Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Hypochonder - was sind das für Menschen?
"Ein Hypochonder ist ein Mensch, der sich nicht wohl fühlt, wenn er sich wohl fühlt", lautet einer der vielen hämischen Sinnsprüche, die Mitmenschen charakterisieren sollen, die nicht eine Krankheit, sondern die Furcht vor einer (nicht bestehenden) Krankheit zermürbt. Allerdings ist das nicht auf unser Zeitalter beschränkt. Menschen mit ängstlicher und vor allem unbegründeter Befürchtung, krank zu sein oder krank zu werden, wurde in jeder Epoche deutlich gemacht, was man von ihnen hält (siehe Kasten).
Was heißt Hypochondrie? Eine Hypochondrie, auch Krankheitsfurcht (Fachbegriff: Nosophobie) genannt, ist eine sachlich nicht begründbare, ängstliche, manchmal auch depressiv getönte Befürchtung oder Vermutung krank zu sein oder krank zu werden, was schließlich zu einer abnormen Einstellung zum eigenen Leib und seinen Gefährdungsmöglichkeiten führt. Charakteristisch ist eine ausgeprägte bis zwanghafte Selbstbeobachtung des eigenen Körpers bzw. seiner Organfunktionen, wobei praktisch nichts ausgeschlossen bleibt. Dabei sucht der Betroffene beharrlich und sorgenvoll nach Krankheitszeichen, die seinen Verdacht beweisen sollen. Das Leiden ist - wie erwähnt - so alt wie die Menschheit. Mal wurde es als eigenständige Krankheit anerkannt, mal "nur" als Symptom (Krankheitszeichen) oder Syndrom (Gruppe von Symptomen) akzeptiert, oft auch als Marotte, als Schrulle, wunderliche Neigung oder - wie man es heute bezeichnet - als Spleen abgetan. Wie man diesem Phänomen nun wirklich gerecht werden soll, ist bis heute ungeklärt. Entscheidend ist nach modernen Definitionen jedenfalls nicht nur die übermäßige Beschäftigung mit einer nicht vorhandenen Krankheit, einschließlich Fehlinterpretationen was körperliche Funktionen oder Befindensschwankungen anbelangt, sondern die ständige Weigerung, den Rat und die Versicherung durchaus auch mehrerer Ärzte zu akzeptieren, dass dem Beschwerdebild keinerlei körperliche Erkrankung zugrunde liegt. Und hier "hört der Spaß dann auch auf", hier wird auch dem größten Spötter klar, dass eine mögliche Hypochondrie ein unseliges Leiden ist, auf das das Opfer gerne verzichten würde, wenn es denn je möglich wäre. Inzwischen gibt es keine Hypochondrie als eigenständige Krankheit mehr, jedenfalls nicht offiziell nach der Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder sonstiger tonangebender medizinischer Institutionen. Aber ganz in Frage stellen kann man sie nicht. Dafür ist sie zu häufig (in der Praxis des Allgemeinarztes sollen es zwischen vier und neun Prozent aller Patienten sein). Deshalb spricht man heute nur noch von "hypochondrisch", von hypochondrischer Färbung oder Prägung, von hypochondrischer Reaktion oder Entwicklung u.a. Mit anderen Worten: Das Phänomen an sich ist nicht aus der Welt zu schaffen, aber zur eigenen Erkrankung reicht es nicht (mehr). Beschwerdebild - Auslöser - Verlauf - Folgen Hypochondrische Leidens-Inhalte, um es einmal neutral zu umschreiben, können jede Art von Erkrankung betreffen. Eher harmlos sind Krankheitsängste bezüglich kleiner Wunden, gelegentlicher Heiserkeit oder Hustenanfälle. Problematischer wird es bei mehrdeutigen körperlichen Empfindungen, die Herz, Kreislauf, Wirbelsäule, Gelenke, Stoffwechsel usw. betreffen. Am häufigsten ist die Furcht vor einem Tumor, vor Leukämie, Multipler Sklerose, Herzinfarkt usw. Das kann übrigens seinen Schwerpunkt wechseln, je nach Wertigkeit solcher Erkrankungen in der jeweiligen Zeit und Gesellschaft. Eine erbliche Belastung ist selten zu finden, Auslöser dafür umso häufiger. Allerdings sind auch sie schwer objektivierbar. Außerdem wird kaum danach gefragt, denn die meisten Hypochonder werden von Allgemeinärzten, Internisten u.a. betreut und nicht von Psychiatern, Nervenärzten und Psychologen bzw. Psychotherapeuten, die der Sache eher auf den Grund gehen würden (siehe später). Was aber schon immer wieder deutlich wird sind frühere Erfahrungen mit entweder eigenen Erkrankungen oder solchen von Familienmitgliedern oder Bekannten - meist sehr qualvoll und damit einprägsam, nicht selten mit Todesfolge. Darüber spricht der Hypochonder zwar nicht, aber ängstigen tut er sich trotzdem - unbewusst oder bewusst, aber ohne es zuzugeben. Ob sich bei der Hypochondrie - ähnlich wie bei immer mehr seelischen Leiden vermutet oder feststellbar - ein gestörter Gehirnstoffwechsel findet, also eine Funktionsbeeinträchtigung der sogenannten Neurotransmitter oder Botenstoffe, ist noch nicht ausdiskutiert. Völlig auszuschließen ist es nicht, da ist man vorsichtiger geworden. Mit der Verfeinerung der medizinischen Untersuchungsmethoden wurde nämlich immer häufiger deutlich, dass selbst eindeutig seelisch ausgelöste oder unterhaltene Krankheitsbilder letztlich doch einen biologischen Hintergrund haben. Aus der Sicht der Psychoanalyse, also neurosen-psychologisch gesehen, verhält sich der Hypochonder aber so, als ob er den "Feind", also das, was er nicht sein will, im eigenen Körper entdeckt habe. Das "Böse" wird aber nicht nach außen, sondern in den eigenen Körper verlegt. Die Folgen sind beispielsweise eine Hypochondrie (was aber nicht nur negativ sein muss, es kann auch ein Krankheitsgewinn dabei herauskommen, d.h. mehr Zuwendung, Rücksichtnahme, Toleranz u.a.). Das Beschwerdebild und seine Folgen Die Folgen einer Hypochondrie sind - wie zu erwarten - überaus unerfreulich. Alles Denken und später Handeln, zuletzt das ganze Leben kreisen überwiegend oder am Ende ausschließlich um die Furcht vor einer oder mehrerer Krankheiten, was umso schlimmer wird, je weniger fassbar es ist ("was muss das für eine schreckliche Krankheit sein, die von so vielen Experten nicht richtig diagnostiziert werden kann"). Natürlich muss es nicht immer so folgenreich enden, doch als erstes leiden naturgemäß die psychosozialen Kontakte, d.h. Partnerschaft, Familie, Beruf, Nachbarschaft, Freundeskreis u.a. Die verhängnisvollste Konsequenz lässt sich letztlich mit zwei Begriffen umschreiben: Rückzug und Vereinsamung. Dann folgen meist noch Angststörungen, vor allem aber depressive Verstimmungen, die den Endzustand charakterisieren: das schier hoffnungslose Versinken in der eigenen Krankheitswelt (was sogar dazu führen kann, zuletzt Hand an sich zu legen). Allerdings ist das die erwähnte Extremform. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um leichtere hypochondrische Befürchtungen, die viele Menschen kennen - und zumeist leidlich damit fertig werden. Die meisten reden ohnehin nicht darüber, um sich nicht zu blamieren. Dabei wäre es günstiger, sie würden es ausdiskutieren. Dann könnten sie nämlich miterleben, dass sie nicht alleine sind, im Gegenteil. Und es gibt sogar Experten, die "ein wenig Hypochondrie" durchaus befürworten. Wenn man es nämlich nicht zu weit treibt, schaut dabei wenigstens die regelmäßige (und ab einem gewissen Alter unerlässliche) Vorsorge-Untersuchung heraus. Und ist alles in Ordnung, dann hat es seinen Sinn gehabt. Und um den Hypochondern mit ernsterer Belastung gleichsam noch ein wenig "Ehrenrettung" zukommen zu lassen, sei ruhig auch das andere Problem einmal angesprochen: Es können nämlich durchaus auch organische Erkrankungen mit einer Hypochondrie verwechselt werden. Hier ist vor allem an bestimmte neurologische Leiden zu denken (z. B. Multiple Sklerose oder Myasthenia gravis), an endokrine Erkrankungen (z. B. Schilddrüsen- oder Nebenschilddrüsen-Störungen) und an Leiden, die mehrere Organsysteme auf einmal betreffen (z. B. der Lupus erythematodes). Das mag zwar jetzt Wasser auf die Mühlen hypochondrisch veranlagter Zeitgenossen sein, allerdings nicht allzu lang und allzu viel. Denn gerade diese Erkrankungen sind mit den heutigen modernen Untersuchungsmethoden rasch diagnostizierbar. Deshalb gilt nicht nur der alte medizinische Kalauer: "Der Hypochonder leidet tatsächlich an einer Krankheit, nämlich an seiner Hypochondrie", sondern auch der Trost: Heutzutage muss sich niemand mehr seinen hypochondrischen Befürchtungen ausliefern. Das Gesundheitswesen ist zwar inzwischen unbezahlbar, aber auch unschlagbar, was die diagnostische Treffsicherheit anbelangt. Man muss nur die Gnade haben, daran glauben zu dürfen. Und das wiederum ist selbst in unserer Zeit nicht jedem Menschen gegeben, vor allem eben nicht den "Hypochondern" … (Prof. Dr. med. Volker Faust). |
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).