese Frauen registrieren besorgt jede organische und geistige Veränderung und nehmen häufig Medikamente. Ein nicht geringer Prozentsatz erlebt das Alter sogar als regelrechte Bedrohung. Dies sind offenbar vor allem jene Frauen, die sich von einer Hormon-Ersatztherapie zu­mindest eine Verzögerung des Alterungsprozesses erhoffen.

 

Eine Frau ohne Menstruation, ist das überhaupt noch eine Frau? Wer die Broschüren zum Thema Wechseljahre in den Gynäkologen-Praxen betrachtet, bekommt bald ernste Zweifel. Denn die „reifere“ Frau wird dort dargestellt als ein Wesen, das - von Hitzewallungen geschüttelt, von brüchigen Knochen in seiner Beweglichkeit einge­schränkt - vertrocknet und runzelig seiner Vergreisung entgegensieht. Obwohl fast alle Symptome der Wechseljahre (mit Ausnahme der Hitzewallungen und einer trockenen Vagina) Männer ebenso betreffen, werden nur Frauen als „Hormon­mangelwesen“ abgestempelt (Theresia Maria de Jong).

 

    Das Rollenverständnis

 

-         Frauen, die aus der traditionellen Rolle herauswachsen und damit weniger abhän­gig von den Zuwendungen durch Partner, Kinder und weiteres Umfeld sind, werden mit den Wechseljahren offenbar besser fertig als solche mit traditionell weiblichem Rollenverhalten (Einzelheiten siehe später).

 

Neben den „normalen“, also sowohl individuell psychologischen als auch gesell­schafts-politischen Aspekten gilt es aber auch eindeutig krankhafte Entwicklungen in dieser Altersphase zu kennen, zu berücksichtigen und zu behandeln. Um was han­delt es sich?

 

 

Gemütserkrankungen im Klimakterium?

 

Schon vor über 100 Jahren wurde von psychiatrischer Seite eine Häufung von Ge­mütsstörungen im Klimakterium beschrieben - und kontrovers diskutiert: vor allem depressive Verstimmungszustände. Auch in den kommenden Jahrzehnten kam es zu keiner Klärung.

 

Wechseljahre: erhöhe Wahrscheinlichkeit für Depressionen?

 

US-amerikanische Frauenärzte gingen in einer aktuellen Untersuchung der alten Frage nach, ob zwischen den hormonellen Veränderungen beim Eintritt in die Wech­seljahre und dem Auftreten depressiver Beschwerden ein Zusammenhang besteht. Über 4 Jahre wurde der Hormonstatus von 218 weißen gesunden Frauen und 218 afroamerikanischen Frauen mit regelmäßigem Zyklus analysiert und die Entstehung depressiver Symptome dokumentiert. Nach Korrektur aller anderen möglichen Einflussfaktoren ergab sich dabei folgendes Bild: Während des Eintretens in die Wechseljahre kam es zu einer statistisch signifikant erhöhten Wahrscheinlichkeit für depressive Symptome. Sie betrug gegenüber prämenopausalen Frauen (also jenen vor Erreichen der Wechseljahre) das Dreifache. Nach der Menopause verringerte sich diese Wahrscheinlichkeit wieder (E. W. Freeman et al.: Hormones and meno­pausal status as predictors of depression in women in transition to menopause. Arch Gen Psychiatry 61 (2004) 62).

 

Zwei Fachbegriffe waren es vor allem, die die Diskussion lange beherrschten: zum einen die Involutionsdepression, zum anderen die so genannte klimakterische De­pression.

 

·        Einzelheiten zur Involutionsdepression siehe Kasten. Dabei muss allerdings gesagt werden, dass diese Art Depression im Rückbildungsalter früher zwar eine große Rolle in der Psychiatrie, ja gesamten Medizin spielte, heute aber von den ton­angebenden Institutionen (z. B. Weltgesundheitsorganisation - WHO und Amerikani­sche Psychiatrische Vereinigung - APA) nicht mehr akzeptiert wird. Die Involutions­depression ist also nur noch medizin-historisch bedeutsam, wird aber hier im Kasten kurz gestreift, weil sie von der älteren Generation der psychiatrisch orientierten Ärzte immer noch diagnostisch und klassifikatorisch verwendet wird.

 

Involutionsdepression

 

Früher als eigenständige Depressionsform, später als endogene (biologische) De­pression im Rückbildungsalter (Involution) eingestuft.

 

-     Charakteristische Persönlichkeitsstruktur: eher entäußerungsschwach („alles schlucken“), mitunter ausgeprägt ordnungsliebend, perfektionistisch, fast überge­wissenhaft bis pedantisch. Tendenz zu skrupelhaften ethischen Auffassungen. Kontaktschwäche, Vereinsamungsgefahr, Misstrauen, rasche Resignation, ge­ringe Flexibilität. Bisweilen ungesellig, überempfindlich und schon früher Neigung zum Rückzug mit Isolationsgefahr.

 

-     Altersschwerpunkte zwischen 50 und 60 (häufiger Frauen) bzw. 60 und 65 (eher Männer). Frauen überwiegen.

 

-     Das Beschwerdebild beginnt mit einem „neurasthenischen“ Vorstadium („Nerven­schwäche“) und geht oft in ein ängstlich-unruhig-gespanntes Leidensbild über, häufig etwas hypochondrisch bis hysterisch anmutend („Jammerdepression“). Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über die Depression bzw. die Involutions­depression.

 

-     Der Verlauf ist meist langwierig und schleppend. Die Verstimmungen können un­gewöhnlich lange anhalten. Unbehandelt, d. h. ohne entsprechende Antidepres­siva-Therapie droht oft ein chronischer Verlauf im Sinne einer „organischen Altersdepression“.

 

·        Ähnliches gilt für die klimakterische Depression, die aber als konkretes, allseits akzeptiertes Krankheitsbild ohnehin nie zur Diskussion stand. Zu uneinheitlich ist letztlich das Bild, das die Wechseljahre auslösen, wenn es zu ernsteren Gemüts­störungen kommt. Schließlich ist die Menopause ein natürlicher und eigentlich er­warteter Übergang im Lebenszyklus der Frau (obgleich das in der Realität nur selten stimmt, siehe später).

 

Trotzdem kommen die meisten Frauen mit dieser Phase mehr oder weniger gut zurecht, von einigen Beeinträchtigungen körperlicher und seelischer sowie psycho­sozialer Art abgesehen. Da es aber trotzdem Betroffene gibt, denen ein halbwegs erträglicher Übergang nicht vergönnt ist, vor allem in psychischer Hinsicht, empfiehlt man in wissenschaftlichen Kreisen inzwischen eine genauere Differenzierung, und zwar in ein so genanntes

 

-         „perimenopausales dysphorisches Syndrom“ und eine

-         depressive Erkrankung in der Perimenopause.

 

Was heißt das?

 

·        Unter einem perimenopausalen dysphorischen Syndrom versteht man eine unmittelbar endokrin verursachte Störung der „inneren Drüsen“, d. h. konkret durch hormonelle Veränderungen, ausgelöst durch einen zunehmenden Mangel an be­stimmten Sexualhormonen wie Östrogene, Progesteron und Androgene.

 

Früher kursierte in Fachkreisen der Begriff des so genannten hyperästhetisch-emoti­onalen Schwächezustands, der das Leidensbild lediglich beschreiben sollte und bei mancherlei Ursachen auftreten konnte, z. B. in dieser Lebensphase. Gemeint war eine Überempfindlichkeit mit seelischen, körperlichen (treffender: psychosomatisch interpretierbaren) und psychosozialen Folgen, die letztlich alle auf eine Minderung des Wohlbehagens und eine Herabsetzung des Antriebs, des Tatendranges, ja der Widerstandskraft im seelischen und körperlichen Bereich hinaus liefen (im Französi­schen spricht man von einem Daniederliegen des „élan vital“).

 

Charakteristisch für diesen hyperästhetisch-emotionalen Schwächezustand sind die bereits erwähnten Symptome (in abnehmender Häufigkeit): erhöhte Reizbarkeit, Weinerlichkeit, Angstzustände, Gemütslabilität, traurige Verstimmung, Merk- und Konzentrationsstörungen, Interesselosigkeit, rasche Erschöpfbarkeit, Schlafstörun­gen und nachlassende Libido.

 

Dieser, in der Tat sehr zermürbende Zustand, je nach Intensität des Leidensbildes, findet sich auch bei anderen hormonell verursachten Beeinträchtigungen wieder, ins­besondere vor der Monatsblutung (Fachbegriff: prämenstruelles Syndrom) und nach der Geburt (Fachbegriffe: postpartale Dysphorie, 'Maternity Blues’ oder ’post partum-Blues’).

 

·        Davon abzugrenzen ist nach Meinung mancher Fachleute eine depressive Er­krankung in der Perimenopause, auch als perimenopausale Depression bezeich­net: Hier herrschen offensichtlich andere Bedingungen, und zwar sowohl nach Schweregrad als auch Ursache.

 

So finden sich eindeutige Depressions-Symptome, also nicht nur traurige Verstim­mungen, Niedergeschlagenheit, Resignation und Gemütslabilität, sondern eine ausgeprägte seelische und körperliche „Herabgestimmtheit“, ferner Freudlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Entscheidungsunfähigkeit, Gedankenkreisen und Grübelsucht, oft auch Antriebsarmut, Interesselosigkeit, Willens- und Denkhemmung (bis hin zur gefürchteten „Leere im Kopf“), schließlich Selbstvorwürfe, ja Lebensüberdruss u. a. Und eine Vielzahl körperlicher (bzw. psychosomatischer) Beschwerden, die in ihrer quälenden Intensität den oben erwähnten hyperästhetisch-emotionalen Schwäche­zustand bei weitem übertreffen.

 

Mit anderen Worten: Hier liegt tatsächlich eine krankhafte Verstimmung, also eine Depression vor, die sich entweder zum ersten Mal während der Menopause äußert oder früher schon einmal beeinträchtigte, um unter den jetzigen biologischen Bedin­gungen erneut auszubrechen, und zwar nicht selten deutlich verstärkt und damit be­lastend.

 

Denn hormonelle Umstellungsvorgänge sind erfahrungsgemäß problematisch für eine „Depression im Wartestand“. Das betrifft die Monatsblutung, den „Hormonsturz“ nach einer Geburt, ja gelegentlich sogar die erstmalige Monatsblutung (Menarche) - und natürlich das Klimakterium.

 

Hätte man bisher - so die Experten - diese beiden durchaus unterschiedlichen Beschwerdebilder sauber auseinander gehalten, wäre man auch nicht durch so viele voneinander abweichende Untersuchungsergebnisse verwirrt worden. Inzwischen aber trennt man hier genauer, was nicht nur für die Diagnose, sondern auch für die Therapie entscheidend ist.

 

Als Verstärker in beiden Fällen (perimenopausales dysphorisches Syndrom sowie perimenopausale Depression) gelten insbesondere die vasomotorischen Störungen wie Hitzewallungen und Schweißausbrüche mit auf Dauer zermürbenden Schlafstö­rungen, wenn sie vor allem nachts belästigen. Je schwerer diese Beeinträchtigungen, umso größer das Risiko, sowohl ein perimenopausales dysphorisches Syndrom als auch bei entsprechender Veranlagung eine perimenopausale Depression zu be­kommen.

 

Abgesehen von diesen hormonell bedingten Beeinträchtigungen (Fachbegriff: neuro­endokrinologische Veränderungen) spielen natürlich auch bestimmte psychosoziale Aspekte für den Ausbruch beider Leiden eine Rolle (Einzelheiten siehe der Abschnitt: Was kann man psychologisch tun?).

 

·        Problematisch aus rein biologischer Sicht scheinen dabei noch folgende Erkran­kungsrisiken zu sein:

 

Wer schon früher unter der Einnahme von Kontrazeptiva („Pille“) oder vor der Monatsblutung mit seelisch-körperlichen Beeinträchtigungen zu kämpfen hatte (siehe das Kapitel über das prämenstruelle dysphorische Syndrom) muss eher mit entspre­chenden Folgen im Klimakterium rechnen. Und natürlich auch jene, die bereits früher eine endogene (biologisch geprägte) Depression oder einen ernsteren Verstim­mungszustand nach der Geburt (postpartale Depression) zu erleiden hatten.

 

Und schließlich scheint die Regel zu gelten:

 

Je länger das Klimakterium andauert, desto wahrscheinlicher bildet sich eine ent­sprechende Beeinträchtigung, insbesondere ein depressiver Verstimmungszustand bis hin zur depressiven Krankheit aus.

 

 

Was kann man medikamentös tun?

 

Als Erstes ist zu unterscheiden zwischen „normalen“ Beschwerden in den Wechsel­jahren (die natürlich in unterschiedlicher Ausprägung beeinträchtigen können) sowie dem erträglicheren perimenopausalen dysphorischen Syndrom und schließlich der schwereren biologisch-endogenen Depression in diesem Lebensabschnitt. Danach richten sich die so genannten differentialtherapeutischen Empfehlungen (was ist für wen am erfolgreichsten). Dabei bieten sich folgende Behandlungsstrategien an:

 

1.      Keine Behandlung mit Arzneimitteln, dafür ggf. nicht-medikamentöse Linderungs­möglichkeiten (siehe später)

 

2.      Eine Hormon-Substitutionstherapie

 

3.      Eine medikamentöse Therapie mit in der Regel antidepressiven Psychopharmaka

 

4.      Eine kombinierte Therapie aus Antidepressiva und entsprechenden Hormonen (einschließlich nicht-medikamentöser Stützung)

 

Im Einzelnen:

 

·        Über den Einfluss der von den zuständigen Fachärzten, nämlich den Gynäkolo­gen oft propagierten Sexualhormone auf die Lebensqualität älterer Frauen (nicht zuletzt nach den Wechseljahren) soll hier nicht weiter diskutiert werden. Immerhin gibt es seit dem Jahre 2002 verschiedene groß angelegte Untersuchungen zum Thema Wechseljahre und Hormone, die für die Langzeiteinnahme von Östrogenen und Gestagenen ein offenbar erhöhtes Todesrisiko für Herz- und Kreislauferkrankun­gen sowie Brustkrebs zur Diskussion stellten. Sogar die Gefahr häufiger Schlag­anfall- und Demenz-Fälle wird von manchen Experten nicht mehr ausgeschlossen.

 

Von den früheren Versprechungen einer schöneren (faltenfreien) Haut und eines ge­nerell jugendlicheren Aussehens durch Hormongaben hielten im Übrigen auch die eine Hormon-Substitution befürwortenden Fachärzte nicht viel. Auf jeden Fall können nach dem Stand der Dinge die Auseinandersetzungen, die sich an diese Erkennt­nisse knüpfen, naturgemäß nicht völlig frei von wirtschaftlichen Überlegungen sein und entwickeln deshalb ihre eigene Dynamik. Einzelheiten dazu siehe die entspre­chenden Beiträge in den Massenmedien, vor allem aber auch fundierte (!) allgemein verständliche Artikel und Sachbücher zum Thema.

 

Wichtig bleibt es nach wie vor den eigenen Frauenarzt zu konsultieren, der sich seine eigene Meinung nach den bisherigen Studien-Ergebnissen bilden muss. Entspre­chende Schuldzuweisungen, die natürlich rasch aufzutauchen pflegen und die man immer öfter zu hören bekommt, sind allerdings meist ungerechtfertigt. Denn diese Erkenntnisse sind relativ neu und zumindest teilweise überraschend, auch für die Fachwelt. Und auch ein Facharzt kann nur auf das reagieren, was ihm Forschung und Lehre auf dem jeweiligen Stand der Wissenschaft vermitteln.

 

·        Etwas anders liegen die Dinge bei nachweisbaren Erkrankungen bzw. ernsteren Mangel-Zuständen mit entsprechenden Konsequenzen. So ist eine Östrogen-Sub­stitutionstherapie (Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur) vor allem dort erfolgreich, wo zu den seelischen und psychosozialen auch körperliche Symptome hinzukommen, die nach bisheriger Erfahrung eindeutig auf ein Defizit an Östrogenen hinweisen (beispielsweise extreme nächtliche Hitzewallungen sowie Schweißaus­brüche und damit Schlafstörungen). Wer unter den Folgen einer Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) oder Ovarektomie (operative Entfernung der Eierstöcke) leidet, soll besonders gut auf eine solche Östrogen-Substitution anspre­chen.

 

·        Wenn es sich allerdings um eine Depression handelt, die auf eine endogene Ursache zurückgeführt werden kann (erbliche Belastung, schon frühere depressive Phasen, z. B. nach einer Geburt), dann ist die alleinige Gabe von Östrogenen bei einer solchen Depression in der Menopause nicht ausreichend. Hier, also bei einer Depression mit seelischem, psychosozialem und biologischem Hintergrund, ist die Behandlung mit Antidepressiva (stimmungsaufhellende Psychopharmaka) das Mittel der Wahl, wie der Fachausdruck heißt.

 

Und auch bei den meisten Fällen von perimenopausalem dysphorischem Syndrom sollte nach Meinung der Experten - wenn Medikamente sein müssen - bei ernsteren Gemütsbeeinträchtigungen der Versuch mit einem stimmungsaufhellenden Anti­depressivum gemacht werden. Dabei mehren sich die Hinweise, dass sowohl bei ernsteren perimenopausalen Depressionen als auch beim dysphorischen Syndrom die neueren Antidepressiva vom Typ der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme­hemmer (SSRI) besonders günstig seien.

 

·        Eine kombinierte, d.h. antidepressive und hormonelle Therapie pflegt vor allem bei jenen Patientinnen zweckmäßig zu sein, die während des Klimakteriums immer wieder mit depressiven Rückfällen seitens ihrer schon von früher her bekannten endogenen Depression gepeinigt werden. Dies besonders dann, wenn vor allem das körperliche Beschwerdebild zermürbt, insbesondere die erwähnten vegetativen Beeinträchtigungen wie extreme Hitzewallungen, Kälteschauer, Schweißausbrüche, Schlafstörungen u. a.

 

 

Was wird in medikamentöser Hinsicht bei Wechseljahr-Beschwerden sonst noch diskutiert?

 

Natürlich steht gerade bei den Wechseljahr-Beschwerden noch ein breites Spektrum an „alternativen“ medikamentösen Behandlungs-Verfahren zur Verfügung bzw. zur Diskussion. Das trifft vor allem in der Schulmedizin bisweilen auf heftige Kritik. Man darf aber auch nicht vergessen, dass das Segment zwischen „einfach aushalten“ und synthetischen Arzneimitteln („Chemie“) nicht nur bzw. nicht in jedem Fall durch nicht-medikamentöse Maßnahmen ausgefüllt werden kann - jedenfalls nicht immer befrie­digend. Da greift dann schon so manche Betroffene in ihrer Not auch zu anderen Möglichkeiten, zumindest probeweise. Auch sind die ernüchternden bis „schockie­renden“ Erkenntnisse der Schulmedizin, wie sie die Hormon-Substitutionstherapie erschütterte, nicht geeignet, das Vertrauen in die synthetischen Arzneimittel zu stär­ken bzw. von dem Versuch abhalten, beispielsweise die „grüne Kraft der Natur“ zu nutzen. Und wenn es sich in diesen Fällen - wie manche Kritiker ständig betonen - um einen „Placebo-Effekt“ (also eine Scheinwirkung) handelt und der Erfolg ist der Gleiche, dann wird es noch schwieriger, die Menschen von der „Chemie“ zu über­zeugen.

 

Was es also für die wichtigsten Beeinträchtigungen sonst noch an medizinischen Möglichkeiten gibt, sei hier lediglich kursorisch aufgeführt, ohne Wertung und An­spruch auf Vollständigkeit:

 

-         Bei Hitzewallungen hört man immer wieder von dem offenbar befriedigenden Ein­fluss von Soja (enthält pflanzliche Östrogene), von Vitamin E sowie Bioflavonoiden (Zitrusfrüchte, Buchweizensprossen mit ebenfalls leicht östrogenartiger Wirkung), von Heilkräutern wie Cimicifuga racemosa (Schlangenwurzel), Salbei, Leonurus car­diaca (Herzgespann), Angelica sinensis („weiblicher Ginseng“) u. a. Auch gibt es zahlreiche homöopathische Angebote, die sich gerade bei Hitzewallungen bewährt haben. Dabei versteht sich allerdings von selber, dass sowohl Heilkräuter als auch Homoöpathica nur durch die entsprechenden Fachärzte verordnet und kontrolliert werden sollen. In eigener Regie ist dies durch Erdnüsse, Cashewnüsse, Hafer, Mais, Weizen, Äpfel und Mandeln möglich (enthalten ebenfalls pflanzliche Östrogene).

 

-         Gegen Schlafsstörungen helfen neben den bekannten nicht-medikamentösen Maßnahmen (vor allem Entspannungsmethoden) Pflanzenheilmittel wie Baldrian, Hopfen, Melisse, Passionsblume u. a. Abzuraten ist hingegen von dem oft eigen­mächtigen Besorgen und Einnehmen von Melatonin (ist wissenschaftlich noch längst nicht ausdiskutiert, vor allem was mögliche Nebenwirkungen anbelangt).

 

-         Ähnliches gilt für Stimmungsschwankungen: Neben nicht-medikamentösen Mög­lichkeiten (Meditation, Yoga) und Ernährungshilfen (mehr Obst und Gemüse) bietet sich hier insbesondere Johanniskraut an (aber wiederum nur ärztlich verordnet und kontrolliert).

 

-         Bei Merk- und Konzentrationsstörungen sind es wieder Pflanzenheilmittel, wobei Ginseng nach wie vor kontrovers diskutiert wird. Ginkgo biloba hat sich hingegen einen guten Ruf erworben. Auch hier gilt jedoch: nur durch einen Facharzt, der sich in Therapie mit Pflanzenheilmitteln auskennt.

 

-         Bei der vaginalen Trockenheit mit Schmerzen beim Verkehr sind es neben Gleit­mitteln und viel Wasser (dagegen wenig Kaffee und Alkohol, sie trocknen den Orga­nismus nur aus) eine Reihe von Nahrungsergänzungsmitteln und Homöopathica sowie unter den Pflanzenheilmitteln wieder Cimicifuga racemosa (Schlangenwurzel) und ggf. Löwenzahnblätter und Haferstroh.

 

So gesehen stehen also eine Reihe alternativer Möglichkeiten zur Verfügung, wobei man aber immer nur darauf hinweisen kann, dass gerade hier eine ärztliche Kontrolle nötiger ist, als im Allgemeinen bekannt bzw. akzeptiert wird. Die Wissenschaft ist zwar ständig in Fluss (siehe Hormone), aber nur der Arzt ist in der Lage, den ständi­gen Wechsel des Kenntnisstandes zu überblicken und zum Wohle der Patienten zu nutzen.

 

 

PSYCHOLOGISCHE ASPEKTE – MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN WÄHREND DER WECHSELJAHRE

 

Wenn etwa jede zehnte Frau in Deutschland in den so genannten Wechseljahren steht und mehr als Dreiviertel von ihnen während dieser Zeit „in der Mitte des Lebens“ vielschichtigen seelischen, psychosozialen und körperlichen Beeinträchti­gungen oder Beschwerden ausgesetzt sind, dann sollte vor allem etwas in psycho­logischer Hinsicht geschehen - aber da gibt es unverständliche Defizite, was die natürliche „Lebens-Strategie“ anbelangt.

 

Es ist Zeit für einen Wechsel in der Betrachtungsweise des Alters und insbesondere des weiblichen Alters. Solange Frauen ermutigt werden „so zu bleiben wie sie sind“, und dies auf rein körperliche Attribute bezogen wird, so lange wird Altern mit Verfall gleichgesetzt werden. Dort hingegen, wo der dritte Lebensabschnitt bewusst als Chance und Weiterentwicklung erkannt wird, hat das Alter seinen Schrecken verloren. Wenn die Veränderungen angenommen werden, entstehen Kraft und neue Potentiale. (Ver)Weigerung hingegen bedeutet Leid und Stillstand. Zumal sich das Auf und Ab der Wechseljahre auch mit Hormongaben nicht wirklich „ausgleichen“ lässt. Sobald sie nämlich abgesetzt werden, fängt der Wechsel an. Es handelt sich also lediglich um das Verschieben einer Lebensaufgabe. Inwieweit es sinnvoll ist, anstehende Veränderungen künstlich hinauszuschieben, muss jede Frau natürlich selbst entscheiden (Theresia Maria de Jong).

 

In leichteren Fällen, und das ist die Mehrzahl der Frauen, machen es die Betroffenen mit sich selber aus. Bei mittelschweren Beeinträchtigungen bedarf es schon gewisser Unterstützungsmaßnahmen. Schwer Betroffene sind wirklich beklagenswerte Opfer einer wenn auch natürlichen Altersentwicklung. Hier sollte man psycho- und sozio­therapeutische Maßnahmen im weitesten Sinne nutzen.

 

·        Zu den so genannten nicht-medikamentösen Behandlungsvorschlägen eines solchen Menopausen-Syndroms gehören beispielsweise aus der psychotherapeuti­schen Sicht der Nervenärzte, Psychiater und Psychologen, insbesondere Autoren des weiblichen Geschlechts:

 

-         Das Führen eines Symptom-Kalenders (tägliches Notieren für einen Monat), um sich über Art, Häufigkeit und Intensität dieses „Leidens“ ein genaues Bild zu ma­chen

-         Diät mit wenig Salz, Schokolade, Koffein und Alkohol

-         Maßvolles körperliches Training, z. B. täglicher Gesundmarsch bei Tageslicht, nicht unter einer halben Stunde, da seelisch-körperlich kräftigend, ja sogar angstlösend und antidepressiv

-         Stressreduktion, z. B. Autogenes Training, Yoga, Progressive Muskelrelaxation

-         Klärung der partnerschaftlichen Situation, falls notwendig

-         Selbsthilfegruppen (soweit verfügbar)

-         So genannte Psychoedukation: psychohygienische Selbsthilfen durch Broschü­ren, Bücher, Vorträge, Diskussionen usw.

-         Soziotherapeutische Maßnahmen wie stundenweise oder Halbtags-Tätigkeit

-         Einsatz in caritativen Einrichtungen

-         Nutzung von Bildungsangeboten über das hinaus, was bisher möglich war oder interessiert hat („Neues beim Aufbruch zu neuen Ufern“)

-         Gymnastik- und Tanzgruppen, Wander- und Sportvereine

-         Psychotherapeutische Stützung, am ehesten im Sinne einer Gesprächspsycho­therapie in nicht zu dichter Reihenfolge, dafür über einen längeren Zeitraum hinweg

 

·        Und mit den Worten der LebensberaterInnnen („So bleiben Sie jung, gesund und attraktiv“) hört sich dies mit entsprechenden Schwerpunkten so an:

 

-         Schlaf: Sorgen Sie für genügend Schlaf. So können sich Ihre Zellen über Nacht optimal regenerieren.

-         Gelassenheit: Nehmen Sie Stress und Frust gelassen. Das schont Ihre Nerven.

-         Neugier: Erhalten Sie sich eine kindliche Neugierde. Sie wird sich in Ihrem Aussehen ausdrücken.

-         Bewegung: Treiben Sie Sport oder gehen Sie wandern. Bewegung tut Körper, Geist und Seele gut.

-         Kontakte: Pflegen Sie auch Kontakte zu jungen Menschen. Das bringt frische Impulse.

-         Reisen: Lernen Sie die Welt kennen. Das erweitert den Horizont.

-         Ziele: Stecken Sie sich Ziele. Menschen, die etwas erreichen wollen, bleiben aktiv.

-         Jugendträume: Machen Sie lange gehegte Träume war. Lernen Sie zum Beispiel Fallschirmspringen oder unternehmen Sie einen Segeltörn.

-         Zufriedenheit: Vermeiden Sie Neid und Eifersucht. Nur wer zufrieden ist, bleibt frisch.

 

Nach „Brückenbauer“ 6 (2003) 83, modifiziert

 

 

Das Klimakterium coachen?

 

·        Und weil alles irgendwie zusammenhängt, sich wiederholt und deshalb letztlich auch aus ganz anderen Ecken genutzt werden kann, sollen hier zum Abschluss einige Hinweise vermittelt werden, wie sie aus der Sicht des Coaching gegen Burnout empfohlen werden

 

Anmerkung: Coaching ist eine Art „Psycho-Training“ für Unternehmer und Führungs­kräfte. Dabei handelt es sich meist um betriebswirtschaftlich geschulte Psychologen aus Instituten für Personalberatung, inneres Management, systematische Führung, angewandte Kreativität, Trendforschung, Unternehmensberatung u. a. Diese versu­chen bei der Lösung von Problemen weiterzuhelfen, die nicht nur betriebswirtschaft­licher, sondern auch (oder vor allem) individueller, persönlicher Natur sind (Stich­worte: innere Kündigung, Burnout-Syndrom, Midlife-Crisis, Führungsschwäche usw.). Dabei geht es auch hier um die drei wesentlichen Faktoren: Entlastung - Klärung - Anregung.

 

Das Burnout-Syndrom ist keine wissenschaftlich bzw. klassifikatorisch anerkannte Krankheit, wohl aber ein „Schwelbrand unserer Zeit und Gesellschaft“, der schon viele Opfer gekostet hat und noch mehr kosten wird. Gemeint ist das „Ausgebrannt-sein“ im Rahmen der verhängnisvollen Sequenz: erschöpft è verbittert è ausge­brannt. Betroffen sind vor allem (helfende?) Berufe bzw. Menschen, die zuvor für ihre Aufgabe wohl zu sehr entbrannt waren (gelodert haben) und nachher durch eine mangelhafte Dosierung ihrer Reserven in einer fortzeitige Sackgasse ihres Energie-Haushalts geraten sind. Das Burnout-Syndrom ist also nicht nur ein Phänomen von (immer mehr) Ärzten, Lehrern, Managern, sondern auch Pflegenden, Betreuenden, immer öfter auch Alleinlebenden mit drohender Sinn-Leere. Und nicht zuletzt in Kri­sen oder „Brücken“-Situationen des Lebens, z. B. den Wechseljahren. Einzelheiten dazu siehe das entsprechende Kapitel.

 

Im Einzelnen (nach K. Doppler, V. Faust u. a.) und siehe auch die entsprechenden Kapitel Burnout, Erschöpfungsdepression u. a.:

 

·        Situations-Analyse

 

-         Strategische Ausrichtung: Wofür stehe ich? Was strebe ich an? Was ist mein Ziel? Will ich nur Geld verdienen oder Karriere machen? Oder will ich auch noch glücklich sein? Was steht für mich an erster Stelle? Wie definiere ich Zufrieden­heit oder Glück? Was muss bis zu welchem Grad verwirklicht sein, damit ich zu­frieden bin? Und vor allem: Will ich das für mich allein oder will ich das in einer Partnerschaft oder gar in einer Familie (was die Situation natürlich noch kompli­zierter macht)?

 

-         Was ist meine Stärke: Was macht mich unverwechselbar? Wer bin ich über­haupt? Was habe ich zu bieten? Was ist mein persönlicher „Markt“ (den es nicht nur für Unternehmen, auch für den Einzelnen, ja sogar in seinem privaten Bereich gibt, das wird gerne vergessen). Was bin ich dort wert? Wer sind meine Wett­bewerber? Was sind meine Kern-Kompetenzen?

 

„Ich will die werden, die ich bin“ (aus Susan Love: Das Hormonbuch, 2002).

 

 

-         Die innere Haltung: Die jeweilige Wesensart ist nicht unwichtig, was Erfolg oder Misserfolg anbelangt. Das kann man täglich miterleben. Deshalb die Frage, auch wenn sie naiv klingt: Bin ich freundlich oder unfreundlich? Stecke ich andere mit meiner Ruhe, Zuversicht oder Fröhlichkeit an - oder bin ich ein Pessimist, Nörgler, „Energie-Absauger“, vielleicht sogar Ironiker, Zyniker, Sarkast? Die innere Hal­tung ist ein entscheidender Erfolgsfaktor, auch wenn das manche - aus nachvoll­ziehbarem Grund - nicht einsehen wollen.

 

-         Selbstorganisation: Entspricht das, was ich tue und wie ich es tue, auch dem, was ich anstrebe? Oder lasse ich mich durch typische, aber verdrängte Zeitfresser absorbieren, die mir nicht nur Erfolg, sondern auch Energie und Arbeitsfreude rauben?

 

-         Netzwerke und Allianzen: Bin ich Einzelgänger oder habe ich ein Netzwerk von Bekannten, Freunden, Berufskollegen, wohlwollenden Gönnern? Pflege ich die­ses Netzwerk? Kluge Menschen geben mehr als sie nehmen - ohne sich ausnut­zen zu lassen. Ober bin ich ein „Abstauber“, ein „Sozialschnorrer“? Vor allem: Entspricht mein Netzwerk meinen aktuellen und künftigen Zielvorstellungen oder stammt es auch längst vergangener Zeit? Wenn ja, wann habe ich die letzte Reinigung durchgeführt?

 

-         Marktstrategie: Welche Strategie verfolge ich? Welches Image pflege ich (gute Firmen geben viel Geld aus für ihre Corparate Identitiy - und ich)? Entspricht mein Erscheinungsbild dem Image, das ich mir wünsche?

 

-         Lebenslanges Lernen: Was leiste ich für meine Entwicklung? Habe ich ein System, das mich zwingt, mich regelmäßig fortzubilden, zumindest aber zu checken, wie weit es mit meinem Informations- und Wissensstand steht? Siehe der Merksatz: Stillstand ist Rückschritt.

 

 

·        Konkrete Überlegungen zur Vermeidung eines Burnout-Syndroms

 

-         Welche Umweltbedingungen sind belastend?

 

-         Welche eigenen Bedürfnisse und Ziele wurden vernachlässigt?

 

-         Welche Fähigkeiten bleiben unterentwickelt?

 

-         Welche Vorstellungen sind unrealistisch?

 

-         Welche Glaubenssätze und Denkmuster dysfunktional?

 

-         Welche Informationen fehlen?

 

-         Wo lässt sich mit dem besten Aufwand/Nutzen-Verhältnis etwas ändern, vor allem ein Stück Autonomie, also Freiheit für sich selber wieder gewinnen (alter Sinn­spruch: Es gibt auch ein Leben vor dem Tode…).

 

·        Gesunde Lebensführung

 

Jeder sieht es ein, jeder will sie, aber um ihre Realisierung steht es schlecht: die gesunde Lebensführung. Was sollte man aber zumindest beherzigen:

 

-         Genügend Schlaf (viele gehen offenbar einem wachsenden Schlafdefizit ent­gegen, das sie abends immer später ins Bett bringt, obgleich sie morgens unver­ändert früh raus müssen).

 

-         Ausreichend körperliche Aktivität, und zwar nicht stoßweise, sondern regelmäßig: Dazu gehören ein „täglicher Gesundmarsch bei Tageslicht“ (vor allem in der dunklen Jahreszeit, Vorsicht vor der Winterdepression), und/oder Fahrrad fahren, Schwimmen, Gymnastik, Gartenarbeit (emotional besonders ausgleichend) oder jede körperaktive Sportart, aber ohne gesundheitsgefährdenden Ehrgeiz.

 

-         Gesundes Nahrungsverhalten: viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und sich an­sonsten an die jedermann bekannten Ernährungs-Regeln halten.

 

-         Alkohol und Kaffee in Maßen, Nikotin meiden, keine Rauschdrogen, also auch keine Psychostimulanzien, Appetitzügler, Designerdrogen und gerne verharm­loste Halluzinogene wie Haschisch und Marihuana.

 

-         Erlernen von Entspannungstechniken, wie Autogenes Training, Yoga, Progres­sive Muskelrelaxation, und zwar bevor man sie braucht (in Zeiten von Not, Kummer, Sorgen und Stress lässt sich bekanntlich schlecht noch etwas Neues lernen). Und dann auch regelmäßig nutzen.

 

·        Psychosoziale Hilfen

 

-         Pflege von Hobbys und sonstigen Tätigkeiten außerhalb des Berufs. Denn wenn der Beruf zum Hobby wird (wie von Workaholics gerne behauptet), plötzlich aber beides zum Problem wird, was bleibt dann?

 

-         Kontakte pflegen: Zwischenmenschliche Beziehungen schützen vor dem "Aus­brennen". Das gilt für alle Kontakte, also Hausgemeinschaft, Nachbarschaft, Verein, sonstige Bekannte. Das gerne belächelte "Schwätzchen", das man be­sonders dem weiblichen Geschlecht anlastet, ist psychohygienisch viel nützlicher, als generell zugestanden wird.

 

-         Vernünftige Arbeitsorganisation: Tages- und Wochenpläne mit exakter Aufteilung der aktiven und passiven Arbeits- und Freizeitphasen (und Letztere auch respek­tieren). Keine dauerhafte Überlastung der eigenen Person zulassen (den Anfän­gen wehren). Soweit möglich wechselnde Aufgabenfelder bzw. Misch-Arbeit nutzen.

 

Und das Ganze nicht nur belächeln (in der Regel eine Mischung aus „Abwertung und Verlegenheit bis Scham), sondern nutzen! Das „Nicht-ernst-Nehmen“ oder gar „Lächerlich-Machen“ ist nichts anderes als eine bequeme Ausflucht - aber auch eine Sackgasse, in die man sich selber hineinmanövrieren lässt.

 

 

Die „westliche Frau“ unter transkulturellen Aspekten

 

Die so genannten Industrie-Nationen, die sich auch gerne als zivilisatorische Natio­nen bezeichnen: modern, aufgeschlossen, aktiv und erfolgreich, haben bekannter­maßen auch ihre Nachteile. Dies betrifft nicht zuletzt die Frau in den Wechseljahren.

 

Im Gegensatz zu nicht wenigen asiatischen, afrikanischen, ja mittel- und südameri­kanischen sowie arabischen Kulturen wird der Frau in der westlichen Welt nur in jungen Jahren ein erstrebenswertes Image zugestanden. Während andernorts dem weiblichen Geschlecht in den Wechseljahren vorher nie gewährte Freiheiten einge­räumt werden und sich damit ihr sozialer Status erhöht (weshalb es beispielsweise Länder gibt, in denen perimenopausale Depressionen praktisch unbekannt sind), erwachsen Frauen in den westlich orientierten Ländern in dieser Phase ihres Lebens eher Schwierigkeiten im „sozialen Rollenspiel“.

 

Es fällt auf, dass Frauen anderer Kulturen weniger unter den Wechseljahren leiden als Frauen des europäischen oder amerikanischen Kulturkreises. Überall dort, wo der Fortfall der Fortpflanzungsfähigkeit einhergeht mit größerer Freiheit, Achtung, Kraft, Macht und weitergehenden Rechten, sind die negativen körperlichen Symptome der Wechseljahre eher unbekannt (Theresia Maria de Jong).

 

So ist die Menopause zwar überall biologisch verursacht und sicher auch in allen Kulturen nicht ohne körperliche Folgen bzw. mit unterschiedlicher Schwerpunkt­verlagerung (so sind beispielsweise die typischen Symptome der Menopause in Japan Kopfschmerzen, Schwindel, Verspannungen im Schulterbereich u. a., wäh­rend Hitzewallungen und Schweißausbrüche weniger zu beeinträchtigen scheinen). Doch die nicht unerheblichen seelischen und psychosozialen Konsequenzen häufen sich offenbar bei uns.

 

Dies scheint nicht zuletzt ein gesellschaftliches Problem zu sein und hat deshalb auch die Soziologen zu entsprechenden Untersuchungen veranlasst. Und hier sind einige Erkenntnisse durchaus bemerkenswert:

 

-     Die Krise vieler Frauen in den Wechseljahren basiert zuerst einmal darauf, dass das Bild einer 50-Jährigen für junge Leute nichts Anziehendes hat. Dies sonder­barerweise im Gegensatz zum Mann gleichen Alters, der sich hier sogar noch „in den besten Jahren“ befinden soll. Da aber das werbepsychologisch aufgezwungene Ideal unserer Zeit die Jugend ist, die mit allen Mitteln verlängert werden muss, hat die Frau in der „Mitte ihres Lebens“ einen schon psychologisch schweren Stand.

 

-     Deshalb ist der moderne Jugendwahn unserer Zeit und Gesellschaft eine der größten Hemmnisse in der befreienden seelischen, körperlichen und psychosozialen Entwicklung der Frau ab den Wechseljahren. Und deshalb ist auch der (meist unaus­gesprochene, ja schamhaft verschwiegene) Seufzer viel häufiger, als gemeinhin angenommen: „Wie jung muss dann denn sein, um sich als Frau fühlen zu dürfen?“

 

„Heute zählt im Filmgeschäft nur noch straffe und junge Haut. Das zeigt, wie krank diese Gesellschaft ist, in der Lebenserfahrung, Wissen, Können und Persönlichkeit völlig wertlos geworden sind. Das macht mich wütend. Wenn ich in zehn Jahren noch als Schauspielerin arbeiten möchte, bin ich fast gezwungen, den Alterungsprozess durch künstliche Eingriffe aufzuhalten. Eigentlich möchte ich dies nie tun müssen, weil ich ältere Frauen gerne anschaue – ich mag ihre Falten und ihre grauen Haare mindestens genauso, wie ich ihre Weisheit zu schätzen weiß“ (Isabelle von Sieben­thal, Schauspielerin, in „Brückenbauer“ 23 (2003) 83).

 

Tatsächlich wird die Jugendlichkeit heutzutage geradezu naiv selbstverständlich mit Glück, Gesundheit, Lebensfreude und Erfolg gleichgesetzt. Wer das nicht glaubt, schaue einfach in die Medien und hier vor allem in die Werbung. Und alle versuchen diesem Zerrbild der Wirklichkeit nachzueifern, besonders ab einem bestimmten Alter.

 

Alter? Das kann täuschen. Denn wer glaubt, so etwas beginne erst jenseits der Wechseljahre (für Frau und Mann), der muss sich nur einmal herumhören. Es ist nicht nur das beginnende „dritte Lebensalter“, das hier betroffen ist, es sind bereits die so genanten „besten Jahre“, d. h. zwischen 20 und 50, in denen der Jugendkult förmlich zur Besessenheit mutiert. Da werden Falten gespritzt, Haare gefärbt, Fett abgesaugt und Flecken gelasert. Vielen ist kein Schmerz zu groß und kein Preis zu hoch, wenn es darum geht, ein paar Jährchen wegzuzaubern. Normale Alters­erscheinungen wie Falten oder graue Haare werden für solche Menschen zu einer persönlichen Katastrophe, die im Extremfall in schweren Ängsten und sozialem Rückzug enden können (Brückenbauer 6/2003).

 

Psychologen sprechen deshalb dann vom „Dorian Gray-Syndrom“, benannt nach der (scheinbar) ewig jungen Romanfigur von Oscar Wilde (siehe Kasten).

 

 

Das „Dorian Gray-Syndrom“

 

Mit dem populärmedizinischen Fachbegriff „Dorian Gray-Syndrom“ bezeichnet man den krankhaft entarteten Wunsch nach ewig jugendlicher Attraktivität, was natürlich nicht gut gehen kann und im negativen Fall zu seelischen Störungen führt. Um was handelt es sich?

 

Der Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ (englischer Originaltitel: The Picture of Dorian Gray, 1890, deutsche Erstausgabe 1925) zählt zu den wichtigsten Werken des anglo-irischen Autors Oscar Wilde (1854-1900). Oscar Wilde gehörte zu den umstrittensten Dichterpersönlichkeiten der frühen Moderne, der durch sein scharf­züngiges Werk (und seinen nach außen unmoralischen Lebenswandel) die Leser­schaft faszinierte, polarisierte und zunehmend verärgerte. Bekannt wurde er vor allem durch seine geistreichen Gesellschaftskomödien, die ihren Stoff nicht zuletzt aus dem eigenen (in der Mehrzahl wohl auch nur vermeintlichen) „grenzwertigen“ Lebenswandel bezogen („Dandy“).

 

In diesem seinem einzigen Roman geht es letztlich um den unerfüllbaren und wohl nie endenden Wunsch nach Jugend und damit Schönheit: Der Maler B. H. malt das lebensechte Portrait des außergewöhnlich schönen Jünglings Dorian Gray, den er leidenschaftlich anbetet. Doch er muss mit ansehen, wie sein zynischer Freund Lord H. W. ihm Dorian zunehmend entfremdet, ja zu einem skrupellosen Genuss­menschen verführt. Am Schluss erweist er sich als verhängnisvoll für alle, die sich in seinen Bann gezogen fühlen. Sein ruinierter Ruf macht ihn gesellschaftlich unmög­lich - doch seine äußere Erscheinung bleibt stets jung und schön, ein unerklärliches Phänomen.

 

Der Grund liegt in der (natürlich dichterischen) Ursache, dass statt seiner das auf dem Dachboden versteckte Jugend-Bild altert, während er trotz ausschweifendem Lebensstil scheinbar ewig jung bleibt. Da er sich seiner Abhängigkeit von diesem „Alterungs-Tausch“ immer schmerzlicher bewusst wird, will er eines Tages den Be­weis seiner Laster, nämlich das inzwischen völlig verwelkte Portrait vernichten und ein neues Leben beginnen. Als er jedoch mit einem Messer die Leinwand durch­sticht, tötet er sich selbst.

 

Seine Diener finden „an der Wand ein herrliches Portrait ihres Herrn, wie sie ihn zu­letzt gesehen hatten, in dem ganzen Zauber seiner unvergleichlichen Jugend und Schönheit. Auf dem Boden lag ein toter Mann im Gesellschaftsanzug mit einem Messer im Herzen. Er war welk, runzlig und abscheuerregend von Angesicht. Erst als sie die Ringe untersuchten, erkannten sie, wer es war…“

 

Tatsächlich sind Frauen in Sachen Jugendkult besonders anfällig, so dass nicht wenige von ihnen bereits ab Mitte 30 in ständigem Konkurrenzkampf mit Jüngeren stehen - und diesen Kampf verlieren müssen. Da kann man noch so viel Zeit und Geld in das so genannte Anti-Aging stecken - „wie mit 20 wird man nie mehr aus­sehen“ resümiert die schweizerische Lebensberaterin Margit Weibel („Brückenbauer“ 23/2003).

 

Doch wie gewinnt man nach ihrer Ansicht auch dem Älterwerden eine positive Seite ab? Vielleicht sollte man sich einmal zurückbesinnen. War denn mit 20 im Vergleich zu heute wirklich alles so perfekt? Gab es nicht auch dort Probleme jeglicher Art (was auch für jene gilt, die einmal besonders schlank und schön waren).

 

Aber nicht nur der Blick zurück sollte realistisch sein, auch der Blick in die Zukunft. Das Älterwerden hat - sofern man gesund bleiben darf - durchaus schöne Seiten. Viele Menschen gewinnen Gelassenheit und Ich-Stärke, weil sie wissen, dass sie schon viele schwierige Situationen gemeistert haben. Das befreit enorm, weil man sich nicht mehr ständig mit Ängsten, Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen herumschlagen muss (und schließt nebenbei auch den sexuellen Bereich mit ein, bei dem es weniger um die Häufigkeit, mehr beispielsweise um Zärtlichkeit geht).

 

Tatsächlich entfällt mit dem Älterwerden für viele Menschen neben der Suche nach möglichst vollkommener Schönheit und tadelloser Figur auch der Zwang, in anderen Beziehungen ganz vorne mit dabei zu sein. Damit erspart man sich Zeit, Geld und Nerven - zugunsten von Gelassenheiten und einer gewissen „Altersweisheit“ (siehe auch der Schluss des Beitrags von Professor Dr. Verena Kast am Ende dieses Kapitels).

 

Reifere Menschen sind denn auch entsprechend zufriedener als ganz junge, wie so­wohl US-amerikanische als auch deutsche Untersuchungen zeigen. Dass sich ältere Frauen wohler fühlen, liegt auch an den erhöhten Erwartungen an die jüngere Gene­ration. Junge Frauen müssen beispielsweise Familie und Job gleichermaßen gut organisieren. Außerdem steigt die Zahl der allein erziehenden Mütter. Frauen sind dank der Emanzipation und Frauenbewegung selbstbewusster und aktiver gewor­den, können sich selbst behaupten und tolerieren nicht mehr jede partnerschaftliche oder familiäre Situation. Doch jeder weiß, das hat auch seinen Preis, wenn man nicht mehr alles hinnehmen will.

 

Grundsätzlich aber fällt in allen diesen Untersuchungen auf: Je älter jemand ist, desto seltener erlebt er negative Emotionen oder ein Stimmungstief. „Gestandene Personen“ fallen auch deutlich weniger schnell in eine lähmende Niedergeschlagen­heit und können nebenbei von einem Gefühlshoch länger profitieren (interessanter­weise zeigen junge Menschen um die „beneideten 18 Jahre herum“ die negativsten Gefühle).

 

Das Älterwerden wird von den untersuchten Frauen (Anm.: griechische und Maja-Frauen) als Teil einer kosmischen Ordnung angesehen. Die im Verlauf des Lebens zunehmende Reife wird dabei als wesentliches Kriterium des Älterwerdens akzeptiert und geschätzt: „Diese Sicht ist eine religiös orientierte, die das menschliche Leben vor allem als ein Aufwärtsstreben im spirituellen Sinn sieht und nicht primär als einen mit zunehmenden Alter immer stärker werdenden Verfall (Ulrike Krasberg).

 

Warum können beispielsweise gereifte Frauen (und Männer) besser genießen? Weil ihnen bewusster ist, dass das Leben ein Ende haben wird. Deshalb ist bei ihnen auch die Bereitschaft viel höher als bei jüngeren Generationen, sich hier und jetzt etwas Gutes zu tun.

 

Wichtig ist es also zur Erarbeitung (im wahrsten Sinn des Wortes, es wird einem nichts geschenkt) eines „gelassenen Lebensstils“, dass man sich nicht nur auf seine äußeren Werte besinnt, sondern sich bereits in jungen Jahren in jeder Hinsicht pflegt: seelisch, geistig, körperlich, auch kulturell, religiös - wie auch immer.

 

Wer etwas aus einem Leben macht und stolz darauf ist, der kann die Vergänglichkeit der jugendlichen Attribute leichter verschmerzen. Frauen mit einem guten Selbst­wertgefühl leiden deshalb viel weniger unter dem Zwang zur Jugendlichkeit, wissen die Lebensberaterinnen zu berichten. In Sachen Persönlichkeit, Ausgeglichenheit, Toleranz, Humor und eben Genussfähigkeit (Lebensqualität) sind sie ihren jüngeren „Konkurrentinnen“ weit überlegen.

 

Kurz: Zur Erhaltung einer individuellen Jugendlichkeit trägt die mentale Einstellung viel mehr bei als das äußere Aussehen.

 

„Es gibt in jedem Alter Frauen, deren klassische Schönheit sich durch eine negative Ausstrahlung relativiert. Anders herum können weniger attraktive Frauen durch ihre Ausstrahlung unglaublich gewinnen. Manchmal reicht auch schon ein Lächeln“ (Denise Bielmann, Eiskunstlaufstar, in „Brückenbauer“ 23 (2003) 83).

 

Weitere Einzelheiten zu diesen Empfehlungen nochmals der Hinweis auf die Ausfüh­rungen der Psychologie-Professorin Dr. Verena Kast am Ende dieses Kapitels.

 

 

Zum Schluss: wo bleibt die Aufklärung seitens der Mutter?

 

Ein weiterer, kaum beachteter, aber bedeutsamer Faktor ist die mangelhafte Vorbe­reitung auf diesen wahrhaftig nicht unwichtigen Teil des Lebens, der ab den Wech­seljahren beginnt:

 

In der Tat wird die Frau in unserer Gesellschaft nicht genügend auf diesen Lebens­abschnitt vorbereitet. Alles zielt auf die Ausbildung in Beruf, Haushalt und vor allem Mutterschaft ab. Doch von dem halben Jahrhundert als Erwachsener wird fast die Hälfte nur mit dem Ehemann, aber ohne die Kinder verbracht. Die sicher glückliche, aber begrenzte Zeit der „jungen Mutter“ nimmt erfahrungsgemäß den kürzeren Zeit­anteil der erwachsenen Frau ein, kann sich aber in der Regel auf die längste Vorbe­reitungszeit stützen. Dagegen wäre im Grunde nichts einzuwenden, ist doch diese Phase ein Zeitraum großer Verantwortung, eventuell sogar Belastung.

 

Leider bleibt dabei aber offenbar nicht viel übrig für die wichtige Zäsur im Leben der reifen Frau, in der biologische, psychodynamische, familiäre und psychosoziale Än­derungen von einschneidender Bedeutung zusammenfallen. Damit - so glaubt man - müsse jede Frau selber fertig werden, sie sei ja nun „erwachsen genug“. Dabei wird gerne die alte Erkenntnis vergessen, die sich nebenbei auf praktisch alle wichtigen Elemente des Lebens bezieht:

 

Lernen und vorbereiten kann man sich am besten zuvor. Nicht oder nur unzurei­chend hingegen in der kritischen Phase selber, was ja viel Kraft und Reserven kostet.

 

Dies wäre in aufklärerischer Hinsicht vor allem die Aufgabe der Mutter. Doch das geschieht selten. Wer die Ausführungen bis hierher verfolgt hat, ahnt auch, warum. Ähnliches gilt für andere weibliche Wesen im Umfeld der jungen Frau (Männer haben hier wohl wenig beizutragen und halten sich deshalb auch wohlweislich bedeckt, mit Ausnahme vielleicht von Arzt und Psychologe).

 

Die Aufklärung ist überhaupt ein Bereich, der in unserer so überaus „aufgeklärten“ Zeit letztlich zu kurz kommt. Vielen Eltern ist dies durchaus auch recht. Die Frage lautet nur: Machen es die anderen besser, insbesondere wenn die „Anderen“ die Medien sind, denen dies vielleicht fachlich besser gelingt, aber ohne Einfühlungs­vermögen für den jeweiligen Ratsuchenden? Und dann bleibt auch häufig die zweite Frage ungeklärt: Wann wäre der günstigste Aufklärungs-Zeitpunkt in puncto „Wech­seljahre“?

 

Eine Mutter, die selber noch nicht in den Wechseljahren ist, hat es wohl schwerer als eine, die das Klimakterium bereits hinter sich gebracht hat. Ob die Wechseljahre sel­ber ein guter Zeitpunkt für den Ratgeber sind, bleibt dahingestellt. Ob die Großmütter hier helfend einspringen können oder wollen, ist ebenfalls eine bisher wenig unter­suchte Frage. Kurz: Das Problem ist nicht nur inhaltlich, sondern auch formal nicht immer leicht lösbar.

 

Dennoch bleibt eines unbestritten:

 

Aus sozialpsychologischer Sicht ist es so oder so wichtig, möglichst früh auf die Wechseljahre hin zu leben, und zwar bewusst. Denn diese Zeit darf nicht als drohen­der Verlust von Jugend („Höhepunkt des Lebens“), Attraktivität, geistiger, körper­licher, vor allem aber sexueller Leistungsfähigkeit und damit als Minderung oder Zusammenbruch des Selbstwertgefühls abgewertet werden. Und dies gilt es auch der nachfolgenden Generation zu vermitteln. Denn:

 

Nach den Wechseljahren beginnt - statistisch gesehen - noch ein volles Drittel des Lebens. Und sicher nicht das Schlechteste, wenn man seine Vorteile zu nutzen ver­steht.

 

Als hilfreicher Beitrag mit konkreten Anregungen findet sich im Anhang das Kapitel „Zur Psychologie der Frau im mittleren Lebensalter“ von Professor Dr. Verena Kast, auf den wir empfehlend hinweisen.

 

Zuvor aber als Ergänzung ein Kapitel, das in diesem Zusammenhang wahrscheinlich nicht erwartet wird, nämlich das Climacterium virile: die „Wechseljahre des Mannes“.

 

 

Das Climacterium virile: die Wechseljahre des Mannes

 

Das Climacterium virile, also die „Wechseljahre des Mannes“, spielen angesichts des Menopausen-Syndroms der Frau keine Rolle - so scheint es. Doch da gibt es einiges zu korrigieren und zu ergänzen. Zum einen droht auch hier die Übertreibung, von den Kritikern als „Mythos des Climacterium virile“ durch ein partielles Androgen-Defizit des alternden Mannes abgetan. Was aber muss man wissen?

 

Begriffe: Das Klimakterium des Mannes weist verschiedene bedeutungsgleiche Fachbezeichnungen auf: Andropause des Mannes, partielles Androgendefizit des alternden Mannes (PADAM), aging male oder populär ausgedrückt: Wechseljahre des Mannes.

 

Ursachen: Während es beim weiblichen Geschlecht mit dem Einsetzen der Meno­pause zu einem abrupten Abfall der Ovarialfunktion (Eierstöcke) kommt, bleiben beim Mann die endokrinen und exokrinen Gonadenfunktionen bis ins hohe Alter er­halten. Endokrin heißt Testosteron-Produktion, exokrin die Spermatogenese (Samen­zellen-Produktion). Oder besser: Sie bleiben weitgehend erhalten, denn ein Rück­gang der Androgene setzt schon in jüngeren Jahren ein, wenn auch mit großen indi­viduellen Unterschieden. Im Durchschnitt ab dem 25. Lebensjahr jährlich um 1,2% (was bis zum 75. Lebensjahr einer kontinuierlichen Abnahme von etwa 50% ent­spricht).

 

95% der männlichen Androgene stammen aus dem Hoden (den so genannten Leydig’schen Zwischenzellen), der Rest aus der Nebennierenrinde. Vor allem die Produktion von Testosteron, dem inzwischen auch therapeutisch (und besonders marktwirtschaftlich!) auf die Sprünge geholfen werden kann (s. u.), weist ohnehin große Tagesschwankungen auf mit Höchstwerten zwischen 8.00 und 10.00 Uhr morgens und Tiefstwerten am späten Nachmittag.

 

Beschwerdebild: Auch die Symptome der so genannten Andropause oder des par­tiellen Androgen-Defizits des alternden Mannes sind ebenfalls sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die wichtigsten Veränderungen durch Androgen-Mangel sind Abnahme von Knochendichte und Muskelmasse (und damit Kraft), Zunahme der Fettmasse, Änderungen des Hautturgors (Durchsaftung der Gewebe) und - in seelischer bzw. psychosozialer Hinsicht - Antriebslosigkeit, depressive Verstimmungen, Angststö­rungen, Abnahme von Libido und sexueller Erregbarkeit.

 

Androgene: Männliche Geschlechtshormone, gebildet in den Leydig’sche Zwischen­zellen des Hodens (z. B. Testosteron), der Nebennierenrinde und sogar im Eierstock der Frau (Männer wie Frauen produzieren ja nicht nur ihre „eigenen“, sondern auch „andersgeschlechtliche“ Geschlechtshormone, die in einem bestimmten Gleichge­wicht gehalten werden, das sich nach den Wechseljahren allerdings verändert, mit entsprechenden körperlichen und sogar seelischen Folgen).

 

Testosteron: Männliches Geschlechtshormon zur Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale sowie der männlichen Libido und sexuellen Aktivität. Produziert in den Leydig’schen Zwischenzellen des Hodens, aber auch in Nebennierenrinde und Leber und sogar im Ovar (Eierstöcke).

 

Es sind aber auch psychovegetative Beschwerden möglich wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen und kognitive, d. h. Merk- und Konzentrations­störungen, Vergesslichkeit u. a. Und insgesamt ein Rückgang von geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit und damit letztlich auch beruflicher Aktivität mit allen Konsequenzen in Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und insbe­sondere Beruf.

 

Psychosoziale Konsequenzen: Bekanntermaßen spielt das Klimakterium des Mannes bezüglich Häufigkeit und Intensität und damit in der öffentlichen Diskussion keine so bedeutsame Rolle. Dies hat nicht nur organische, sondern auch psychologi­sche und damit gesellschaftliche Hintergründe.

 

Zum einen neigen Männer - und hier besonders solche mit dominantem Auftreten, „robustem“ Selbstwertgefühl (zumindest nach außen), mangelnder Introspektions­fähigkeit (Innenschau) sowie vor allem mit geringer Neigung, vorbeugend und später therapeutisch etwas zu tun - dazu, körperliche und insbesondere seelische Schwie­rigkeiten herunterzuspielen bzw. gar nicht zur Sprache zu bringen - und wenn, dann meist keine Konsequenzen daraus zu ziehen.

 

Zum anderen sei der Mann - im Gegensatz zur Frau, wenngleich letztlich nicht schlüssig nachvollziehbar - in diesem Alter in den so genannten „besten Jahren“. Das stimmt aber nur bedingt und vor allem nicht in jedem Fall - und insgesamt wohl auch immer seltener.

 

Denn gerade in der Lebensspanne zwischen 40 und 50 bzw. darüber steht auch beim Mann eine Art Lebensbilanz an. Was hat man partnerschaftlich, familiär und vor allem beruflich geleistet - oder auch nicht? Bei Letzterem besteht ohnehin kein Grund zum Jubel. Aber selbst dort, wo man sich auf dem Karriere-Höhepunkt wähnt, will man vielleicht noch mehr erreichen, und dann sind nicht nur Anstrengungen, sondern Höchstanstrengungen gefordert; und dies in einer Phase nachlassender Leistungs­fähigkeit. Denn die junge Konkurrenz drängt nach und kennt keine Rücksicht (was der neuen Generation regelrecht nahe gelegt wird). Damit tut sich der Ältere in Ver­teidigungsstellung immer schwerer, insbesondere wenn zwischendurch die „verleug­neten Wechseljahre des Mannes“ zusätzlich belasten.

 

Und hat man - wie erwähnt - seine beruflichen Ziele nicht erreicht, dann gilt es sich damit konstruktiv auseinanderzusetzen und letztlich abzufinden. Auch das kostet viel Kraft und zehrt an der seelischen-körperlichen-psychosozialen Gesundheit.

 

Auch die familiäre Situation verändert sich, wie bei der Frau auch, wenngleich viel­leicht nicht so herb empfunden. Die Kinder verlassen das Haus, die „Umorientierung auf die nach-elterliche Partnerschaft“ fällt schwer, auch für viele Männer, selbst wenn dieser Aspekt nicht als Belastung akzeptiert wird. Dies übrigens besonders dann, wenn man sich aufgrund des (beidseitigen?) beruflichen Engagements auch noch auseinander gelebt hat.

 

Ein besonderes Problem ist schließlich der sexuelle Aspekt (auch wenn er durch die Medien hochgespielt wird, Stichwort: „hypersexueller Mythos“). Denn in dieser Zeit machen sich oft erstmals ernstere Störungen von Erektion, Ejakulation und Orgas­musfähigkeit bemerkbar, vor allem aber Libidoverlust („keine Lust“). Interessant nebenbei aus psychosomatischer Sicht der so genannte „Beckenschmerz (CPPS)“, in diesem Alter oftmals als Prostatitis (Entzündung der Vorsteherdrüse) fehlgedeutet, aber häufig auch psychodynamisch erklärbar (s. o.).

 

Was kann man tun? Das Wichtigste ist auch hier die seelische Komponente. So weiß man beispielsweise, dass die Reaktion des Organismus auf Stress von der Persönlichkeitsstruktur des Betreffenden abhängt, seiner Wesensart und Einstellung den Dingen gegenüber, sei es beruflich oder körperlich. Entscheidend ist aus der Sicht der psychosomatischen Medizin vor allem die individuelle Sichtweise und Be­wertung der belastenden Faktoren. Stress - so die Experten - entsteht im Kopf, und das ist auch die Grundlage für die individuelle Stress-Bewältigung in eigener Initiative (und für eine kognitive Verhaltenstherapie, sofern eine Fach-Behandlung notwendig ist).

 

Außerdem unterliegt auch das männliche Geschlecht (und nicht nur wie so gerne spöttisch kommentiert, die Frauen) dem gesellschaftlichen Druck unserer Zeit und vor allem ihren Mode-Strategien. So orientieren sich nicht zuletzt Männer im Rückbil­dungs- und sogar im höheren Alter an einem männlichen Rollen-Ideal, das vom ersten Lebensdrittel (wenn nicht gar von den Jugendlichen und Heranwachsenden) ausgeht, was körperliche Fitness, Stärke und Ausdauer anbelangt, vom äußeren Erscheinungsbild ganz zu schweigen (z. B. „Bräunungswahn des älteren Mannes“). Das „Dorian Gray-Syndrom“ bezog sich ja ursprünglich auf einen Mann, das sollte man nicht vergessen.

 

Medikamentöse Hilfen? Ob durch die Gabe von Testosteron die Veränderungen des Alters aufgehalten bzw. gar gebessert werden können, ist bis heute unklar und in Einzelfragen sogar heftig umstritten. So konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass depressive Verstimmungen in diesem Alter (z. B. im Rahmen einer „midlife crisis“) mit der Höhe des Testosteron-Spiegels in Zusammenhang stehen (wobei schwere Depressionen allerdings die Testosteron-Produktion stören können). Auch die Libido hängt nicht direkt vom Testosteron-Spiegel ab, sagen die Experten. Des­halb sei eine Testosteron-Substitution zur Korrektur der erektilen Dysfunktion meist ungeeignet (wohingegen die sexuelle Zufriedenheit älterer Männer dadurch zuneh­men könne).

 

Zur Verfügung stehen heute verschiedene Applikationsformen, z. B. intramuskuläre Präparate (Injektion), transdermale Pflaster, Tabletten und neuerdings sogar Gels. Die Risiken sollten aber bekannt sein (in Fachbegriffen): Prostatakarzinom, Auslösen eines Harnverhalts bei Prostatahyperplasie, Polyzythämie, Wasserretention, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Gynäkomastie und verminderte Spermiogenese. Deshalb sind Urologen und Andrologen in der Testosteron-Verordnung bisher eher zurückhaltend und machen eine solche Therapie von ausführlichen Untersuchungen abhängig.

 

Keiner Diskussion hingegen bedürfen die Empfehlungen der Psychotherapeuten und Psychiater, was Lebensführung, körperliche Aktivität und geistige Anregungen an­belangt. Hier finden sich die gleichen Empfehlungen wie beim weiblichen Geschlecht.

 

Schlussfolgerung: Leider müssen die Fachleute aber immer wieder miterleben bzw. beklagen, dass die Mitarbeit, vor allem konsequent und auf Dauer, gerade beim männlichen Geschlecht sehr zu wünschen übrig lässt. Da liegt die Vermutung nahe, dass entsprechende Beschwerden zwar zunehmen und möglicherweise immer häu­figer medikamentös behandelt werden, die vorbeugenden und auch therapeutischen Hilfen in Eigen-Initiative hingegen eher beim weiblichen Geschlecht Nutzen bringen - mit allen Konsequenzen für das jeweilige Geschlecht.

 

Erektile Dysfunktion – Abnehmen und körperliche Aktivität hilft

 

Zu den häufigsten, wenngleich (noch immer) verschämt übergangenen Defiziten im Rückbildungsalter gehört die erektile Dysfunktion („Potenzstörungen“). Davon lebten früher die Hersteller dubioser Potenzmittel und heute auch die seriöse Pharma­industrie mit ihren modernen Präparaten zur Behandlung von Erektionsstörungen. Die Kosten sind nicht unerheblich und müssen in der Regel privat getragen werden.

 

Deutlich „preisgünstiger“, aber leider auch aufwendiger, wenngleich auf allen Ebenen vorteilhaft, ist jedoch die alte, wenngleich gerne übergangene oder gar lächerlich gemachte Erkenntnis: Übergewicht und körperliche Trägheit erhöhen das Risiko einer erektilen Dysfunktion um 30%, während körperliche Aktivität es um denselben Prozentsatz, nämlich 30% zu senken vermag.

 

Tatsächlich wusste man schon aus früheren Studien, dass Männer, die physisch aktiv sind, im Vergleich zu solchen, die eine überwiegend bewegungsarme Lebens­weise haben, seltener Gefahr laufen, Erektionsstörungen zu entwickeln.

 

Wenn es auch nicht auf den einfachen Nenner zu bringen ist: Körperlich aktiv und normalgewichtig = potent (bleibend), so sind doch diese 30% ein nicht zu unterschät­zendes Risiko bzw. ein nicht zu verachtender Vorteil.

 

In einer neuen Untersuchung (Esposito, K. u. Mitarb.: JAMA 291 (2004) 2978) wurde erneut geprüft, ob Veränderungen des Lebensstils mit anhaltender Gewichts­abnahme von mindestens 10% und Steigerung der körperlichen Aktivität eine beste­hende(!) erektile Dysfunktion bessern können. Ausgeschlossen wurden bei den Pro­banden mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren alle sonstigen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Prostata-Erkrankungen u. a. Geteilt wurden die 110 Teilnehmer in zwei Gruppen: Die eine erhielt lediglich allgemeine mündliche und schriftliche Informationen über gesunde Ernährung und körperliches Training (Kon­trollgruppe), die andere eine umfassende individuelle Beratung mit regelmäßiger Anleitung durch einen Ernährungsberater und Trainer sowie – falls erforderlich – ver­haltenstherapeutische oder andere psychologische Unterstützung.

 

Nach zwei Jahren hatte die „aktivierte“ Gruppe 15 kg Gewicht verloren, ernährte sich energieärmer und lebte körperlich aktiver. Bei ihnen gewannen 31% ihre erektile Potenz wieder zurück.

 

In der Kontrollgruppe ohne diese intensive Betreuung (und damit zuverlässige Mitar­beit) war weder ein Effekt auf das Körpergewicht und die Kalorienaufnahme noch – und das war das Entscheidende – auf die Erektionsstörungen festzustellen.

 

Fazit: Die alte Erkenntnis stimmt, Übergewicht und Inaktivität fördern, Normalgewicht und Bewegungsaktivität mindern die Gefahr einer erektilen Dysfunktion (nach arznei-telegramm 7 (2004) 73).

 

 

 

 

Literatur

 

Ein Thema, das nicht nur die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen, Freunde, Mitarbeiter, Vorgesetzten und Untergebenen, die behandelnden Ärzte und Psycho­logen und nicht zuletzt die Wissenschaft beschäftigt. Zahlreiche Fachpublikationen und -bücher sowie inzwischen immer mehr allgemein verständliche, aber wissen­schaftlich fundierte Veröffentlichungen und Sachbücher in jeder Form. Nachfolgend deshalb nur eine Auswahl:

 

APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – Text­revision – DSM-IV-TR. Hogrefe-Verlag der Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2003

 

Arnim-Baas, A.: Befindlichkeit von Frauen im Klimakterium. Persönlichkeit, Berufstätigkeit und Beschwerdebild. Quintessenz-Verlag, Berlin 1995

 

Arznei-Telegramm: Sexualhormone nach den Wechseljahren 5 (2003) 55

 

Banger, M.: Affektive Störungen im Klimakterium. In: A. Riecher-Rössler, A. Rohde (Hrsg.): Psychische Erkrankungen bei Frauen. Karger-Verlag, Basel 2001

 

Beier, H. M. u. Mitarb. (Hrsg.): Sexualmedizin. Verlag Urban & Fischer, München-Jena 2001

 

Benard, C., E. Schlaffer: Wie aus Mädchen tolle Frauen werden. Selbstbewusst­sein jenseits aller Klischees. Heyne-Verlag, München 2000

 

Democh, W. (Hrsg.): Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1988

 

Dunde, S. R. (Hrsg.): Handbuch Sexualität. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1992

 

Eder, A.: Risikofaktor Einsamkeit. Springer-Verlag, Wien 1989

 

Franke, A., A. Kämmerer (Hrsg.): Klinische Psychologie der Frau. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2001

 

Jürgensen, O.: Alleinlebende Frauen - Schicksal oder Wunsch? In: W. Democh (Hrsg.): Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1988

 

Kanitscheider, B. (Hrsg.): Liebe, Lust und Leidenschaft. Sexualität im Spiegel der Wissenschaft. Hirzel-Verlag, Stuttgart-Leipzig 1998

 

Kast, V.: Psychodynamik der Frau im mittleren Lebensalter. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996

 

Kast, V.: Trauer. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Kreuz-Ver­lag, Stuttgart 1987

 

Kast, V.: Loslassen und sich selber finden. Herder-Spektrum, Freiburg 1991

 

Kast, V.: Lebenskrisen werden Lebenschancen. Herder-Verlag, Freiburg 2000

 

Kast, V.: Trotz allem Ich. Gefühle des Selbstwerts und die Erfahrung von Identi­tät. Herder-Verlag, Freiburg 2003

 

Kosack, G., U. Krasberg (Hrsg.): Regel-lose Frauen. Wechseljahre im Kultur­vergleich. Helmer-Verlag, Königstein-Taunus 2002

 

Lehr, U.: Klimakterium - sozialpsychologische Aspekte. In: D. Richter, M. Stauber (Hrsg.): Psychosomatische Probleme in Geburtshilfe und Gynäkologie. Kehrer-Verlag, Freiburg 1993

 

Lissener, A. u. Mitarb. (Hrsg.): Frauen-Lexikon. Herder-Verlag, Freiburg-Basel-Wien 1988

 

Love, S.: Das Hormonbuch. Was Frauen in den Wechseljahren wissen sollten. Bechterminz-Verlag, Frankfurt 2002

 

Northrup, C.: Frauenkörper - Frauenweisheit. Wie Frauen ihre ursprüngliche Fähigkeit zur Selbstheilung wieder entdecken können. Zabert-Verlag, München 1998

 

Onken, J.: Altweibersommer. Verlag C.H. Beck, München 2002

 

Pschyrembel: Wörterbuch Sexualität. Walter de Gruyter-Verlag, Berlin-New York 2003

 

Richter, D., M. Stauber: Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe. In: Th. v. Uexküll (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1986

 

Richter, D., M. Stauber: Gynäkologie und Geburtshilfe. In: Th. v. Uexküll (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Balti­more 1996

 

Riecher-Rössler, A., A. Rohde (Hrsg.): Psychische Erkrankungen bei Frauen. Karger-Verlag, Basel 2001

 

Riedel, I.: Die gewandelte Frau. Vom Geheimnis der zweiten Lebenshälfte. Herder-Verlag, Freiburg 1998

 

Rockington, I. F., M. Lanczik: Psychiatrische Erkrankungen bei Frauen. In.: A. Helmchen u. Mitarb.(Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart, Band 3: Psychiatrie spe­zieller Lebenssituationen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New-York 2000

 

Rohde, A., A. Riecher-Rössler (Hrsg.): Psychische Erkrankungen bei Frauen. S. Roderer-Verlag, Regensburg 2001

 

Runnebaum, B., T. Rabe (Hrsg.): Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflan­zungsmedizin. Band 1: Gynäkologische Endokrinologie. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1994

 

Schloth, D. L., U. Ehlert: Ausgewählte Fragestellungen in der Gynäkologie und Geburtshilfe aus psychologischer Sicht. In: A. Franke, A. Kämmerer (Hrsg.): Klinische Psychologie der Frau. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2001

 

Schneider, S.: Tatort Frau. Der große Hormonschwindel. Betz-Verlag, Wien 2003

 

Sigusch, V. (Hrsg.): Sexuelle Störungen und ihre Behandlung. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 2000

 

Stauber, M., V. Frick-Bruder: Geburtshilfe und Gynäkologie. In: Th. v. Uexküll (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag Urban & Fischer, München-Jena 2003

 

Strauß, B.: Sexualität. In: B. Herpetz-Dahlmann u. Mitarb. (Hrsg.): Entwicklungs­psychiatrie. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2003.

 

Tismer, K.G. u. Mitarb.: Psychosoziale Aspekte der Situation älterer Menschen. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1975

 

Wolf, N: Der Mythos Schönheit. Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg, 1994

 

Zander, J., R. Goebel (Hrsg.):Psychologie und Sozialmedizin in der Frauenheil­kunde. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1977

 

Zintl-Wiegand, A.: Klimakterium und Menopause. In: H. C. Deter (Hrsg.): Ange­wandte Psychosomatik. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1997

 

 

ANHANG:

 

Jong de, T.M.: Die ungezähmte Frau. Psychologie Heute 9 (2003) 46 (empfehlens­werter Artikel zum Thema Wechseljahre mit weiteren Literaturhinweisen).

 


Anhang zum Kapitel Klimakterium und psychosoziale Folgen

 

 

 

Zur Psychologie der Frau im mittleren Lebensalter

 

Prof. Dr. Verena Kast, St. Gallen/Zürich

 

 

Das mittlere Lebensalter umfasst ungefähr die Zeitspanne zwischen dem 40. und dem 55. Lebensjahr. Manchmal wird es auch als die Zeit definiert, in der in der Fami­lie die Kinder aufhören, im Mittelpunkt der Verantwortung zu stehen. Auf jeden Fall ist eine „Hochebene des Lebens“ erreicht, man ist im so genannten „besten Alter“. Dass man auf der „Höhe des Lebens“ angelangt ist, drückt sich in einer gewissen Selbst­verständlichkeit des Lebens und Erlebens aus. Konkrete Resultate des Lebens-Weges, den man eingeschlagen hat, werden sichtbar. Eine spezifische Kompetenz im Umgang mit dem Leben und mit sich selbst ist erreicht. Eine Weltanschauung hat sich gebildet. Auch die sozialen Kontakte sind gefestigt. Die Liebesfähigkeit ist ent­wickelt und kann umfassend gelebt werden.

 

Daran schließt sich allerdings auch die Lebenswende an. Denn ist man im „besten Alter“, dann folgt kein besseres mehr nach, es sei denn, es erfolgt eine Umwertung der Werte.

 

Diese Umwertung der Werte aber, diese Veränderung im Identitätsleben, ist Thema der Lebenswende im mittleren Lebensalter - mit allen Konsequenzen.

 

Übergangsphasen

 

Solche Übergangsphasen haben ihre Eigengesetzlichkeiten: Was kurz zuvor noch gültig und verlässlich zu sein schien, wird plötzlich hinterfragt. Unruhe macht sich bemerkbar, Unzufriedenheit breitet sich aus. Neue Zielvorstellungen stehen eher vage vor Augen und äußern sich oftmals mehr in Kritik als in neuen Plänen und Ideen.

 

Außerdem will man nicht loslassen, was solange vertraut war, will man festhalten, obgleich man es misstrauisch zu hinterfragen beginnt. Je mehr man aber festhalten will, umso mehr drängt es das Festgehaltene einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dieses Abstoßen und Behalten-Wollen führt zu unangenehmen seelischen Span­nungen - manchmal bis zur Krise.

 

Diese Spannung löst sich aber, wenn sie bewusst wird und akzeptiert werden kann. Es gilt von einer Phase des Lebens Abschied zu nehmen, gelebtes Leben, das einen selbst ausmacht. Die sollte man in seiner Erinnerung auch wieder auferstehen lassen, aber wohlgemerkt in der Erinnerung. Denn je mehr man davon Abschied nehmen und loslassen kann, desto mehr treten neue Lebensinhalte in das Leben, werden neue Perspektiven sichtbar, die dem neuen Lebensalter entsprechen.

 

Wenn man aber nicht loslassen und zu lange den alten Zustand aufrechterhalten will, resigniert man eines Tages - zwangsläufig. Denn gegen den Fortgang der Zeit kann man sich nicht wehren. Und vor allem auch nicht aktiv gestaltend neu orientieren.

 

Doch auch die Resignation kann zum Auslöser für bewusstes Abschiednehmen wer­den. Übergangsphasen sind Phasen der Labilität, mit Spannung, Angst und Selbst­zweifeln verbunden. Konflikte, die zum Leben gehörten, Schwierigkeiten, die man schon immer hatte, werden zudem neu belebt. So macht nicht nur die neue Lebens­phase mit ihren spezifischen Anforderungen zu schaffen, auch alte Konflikte, alte, unbewältigte Lebensthemen können zusätzlich aufbrechen - und ihrer Bearbeitung harren.

 

Das ist im Übrigen kein neues, kein plötzliches Phänomen. Übergangsphasen im mittleren Lebensalter sind an die Eigengesetzlichkeiten jeder Übergangsphase ge­bunden. So findet man immer wieder 40-jährige, die eigentlich nun wirklich in den „besten Jahren“ sein sollten, oft schon recht unzufrieden, missgestimmt, schwunglos, resigniert bis deprimiert. Alles wird hinterfragt: der eingeschlagene Lebensweg, die Überzeugungen, die Familie, die man hat oder die Tatsache, dass man keine Familie gegründet hat, der Partner, die Gesellschaft u. a. Eine unzufriedene, eine belastende Zeitspanne kündigt sich an. Das was man gerade noch als gut empfunden, im Leben als Ausdruck des Lebens-Höhepunktes genossen hat, wird in Frage gestellt, fast entwertet.

 

Außerdem bekommt diese Übergangsphase noch dadurch eine besondere Note, ja Dringlichkeit, dass es ein erster Übergang zum Alter und damit zum Tod hin ist. In der Lebensmitte ist es nicht mehr gut möglich, die Tatsache des Sterben-Müssens, des Hinlebens auf den Tod zu leugnen. Leben angesichts des Todes wird aber kost­bar. Jetzt beginnen die Fragen zu bohren, was für den Rest des Lebens, der noch bleibt, wichtig ist.

 

Nun ist dies nicht die erste Übergangsphase im Leben. Man erinnere sich an die Pubertät, die mit der späteren Phase große Ähnlichkeit hat. Doch es gibt einen we­sentlichen Unterschied: In der Pubertät, auch in einer Pubertätskrise liegt das Leben auf jeden Fall noch vor einem. Im mittleren Lebensalter indessen kann man den Ein­druck bekommen, dass das Leben - zumindest zu einem großen Teil - bereits hinter einem liege und das, was sich vor einem noch ausbreitet, mehrheitlich durch Mühsal und Beschwerden gekennzeichnet sein dürfte.

 

So wird diese Sicht der Dinge zum einen durch reale Einschränkungen gefärbt, die in der Tat zu erwarten sind. Das hängt aber auch damit zusammen, dass in unserer Gesellschaft das Stadium der Jugend viel höher bewertet wird als das des Alters, ganz besonders für die Frau. Diese Sichtweise bringt es mit sich, dass die Phase des mittleren Lebensalters möglichst lange verdrängt wird, um mit großen Anstrengungen möglichst lange jung zu erscheinen, was ganz besonders für die Frau gilt.

 

Das Negativ-Erleben des eigenen Körpers

 

Ein wesentlicher Aspekt menschlichen Identitätserlebens hängt mit dem Erleben des eigenen Körpers zusammen. Auch wenn sich keine schwerwiegenden körperlichen Beschwerden während des Klimakteriums bemerkbar machen, stellt sich doch die Frage, wie die Frau beispielsweise zu ihren „Blutungen“ steht: Wertet sie ihr Ausblei­ben als Verlust, als Zeichen, dass sich etwas in ihrem Körper nicht mehr regeneriert - oder aber als Erleichterung? Die Gefühle des Verlusts und der Erleichterung können auch beide zugleich erlebt werden. Schwangerschaft gibt es nicht mehr. So kann die Menopause auch zu einer Zeit der größeren Freiheit werden, sogar der größeren sexuellen Freiheit.

 

Dennoch wird deutlich, dass die Phase der Fruchtbarkeit vorbei ist. Auch wenn schon länger der Entschluss gefasst worden ist, keine Kinder mehr oder überhaupt keine Kinder zu haben, jetzt wird klar, dass man auch keine Kinder mehr haben könnte, selbst wenn man es wollte. Die Identität der Frau, die fortpflanzungsfähig, gebärfähig ist, kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Und die neue Identität, die Identität als „alternde Frau“ ist natürlich für die meisten nicht sonderlich attraktiv, besonders in unserer Zeit und Gesellschaft. Denn zu diesem persönlichen Erleben (wie man sich als Frau gefühlt hat, welche Beziehung man zur Menstruation hatte u. a.) kommt nun auch die Wertung durch die Allgemeinheit.

 

Eine gewisse Ratlosigkeit zeigt sich übrigens auch darin, dass kein eigenständiger Ausdruck für die Frau nach der Menopause existiert. In den verschiedenen Lebens­abschnitten als Frau ist man zunächst Mädchen, beim Eintritt der Menstruation wird man zur Frau: sexuell-erotisch geprägt, fortpflanzungsfähig und bereit zur Mutter­schaft. Nach der Menopause gilt man aber als „alternde Frau“. Was die Frau - scheinbar - so begehrt gemacht hat, ist vorbei. Wenn ein Frauenleben nun ganz und gar auf das Erfüllen der biologischen Rolle als Frau ausgerichtet war und seinen Wert daraus bezieht, sexuell erotisch begehrenswert zu sein, dann ist das Klimakte­rium in der Tat mit einer schweren Identitätseinbuße verbunden.

 

Manche Frauen verbinden das Klimakterium auch mit dem Nachlassen des sexuellen Interesses. Das hängt einerseits mit verschiedenen organischen Beeinträchtigungen zusammen (was aber durch entsprechende Behandlung, und zwar nicht nur hormo­nell, erleichtert werden kann), andererseits auch mit dem Interesse an der Sexualität, was von Frau zu Frau verschieden ist. Man hört zwar immer wieder, dass Frauen - die vermutlich nicht die ihnen zusagende Form von Sexualität gefunden haben -, aufatmend behaupten, „das sei nun glücklicherweise vorbei“. Es gibt aber auch Frauen, die gerade in diesem Alter Sexualität und Zärtlichkeit ausgesprochen genie­ßen können, eine Form der Sexualität, die ihnen auch wirklich Lust vermittelt. Dass sie eine „Pflicht-Sexualität“ in diesem Alter ablehnen, hat weniger mit dem Klimakte­rium zu tun als mit der Entwicklung einer Persönlichkeit, die weiß, was ihr gut tut. Und die auch die Verantwortung für ihr Handeln selbst übernimmt, nicht einfach mehr einem Partner zuschiebt.

 

Die Angst, nicht mehr attraktiv zu sein, die Furcht, sexuell weniger zu empfinden und die Bedenken, alt zu werden, lassen den Übergang der klimakterischen Phase be­lastender oder gar hoffungsloser erscheinen, auf jeden Fall als weniger attraktiv als er vielleicht ist.

 

Da diese Phase als eher negativ beschrieben wird, als Klippe „an der man halt vorbei muss“, ist es wesentlich auch die Stimmen jener Frauen zu hören, die diesen Über­gang bejahen. Beispiele: Man sei noch einmal so beeindruckbar wie in der Pubertät. Doch diese Sensibilität sei jetzt verbunden mit der Weisheit des gelebten Lebens. Andere betonen ihre Liebesfähigkeit in dieser Phase des Übergangs. Auch wird jen­seits des Klimakteriums nicht nur das Alter mit seinen Einschränkungen gesehen sondern erklärt, dass sich der Menopause eine Phase der ruhigen Gelassenheit angeschlossen habe. Nachdem sie akzeptiert hätten, dass ein wesentlicher Lebens­abschnitt vorbei sei, hätte sie sich selbst wieder neu gefunden, seien weniger von den Äußerungen der Umwelt abhängig, mehr der Innenwelt zugewandt, in einer neu­eren, größeren Freiheit als zuvor.

 

Wie das Klimakterium erlebt und bewertet wird, hängt aber auch davon ab, welche Vorbilder eine Frau hat, wie ihre eigene Mutter und weitere weibliche Bezugsperso­nen mit dem Klimakterium umgegangen sind. Gerade weil die Vorbildfunktion so wesentlich ist, scheint es ausgesprochen wichtig, dass Frauen einander von ihrem Erleben in dieser Lebensphase erzählen.

 

Veränderungen in der Familie

 

Die biologischen Veränderungen fallen aber auch mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem die Kinder selbständig werden, die Mutter nicht mehr brauchen.

 

Mütter, die sich ganz auf die Mutter-Rolle konzentriert haben, erleben daher während des Klimakteriums zusätzlich einen wesentlichen Verlust an Bedeutung. Das wird zwar meist als „Verlust der Kinder“ deklariert und kann oft tiefe Depressionen aus­lösen. Doch diese schwermütigen Phasen haben primär nichts mit dem Klimakterium zu tun, sondern mit dem Erleben von Trennung und Verlust, was die Betroffenen möglichst lange nicht wahrhaben wollen.

 

Die Klagen, die man in diesem Zusammenhang immer wieder hört, sind in etwa die­selben: Da sprechen Mütter davon, dass sie alles für ihre Kinder getan, alle eigenen Interessen zurückgesteckt haben und dass diese Kinder nun alle weggezogen sind. Meistens leben sie auch nicht so, wie es sich die Mutter vorgestellt hat. Oder sie bringen nicht die Enkel, die es ihr wiederum ermöglichen würden, in einem be­schränkten Ausmaß die Mutterrolle weiter zu erfüllen. Mütter in dieser Situation po­chen auf Dankbarkeit, ernten aber stattdessen oft Vorwürfe. Sie haben das Gefühl, noch immer für ihre Kinder verfügbar sein zu müssen, auch wenn diese sie nicht mehr brauchen. Auch hört man oft, dass das Leben mit den Kindern zunehmend un­befriedigender geworden sei: immer mehr Arbeit bei immer weniger Liebe und Aner­kennung. Es wird deutlich, dass die Phase der Trennung schon länger erlebbar war. Kinder trennen sich ja allmählich, nur die letzte Trennung verläuft dann manchmal abrupt oder scheint einem abrupt zu verlaufen, weil man bisher alle Zeichen der Trennung übersehen oder verleugnet hat.

 

Auf Trennungsangebote reagieren diese Mütter oft mit einer noch perfekteren Ver­sorgungshaltung: Wenn der Sohn schon anfängt auswärts zu übernachten, dann müssen seine Kleider noch besser in Ordnung gehalten werden usw. Diese Frauen überfordern sich mit Pflichten, die sie sich selber auferlegen und deren Erfüllung niemand besonders schätzt.

 

Das Hauptproblem besteht aber darin, dass viele Mütter nicht realisieren, dass sie mit dem Weggehen der Kinder auch Freiraum für sich selber bekommen, den sie aber nicht gestalten können. Sie erleben nur intensiv, dass sie trotz aller Liebe und Arbeit etwas verlieren, aber nicht, dass sie etwas gewinnen.

 

Das hängt letztlich damit zusammen, dass die Ablösung von den Kindern ein sehr schmerzhafter Prozess ist, nämlich die Wandlung einer Liebesbeziehung. Man ist nicht gewohnt, diesen Verlust zuzugeben und darüber zu trauern. Stattdessen macht man sich gegenseitig Vorwürfe und erschwert damit die Möglichkeit, die Beziehung auf einer neuen Ebene wieder aufzunehmen oder erneut aufzubauen.

 

Ablösung von der Mutterrolle durch Trauerarbeit

 

Die Ablösung von der Mutterrolle erfordert Trauerarbeit: Zunächst muss man sich eingestehen, dass diese Phase des Lebens vorbei ist. Man muss sich auch einge­stehen, dass die Kinder sich ablösen müssen. Diese Trauerarbeit ist leichter zu be­wältigen, wenn auch der Partner, z. B. der Vater ebenfalls aus der Vaterrolle heraus­wächst, seine Gefühle mitteilen kann bzw. darf, wenn man sich gemeinsam ablöst. Das heißt aber auch, dass man sich noch einmal erinnert, was man mit jedem Kind erlebt hat, welche Seiten die Kinder in einem geweckt haben, Seiten, die nicht verlo­ren gehen, wenn sich die Kinder ablösen.

 

Jetzt ist es auch an der Zeit, sich einzugestehen wo man Fehler gemacht hat. Es ist auch die Zeit, sich bewusst zu machen welche Schwierigkeiten man mit den ver­schiedenen Kindern gehabt hat. Die Idee, eine verpasste Erziehungsmaßnahme noch ganz dringend nachzuholen, muss entsprechend hinterfragt werden, nämlich mit der Überlegung, ob sie nicht letztlich den Wunsch maskiert, die Kinder doch noch einmal irgendwie an sich zu binden.

 

Die Ablösung von den Kindern verläuft meist parallel mit Neuem, dem Entdecken von neuen Lebensinhalten für sich und für das Leben als Paar. Gelingt diese Entwick­lung, rebellieren nicht selten wieder die Kinder, weil die Mutter plötzlich nicht mehr verfügbar ist.

 

Die Ablösung als solche und die damit verbundene Trauerarbeit gestaltet sich auch dann schwierig, wenn Frauen so ganz und gar gelernt und übernommen haben, die Wünsche der anderen Menschen zu erfüllen und nicht mehr wissen, welche Wün­sche sie selber haben. Dann fühlen sie sich natürlich leer, beraubt, unzufrieden - ohne eine Idee, wie ihr Leben weitergehen könnte. Wenn der Partner dann ebenfalls keine Idee hat, werden sie ratlos. Hat der Partner eine Idee, ist es meist die falsche…

 

Diese Reaktion - so lästig sie sein mag - ist an sich sinnvoll: Der Lebensübergang in der mittleren Lebensphase soll dazu führen, sich zu fragen, was man denn selbst, als Individuum vom Leben noch wolle - nachdem die kollektive Rolle erfüllt ist und ange­sichts das näher rückenden Todes.

 

In der Tat werden wesentlich mehr Depressionen durch das „leer gewordene Nest“ verursacht als durch das Klimakterium als solches. Allerdings werden sie durch Letzteres noch verstärkt erlebt.

 

Wenn Frauen nun mit schweren Depressionen auf diese Lebenssituation reagieren, wird therapeutische Hilfe notwendig bei der einerseits die Trennungsproblematik, andererseits die neuen Lebensrichtungen bewusst gemacht und aufgearbeitet wer­den sollen.

 

Frauen, die nie Mutter waren, setzen sich in dieser Phase noch einmal mit ihrem Entschluss oder ihrem Schicksal auseinander, die Mutterrolle nicht erfüllt zu haben. Diese Auseinandersetzung ist bei ihnen aber nicht neu: Sie wird hier nur abschlie­ßend noch einmal wiederholt, weil dieser Lebensentwurf nun endgültig für sie eine Möglichkeit ist, die sie nicht genützt hat oder nicht nützen konnte oder wollte. Auch das erfüllt mit Trauer, die hier ebenfalls zugelassen werden muss. Und auch hier stellt sich die Frage, was für den Rest des Lebens wichtig ist. Aber da sie ihren Selbstwert nicht aus einer Rolle gezogen hat, die so abrupt enden kann, stellt das Klimakterium bei Frauen ohne Kinder den individuellen Selbstwert nicht so radikal in Frage.

 

Allerdings wird es der Frau, die lange ihre Mutterrolle erfüllt gelebt hat, ebenfalls schwer gemacht, ihre anderen Träume zu verwirklichen, etwa noch einmal in einen Beruf einzusteigen. Meist sind diese Frauen geplagt von Angst, den Anforderungen der modernen Arbeitswelt nicht mehr gewachsen zu sein. Aus Furcht tun sie dann diesen Schritt nicht. Damit wird ein labiles Selbstwertgefühl, vor allem ein Gefühl des Zweifels an sich selber genährt.

 

Abschied nehmen

 

Es ist ja nicht nur das Weggehen der Kindern in dieser Phase des Abschied-Nehmens, es kann auch eine Ablösung von den eigenen Eltern in den Vordergrund treten: Haben einst die Kinder als Berechtigung zur Ablösung von den eigenen Eltern gedient, dann wird jetzt der Konflikt der damals nicht wirklich geleisteten Ablösung wieder aktuell. Mütter, die Probleme haben, ihre Kinder den eigenen Weg gehen zu lassen, sind selbst auch wenig abgelöst von Vater und Mutter. Sie sagen dann in einer solchen Situation, sie hätten noch nie das eigene Leben gelebt. Die Ablösung von den Eltern in dieser Phase fällt aber deshalb so schwer, weil diese jetzt in einem Alter sind, in dem sie der Hilfe bedürfen.

 

Zudem machen die Kinder als Jugendliche und Heranwachsende oder junge Er­wachsene dauernd und zwar schmerzlich bewusst, was die Mutter in ihrem eigenen Leben verpasst hat. Die Träume des ersten Lebensdrittels werden wieder belebt. Söhne und Töchter leben allenfalls, was man selbst nicht zu leben gewagt hat, was einem vielleicht nicht einmal eingefallen wäre zu leben - und das deshalb auch bei der nächsten Generation bekämpft werden muss.

 

Da spielt dann auch der Neid auf die junge Generation mit herein. So rivalisiert bei­spielsweise die Mutter mit der Tochter. Diese hat etwas vor sich, was die Mutter jetzt hinter sich lassen muss und vor allem was auch nicht mehr nachzuholen ist. Der Neid bringt Probleme, aber nicht die Jugend zurück. Dieser Neid wird dann beson­ders erlebt, wenn Frauen den Eindruck haben, etwas Wesentliches in ihrem Leben verpasst zu haben.

 

Diese Auseinandersetzung mit der Tochter, der jungen Frau mit den Möglichkeiten ihres Alters und ihrer Generation müssen aber auch jene Frauen leisten, die nicht die Mutterrolle gelebt haben. Auch sie werden - in ihrer Arbeit, im Privatleben, wo auch immer - ständig mit jenen Frauen konfrontiert, die das Leben noch vor sich haben, die ihnen sogar im Beruf den Rang ablaufen können. Dieser leise Neid, wenn er vor­handen ist, wirft die Frage auf, ob man aus seinem Leben wirklich gemacht hat, was man machen konnte. Oder was jetzt noch davon verwirklicht werden kann.

 

Abschied nehmen muss man in dieser Phase auch von den jugendlichen Entwürfen, den hochfliegenden Plänen der jungen Jahre, die dem Leben Richtung, Anreiz und Herausforderung gegeben haben. Sind sie eingelöst - oder eben nicht? Im Zusam­menleben mit den jungen Menschen leben diese jugendliche Träume wieder auf und machen schmerzhaft bewusst, was davon realisiert wurde und was nicht.

 

Gelingt es aber aus den jugendlichen Träumen das Lebens-Thema herauszulösen, das bedeutsam gewesen wäre und es nun altersgemäß zu verwirklichen, können gerade aus dieser Enttäuschung Lebensimpulse für die Zukunft gewonnen werden. Wenn aber diese Träume in der Radikalität des Jugendlichen erfüllt werden sollen, dann drohen noch mehr Enttäuschungen als zuvor. Die Trauer über das Nicht-Gelebte im Leben wird abgewehrt, wenn man sich in eine jugendliche Position und damit in die Illusion begibt, das ganze Leben liege noch vor einem.

 

Genauso schwierig wird das Leben, wenn man über die Enttäuschung in Resignation versinkt, nämlich das so vieles im Leben gewollt und so wenig letztlich realisiert wurde. Jetzt traut man sich für die Zukunft überhaupt nichts mehr zu.

 

Die alten Sehnsüchte, wenn sie wieder belebt sind, wollen auf eine ganz andere Weise als in der Jugend eingelöst sein. Dazu gehört es auch zu akzeptieren, dass das Erreichte im Leben vielleicht nicht das Erhoffte war. Und einiges auch nicht mehr erreicht werden wird. Das bedeutet aber auch aufzuhören, übertriebene Forderungen an sich selber zu stellen. Es gilt im Umgang mit sich selbst realistischer zu werden. Und es bedeutet vor allem, dass man sich erlauben sollte, ein gewöhnlicher Mensch sein zu dürfen.

 

Neue Wege der Selbstfindung suchen

 

Jede Krise, jede Erschütterung der eigenen Identität bringt es mit sich, dass man sich auf sich selber besinnen, mit sich selber auseinandersetzen kann und muss. Das wird in der Phase des Klimakteriums besonders deutlich. Denn hier wird insbeson­dere die Identität in Frage gestellt: Hat man sich eher auf eine Rolle hin festgelegt, die nicht mehr gefragt ist? Oder hat man schon immer sein Selbstverständnis aus dem Erleben verschiedener Rollen heraus bezogen?

 

Schließlich rückt auch der Tod, das Ende des Lebens in den Blickpunkt. Jetzt muss man sich darauf besinnen, welchem Sinn man seinem Leben noch geben will, wel­che Werte jetzt noch verwirklicht werden sollen. Da ist es von Vorteil, dass die Rollen der Frau von der Natur aus freigegeben worden sind. Die Frau kann sich heute sehr viel freiheitlicher verwirklichen, als sie es je zuvor vermochte. Sie kann sich aktiver für Ziele einsetzen, die ihr jetzt (oder auch früher) wichtig sind (oder waren). Dabei lassen sich auch die Werte, die als wesentlich erachtet werden, in veränderter Form nutzen: z. B. Mütterlichkeit nicht nur in Beziehung zu den eigenen Kindern, sondern viel umfassender in einer mütterlichen Haltung generell.

 

Die Frau ist aber nicht auf diese Haltung festgelegt. Da sie keine Rolle mehr aus der Notwendigkeit heraus zu erfüllen hat, ist ihr das Ausbrechen, Abweichen, vielleicht sogar eine „freie, wilde Frau“ möglich geworden. Jetzt ist es Zeit, sich selber zu wer­den, sich angesichts des doch näher gerückten Lebensendes und unter dem leisen Druck, dass nicht mehr allzu viel Zeit zu vertun ist, zu fragen, was denn zum eigenen Leben gehört, was gerade das eigene Leben ausmacht.

 

Auch wenn diese Phase durch viel Verzicht und durch betontes Abschiednehmen gekennzeichnet ist, bestimmt nicht nur der Verzicht, sondern auch der Wille zur Gestaltung die nächste Lebensepisode.

 

Nicht zuletzt sollte dieser Zeitabschnitt auch von dem Wunsch geprägt sein, sich selber und die Innenwelt besser kennen zu lernen. Das kann eine durchaus geistig-schöpferische Phase werden, beispielsweise im Unterschied zur früheren biologisch-schöpferischen Phase. Die Abhängigkeit vom Urteil der Außenwelt wird geringer. Das gibt Freiheit im Denken und Handeln. Und auch Mut, unbequem zu sein, wenn es denn sein muss.

 

In den Träumen in diesem Alter fällt auch auf, dass vermehrt ältere, weise Frauen auftreten, zum Beispiel als Vorbilder oder auch Gestalten, die zur Auseinander­setzung anregen. Jetzt stellen sich auch die Fragen, ob diese oder jene Handlungen wirklich zu einem passen, ob man gefühlsmäßig zu ihnen stehen kann oder nicht. Es ist der Weg nach innen, der sich anbietet und schließlich eingeschlagen werden sollte, freier und radikaler als zuvor.

 

Das bedeutet aber nicht, dass das Interesse für diese Welt schwinden muss. Das Interesse bleibt. Aber weil der Weg nach innen wesentlich ist, kann das Interesse für die äußere Welt aus einer gewissen wohltuenden und befreienden Distanz erfolgen. Geistige, religiöse, kulturelle Interessen dominieren, aber auch soziales Enga­gement. Dies alles ist oft umfassender, vor allem aber tiefer als bei jüngeren Menschen. Die Distanz kann eben auch den Blick freigeben für die größeren Zu­sammenhänge, die in früheren Jahren durch eine Vielzahl von Wünschen, Aufgaben und Zwängen ver­baut waren.

 

Schlussfolgerung

 

Deshalb liegt es letztlich an den Frauen selber, sich das Leben im und nach dem Klimakterium nicht entwerten, sich nicht auf seine biologischen Funktionen reduzie­ren zu lassen.

 

Zielbild könnte es sein, eine alte und weise Frau zu werden, die um das Lebensende weiß, aber auch um das Gestaltenwollen angesichts des Todes. Eine Frau, die Ge­lassenheit hat, aber auch den Humor behält angesichts der Verluste, die, wenn schon nicht überwunden, so doch akzeptiert sind. Eine Frau, die riskiert, das zu le­ben, was sie schon immer leben wollte.

 

Modifizierter Auszug aus

 

Verena Kast: Die Psychodynamik der Frau im mittleren Lebensalter. Aus V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-Jena-New York 1996 (dort auch weiterführende Literatur).

 

 

 

Erektile Dysfunktion – Abnehmen und körperliche Aktivität hilft

 

Zu den häufigsten, wenngleich (noch immer) verschämt übergangenen Defiziten im Rückbildungsalter gehört die erektile Dysfunktion („Potenzstörungen“). Davon lebten früher die Hersteller dubioser Potenzmittel und heute auch die seriöse Pharma­industrie mit ihren modernen Präparaten zur Behandlung von Erektionsstörungen. Die Kosten sind nicht unerheblich und müssen in der Regel privat getragen werden.

 

Deutlich „preisgünstiger“, aber leider auch aufwendiger, wenngleich auf allen Ebenen vorteilhaft, ist jedoch die alte, wenngleich gerne übergangene oder gar lächerlich gemachte Erkenntnis: Übergewicht und körperliche Trägheit erhöhen das Risiko einer erektilen Dysfunktion um 30%, während körperliche Aktivität es um denselben Prozentsatz, nämlich 30% zu senken vermag.

 

Tatsächlich wusste man schon aus früheren Studien, dass Männer, die physisch aktiv sind, im Vergleich zu solchen, die eine überwiegend bewegungsarme Lebens­weise haben, seltener Gefahr laufen, Erektionsstörungen zu entwickeln.

 

Wenn es auch nicht auf den einfachen Nenner zu bringen ist: Körperlich aktiv und normalgewichtig = potent (bleibend), so sind doch diese 30% ein nicht zu unterschät­zendes Risiko bzw. ein nicht zu verachtender Vorteil.

 

In einer neuen Untersuchung (Esposito, K. u. Mitarb.: JAMA 291 (2004) 2978) wurde erneut geprüft, ob Veränderungen des Lebensstils mit anhaltender Gewichts­abnahme von mindestens 10% und Steigerung der körperlichen Aktivität eine beste­hende(!) erektile Dysfunktion bessern können. Ausgeschlossen wurden bei den Pro­banden mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren alle sonstigen Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Prostata-Erkrankungen u. a. Geteilt wurden die 110 Teilnehmer in zwei Gruppen: Die eine erhielt lediglich allgemeine mündliche und schriftliche Informationen über gesunde Ernährung und körperliches Training (Kon­trollgruppe), die andere eine umfassende individuelle Beratung mit regelmäßiger Anleitung durch einen Ernährungsberater und Trainer sowie – falls erforderlich – ver­haltenstherapeutische oder andere psychologische Unterstützung.

 

Nach zwei Jahren hatte die „aktivierte“ Gruppe 15 kg Gewicht verloren, ernährte sich energieärmer und lebte körperlich aktiver. Bei ihnen gewannen 31% ihre erektile Potenz wieder zurück.

 

In der Kontrollgruppe ohne diese intensive Betreuung (und damit zuverlässige Mitar­beit) war weder ein Effekt auf das Körpergewicht und die Kalorienaufnahme noch – und das war das Entscheidende – auf die Erektionsstörungen festzustellen.

 

Fazit: Die alte Erkenntnis stimmt, Übergewicht und Inaktivität fördern, Normalgewicht und Bewegungsaktivität mindern die Gefahr einer erektilen Dysfunktion (nach arznei-telegramm 7 (2004) 73).

 

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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