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DAS MÜNCHHAUSEN-SYNDROM

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Wenn sich Menschen selbst beschädigen, um eine Krankenrolle zu erzwingen

Die Lügengeschichten des Freiherr von Münchhausen sollen uns nur unterhalten. Doch es gibt auch ein Krankheitsbild, das diesen Namen trägt: Münchhausen-Syndrom. Das amüsiert niemand, das verheißt nur Erstaunen, Befremden, Ärger, Empörung oder gar Entsetzen. Denn hier versucht ein Mensch eine Krankenrolle zu erzwingen, in dem er seine Gesundheit schädigt und damit möglichst in einem Krankenhaus behandelt wird. Dabei ist keine Manipulation absurd genug. Es ist praktisch alles möglich, um im Bereich von Kopf, Herz, Magen, Darm, Leber, Nieren, Blase, Wirbelsäule, Gelenken, vor allem aber Haut und bisweilen auch im seelischen Bereich Symptome zu provozieren, die einer umfangreichen Abklärung bedürfen, d.h. nur durch einen Krankenhausaufenthalt möglich sind.

Was wird alles vorgetäuscht, wie gehen die Betreffenden vor, wie geht das schließlich aus und vor allem: was ist die Ursache eines solch befremdlichen Verhaltens? Nachfolgend einer kurze Übersicht zu einem der sonderbarsten Leiden, das im Volksmund Münchhausen-Syndrom und in der Fachsprache selbstmanipulierte Krankheit oder vorgetäuschte Störung heißt.

Wer kennt ihn nicht, den sagenhaften "Lügenbaron" Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von und zu Münchhausen von Schloss Bodenwerder, den Helden der "Wunderbaren Reisen zu Wasser und zu Lande, der Feldzüge und lustigen Abenteuer" aus dem 18. Jahrhundert. Wahrscheinlich hätte er sich nie träumen lassen, dass er einmal nicht nur seine Zuhörer und Leser köstlich amüsiert, sondern auch noch als Fachbegriff in die Medizin eingeht: das Münchhausen-Syndrom, auch als Artefaktkrankheit, vorgetäuschte Störung, selbstschädigendes Verhalten oder selbstmanipulierte Krankheit bezeichnet. Was versteht man darunter?

Ein altes Leiden

Selbstschädigendes Verhalten ist seit dem Altertum bekannt. Dabei müssen die Betroffenen nicht einmal krank sein. Sie können dazu auch im Rahmen religiöser Riten oder sogenannter Initiationsrituale (durch bestimmte Bräuche geregelte Aufnahme in eine Standesgemeinschaft u.ä.) gezwungen sein bzw. kulturell überzeugt mitmachen. Es kann aber auch eine Krankheit vorliegen, meist eine seelische. Und diese Art von Selbstbeschädigung hat in den letzten Jahren offenbar an Bedeutung gewonnen.

Dabei handelt es sich um Menschen, die Krankheitszeichen vortäuschen, verstärken oder selber künstlich hervorrufen. Damit wollen sie eine Patientenrolle erzwingen oder sich in Krankenhäusern behandeln lassen. Dabei gibt es einen wichtigen Unterschied zur reinen Simulation (Vortäuschung): Der Simulant weiß genau was und wie er es will. Seine Täuschungsmanöver gehen auf keine seelische Krankheit zurück. Er ist ein seelisch gesunder Betrüger. Patienten mit selbstschädigendem Verhalten hingegen sind psychisch krank, auch wenn sie das nie akzeptieren würden.

Menschen mit einer selbstmanipulierten Krankheit lösen aber ebenfalls körperliche (oder seltener auch seelische) Symptome, wenn nicht gar ganze Krankheiten aus. Auch sie täuschen, vor allem Ärzte, Schwestern, Pfleger und andere Entscheidungsträger im Gesundheitswesen. Sie können enorme Kosten verursachen (Krankenhausaufenthalte, Operationen, Nachsorge) und bringen es manchmal auf kilogramm-schwere Krankenakten, wenn man die Dokumente sämtlicher Kliniken zusammenträgt.

Doch es gibt einen wichtigen Unterschied zum reinen Simulanten: Dieses Verhalten unterliegt zwar auch einer willentlichen Kontrolle, hat aber krankhaft-zwanghaften Charakter. Die Patienten verfolgen unbewusste Ziele, denen sie letztlich "unfreiwillig" unterworfen sind.

Was wird vorgetäuscht?

Vorgetäuscht wird alles, was sich vortäuschen lässt, und das ist praktisch jeder Körperbereich. Das sind zum Beispiel Magen-Darm-Störungen: von der Durchfallerkrankung über Magen-Darm-Geschwüre und -blutungen bis zu Blinddarm- oder Gallenblasen-Entzündungen u.a. Oder neurologische Symptome, vor allem Wirbelsäulen-Beschwerden, Bewegungs- und Gefühlsausfälle, Kopfschmerzen, Gangstörungen, Anfallsleiden usw. Sehr häufig sind dermatologische Krankheitszeichen: Abszesse, Furunkel, Ausschläge, Ekzeme, Wundheilungsstörungen usw. Oder im urologischen Bereich Nieren- oder Blasenentzündung sowie Blut im Urin (siehe später). Das Gleiche in der Frauenheilkunde: unklare Unterbauchschmerzen, Störungen der Monatsblutung u.a. Oder Funktionsstörungen durch Gelenk-, Wirbelsäulen-, Muskel- oder andere Schmerzbilder. Ganz zu schweigen von Herz und Kreislauf: von unklaren Herzbeschwerden bis zu "Herzinfarkt", "Lungenembolie" usw.

Selbst dort, wo man meinen würde, es lässt sich nichts manipulieren, sind diese Patienten besonders erfinderisch: Blutbild (Blutarmut, Blutgerinnungsstörungen) oder endokrinologische Symptome wie Unterzuckerung, Überfunktion der Schilddrüse, sonstige Stoffwechselstörungen usw.

Erstaunlich selten sind dagegen die Versuche, im seelischen Bereich etwas vorzumachen. Hier spüren die Betroffenen natürlich rasch, dass sie es mit Psychiatern und Psychologen zu tun haben werden, die die eigentlich zuständigen Fachleute für ihr "Leiden" sind. Trotz allem gibt es aber auch hier Sinnestäuschungen, Wahnvorstellungen, Depressionen, Rauschdrogenabhängigkeit, Entzugsdelirien u.a. - alles vorgetäuscht.

Wie gehen die Patienten vor?

Oft kommen die Patienten während der Notdienstzeit in die Klinik. Dabei schildern und präsentieren sie ihre Symptome durchaus überzeugend. Erstaunlich (und mitunter verdächtig, wenn Ärzte und Pflegepersonal entsprechende Kenntnisse haben) ist ihr auffallend gutes medizinisches Wissen. Das erleichtert es ihnen auch, ihre Krankheits-Vorgeschichte (Fachbegriff: Anamnese) glaubhaft darzustellen.

Manchmal beschränken sich die Betroffenen auf nur ein oder zwei Symptome, manchmal gehen die Krankheitszeichen mehrerer medizinischer Disziplinen durcheinander oder ineinander über, was die Situation natürlich kompliziert und den meist überforderten Aufnahmearzt besonders vorsichtig macht.

Liegen vielleicht noch alte oder neue reale Erkrankungen vor, die in die Beschwerdeschilderung geschickt eingeflochten werden, wird es noch problematischer.

So nimmt es nicht Wunder, dass man auf der Mediziner-Seite erst einmal vorsichtig ist, den Patienten untersucht und ggf. zur weiteren Beobachtung auf eine entsprechende Station nimmt und alles einleitet, was nötig erscheint. Und damit hat der Patient erst einmal erreicht, was er wollte.

Was gibt es für Manipulations-Techniken?

Wenn sich der Laie fragt, wie sich ausgewiesene Fachleute, nämlich Ärzte, Schwestern, Pfleger u.a. so täuschen lassen können, so muss man erst einmal folgende Aspekte berücksichtigen: 1. Die sehr überzeugende, geschickte und bisweilen raffinierte Art, das Leidensbild zu präsentieren (möglichst noch in besonders stressreichen Klinikzeiten). 2. Die Unklarheit und die damit verbundene Verpflichtung, allem sorgfältig nachzugehen (nicht zuletzt aus versicherungsrechtlichen und schließlich juristischen Gründen, heute mehr denn je). Und 3. die Methoden der Selbstmanipulation, die auch für ein medizinisches Verständnis ungewöhnlich, trickreich, und meist eben nicht nur raffiniert, sondern mitunter fast schon grausam anmuten.

Nehmen wir die Selbstmanipulationen an der Haut, in Fachkreisen artifizielle Hauterkrankungen genannt: Wer beschädigt sich schon durch das Aufbringen von Säuren, Laugen oder andere schädigende Substanzen. Wer knetet, reibt, quetscht, stranguliert die Haut oder gar Arme und Beine, bis es zu Blutergüssen und Lymphstauungen kommt. Wer spritzt sich infizierte Lösungen, Speichel, Spülwasser oder Milch unter die Haut, bis sich alles entzündet und eitert.

Noch unfassbarer sind die artifiziellen internistischen Erkrankungen: Fälschung des Krankenblattes oder Thermometer-Manipulationen sind ein erst einmal "nur" risiko- und schmerzloser Betrug. Aber künstliches Fieber durch Einnahme schädigender Substanzen oder künstliche Blutarmut durch ständiges Blutabzapfen oder selbst herbeigeführtes Bluten, wenn nicht gar die Einnahme von Antikoagulanzien (Arzneimittel, die die Blutgerinnung hemmen, um beispielsweise eine gefährliche Blutpfropfbildung zu verhindern) - das ist schon ein Schritt, den nicht jeder tun würde, selbst um eines vorübergehenden Vorteils willen.

Oder eine künstliche Überfunktion der Schilddrüse durch Schilddrüsenhormone, eine Unterzuckerung durch Einnahme von Antidiabetika bis hin zur Injektion von Insulin, oder zu wenig Kalium bzw. zu viel Kalzium im Blut durch Einnahme entsprechender Substanzen, von überaus komplizierten Manipulationen weiterer Stoffwechselbereiche ganz zu schweigen.

Dasselbe gilt für Herz- und Lungenbeschwerden, die man durch Einnahme bestimmter Arzneimittel provozieren kann (Bluthusten beispielsweise durch geschlucktes Eigen- oder Tierblut).

Blut als Täuschungsversuch spielt überhaupt eine große Rolle, nicht zuletzt im gynäkologischen Bereich (z.B. Scheiden-Blutung durch Eigen- oder Fremdblut, aber auch ätzende Lösungen). Das Gleiche für Urin oder Stuhl (bis hin zu Selbstverletzungen von Enddarm und Harnröhre bzw. Blase).

Ein besonders schwieriges Kapitel ist die verzögerte Wundheilung von Operationsnarben. Man kann sich vorstellen, was hier alles manipuliert werden kann. Oder die Abgabe von Urin, den man auf die einfachste Art infizieren kann (z.B. durch Kot). Kurz: Mitunter ist es schier unfassbar, was den Betreffenden alles einfällt, um die Ärzte zu täuschen, zumindest eine Zeit lang.

Es geht nicht lange gut

Denn die Entscheidung trifft der weitere Krankheitsverlauf. Sicher gibt es erst einmal eine (später als unnötig beklagte) Vielzahl von Untersuchungen, wenn nicht gar medizinischen Eingriffe bis hin zu unnötigen Operationen. Aber irgendwann fällt es doch auf.

Ungewöhnlich ist vor allem die "lammfromme" Bereitschaft dieser Patienten, sich ständigen, meist unangenehmen, wenn nicht gar schmerzhaften Eingriffen zu unterziehen. Interessant ist auch die Erkenntnis, dass viele dieser Patienten eine erhöhte Schmerztoleranz haben. Es scheint ihnen also gar nicht so sehr zuzusetzen, was ihnen hier zugemutet wird.

Dann fällt eine eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber den Untersuchungsergebnisse und dem Heilungsverlauf auf. Schließlich freut sich jeder, wenn sich sein Zustand bessert und die Klinikentlassung ansteht. Doch hier ist der Betreffende zwar nicht enttäuscht (das würde nun wirklich sofort auffallen), aber auch nicht begeistert. Nach und nach wird schon deutlich: Diese Krankheit scheint dem Betreffenden eine Art "way of life" zu sein, das Krankenhaus fast die "Zweite Heimat".

Weitere Einzelheiten über die schwierige medizinische und vor allem psychologische Situation der medizinischen Seite, vor allem des Arztes, siehe das ausführliche Kapitel über Selbstmanipulierte Krankheiten in der Internet-Serie Psychiatrie heute.

Wie teilt man selbstmanipulierte Krankheiten ein?

Selbstmanipulierte Krankheiten kann man noch unterteilen, und zwar in drei Gruppen:

· Das Münchhausen-Syndrom im eigentlichen Sinne ist im Grunde eine kleine Untergruppe. Neben den beschriebenen Selbstmanipulationen von Krankheitszeichen steht hier vor allem eine besonders schwere Störung der zwischenmenschlichen Beziehungen im Vordergrund. Sie äußert sich in ständigen Beziehungsabbrüchen, permanentem Umherreisen, im sogenannten "Krankenhauswandern", häufigen plötzlichen Selbstentlassungen und einer mangelhaften sozialen Verwurzelung bis zur totalen Unstetigkeit. Das männliche Geschlecht überwiegt.

Hier findet sich dann auch ein spezifisches Symptom, nämlich die sogenannte "Pseudologia phantastica". Das ist das Erzählen phantastischer Geschichten, also wie beim "Lügenbaron", nur eben auf die eigene Lebensgeschichte, Herkunft und Krankheit bezogen. Hier geben die Patienten dann auch falsche Namen und Adressen an, was eine solche "krankhafte Karriere" regelrecht erzwingt, denn langsam werden die Ärzte, die Schwestern und die Pfleger, die Krankenhausverwaltungen und die Krankenkassen auf dieses Phänomen aufmerksam und informieren sich untereinander.

Im Extremfall geraten die Patienten dann auch in weitere Konfliktbereiche. Das geht von der Medikamentenabhängigkeit über kriminelles Verhalten bis zur Dissozialität, zum sozialen Abstieg und zur Entwurzelung.

Diese Patienten kommen häufig aus schwierigen Verhältnissen (Inzest, Sucht der Eltern, Kindesmisshandlung, kriminelle Entgleisungen). Und sie entwickeln im Verlaufe ihres "Leidens" oft weitere seelische Störungen, z. B. schwere narzisstische (krankhaft "Selbstverliebte") oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen (Grenzfälle zwischen Neurose und Psychose), mitunter sogar eine schizophrene Psychose, also Geisteskrankheit.

Und zu allem sind sie - schicksalhafte Endstation der tragischen Entwicklung - auch meist noch therapeutisch so gut wie nicht zugänglich.

· Beim erweiterten Münchhausen-Syndrom (auch Münchhausen in Vertretung genannt) handelt es sich um eine besonders unfassbare Störung dieser Art, weil nicht nur der Betroffene, sondern noch eine weitere Person einbezogen ist. Und das meist noch in Form von Mutter und Kind.

Hier manipulieren dann die Mütter nicht an sich (wenngleich bisweilen zusätzlich), sondern an einem oder mehrerer ihrer Kindern. Es sollen also Symptome vorgetäuscht oder verstärkt werden, um das Kind in Kliniken aufnehmen zu lassen, ja um medizinische Eingriffe bis hin zu Operationen zu provozieren.

Solche Mütter erscheinen - nach außen - erst einmal besonders fürsorglich und besorgt. In Wirklichkeit liegt hier eine krankhafte Identifikation vor, also eine in gemütsmäßiger Hinsicht krankhafte Gleichsetzung mit einer anderen Person, in diesem Fall zwischen jemand mit Münchhausen-Syndrom, der dieses Leiden auch noch auf sein Kind überträgt. Dabei fällt zuerst einmal die überaus enge Beziehung zwischen beiden auf. Und dann der sonderbare Umstand, dass dieses Kind selbst schmerzhafte Eingriffe geduldig über sich ergehen lässt, wenn sie von der Mutter in die Wege geleitet wurden.

Tatsächlich "gewinnen" dabei nur die Mütter, falls man überhaupt von einem "Krankheits-Gewinn" sprechen kann. Sie scheinen durch diese Manipulationen an ihrem Kind eigene schwere seelische Krisen abwehren zu können. Und wenn dies durch eine aufgeschreckte Umgebung verhindert wird, dann geraten sie in eine ernste seelische Krise, d. h. dekompensieren psychotisch oder legen sogar Hand an sich.

Hier zeigt sich dann deutlich, dass zwischen fremd-aggressiven (d. h. zu Lasten des eigenen Kindes) und selbst-aggressiven Regungen bzw. Handlungen mitunter kaum ein Unterschied besteht, bzw. das eine rasch ins andere umkippen kann.

Dazu trägt vor allem das erwähnte Phänomen bei, dass bei solchen Müttern das Kind nicht als eigenes Individuum, sondern als ein Teil des eigenen Lebens und der eigenen Person empfunden und entsprechend behandelt wird. Will sich also die Mutter psychologisch durch Selbstmanipulationen entlasten, kann sie das beim erweiterten Münchhausen-Syndrom auch dadurch, dass sie ihr Kind in nutzlose medizinische Manipulationen schickt. Und wird ihr das verwehrt, so ist ihr damit eine Art "selbst-therapeutische Behandlungsschiene" genommen, und sie gerät in eine schwere psychische Notsituation (siehe oben).

Weitere Einzelheiten, insbesondere zu den psychologischen Hintergründen dieses letztlich unfassbaren Geschehens, siehe das entsprechende Kapitel in der Internet-Serie Psychiatrie heute.

· Bei der von der Wissenschaft abgegrenzten dritten Gruppe der selbstmanipulierten Krankheiten, auch als eigentliche Artefakt-Krankheit, als heimliche Selbstmisshandlung oder als Mimikry-Phänomen bezeichnet, handelt es sich wahrscheinlich um die größte Krankheitsgruppe.

Hier überwiegt das weibliche Geschlecht und dazu noch medizinische Berufe: oft Krankenschwestern, Medizinisch-technische Assistentinnen, Röntgen-Assistentinnen u.a.

Das Beschwerdebild ist das Gleiche wie oben beschrieben. Im Gegensatz zum Münchhausen-Patienten erscheinen diese Kranken aber sozial angepasster. Sie bleiben familiär und gesellschaftlich/beruflich integriert und phantasieren ihre Krankheit nur selten über jenes Maß hinaus, dass dem Umfeld dann plötzlich zu Denken gibt. Auch lassen sich in der Regel keine ernsteren familiären, beruflichen oder sonstigen Probleme erkennen.

Und auch im Krankenhaus erweisen sie sich als angepasster, verlassen nicht plötzlich brüsk die Station, weil sie sich nicht entsprechend behandelt oder gar überführt sehen, und gewöhnen sich auch nicht so ausgeprägt das "Krankenhauswandern" an, wie das in den Extremfällen zu beobachten ist. Kommen sie aus medizinischen Fachberufen, sind sie ohnehin bekannter und wissen auch, dass man irgendwann doch überführt wird.

Kurz: Die meisten dieser Patienten entwickeln eine Art "verdünntes Beschwerdebild" mit weniger folgenreichen psychosozialen Konsequenzen.

Was man sonst noch wissen sollte

Dieser kurze Beitrag sollte sich vor allem auf das Phänomen an sich und die Art, wie die Betreffenden vorgehen beschränken. Über die psychologischen Hintergründe, die möglichen Folgen (sozialer Abstieg, Selbsttötungsgefahr, schwere dauerhafte Selbstbeschädigungen u. a.) und die Frage, was könnte es denn sonst noch sein (sogenannte Differentialdiagnose, von der Simulation über neurotische oder psychotische, hypochondrische oder hysterische Krankheiten bis zu eigenartigen Phänomenen wie beispielsweise die körperdysmorphe Störung u. a. ganz zu schweigen) siehe das entsprechende Kapitel über selbstmanipulierte Krankheiten in der Internet-Serie Psychiatrie heute (siehe oben).

Das Gleiche gilt für die psychotherapeutischen und soziotherapeutischen Möglichkeiten (und vor allem Grenzen!), die (beschränkten) pharmakologischen Ansätze und alle anderen Maßnahmen und Überlegungen, die hier diskutiert werden.

Wichtig ist vor allem eines: Man muss wissen, dass so etwas möglich ist. Man muss wissen, dass es sich um die Simulation eines Betrügers handeln kann, dass es aber auch eine Krankheit gibt, die so etwas möglich macht. Und man muss sich einer solchen Entwicklung stellen, wenn sie sich als real erwiesen hat. Doch das verheißt unter Umständen Ärger, Ungemach, unangenehme Fragen (z. B. seitens der Vorgesetzten, der Krankenhausleitung, der Versicherung, ggf. juristischer Seiten) - und dann muss man sich eingestehen, dass man von diesem Phänomen zu wenig oder überhaupt keine Ahnung hatte.

Deshalb gilt auch hier: Wissen ist Macht, und zwar nicht nur im herkömmlichen Sinne, sondern auch Macht zu helfen, z. B. solchen Menschen, die sich zwar auf Kosten der Solidargemeinschaft, vor allem aber auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit zu verändern, letztlich aber zu heilen versuchen.

Und: Diese Menschen sind krank, auch wenn sie durch ihre Betrugsmanöver erst einmal Verärgerung auslösen und deshalb schließlich das Wohlwollen ihrer einstigen Helfer verscherzen.

Baron Münchhausen hat uns mit seinen Lügengeschichten viel Freude, Spaß und Vergnügen geschenkt. Die seelisch Kranken aber, die seinen Namen als Medizinbegriff tragen, vermitteln genau das Gegenteil. Und am heftigsten treffen sie sich selber. Das sollte man nicht vergessen, wenn man einmal in eine solche ungewöhnliche Situation mit hereingezogen wurde (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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