Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
DEPRESSIONEN RECHTZEITIG ERKENNEN LERNENNur die Hälfte wird diagnostiziert, ein Viertel gezielt behandelt
Depression ist nicht nur Schwermut. Im Gegenteil: Zuerst klagen die meisten über Schlaf-, Appetit-, Magen-Darm-, Herz- und Atmungsstörungen, über Verspannungen, Gelenk-, Rücken- und Muskelschmerzen, ehe sie, und auch das nur auf direktes Befragen auch Merk- und Konzentrationsstörungen, innere Unruhe und Anspannung, Entscheidungsunfähigkeit, Interessenschwund, Gleichgültigkeit, allgemeine Lustlosigkeit und vor allem Freudlosigkeit zugeben. Und eine eigenartige, durch nichts behebbare Schwäche, wenn nicht gar ein undefinierbares Elendigkeitsgefühl, wie bei einer Grippe - nur eben ohne Grippe. Welches sind nun die häufigsten und vor allem charakteristischsten Symptome? Aus den mehreren Dutzend seelischen und vor allem psychosomatischen Symptomen (d. h. seelische Störungen äußern sich in körperlichen Beeinträchtigungen - ohne organische Ursache), ganz zu schweigen von den psychosozialen Konsequenzen im Alltag, versuchte man immer wieder die wichtigsten Krankheitszeichen statistisch herauszurechnen, um durch Frage-Kataloge auch den Laien die Möglichkeit zu geben, wenigstens in ihrem näheren Umfeld eine Depression rechtzeitig zu erkennen. Frage an einen berühmten Psychiater: "Herr Professor K., warum haben ausgerechnet Sie, berühmter Nervenarzt, Lehrbuchautor, Klinikdirektor und Hochschul-Lehrer nicht erkannt, dass Sie eine Depression hatten?" Antwort: "Weil ich eine Depression hatte". Zu den häufigsten und relativ typischen Krankheitszeichen gehören folgende Symptome: 1. depressive Herabgestimmtheit von abnormem Ausmaß, was Intensität und Dauer anbelangt. 2. Verlust von Interesse und Freude. 3. Verminderter Antrieb und abnorme Ermüdbarkeit. 4. Verlust von Selbstvertrauen und Selbstgefühl. 5. Unbegründete Selbstvorwürfe. 6. Gedanken an den Tod, auch von eigener Hand. 7. Denk- und Konzentrationsstörungen. 8. Bewegungsstörungen: entweder passiv, schwach, kraftlos oder gespannt-rastlos umhergetrieben. 9. Schlafstörungen. 10. Ausgeprägte Änderungen des Appetits (meist Gewichtsverlust, seltener Heißhunger). Zu den am häufigsten geäußerten Sorgen im psychosozialen Bereich gehören: - Leistungsfähigkeit bzw. Leistungsunfähigkeit im Sinne von Nichts-Können, Nichts-Leisten, Versagen - Minderwertigkeits- und Kleinheitsgefühle im Sinne von Nicht-gemocht-Werden, Nicht-geliebt-Werden - Schuldfragen bzw. Selbstvorwürfe, Selbstanklagen und Schuldbewusstsein - und alles dies auch noch selbst verursacht zu haben. Oder ausgedrückt in einem einzigen Satz depressiven Grübelns: "Ich kann nichts, ich bin nichts, man mag mich nicht - und schuld bin ich auch noch selber daran". Erschwert wird diese vernichtende Selbstbeurteilung noch von der charakteristischen Negativ-Einstellung vieler Depressiver: - Hilflosigkeit: Ich kann doch nichts daran ändern. - Hoffnungslosigkeit: Nichts wird sich mehr zum Guten wenden - jedenfalls nicht bei mir. Dies ist allerdings "nur" der subjektive Leidensschwerpunkt, also das, was den Patienten am meisten bewegt, was er am ehesten äußert. Charakteristisch sind aber noch andere Krankheitszeichen, die man meist erfragen muss, weil sie dem Betroffenen gar nicht bewusst sind. Deshalb gibt es immer wieder Fragen-Kataloge und allgemeinverständliche Broschüren, die auf bestimmte Basisfragen hinweisen, die zwar keine diagnostische Sicherheit garantieren, dennoch einen gewissen Hinweiswert besitzen (siehe Text- Kasten).
Von diesen Beeinträchtigungen scheinen einige besonders charakteristisch zu sein. Dazu gehören: - Energielosigkeit: Alles ist unendlich anstrengend und erschöpfend Was ist zu tun? Viele Menschen sind der Meinung, sich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen zu dürfen, schon gar nicht im Privaten und überhaupt nicht im gefühlsmäßigen Bereich. Diese Zurückhaltung mag durchaus anerkennenswerte Gründe haben, stößt aber dann an ihre Grenzen, wenn der andere dadurch zum Opfer einer Krankheit wird, die er - krankheitsbedingt - nicht als solche erkennt. Und wenn er dadurch zu wochen-, monate- oder gar jahrelanger Qual verurteilt wird, die nicht nur ihn, sondern letztlich auch seine Familie, seine Freundeskreis und die Arbeitskollegen beeinträchtigt, von der ökonomischen Seite ganz zu schweigen (die wirtschaftlichen Verluste der Depressionen werden inzwischen denen bestimmter Herz-Kreislauf-Erkrankungen gleichgesetzt). Im Grunde ist es also eine Frage des Mitgefühls oder noch schlichter, des "Herzens", jemanden der offensichtlich leidet, beim Erkennen, Verstehen und vor allem Akzeptieren seiner Krankheit zu helfen, um ihm durch eine möglichst rasche und vor allem gezielte Therapie aus seiner Not zu befreien. Zurückhaltung ist oft nur Bequemlichkeit, oder noch konkreter: eine unglückselige Mischung zwischen Bequemlichkeit und Unkenntnis - zu Lasten seelisch Bedürftiger. Und wer weiß: vielleicht hätte man diese Hilfe morgen selber bitter nötig (Prof. Dr. med. Volker Faust). |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |