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ZWANGSSTÖRUNGEN

Die heimliche Hölle

Fast jeder kennt harmlose Zwänge aus dem Alltag. Manchmal sind sie sogar nützlich. Doch Zwangsstörungen, Zwangserkrankungen oder - wie man es früher nannte - eine Zwangsneurose können das Leben zur Hölle machen. Dabei sind die meisten Betroffenen gar nicht als Zwangskranke erkennbar, fallen lange nicht einmal im engeren Freundeskreis auf. Und das, obgleich diese Störung eine unheilvolle Konsequenz hat: Zuerst wird die Lebensqualität beeinträchtigt, dann folgen Probleme in Partnerschaft, Familie, Beruf; zuletzt drohen Rückzug und Isolation.

Zwangsstörungen sind kein "zwanghaftes Verhalten", wie man es häufig beobachten und ggf. tolerieren kann, sogar an sich selber. Zwangsstörungen sind eine extreme Steigerung relativ harmloser Gedanken und Handlungen mit entsprechenden Folgen: Sie erzeugen wachsenden Leidensdruck, sind ungemein zeitraubend, zermürben, beschämen und beeinträchtigen schließlich in seelischer und sogar körperlicher Hinsicht. Und sie können das Leben vor allem zwischenmenschlich und beruflich ruinieren.

Zwänge sind alles beherrschende Erlebnisse. Sie werden vom Betroffenen zwar als unsinnig oder zumindest unangemessen erkannt - aber man ist machtlos gegen sie.

Am häufigsten finden sich Zwangsgedanken und Zwangsvorstellungen, die sich um Unfälle, Erkrankungen, Katastrophen oder Gewalttaten drehen und die insbesondere nahestehende Personen bedrohen sollen. Dabei werden die zwanghaften Befürchtungen fast bildhaft-realistisch durchlitten. Gelegentlich drängen sich auch stereotype, also immer von neuem zermürbende Sätze, Verse, Melodien und Vorstellungen auf wie: "was wäre, wenn ..."? Das fragen sich zwar auch viele Gesunde, aber nicht unter einem vergleichbar quälenden Wiederholungszwang.

Manchmal zeigen die Zwangsvorstellungen auch aggressive Züge, z.B. in dem "theoretischen Zwang", etwas Unanständiges auszusprechen oder gar auszuführen, jemand zu beschimpfen, ja selbst geliebte Personen oder sich selber zu verletzen, wenn nicht gar zu töten. Allerdings kommt es so gut wie nie zur Ausführung, nicht zur Beschimpfung und schon gar nicht zu aggressiven Handlungen.

Zwangskranke sind Täter ohne Tat (alte Lehrbuch-Weisheit).

Dafür leiden die Betroffenen aber furchtbar unter diesen, ihnen ja wesensfremden Zwängen, die natürlich auch zu Selbstzweifeln und Selbstanklagen, zu Scham, Schuldgefühlen, Angst und Niedergeschlagenheit führen. Über die häufigsten Zwangsgedanken und -vorstellungen siehe Kasten.

Leidensbild einer Zwangsstörung

- Zwangsgedanken und Zwangsvorstellungen: aggressive, Verschmutzungs-, sexuelle, religiöse, moralische, körperbezogene, Symmetrie oder Genauigkeit betreffende Zwangsgedanken.

- Zwangshandlungen: Reinigung, Waschen, technische und psychosoziale Kontrollen, Wiederholungen, Zählen, Ordnen, Sammeln, Aufbewahrung, Ritualisierungen, Rezitation, Fragen, Bekennen, Blinzeln, Anstarren, Anklopfen, Anhusten, Drauftreten, Überspringen und andere Zwangshandlungen.

Zwangshandlungen sollen häufig diese Zwangsvorstellungen neutralisieren. Nach außen fallen sie durch ihren fast automatisierten Ablauf auf, und weil sie der jeweiligen Situation völlig unangemessen sind. Am bekanntesten sind die Kontrollzwänge: Schlösser, Herd, Elektrogeräte, Licht usw. Seltener sind die Reinigungs- bzw. Waschzwänge: Händewaschen, Duschen, Baden, Zähneputzen, sonstige Körperpflege, aber auch Haushalts- und andere Gegenstände. Schließlich die Wiederholungszwänge. Einzelheiten siehe Kasten.

Zwangskranke leiden häufig unerkannt und schon in jungen Jahren und später oft genug das ganze Leben unter ihren Zwangsgedanken, Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen. Die einen mehr, die anderen weniger, aber stets geht es auf Kosten der Lebensqualität, vor allem von Zeit und Kraft. Die Folgen sind verhängnisvoll: Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Arbeitsplatz bzw. Karriere usw.

Was kann man tun?

Und doch dürfte sich die Mehrzahl sich nicht mit einem Arzt oder Psychologen in Verbindung setzen - und deshalb auch nicht erfahren, dass es im Gegensatz zu früher heute sehr wohl Möglichkeiten gibt, dieses zugleich aufreibende und lähmende Krankheitsbild zu mildern.

Zwang tötet (A. Freiherr von Knigge).

Möglich ist dies im Rahmen eines Gesamtbehandlungsplans durch Psychotherapie (am meisten verhaltenstherapeutisch orientiert) und sogar Pharmakotherapie (am ehesten bestimmte Antidepressiva).

Und es gibt eine ganze Reihe von gezielten Selbsthilfemaßnahmen, über die man sich beispielsweise bei der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen (Katharinenstraße 48, D-49078 Osnabrück) informieren kann.

(Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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